Digitalisierung treibt Normen

Bei Umsetzung der Digitalisierung sind verlässliche verfügbare Regeln besonders wichtig, um schnell die notwendige Rechtssicherheit zur schaffen

Lesezeit: 6 Min.

22.10.2019

Digitalisierung und Normen – auf den ersten Blick passen diese beiden Begriffe nicht zusammen. Der Begriff „Digitalisierung“ macht den rasanten technologischen Wandel auf drastische Weise anschaulich. Künstliche Intelligenz (KI), Neuronale Netze (NN), Algorithmen, Cloud-Computing, Deep Learning: In immer kürzeren Zeitabständen erobern neue Technologien aus den Forschungsschmieden zuerst die Medien und etablieren sich dann in Unternehmen und im privaten Umfeld. Neue Geschäftsmodelle entstehen, während herkömmliche Technologien nach jahrzehntelangem erfolgreichem Einsatz von heute auf morgen abgelöst werden.

Normen dagegen werden eher mit längeren Zeiträumen in Verbindung gebracht. Das ist nachvollziehbar, denn Normen spielen eine wichtige Rolle und entlasten die staatliche Regelsetzung. Dementsprechend sorgfältig müssen Normen geplant und umgesetzt werden. Darüber hinaus entstehen Normen im Konsens. Das heißt, die der Normungsarbeit z. B. von DIN zugrunde liegenden Regeln garantieren ein für alle „interessierten Kreise“ faires Verfahren. Der Inhalt einer Norm wird dabei mit dem Bemühen festgelegt, eine gemeinsame Auffassung zu erreichen, die allgemeine Zustimmung findet [1].

Zwar sind Normen in erster Linie privatrechtliche Regeln, die nur dann angewendet werden müssen, wenn in Gesetzen und Verordnungen direkt darauf Bezug genommen wird. Gleichzeitig repräsentieren sie oft auch die allgemein anerkannten Regeln der Technik (aaRdT), mit zahlreichen Konsequenzen unter anderem im Werkvertrags- und Haftungsrecht. Als aaRdT entfalten Normen eine Vermutungswirkung, d. h. wird eine Norm richtig angewendet, kann man davon ausgehen, dass die zugrunde liegenden gesetzlichen Anforderungen erfüllt sind.

Zeit versus Qualität

Doch wie lassen sich diese beiden Zeithorizonte zusammenbringen? Insbesondere bei Umsetzung der Digitalisierung sind verlässliche verfügbare Regeln besonders wichtig, um schnell die notwendige Rechtssicherheit zur schaffen. Ein Beispiel dafür sind ferninspizierbare Rauchwarnmelder, die bereits kurz nach der Verfügbarkeit der Technologie in großen Stückzahlen auf den Markt gebracht wurden. Mangels anwendbarer Normen war jedoch lange Zeit unklar, ob damit auch eine normgerechte Inspektion aus der Ferne von Rauchwarnmeldern damit die Einhaltung der aaRdT möglich sei. Erst mit Erscheinen der neugefassten Anwendungsnorm für Rauchwarnmelder DIN 14676-1 [2] wurde diese Unsicherheit behoben.

Neue Technologien sind kritisch

Insbesondere bei schwer durchschaubaren neuen Technologien wird eine längere Vorlaufzeit benötigt, um eine Norm zu erstellen. Was würde beispielsweise passieren, wenn heute ein Hersteller in einem Brandmelder ein Neuronales Netz zur Unterscheidung zwischen einem Brandereignis und einem Falschalarm verwenden würde? Sind damit die aaRdT erfüllt? Wer übernimmt die Haftung, wenn ein Brandereignis nicht als solches erkannt wird? Kann die Entscheidung des Algorithmus im Nachhinein überhaupt nachvollzogen werden? Erst wenn eine Norm die Mindestanforderungen an solche Algorithmen regelt, kann ein ausreichendes Maß an Anwendungssicherheit gewährleistet werden.

Wie entsteht eine Norm?

Der reguläre Prozess zur Entstehung von Normen ist stark standardisiert. Normungsvorhaben werden auf formlosen Antrag und nach Genehmigung des jeweiligen Lenkungsgremiums initiiert. Normen werden von Ausschüssen bei DIN, bei den europäischen Normungsorganisationen CEN/CENELEC oder bei den internationalen Normungsorganisationen ISO/IEC nach festgelegten Grundsätzen, Verfahrens- und Gestaltungsregeln erarbeitet (nach [3]).

Änderungen oder Neufassungen von Normen ergeben sich häufig auch aus dem europäischen Kontext. So mussten nach Inkrafttreten der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie und der damit verbundenen Erarbeitung der DIN EN 16763 [4] (Dienstleistungen an Brandsicherheits- und Sicherheitsanlagen) zahlreiche nationale Normen wie beispielsweise die DIN 14675 angepasst werden. Normen werden in der Regel alle fünf Jahre überarbeitet, was eine gute Gelegenheit zur Ergänzung aktueller Themen darstellt.

Normungs-Roadmaps

Normen aktuellen Technologien und Trends werden mit Studien vorbereitet, die häufig in der Erstellung einer Normungsroadmap münden. Dort werden der aktuelle Stand gesammelt und ein Handlungsrahmen ausgearbeitet. Bei Technologien mit weitreichenden Konsequenzen wie der Künstlichen Intelligenz (KI) arbeiten zahlreiche Experten aus den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft zusammen. Aktuell werden bei DIN unter anderem Normungsroadmaps für Smart Cities, Industrie 4.0, Elektromobilität und KI erstellt bzw. umgesetzt.

Vornormen

Eine Vornorm ist das Ergebnis der Normungsarbeit, das wegen bestimmter Vorbehalte zum Inhalt, wegen des gegenüber einer Norm abweichenden Aufstellungsverfahrens oder mit Rücksicht auf die europäischen Rahmenbedingungen vom DIN nicht als Norm herausgegeben wird. Vornormen bieten der Öffentlichkeit die Chance, Ergebnisse aus Normungsvorhaben zu nutzen, die nicht als DIN-Norm veröffentlicht werden können (nach [5]). So wurde beispielsweise die DIN VDE V 0827-1 zum Thema Notfall- und Gefahrenreaktionssysteme als Vornorm veröffentlicht. Ebenso wurde die Vornorm DIN VDE V 0826-1 [6] umfassend überarbeitet, mit detaillierten Hinweisen zur Sicherheit in Smart Home-Anwendungen.

DIN SPEC nach dem PAS-Verfahren

Eine noch schnellere Möglichkeit, um eine Normung vorzubereiten und erste Regeln zu veröffentlichen, bietet die Erstellung einer DIN SPEC nach dem PAS-Verfahren. Sie wird nach Prüfung der Anfrage durch DIN in einer Workshop-Phase von mindestens drei Parteien inhaltlich erarbeitet. Dabei gilt keine Konsenspflicht. Nach Abschluss der Arbeiten wird die DIN SPEC von DIN veröffentlicht. So wurden bei der Überarbeitung der 14676-1 die technischen Grundlagen für ferninspizierbare Rauchwarnmelder kurzfristig in der DIN SPEC 91388 [7] niedergelegt, um den Herstellern eine hinreichende Sicherheit im Rahmen der Markterprobung zu geben. Mittelfristig werden diese Erfahrungen aus der Markteinführung in die harmonisierte europäische Produktnorm für Rauchwarnmelder DIN EN 14604 [8] einfließen. Aktuell sind bei DIN zahlreiche DIN SPEC auch zu aktuellen Themen gelistet, wie beispielsweise zum Building Information Modeling (BIM), zu Blockchains, zum autonomen Fahren, zur künstlichen Intelligenz und zum digitalisierten Parken. DIN SPEC stehen im Beuth-Verlag kostenlos zum Download bereit (vgl. dazu [9]).

Ausblick

Die Digitalisierung der Sicherheits- und Gebäudetechnik setzt auch die Normung unter Zeitdruck. Neue Technologien etablieren sich immer schneller am Markt, sodass die Marktteilnehmer zur Gewährleistung der notwendigen Anwendungssicherheit auf möglichst schnelle Änderungen bzw. Neufassungen von Normen angewiesen sind. DIN stellt dazu zahlreiche Instrumente zur Verfügung, von Normungsroadmaps über Vornormen bis hin zu DIN SPEC. Diese müssen jedoch auch konsequent angewendet werden, was die Mitarbeit aller Marktteilnehmer erfordert. Die notwendige Konsensbildung darf dabei nicht durch das Durchsetzen von Partikularinteressen behindert werden.

Literatur

[1] DIN – Kurz erklärt, https://www.din.de/de/ueber-normen-und-standards/basiswissen [Zugriff am: 11.08.2019].

[2] DIN 14676-1:2018-12 Rauchwarnmelder für Wohnhäuser, Wohnungen und Räume mit wohnungsähnlicher Nutzung – Teil 1: Planung, Einbau, Betrieb und Instandhaltung.

[3] DIN-Norm – Entstehung einer Norm, https://www.din.de/de/ueber-normen-und-standards/din-norm [Zugriff am: 22.08.2018].

[4] DIN EN 16763:2017-04 Dienstleistungen für Brandsicherheitsanlagen und Sicherheitsanlagen Deutsche Fassung EN 16763:2017.

[5] Ergebnisse von Normungsarbeit, https://www.din.de/de/ueber-normen-und-standards/din-norm/ergebnisse [Zugriff am: 11.08.2019].

[6] DIN VDE V 0826-1:2018-09 Überwachungsanlagen – Teil 1: Gefahrenwarnanlagen (GWA) sowie Sicherheitstechnik in Smart Home-Anwendungen für Wohnhäuser, Wohnungen und Räume mit wohnungsähnlicher Nutzung – Planung, Einbau, Betrieb, Instandhaltung, Geräte- und Systemanforderungen.

[7] DIN SPEC 91388:2019-02 Technische Anforderungen an ferninspizierbare Rauchwarnmelder – Anforderungen an eine technische Einrichtung zur Ferninspektion in Bezug auf den Nachweis der Funktionsbereitschaft nach DIN 14676-1 eines Rauchwarnmelders nach DIN EN 14604.

[8] DIN EN 14604:2012-09 Rauchwarnmelder Deutsche Fassung EN 14604:2005.

[9] DIN SPEC Veröffentlichungen, https://www.din.de/de/forschung-und-innovation/din-spec/din-spec-veroeffentlichungen [Zugriff am: 11.08.2019].

(Bildquelle: Fotolia.com/Urheber: envfx )

 

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Über den Autor: Redaktion Prosecurity

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