Entweder Sie gehen mit der Zeit oder Sie gehen mit der Zeit
Wer sich mit BIM beschäftigt und eine Strategie erstellen möchte, der muss aus seinem Wirkungskreis herausblicken und die Ziele und Anforderungen aller Mitspieler kennen. Nur dann kann man seine Strategie zielgerichtet und ergebnisorientiert ausrichten.
Lesezeit: 12 Min.
11.09.2019
Auswirkungen von Building Information Modeling auf etablierte Geschäftsmodelle
Laut einer aktuellen Umfrage von PricewaterhouseCoopers (pwc) zum Thema Building Information Modeling (BIM)1) erwarten 57% aller befragten Planer und Designer durch BIM eine starke Veränderung ihres Geschäftsmodells in den nächsten 5 Jahren. Jedoch hat nur jeder fünfte Planer bereits schon eine „ausgereifte BIM Strategie“, nach der sie arbeiten. EINFACH MACHEN, ist das Credo der Digitalisierung sredner auf den großen Bühnen.
Doch so einfach ist es häufig nicht, da das Ziel, vor allen Dingen aber der Weg unklar ist. Außerdem haben vor allen Dingen kleine Unternehmen kaum Ressourcen und Budget dafür zur Verfügung. Wie soll man nun am besten vorgehen, um fit für das digitale Zeitalter auf dem Bau zu werden?
Über Entdecker, Nachzügler und Zögerer
Wie in allen Technologiebereichen gibt es auch bei BIM Unternehmen in unterschiedlichen Reifegraden.
1. Die Entdecker: sie bauen die Gleise, auf denen der digitale Zug losrollt. Sie glauben fest an BIM, an die digitale Zukunft und den Nutzen durch BIM. Eine Strategie ist etabliert bzw. in Arbeit, Ressourcen und Budgets sind zugeordnet und man hat schon einige Erfolge zu verzeichnen.
2. Die Nachzügler: diese stehen am Bahnsteig und überlegen sich, ob und wann es Sinn macht, auf den Zug aufzuspringen. Sie können von den Fehlern der Entdecker profitieren, haben jedoch weniger Gestaltungsspielraum.
3. Die Zögerer: diese sind zu beschäftigt und bekommen nicht mit, was derzeit passiert. Vielleicht verdrängen Sie es auch. Sie laufen Gefahr, nur noch die Rücklichter das Zuges zu sehen. Der Aufwand, den Zug noch zu erreichen wird immer größer.
Entsprechend der hier zitierten Umfrage von pwc sind bereits 20% der heutigen Planer die Entdecker. 69% sind Nachzügler, die bereits an einer eigenen Strategie arbeiten. Nur 11% der Planer und damit die Zögerer haben keine BIM- Strategie und planen auch keine.
Egal, an welcher Stelle man sich heute befindet. Der Zug ist noch da, fährt jedoch langsam los. Wann die Rücklichter zu sehen sind, kann heute niemand sagen. Die Vergangenheit hat immer wieder gezeigt, dass es schneller gehen kann als man eigentlich erwartet hat. Daher ist es richtig, sich mit BIM und der Digitalisierung auseinanderzusetzen und „einfach zu machen“.
Die Digitalisierung ist kein Selbstzweck
Laut Wikipedia versteht man unter Digitalisierung die Aufbereitung von Informationen zur Verarbeitung oder Speicherung in einem digitaltechnischen Gerät. Erste Versuche zur Digitalisierung gehen auf kryptographische Experimente bis ins 17. Jahrhundert zurück. Deren Weiterentwicklung scheiterte jedoch an den damaligen technischen Grenzen der Mechanik.
Immer leistungsfähigere Prozessoren und Speichermedien legten im letzten Jahrhundert den Grundstein für die Digitalisierung. 2002 wurden erstmals mehr Daten digital gespeichert als analog, womit offiziell der Beginn des digitalen Zeitalters eingeläutet wurde. Seit dieser Zeit hat sich in vielen Bereichen unseres privaten und beruflichen Lebens vieles geändert.
Unternehmen wie Google, Facebook und Amazon sind heute nicht mehr aus dem Alltag weg zu denken. Digitale Endgeräte sind unsere täglichen Begleiter geworden. Wir überlassen nichts mehr dem Zufall, sei es die Hotelbuchung, der Ausflug am Wochenende oder der Restaurantbesuch. Wir verlassen uns auf die Community und die sogenannte Schwarmintelligenz, mit allen Vor- und Nachteilen.
Smart Factories, e-commerce, Augmented Reality oder Content Marketing stehen exemplarisch für eine Fülle neuer Anwendungen und Ansätze. Dabei werden unterschiedlichste Ziele verfolgt, allen voran die Realisierung von Kundenbegeisterung (siehe Amazon), die Einsparung von Geld (z.B. Predictive Maintenance, also vorhergesehene Wartung), der Aufbau neuer Geschäftsfelder (z.B. Software as a Service wie Autodesk 360°) oder aber auch die Einsparung von Ressourcen (z.B. Building Information Modeling).
Im Bereich der Bauindustrie steht die Digitalisierung trotz einiger Vorreiter noch ganz am Anfang. Auch wenn die Bauinformatik seit fast 25 Jahren an den Hochschulen unterrichtet wird, war die technische Infrastruktur noch nicht ausreichend, um das Planen, Bauen und Betreiben digital voranzutreiben. Erst die Kombination aus hoher Rechenpower sowie unbegrenzter und günstiger Speichermöglichkeiten in der Cloud bereiteten den Nährboden für die Digitalisierung in der Bauindustrie.
Im Vergleich zu allen anderen Branchen ist der Reifegrad noch ziemlich gering. Dies liegt insbesondere an der Heterogenität und der Breite der größten Industrie der Welt. Jedes noch so abgeschlossene Projekt kann nur dann digital geplant, gebaut und betrieben werden, wenn alle Beteiligten an einem digitalen Strang ziehen.
Deutschland und der Rest der Welt
Die Digitalisierung kennt bekanntermaßen keine Grenzen. Seit 2003 werden BIM Projekte in den USA staatlich gefördert. Zwischen 2012 und 2015 wird BIM verpflichtend in Finnland, Norwegen und Schweden eingeführt. 2016 folgt Großbritannien und seit diesem Jahr Spanien. In Deutschland hat das Bundesverkehrsministerium 2015 einen strategischen Fahrplan zur BIM Einführung vorgelegt. Ziel ist die verpflichtende Nutzung von BIM bei öffentlichen Bauprojekten ab 2020.
Neben den staatlich vorangetriebenen Maßnahmen hat die Bauindustrie im In- und Ausland längst den Nutzen von BIM verstanden. Die Protagonisten im Bau verfolgen dabei teils gleiche, teils aber auch unterschiedliche Ziele. So will der Bauherr zum Beispiel sein Gebäude in geplanter Zeit zu geplanten Kosten fertiggestellt haben. Der Bauzulieferer, zum Beispiel ein Anbieter von Videotechnik, möchte natürlich seine Produkte verkaufen und wissen, wo seine Produkte zum Einsatz kommen. Schließlich der Fachplaner, der mit der Simulation und Auslegung in BIM- fähigen CAD -Systemen Zeit sparen und Fehler reduzieren möchte.
Wer sich mit BIM beschäftigt und eine Strategie erstellen möchte, der muss aus seinem Wirkungskreis herausblicken und die Ziele und Anforderungen aller Mitspieler kennen. Nur dann kann man seine Strategie zielgerichtet und ergebnisorientiert ausrichten.
Die Zufriedenheitsfalle
„Warum soll ich mich mit BIM beschäftigen, es fragt doch niemand danach?“ oder auch „Was bringt mir das Ganze außer Kosten?“ sind Fragen, die häufig von Bauzulieferern und Errichtern zu hören ist. Doch auch kleine Planungsbüros fragen sich, wie sie die digitale Planung überhaupt mit ihren teils überschaubaren finanziellen Mitteln realisieren können. Angesichts des derzeitigen Baubooms mit einem Bauauftragsvolumen auf Rekordniveau (12,6% für die ersten 5 Monate in 2019 gegenüber dem Vergleichszeitraum in 2018) scheint es nachvollziehbar, sich zunächst mit der Auftragsabarbeitung zu beschäftigen. Besonders Planungsbüros und Errichter mit bis zu 20 Mitarbeitern verfügen nicht über ausreichende Kapazität, sich mit dem Thema BIM zu beschäftigen.
Der steinige Weg der Early Adopters
Doch es geht auch anders. Innovatoren und frühe Adoptoren haben damit begonnen, die Digitalisierung der Bauindustrie für sich zu nutzen. Sowohl große Planungsunternehmen und Errichter wie auch kleine Unternehmen haben den BIM- Dschungel betreten und sich ihren Weg gebahnt. Zweifelsohne sind sie dabei auf Schwierigkeiten gestoßen. So geht es um Fragestellungen, welche Planungssoftware zum Einsatz kommt. Der Fachplaner kann hier zum Beispiel zwischen Autodesk Revitt, Nemetschek Allplan, Tekla oder DDS-CAD wählen. Eine weitere Herausforderung besteht in der nach wie vor unklaren Normenlage. Zwar gibt es mit der ISO 19650 einen Rahmen für die BIM- Methodik und den Informationsaustausch, jedoch fehlen Normen hinsichtlich des Datenaustausches mit dem Produkthersteller. Auch wenn es bereits schon einige gewerke-spezifische Ansätze gibt (z.B. VDI 3805 im Bereich Heizungstechnik), sind andere Gewerke noch ergebnisoffen.
„Entweder man geht mit der Zeit oder man geht mit der Zeit“
Dieses „Zitat des Jahres“ 2010 hat im digitalen Zeitalter höchste Relevanz. Jeder Protagonist in der Bauindustrie muss sich fragen, wie er es mit der Digitalisierung hält. Sie wird nicht kommen, sie ist bereits da und dringt immer tiefer in alle unsere Bereiche vor. Im privaten Umfeld können wir uns eine Welt ohne Google, Amazon und Co. nicht mehr vorstellen.
Der technologische Fortschritt schreitet exponentiell voran. Einfach machen ist jedoch nicht das Gebot der Stunde. Wir müssen uns vorbereiten, brauchen ein GPS- Gerät, eine Machete und Tropenkleidung. Idealerweise begleitet uns jemand, der schon durch diesen Dschungel gegangen ist.
Im Unternehmen braucht es daher zunächst einen Plan bzw. eine Strategie. Warum sollte ich mich überhaupt mit der Digitalisierung beschäftigen? Wohin geht die digitale Reise? Was genau benötigt der Kunde? Wie kann ich ihn begeistern? Wer sind überhaupt meine Kunden bzw. auch Nichtkunden? Welche Schnittstellen habe ich zu den Kunden? Welche digitale Infrastruktur habe ich heute und welche benötige ich morgen?
Wichtig ist zu verstehen, dass es im Kontext der Digitalisierung kein Schema F geben wird und auch nicht geben kann. Jedes Digitalprojekt ist Neuland, sowohl für den Planer als auch für den Berater. Wichtig ist es daher, zunächst die eigene Strategie zu erarbeiten und basierend darauf eine eigene Entscheidung für die nächsten Schritte zu treffen. Ein Digitalprojekt ist Chefsache und es ist nicht damit getan, das BIM-Projekt zu delegieren.
Kein Stein bleibt auf dem alten
Die Digitalisierung wird die Bau- und Immobilienwirtschaft nachhaltig verändern. So rechnet zum Beispiel die Unternehmensberatung Roland Berger mit folgenden Auswirkungen2):
- Verschiebung der Entscheiderstrukturen am Bau
- Planer und Architekten stärken ihre Rolle, indem sie nicht nur das Lastenheft für den Bauunternehmer erstellen (der dann die Entscheidung für den Hersteller trifft) sondern in den Entscheidungsprozess bei der Wahl des Herstellers und der Qualität eingebunden werden. Dadurch entwickelt sich das Bauunternehmen immer mehr zur ausführenden Einheit
- Verschiebung von Bautätigkeiten in die Industrie
- Bauzulieferer werden zunehmend zu Lösungspartnern, die Systemlösungsansätze anbieten und damit wie in der Autoindustrie Produkte direkt ohne Großhandel auf die Baustelle liefern
- Data is King
- Durch BIM wird sich die Menge der digitalen Produktdaten vervielfachen. Planer und Bauunternehmen, die diese Daten gewinnbringend analysieren, nutzen das gesamte Potential dieser Entwicklung.
Die Erkenntnis und Akzeptanz dieser Veränderungsprozesse durchläuft verschiedene Stadien. In der Abbildung vom Frauenhofer Institut ist dargestellt, in welchen Bereichen der BIM- Entwicklungskurve sich die einzelnen Mitspieler der Bauindustrie bewegen. Zum einen wird deutlich, dass gerade die Bauproduktehersteller, abgesehen von einigen Ausnahmen (die „early adopters“) noch massiven Aufholbedarf haben, zum anderen wird klar, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern noch zurück liegt.3)
- Exkurs: Die größte Hürde
- Die Basis für eine erfolgreiche und wertschöpfende Anwendung digitaler Prozesse bilden die Bauprodukthersteller. Gedruckte, mehrere 100 Seiten starke Kataloge, unverständliche Webseiten, unterschiedliche Bezeichnungen für Produkteigenschaften sowie unzureichende Produktinformationen behindern den effizienten digitalen Datenaustausch.
Darüber bilden diverse CAD- Planungswerkzeuge, Simulations- und Berechnungsprogramme, ERP- und CAFM- Systeme sowie der gesamte Bereich der Gebäudeautomation ein breites diversifiziertes Feld von digitalen Prozessen, Werkzeugen und Methoden. Sie alle sprechen ihre eigene Sprache mit unterschiedlichen Formatspezifikationen und Objektklassifizierungen.
- Um sich nicht von Teilen des Marktes auszuschließen, müssen Bauproduktehersteller einen großen Aufwand betreiben, um digitale Zwillinge ihrer Produkte in den verfügbaren Dateiformaten anzubieten. Doch dabei bleibt es nicht. Diese digitalen Repräsentationen müssen über die Zeit genau wie ihr realer Zwilling angepasst werden damit sich Nutzer der Daten jederzeit auf die Datenqualität verlassen können.
- Spannend wäre es, den Spieß umzudrehen und nicht die Produkte auf die Software anzupassen, sondern zu versuchen, dass sich die Software alle notwendigen Beschreibungsmodelle aus einem vom Hersteller oder Dienstleister zentral verwalteten Datenmodell zieht. Genau damit beschäftigt sich das Fraunhofer – Institut für Bauphysik IBP.
Mit der Initiative „ Intelligente Digitale Bauproduktmodelle“ will sich das Frauenhofer IBP den ungünstigen Entwicklungen entgegenstellen. Ziel dabei ist ein weitgehend harmonisiertes, intelligentes und offenes Produktdatenmodell, dass von möglichst vielen der eingesetzten IT- Systemen verwendet und interpretiert werden kann.
Mit der Verfügbarkeit des digitalen Zwillings und durch die Verknüpfung von Datenströmen werden innovative Wertschöpfungsprozesse realisierbar. Daten aus der Nutzung und dem Gebäudebetrieb können über Feedback-Kanäle mit den Entscheidungsprozessen der Gebäudeplanung abgeglichen werden.
Eine neue Form der kontinuierlichen Optimierung von Angeboten und Dienstleistungen im Bausektor wird dadurch erst ermöglicht. Im digitalen Ökosystem des vernetzten Gebäudes und seiner intelligenten Bauprodukte werden somit neue Formen kundenorientierter Services geschaffen.
Ausblick
Gemeinsam mit der Boston Consulting Group hat das World Economic Forum in 2018 eine Studie zur Zukunft der Bauindustrie veröffentlicht. Demnach gibt es drei verschiedene Szenarien, in die sich unsere Welt entwickeln wird.4)
- Die Digitale Welt
Automatisierung und Roboter, vernetzte Systeme und Cloud Technologien durchdringen unseren Alltag und alle Branchen. Menschen kaufen digital ein und gehen digital zur Schule. Gebäude werden rund um die Uhr genutzt als Wohn- und Bürogebäude. Wir nutzen Roboter Taxis, Drohnen und Hyperloops um schnell von A nach B zu kommen. Das Geschäftsmodell von Planern hat sich völlig verändert. Ihr Wettbewerb ist nicht mehr das Planungsbüro “ um die Ecke“ sondern Technologiefirmen die mit ihren Softwaretools basierend auf künstlicher Intelligenz Gebäude und Systeme planen.
- Fabriken regieren die Welt
- Die Wirtschaft boomt. Der Bedarf an Büro- und Geschäftshäusern sowie Infrastruktur ist immens. Der Fokus liegt auf Geschwindigkeit und Effizienz. Design ist eher zweitrangig. Die Bauindustrie nutzt Lean Production sowie Fertigungsmodelle aus dem Maschinenbau zur Skalierung von Bauprozessen. Bauzulieferer produzieren standardisierte Module, die nur noch auf der Baustelle zusammengesteckt werden. BIM- Modelle liefern zusätzliche Informationen über den logistischen Ablauf über die Vorfertigung hin zur Baustelle.
- Ein grüner Neustart
Der Klimawandel und Ressourcenknappheit bestimmen das Weltgeschehen. Der Bau von neuen Gebäuden und Infrastruktur geht zurück, aufgrund des reduzierteren Verbrauchs von Gütern, weniger Produktion und dadurch sinkender industrieller Tätigkeit. Der Fokus des Neubaus von Gebäuden liegt auf Nachhaltigkeit und maximaler Energieeinsparung. Projekte werden digital und virtuell durchgeführt um den Reiseaufwand auf ein Minimum zu begrenzen. Ein neues Steuersystem fördert lokal produziertes und wiederaufbereitetes Material.
Unabhängig davon, welches dieser Szenarien eintreten wird, die Zukunft wird kommen, ob wir wollen oder nicht. Es gewinnt derjenige, der sich auf diese Zukunft einstellt, Möglichkeiten sucht statt Ausreden zu finden. Das Rad muss dabei gar nicht neu erfunden werden. Viele gute Ansätze liegen auf der Straße. Um es mit einem abgewandelten Slogan eines großen Elektrohändlers zu sagen: „Digitalisierung ist geil“.
Bildquelle: geralt, pixabay
Quellennachweis:
- BIM Studie PricewaterhouseCoopers vom Juni 2019
https://www.pwc.de/de/digitale-transformation/studie-digitales-bauen-nimmt-fahrt-auf.html - Studie Digitalisierung der Bauwirtschaft, Roland Berger, 2016
- Fraunhofer IBP, 2019 Initative Digitale Bauproduktmodelle
- Shaping the future of construction, 2018, World Economic Forum