Fakten statt Vermutungen: vfdb-Brandschadenstatistik

Die äußerst wichtige Brandschadenstatistik vom vfdb, schließt die Lücke bei der Erfassung und Auswertung von Gebäudebränden.

Lesezeit: 7 Min.

29.09.2020

Aussagekräftige Daten über die Brandursachen und den Brandverlauf in Gebäuden sind Mangelware in Deutschland. Die Weiterentwicklung des vorbeugenden Brandschutzes gleicht einem Stochern im Nebel und immer wieder flammen Diskussionen um vermeintlich unsinnige und teure Brandschutzmaßnahmen am Markt auf. Mit der Brandschadenstatistik der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) wird ein wichtiger Teil diese Lücke bei der Erfassung und Auswertung von Gebäudebränden nun geschlossen. Die Herausgeber Sebastian Festag und Ernst-Peter Döbbeling beschreiben auf mehr als 500 Seiten das Brandgeschehen und untersuchen statistisch fundiert die Wirksamkeit von Brandschutzmaßnahmen. Die Angaben beruhen auf detaillierten und einheitlich erfassten Angaben von 29 Berufs-, Freiwilligen und Werkfeuerwehren aus über 5.000 Gebäudebrandeinsätzen mit mehr als 1.200 realen Bränden. Die Brandschadenstatistik steht auf den Seiten der vfdb kostenfrei zum Herunterladen bereit [1].

Die SicherheitsPraxis sprach mit Dr.-Ing. Sebastian Festag, Leiter des Arbeitskreises „Statistik“ der vfdb:

SicherheitsPraxis: Warum ist die Brandschadenstatistik der vfdb notwendig?

Festag: Deutschland ist eine hochentwickelte Industrienation, beim Wissen über Gebäudebrände und deren Ursachen befinden wir uns in einigen Bereichen aber in der Steinzeit. Es gibt keine einheitliche Brandstatistik, stattdessen pflegen Feuerwehren Einsatzstatistiken nach den verschiedensten Kriterien mit mehr oder weniger Aufwand. Es fehlen aber übergreifende und aussagekräftige Daten über Brandeinsätze, das Phänomen des Brandes sowie zur Wirksamkeit von Brandschutzmaßnahmen als Synergien. Ohne eine vernünftige Datenbasis können wir jedoch keine zielgerichteten Maßnahmen ergreifen und für die Zukunft planen. Wie schmerzlich das ist, erleben wir gerade bei der Bewältigung der Corona-Pandemie: Eine wirklichkeitsnahe Lagebeurteilung und das Ableiten zielgerichteter Maßnahmen sind nur mit einer guten Datenbasis möglich.

SicherheitsPraxis: Welche Ziele verfolgt die Studie?

Festag: Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie wirksam sind bestimmte Brandschutzmaßnahmen? Dazu existieren bisher weder in Deutschland noch international ausreichende Daten. Statistische Aussagen über die Wirkung von Brandschutzmaßnahmen sind aber wichtig, da sie Eingang in die Ingenieurmethoden des Brandschutzes finden und damit zum wirksamen, zuverlässigen und effizienten Erreichen von Brandschutzzielen. Der zweite Schwerpunkt sind feuerwehrübergreifende, statistisch belastbare Aussagen über das Brandgeschehen. Diese sind für die Präventionsarbeit und die strategische Brandschutzplanung eine wichtige Grundlage. In der Praxis sind statistische Erkenntnisse und Wirksamkeitsnachwiese an zahlreichen Stellen nützlich, zum Beispiel bei baurechtlichen Festlegungen, in Normen und in Versicherungsbedingungen. Durch statistische Nachweise erreichen Kompensationsmaßnahmen eine höhere Akzeptanz bei Planern, Errichtern, Betreibern und Behörden. Abweichungen vom Baurecht sind leichter durchsetzbar und das Bauen wird ohne Abstriche bei der Sicherheit flexibler.

SicherheitsPraxis: Wie wurde das Projekt durchgeführt?

Festag: Die Grundlage für das Projekt ist ein einheitlicher Erfassungsbogen, den die beteiligten Feuerwehren bei oder unmittelbar nach einem Einsatz ausgefüllt haben. Der Bogen enthält zahlreiche Abfragen, unter anderem zu Gebäudeart, Meldeweg, vermutliche Ursache und Ort Geschoss der Brandentstehung, zur Brand- und Rauchausbreitung, dem Sachschaden, der installierten Anlagentechnik und der Löschwassermenge. Die Angaben wurden manuell erfasst, anonymisiert, auf Plausibilität geprüft und in einer Datenbank gespeichert. Ein Pilotprojekt im Jahr 2010 mit 580 Einsätzen von vier Feuerwehren bestätigte die gewählte Vorgehensweise und lieferte erste Ergebnisse. In den Hauptprojektphasen I und II wurden dann in den Jahren 2013 bis 2017 etwa 5000 Erfassungsbögen mit ca. 1200 realen Brandereignissen ausgewertet. Zwei Clusterauswertungen arbeiteten Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Art der Feuerwehr (Werks-, freiwillige und Berufsfeuerwehr) sowie auf die Gemeindegröße heraus. In einer Gesamtauswertung wurde mit den Daten aus Phase I und II die Wirksamkeit von bestimmten Brandschutzmaßnahmen beurteilt. An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei den beteiligten Feuerwehren bedanken, ohne deren Engagement diese Studie nicht möglich gewesen wäre. Feuerwehreinsätze können physisch und psychisch äußerst belastend sein. Das zusätzliche Ausfüllen eines Fragebogens nach einem Einsatz kann deshalb gar nicht hoch genug wertgeschätzt werden.

SicherheitsPraxis: Was waren die wichtigsten Ergebnisse?

Festag: Die Brandschadenstatistik der vfdb liefert erstmals einen statistisch fundierten Nachweis für die Wirksamkeit anlagentechnischer Brandschutzmaßnahmen. So waren die geschätzten Sachschäden bei einer Alarmierung über Brandmeldeanlagen deutlich geringer als bei manueller Meldung. Und das, obwohl diese Gebäude im Regelfall über ein weitaus höheres Schadenspotenzial verfügen. Darüber hinaus war in Gebäuden mit Brandmeldeanlagen die Brand- und Rauchausbreitung beim Eintreffen der Feuerwehr weniger stark ausgeprägt sowie Flucht- und Rettungswege häufiger benutzbar. Dasselbe Bild zeigt sich bei den Wirksamkeitsnachweisen für Rauch- und Wärmeabzugsanlagen sowie für in ersten Tendenzen bei stationären Feuerlöschanlagen. Durch die geringeren Fallzahlen sind die Ergebnisse allerdings für diese Anlagen statistisch nicht belastbar. Das wird sich in zukünftigen Projektphasen mit steigenden Fallzahlen ändern.

Sehr interessant sind auch die Ergebnisse zur verwendeten Löschwassermenge. Bei Vorhandensein einer Brandmeldeanlage, Rauch- und Wärmeabzugsanlage oder einer Löschanlage musste von der Feuerwehr wesentlich weniger Löschwasser eingesetzt werden als in Gebäuden ohne Anlagentechnik. Diese Tatsache ist besonders für zukünftige Planungen bedeutsam. Die zunehmende Trockenheit sowie eine durch sinkenden Verbrauch reduzierte Wasserversorgung in den Kommunen könnten zu einer ernstzunehmenden Löschwasserverknappung führen. Die im letzten Sommer durch niedrige Wasserstände komplett eingestellte Flussschifffahrt ist ein erstes Warnzeichen.

SicherheitsPraxis: Falschalarme sind ein Dauerbrenner in Brandschutzdiskussionen. Welche Erkenntnisse resultieren aus der Studie?

Festag: Die Ursachenfindung bei Falschalarmen und deren Behebung ist komplex und war kein Bestandteil dieser Studie. Hier sei nur so viel gesagt: Nach unseren Ergebnissen entstehen Falschalarme vor allem beim Einsatz von Brandmeldeanlage insbesondere durch Täuschungsalarme. D. h., die Melder sprechen auf brandähnliche Kenngrößen wie Staub und Wasserdampf an und funktionieren bestimmungsgemäß, was ein Hinweis auf Planungs- und Anwendungsfehler sein kann. Diese Erkenntnis deckt sich mit anderen Studienergebnissen, nach denen 30 % der Falschalarme in lediglich 5 % der Objekte auftreten. Aus meiner Sicht sollte die Diskussion über Falschalarme nicht nur einseitig auf der Schadenseite geführt werden. Falsch positive Alarme treten auch in anderen Bereichen auf, zum Beispiel bei Personenscannern an Flughäfen oder ganz aktuell beim Test auf Covid-19. Nur beschwert sich keiner darüber. Falschalarme gelten dort zugunsten der Risikominimierung als akzeptabel. Und das ist auch richtig so, nur sollte man das auch im Brandschutz so diskutieren.

SicherheitsPraxis: Wie aussagekräftig sind die Ergebnisse der Studie?

Festag: Neben einer aufwändigen Vorbereitung und Erfassung wurden die Daten mit statistischen Methoden sorgfältig untersucht, welche Ergebnisse im umfangreichen Datensatz wichtig bzw. von Bedeutung sind. Zum anderen wurde geprüft, welche Ergebnisse im zeitlichen Verlauf belastbar sind und sich nicht wieder mit neuen Daten ändern. Dazu wurde der Stichprobengröße Rechnung getragen, indem für Aussagen aus den Ergebnissen eine am theoretischen „optimalen Stichprobenumfang“ angelehnte Mindestfallzahl errechnet wurde. Zur Prüfung der Belastbarkeit wurden die Ergebnisse aus dem Gesamtdatenbestand mit denen aus Phase eins und Phase zwei verglichen. Ob die Ergebnisse für ganz Deutschland repräsentativ sind, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen, da die regionale Verteilung der teilnehmenden Feuerwehren nur „quasi-zufällig“ war. Zur Beantwortung dieser Frage sind weitere Untersuchungen und die Teilnahme weiterer Feuerwehren notwendig. Hierbei streben wir eine angemessene Verteilung der Daten von Berufs-, Werk – und Freiwilliger Feuerwehren.

SicherheitsPraxis: Welche Empfehlungen geben Sie in der Studie?

Festag: Gar keine. Unsere Aufgabe ist die Bereitstellung wissenschaftlich fundierter und statistisch aussagekräftiger Daten. Die Interpretation der Ergebnisse und die Festlegung möglicher Maßnahmen muss in der Fachöffentlichkeit und in den politischen Gremien stattfinden. Um eine qualifizierte und transparente Diskussion zu ermöglichen, haben wir die Studie in einer sehr detaillierten Form auf über 500 Seiten veröffentlicht, bis hin zur Auflistung der anonymisierten Ergebnisse zu einzelnen Erfassungskriterien und deren Clusterung nach verschiedenen Gesichtspunkten. Eine beispielhafte Interpretation haben wir lediglich bei der Betrachtung der Wirksamkeit von Anlagentechnik und in Kapitel 7 durchgeführt. Letzteres soll vor allem den großen und praxisrelevanten Wert demonstrieren, der in den Daten steckt. So zeigen unsere statistischen Untersuchungen, dass die Definition des „kritischen Wohnungsbrandes“ aus den „AGBF-Schutzzielen“ empirisch nachvollziehbar ist. Die Auswertung des Löschwasserverbrauchs ergab, dass die derzeit nach Norm mitgeführten Löschwassermengen von 600-2500 l für den größten Teil der Gebäudebrandeinsätze anscheinend ausreichend sind.

SicherheitsPraxis: Welches Fazit ziehen Sie?

Festag: Die Ergebnisse des Projektes unterfüttern einerseits das Erfahrungswissen aus der Praxis mit Grundlagen und liefern andererseits auch völlig neue Erkenntnisse. Neben den Wirksamkeitsnachweisen liefert die Studie zahlreiche Erkenntnisse über Risiko- und Einsatzschwerpunkte, Veränderungen und Trends im Brandgeschehen. Das bestärkt uns darin, das Projekt weiterzuführen und sowohl die Datenbasis als auch die Ergebnisse weiter auszubauen. Wir hoffen, die Feuerwehren von der Nützlichkeit einer einheitlichen Brandstatistik zu überzeugen und würden uns freuen, wenn sich noch mehr Feuerwehren daran beteiligen. Insbesondere bei den Daten von Freiwilligen und Werkfeuerwehren besteht noch Nachholbedarf.

SicherheitsPraxis: Herr Dr. Festag, wir bedanken uns für das Gespräch.

Literatur

[1]    Sebastian Festag & Ernst-Peter Döbbeling: vfdb-Brandschadenstatistik – Untersuchung der Wirksamkeit von (anlagentechnischen) Brandschutzmaßnahmen, http://www.ref14.vfdb.de/fileadmin/download/ref14/Bericht_Brandschadenstatistik/14-01_Technischer_Bericht_vfdb-Brandschadenstatistik_02_2020_final_reduziert.pdf [Zugriff am: 24.05.2020].

 

 

 

 

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Über den Autor: Redaktion Prosecurity

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