Innentäter als Handlanger?

Innentäter haben keine Chance, hieß es Ende Januar in einer Pressemitteilung der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste

Lesezeit: 7 Min.

10.03.2023

Fälle aus Geld- und Werttransport-Bereich, die eines genauen Betrachtens bedürfen

Innentäter haben keine Chance, hieß es Ende Januar in einer Pressemitteilung der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste. Anlass dieser erfreulichen Feststellung war die Festnahme einer mutmaßlichen Innentäterin, die sich bei ihrem Arbeitgeber, einem Geldtransportunternehmen in Stuttgart, kräftig bedient hatte.

Die endgültige Klärung dieses Falles wird allerdings den Ermittlungsbehörden wohl noch einiges an Arbeit bereiten. Mirnesa S., die 42-jährige mutmaßliche Täterin, eine gebürtige Bosnierin, war erst ein halbes Jahr bei dem Unternehmen (als Telefonistin) beschäftigt, als es ihr am 14. Oktober vergangenen Jahres gelang, ihrem Arbeitgeber, der Geldtransportfirma Prosegur, mehr als eine Million Euro zu entwenden und sich abzusetzen.

Seitdem war Mirnesa S. auf der Flucht. Laut „Stuttgarter Nachrichten“ soll sie sich zuletzt in Montenegro und zeitweise in Bosnien aufgehalten haben. „Die hohe Geldsumme nutzte die abgetauchte Blondine wohl auch für ihren luxuriösen Lebensstil“, heißt es auf einem Internetportal. Wie „Bild“ berichtet, finden sich auf dem Instagram-Account der Frau zahlreiche Fotos, die ihren Hang zum luxuriösen Leben belegen: „Edle Handtaschen, Rolex-Uhren, Champagner mit Freundinnen – der ungewöhnlich spendable Lebensstil der Frau.“ Eine Nachbarin verriet einem Reporter: „Sie hat sich mir damals als Filialleiterin vorgestellt.“

Verbleib des Geldes ungeklärt

Einige Monate lang war Mirnesa S. die meistgesuchte Frau Deutschlands. Die Ermittler hatten sich per Öffentlichkeitsfahndung und mit internationalem Haftbefehl an ihre Fersen geheftet. Auch mittels der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“, hatte die Polizei nach der Diebin gefahndet. Als der Fahndungsdruck offensichtlich zu groß wurde, ließ die Frau über einen Anwalt der Polizei signalisieren, dass sie nach Deutschland zurückkehren und sich der Polizei stellen werde. Am 23. Januar, um 19.45 Uhr, wurde sie – aus Montenegro kommend – auf dem Stuttgarter Flughafen von der Polizei in Empfang genommen. „Die Ermittlungen zum Verbleib des Geldes dauern an“, heißt es – den Fahndungserfolg relativierend – von Seiten der Polizei, die damit verdeutlicht, dass der Fall alles andere als abgeschlossen ist.

Während Mirnesa S. noch auf dem Balkan ihres schnellen Reichtums „erfreute“ hatte sie bereits einen Nachahmer gefunden. In der Nacht vor Heiligabend hat es ihr ein Arbeitskollege gleichgetan – ging jedoch der Polizei relativ schnell ins Netz. Presseberichten zufolge, arbeitete der 27-jährige Cem M. zur gleichen Zeit wie die Mirnesa S. an dem betroffenen Standort des Unternehmens in Baden-Württemberg und war kurz vor Weihnachten im Nachtdienst eingeteilt. Er soll in einem „unbeobachteten Moment“ einen „Safebag“ aufgeschnitten und 135.000 Euro an sich gebracht haben. Das Fehlen des Geldes war kurze Zeit später aufgefallen und der Täter konnte dingfest gemacht werden.

Bei Cem M. scheint es sich – anders als im Fall von Mirnesa S. – um einen vergleichsweise dilettantisch agierenden Einzeltäter zu handeln. Bei ihm stellt sich ernsthaft die Frage, ob Nachahmung oder kriminelles Prinzip ihn zu der Straftat geführt haben. Die Polizei ließ ihn nach der Vernehmung des Weges ziehen; von einer Haft wurde abgesehen.

Mit über acht Millionen Euro auf der Flucht

Seit Pfingsten 2021 fahndet die Polizei nach der (damals) 28-jährigen Yasemin Gündoğan. Die Frau aus Bremen-Walle hat am 21. Mai 2021 rund 8,2 Euro erbeutet. Sie hat ihren Arbeitgeber, das Bremer Geldtransportunternehmen Loomis bestohlen. Die junge Frau, die von Freunden und Bekannten eher als „einfach gestrickt“ beschrieben wird, scheint dabei jedoch äußerst trickreich vorgegangen zu sein.

Yasemin Gündoğan war am 21. Mai 2021 beauftragt, insgesamt 17 Millionen Euro verpacken, die an Kunden ausgeliefert werden sollten. Genau 8.196.925 Euro von dieser Summe zweigte Gündoğan für sich ab und versteckte diese in einem Rollcontainer, den sie anschließend mit Altpapier füllte. Nun musste sie durch die Sicherheitsschleuse, die jedoch niemand allein passieren durfte. Der Schlüssel zum Erfolg des Coups war der Mitarbeiter Henning B., der an Pforte Dienst versah.

Ihm hatte Gündoğan zwei Tage vorher bereits angekündigt, dass sie Altpapier herausbringen wollte. In der Schleuse hinterließ sie ihm einen Zettel mit ihrer Handynummer und der Frage nach einem gemeinsamen Essen. Ein anderer Kollege berichtete im Dezember 2021 vor dem Bremer Landgericht, dass die beiden häufig miteinander geflirtet hätten. Aus dem Essen mit Henning B. wurde nichts. Nachdem Yasemin Gündoğan mit einem schwarzen Mercedes-Transporter, beladen mit der wertvollen Fracht, aus dem Sicherheitsbereich des Unternehmens gefahren war, setzte sie sich in die Türkei ab.

Der Kleinbus war am 19. Mai in Berlin-Spandau angemietet und mit einem gestohlenen Kennzeichen versehen worden. Der Wagen wurde am Pfingstwochenende wieder auf den Hof der Mietwagenfirma gestellt. Erst vier Tage nach der dreisten Klauaktion fliegt der Millionen-Coup auf.

Yasemin Gündoğan soll dann, so berichtet die türkische Zeitung „Cumhuriyet“ Ende April vergangenen Jahres, „mit ihren beiden türkischen Freunden, die ihr geholfen hatten, Urlaub in einer Villa mit Pool in der Ägäis gemacht haben.“ Es konnte auch festgestellt werden, dass Yasemin in verschiedenen Hotels in und um Izmir genächtigt hatte. So rückten auch Yasemin Gündoğans Freundin Büşra S., 24, und ihre Gefährtin Yiğit T. ins Visier der Ermittler. Als Büşra S. nach Bremen zurückkehrte, wurde sie von der Polizei festgenommen. Die Polizei, die in dieser Zeit die „verschlüsselten und verdächtigen Gespräche“ von Büşra S. abhörte, stellte fest, dass möglicherweise auch die Mutter von Büşra S. die Kommunikation des Trios einbezogen war.

In Antalya untergetaucht?

Die Tageszeitung „Hürriyet“ kolportiert Spekulationen, dass sie sich „mit Schönheitsoperationen unkenntlich“ gemacht habe. Erhan Merttürk, Repräsentant von CNN Türk in Berlin, vertrat in einer IV-Livesendung die Ansicht: „Es besteht der Verdacht, dass sich Yasemin Gündoğan in Antalya aufhält.“ Die Millionenmetropole am Mittelmeer ist ein Magnet für Touristen. Hier sind die Chancen groß, sich unerkannt bewegen zu können.

Wie „Hürriyet“ weiter schreibt, sei Yasemins Vater „auch sehr interessant“, denn „er arbeitet als Fahrer in der Firma, die von Yasemin angeblich bestohlen“ worden sei. Er habe sie sogar in die Anstellung bei Loomis gebracht, sei aber weder verhaftet noch angeklagt.

Büşra S. in deren Wohnung am 11. Juni 2021 noch 26.115 Euro sichergestellt werden konnten – es wird als Rest der Beute gewertet – wurde im Mai vergangenen Jahres von einem Bremer Landgericht wegen Beihilfe zum Diebstahl in einem besonders schweren Fall für drei Jahre hinter Gitter geschickt.

Wer tatsächlich der Drehbuch-Schreiber dieses Millionen-Coups war, ist damit nicht geklärt. Fest steht wohl nur, dass Mirnesa S. wie Yasemin Gündoğan einen gewissen Hang zum „dolce vita“ hatten. Yasemin „hatte immer Lust zu feiern, hat viel Wert auf ihr Äußeres gelegt. Ich habe sie nie ungeschminkt gesehen“, verriet ein Bekannter der Presse. Das macht sie zwar zu potenziellen Täterinnen, aber gleichzeitig zu passenden Helferinnen der Strategen der Organisierten Kriminalität.

Yasemin Gündoğan hatte als Kellnerin in einer bekannten Shisha-Bar in der Nähe des Bremer Hauptbahnhofs gearbeitet. Diese Shisha-Bar gilt als beliebter Szenetreff für Promis in der Hansestadt. Sie soll nach Informationen der „Bild“ vom kriminellen Miri-Clan betrieben werden. „Der Miri-Clan ist in Bremen, Berlin und Essen ansässig. Der Clan weist mafiöse Strukturen auf und wird mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht“, heißt es bei RTL news. Etwa 1.800 Mitglieder des Clans, das sind knapp über die Hälfte, sollen bereits straffällig geworden sein.

Das verstärkt nicht nur bei den Ermittlern den Verdacht, dass eine Spur von Yasemin Gündoğan in bestens organisierte Kriminalitätsstrukturen führen kann. Dann ist Yasemin vielleicht nur noch eine lästige Mitwisserin. Unter diesem Gesichtspunkt bekommen die Worte des Kriminologen Christian Pfeiffer ein gewisses Gewicht, der in einem Interview mit dem TV-Sender RTL etwas kryptisch zu bedenken gab: „Sie lebt jetzt gefährlich – ihr auffällig attraktives Gesicht merken sich die Menschen […] sie muss aufpassen, dass sie nicht Opfer ihrer eigenen Tat wird“.

In einem Kommentar zum Kunstraub in Dresden, betonte Prof. Dr. Daniel Zerbin, Professor für Kriminalwissenschaften an der NBS Northern Business School: „Durch die hohe Fluktuation im Personalkörper der Sicherheitswirtschaft gelingt es der organisierten Kriminalität leicht, Innentäter einzuschleusen, die wichtiges Fachwissen liefen, wie beim Münzdiebstahl im Bode-Museum geschehen.“

In einer Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC 2020 wird deshalb auch betont: „Interne Täter können bei einer schwerwiegenden Straftat weitaus größeren Schaden anrichten als externe Täter – und das nicht nur wegen des potenziell höheren finanziellen Verlusts.“

Diese Überlegungen miteinbezogen, zeigen sich die vorgenannten Fälle in einem ganz anderen Licht. Bei den beiden Millionen-Diebinnen stellt sich deshalb auch die Frage, ob hier nicht geschickte – und über das notwendige kriminelle Netzwerk verfügende – Hintermänner die wirklichen Drahtzieher sind.

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Über den Autor: Peter Niggl

Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight