Gesichtserkennung als Exportschlager?

Das System der Gesichtserkennung mag marktreif sein, wird aber in verschiedenen Ländern unterschiedlich eingesetzt.

Lesezeit: 6 Min.

20.08.2019

China ein grosser Markt – San Franzisko verbietet Anwendung

Das System der Gesichtserkennung sei nun marktreif, sagte Thomas Striethörster, Präsident der Bundespolizeidirektion Berlin, auf der Konferenz „Sicherheitswirtschaft im Wandel“, die Anfang April in der Hauptstadt stattfand. Striethörster war leitend verantwortlich für den Testlauf des Projektes am Berliner Bahnhof Südkreuz, bei dem die Genauigkeit der Systeme moderner Gesichtserkennung erprobt wurde.

Striethörster betonte, dass mit einer Trefferquote von 80% das Ergebnis sehr gut sei, jedoch eine Fehlerquote, die bei 0,25% lag, zunächst keineswegs als befriedigend angesehen werden konnte. Immerhin hatten in Spitzenzeiten rund 1500 Menschen die Rolltreppen des Bahnhofs frequentiert und dabei seien zu viele Passanten falsch detektiert worden. Man habe das Problem lösen können, so Striethörster, in dem zwei Erkennungssysteme „übereinandergelegt wurden.“ Damit sank die Fehlerquote gegen null.

Der weitere Einsatz, der nach Ansicht des Bundespolizisten vor allem in der Erkennung von Gefährdern angesiedelt sein werde, liege nun jedoch in den Händen der Politik. Das Pilotprojekt war am 1. August 2017 gestartet. Mit rund 300 Freiwilligen wurde der Test durchgeführt. Reisende Bahnhofsbesucher, die sich nicht an dem Test beteiligen und von der Überwachungskamera erfasst werden wollten, konnten eine alternative Eingangstür des Bahnhofs benutzen. Die Versuchsphase war zunächst auf sechs Monate begrenzt, wurde dann jedoch verlängert. Der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte Mitte Dezember 2017 angekündigt, bei einem positiven Ergebnis solle die Videoüberwachung flächendeckend an Bahnhöfen und Flughäfen eingeführt werden.

Ein Projekt zur Gesichtserkennung war bereits im Jahr 2006 in Mainz gestartet worden. Damals jedoch auf dem mittlerweile veralteten 2-D-Verfahren basierend, wurde es als zu fehleranfällig eingestuft. Die Pläne zur Überwachung des öffentlichen Raumes mittels Gesichtserkennung wurden damals auf Eis gelegt.

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ nannte den jüngsten Testlauf eines der „umstrittensten deutschen Überwachungsprojekte.“ Wenn sich die Politik mit den jüngsten Ergebnissen der Gesichtserkennung beschäftigen wird, wird sie kaum umhinkommen, negative oder zumindest fragwürdige Einsatzmöglichkeiten dieser neuen Technik mit in Betracht zu ziehen.

Im kommerziellen Bereich sind längst Anwendungen in der Probephase, die mit der Zuordnung zum Bereich Sicherheit nichts mehr zu tun haben. Erwähnenswert sei der Fall der Supermarktkette Real, die in einigen Filialen Gesichtserkennung zur Kundenerfassung eingesetzt hatte. Dabei ging es jedoch nicht um das Ertappen von Langfingern, sondern es wurden die Reaktionen der Kunden auf Werbespots erfasst und ausgewertet. Dabei sollten auch Merkmale der Kunden wie Alter und Geschlecht festgestellt werden, um zielgerichtete Werbung auf entsprechende Bildschirme zu platzieren.

Weitaus unappetitlichere Einsatzmöglichkeiten der Gesichtserkennung werden aus China bekannt. Im April 2018 meldete der Deutschlandfunk, dass es im Reich der Mitte geschätzte 176 Millionen Überwachungskameras gebe, deren Zahl bis 2020 auf mehr als 600 Millionen anwachsen soll. Der Sender beschreibt eine Kamera mit Gesichtserkennung in einem Pekinger Toilettenhäuschen: „Es scannt die Gesichter der Toilettenbesucher. Erst dann kommt aus dem Automat Toilettenpapier. … 60 Zentimeter gibt der Automat pro Gesicht frei. Die Gesichtserkennung soll Papierverschwendung verhindern. Bedient sich jemand mehrfach, merkt das der Automat und weist ihn höflich ab.“

Dabei nimmt in China auch in anderen Bereichen die Gesichtserkennung geradezu groteske Formen an. In der ostchinesischen Stadt Ningbo, so wird berichtet, hat eine Kamera mit Gesichtserkennung, die es auf Fußgänger abgesehen hat, welche bei Rot die Straße überqueren, die bekannte chinesische Geschäftsfrau Dong Mingzhu „auf frischer Tat“ ertappt. Allerdings war die Dame gar nicht in der Nähe. Sie lächelt nur von einer Werbung an einem Omnibus. Der technische Fauxpas sorgte für reichlich Häme im Internet.

„Wie wäre es, wenn die Kaffeemaschine am Morgen ‚merkte‘, welchen Kaffee man gern hätte? Was vielen Europäern befremdlich vorkommt, dürfte in China bald Realität sein. Die Gründerin der Kaffeehauskette Luckin Coffee, Qian Zhiya, gilt jedenfalls als Anhängerin der Gesichtserkennung. Am liebsten hätte sie angeblich diese Art des Kundendienstes in ihren 2400 Lokalen bereits eingeführt“ schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“ im Mai. Besonders brisant: Westliche Zulieferer zu dieser Technik könnten in Entscheidungsnot geraten, wenn sie an solchen Projekten mitverdienen.

Gar nicht mehr zum Schmunzeln sind allerdings Vorgänge in China über die Mitte April die „New York Times“ berichtete. Darin wird gemeldet, dass die Regierung in Peking die Gesichtserkennung und Künstliche Intelligenz dazu benutzt, die ethnische Minderheit der Uiguren besser überwachen zu können. Dazu wird in der Erkennungssoftware ein ­– wie die NYT schreibt – „Rassenprofil verwendet.“ Damit sollen Bewegungsbilder erstellt werden. Die Uiguren hatten sich in der Vergangenheit mehrfach gegen die chinesische Zentralregierung erhoben.

Ein möglicher rassistischer Missbrauch von Systemen der Gesichtserkennung hat den Stadtrat von San Francisco bewogen, die Technologie aus dem Stadtbild der kalifornischen Metropole zu verbannen. Die Sorge, mit „Racial Profiling“ könnten Bürgerrechte verletzt und rassistische Ungerechtigkeit verschärft werden, führten im Mai dieses Jahres zu dem Beschluss. Die städtische Polizei und andere städtische Behörden dürfen gemäß der Entscheidung künftig keinerlei Gesichtserkennungstechnologie erwerben, besitzen oder nutzen. Flughäfen, Häfen oder andere von den Bundesbehörden betriebenen Einrichtungen sowie Geschäfte und private Nutzerinnen und Nutzer sind von dem Verbot jedoch explizit ausgenommen, schreibt „Zeit Online“.

Insgesamt jedoch ist die Gesichtskontrolle in den USA auf dem Vormarsch. Das US Ministerium für Innere Sicherheit ließ vor kurzem verlauten, in den nächsten vier Jahren die Gesichtserkennungsscans an Flughäfen massiv auszubauen. Bis zum Jahre 2023 sollen 97 Prozent aller Passagiere erfasst werden können. Damit wolle man, so heißt es, Personen aufspüren, die ihre Bleibezeit in den USA überschritten haben. Die US-Grenzkontrollbehörde schätzt, dass mehr als 600.000 Personen das jährlich tun.

Haus- oder Stadionverbote mittels Gesichtserkennung durchzusetzen, wurde in Deutschland schon vor ca. zehn Jahren versucht. Massive Proteste von Fans und Datenschützern führten allerdings dazu, dass man von diesem Projekt vorerst wieder Abstand nahm. In den Stadien und rundherum wurde das Projekt Gesichtserkennung jedoch nie völlig fallen gelassen. 2017 wurden beim Champions League-Finale in Cardiff

170000 Besucher rund um das Stadion erfasst. Dabei erkannte die Software 2470 „Verbrecher und gewaltbereite Fußballreisende.“ Die Trefferquote war jedoch kein Erfolg. In 2000 dieser Fälle hieß es am Ende: falscher Alarm.

Vor den Gefahren der Gesichtserkennung warnt inzwischen sogar der Internetriese Google. Ohne ethische Fragen geklärt zu haben, will Google seine Gesichtserkennungs-Software nicht freigeben, meldete im Dezember vergangenen Jahres „Spiegel Online.“ Schwachstellen in der Gesichtserkennung zeigen sich z.B. bei Android-Handys. Eine Studie des niederländischen Portals „Consumentbond“ hat –wie das Internetportal futurezone.de berichtet – „jedoch kürzlich aufgedeckt, dass die Gesichtserkennung vieler getesteter Smartphones Fehler aufweist. 42 der 110 getesteten Smartphones ließen sich von einem einfachen Foto täuschen und gefährden so deine Sicherheit.“

Wer glaubt, sich einfach bei der Gesichtserkennung wegducken zu können, kann bereits jetzt unangenehme Erfahrungen mit den Behörden sammeln. In Romford im Osten Londons hat die Polizei versuchsweise ein Gesichtserkennungssystem installiert, um alle Passanten mit ihren Fahndungslisten abzugleichen. Auch hier brach bei der gescannten Bevölkerung nicht nur Freude aus. Wie der „Evening Standard“ vor kurzem berichtet, wurde ein – unbescholtener – Passant, als er den Kragen seiner Anzugjacke auf eine Weise hochschlug, dass er für die Systeme nicht mehr identifizierbar war, von Polizeibeamten festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. Dieser Mann erhielt dann eine Strafe von 90 Pfund wegen „ungebührlichen Verhaltens“; er hatte „Fuck off!“ zu den Beamten gesagt.

Bildquelle: pixabay

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Über den Autor: Redaktion Prosecurity

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