Sicherheitstechnik softwarebasiert simulieren und planen

Mit guten Gründen wird die Planung sicherheitstechnischer Systeme in Zukunft auf der Grundlage eines digitalen Gebäude-Zwillings, eines Digital Twins, erfolgen.

Lesezeit: 5 Min.

24.10.2019

Von Jürgen Rumeney, Senior Consultant Solutions Security, Siemens AG – Smart Infrastructure, Frankfurt/M.

Die Digitalisierung bietet mit virtuellen Medien und Simulationen ganz neue Möglichkeiten für die Planung von Sicherheitstechnik. So lassen sich über einen digitalen Gebäude-Zwilling bereits vor Baubeginn die erforderlichen technischen und baulichen Voraussetzungen definieren und erproben. Die Folge sind nicht nur zuverlässig hohe Sicherheitsstandards, sondern auch erhebliche Kosten- und Zeiteinsparungen. Die Potenziale einer softwarebasierten Planung zeigen sich zum Beispiel bei der Konzeption von Alarmierung und Evakuierung im Brand- und Gefahrenfall.

Auch wenn sich die Welt heute schneller zu drehen scheint als noch vor einigen Jahren, ist das Ziel von sicherheitstechnischen Konzepten noch immer dasselbe: der zuverlässige Schutz von Menschen, Sachwerten und Prozessen. Die jeweiligen Sicherheitsaspekte konzentrieren sich zum einen auf den Schutz von Personen. Hierbei geht es zum Beispiel um die frühzeitige Detektion einer Gefahrensituation und um das sichere Evakuieren von Personen, die sich im Gebäude aufhalten. Zum anderen wird auch der Schutz von Sachwerten, von Personaldaten und von Know-how immer wichtiger. Fertigungs- und Labor-Prozesse müssen ebenso zuverlässig überwacht werden wie etwa IT-Infrastrukturen. Die Grundlage für Sicherheitskonzepte, die solche komplexen Ansprüche passgenau erfüllen, bildet eine detaillierte, gewerkeübergreifende Planung, die sämtliche Bereiche einer Infrastruktur gleichermaßen berücksichtigt.

Der digitale Gebäude-Zwilling

Bei der Entwicklung von integrierten Gesamtlösungen, die diesen Ansprüchen genügen, hilft eine softwaregestützte Simulation, etwa in Form eines „Digital Twin“, eines digitalen Zwillings des Gebäudes. So wird beim Building Information Modeling – oder kurz BIM – das gesamte Gebäude mit allen Gewerken parallel und abgestimmt geplant und im virtuellen Digitalmodell simuliert, getestet und bei Bedarf korrigiert. Das Gebäude wird also quasi zweimal gebaut: einmal virtuell auf dem Computer und erst dann physisch in der Realität. So können mögliche Kollisionen der Gewerke und Unstimmigkeiten einfach in der Software geändert werden und müssen nicht mühevoll auf der Baustelle oder gar im laufenden Betrieb behoben werden.

Um ein breites Anwendungsspektrum abdecken zu können, unterscheidet man bei dem digitalen Zwilling eines Gebäudes zwischen drei unterschiedlichen Typen: Product Twin, Construction Twin und Performance Twin.

Der Product Twin bildet jede verbaute Komponente als BIM-konformen Datensatz ab und bietet damit alle relevanten Informationen zu Bauweise, Material, Auslegung und Funktion des jeweiligen Geräts. Der Construction Twin bildet das Gebäude mit allen seinen baulichen Details ab. Er wird für die Vorplanung benötigt und erlaubt unter anderem umfangreiche Simulationen für den späteren Gebäudebetrieb.

Das größte Potenzial für einen effizienten und sicheren Betrieb eines Gebäudes aber liegt im Performance Twin. In diesen werden Live-Daten aus dem Gebäude übertragen und in Echtzeit als komplettes Online-Abbild des Objekts im laufenden Betrieb bereitgestellt. Der Performance Twin wird damit zur Datendrehscheibe, in die unterschiedlichste Systeme integriert werden können und durch die sich Gebäudeperformance und -effizienz steigern lassen. Dank der gesammelten Daten können auch Serviceleistungen wie beispielsweise aus der Wartung digitalisiert und effizienter gestaltet werden – wertvolle Zeit und Ressourcen werden so gespart.

VR in der Praxis

Ein praktischer Anwendungsfall zeigt, wie die Planung sicherheitstechnischer Anlagen mittels Virtual Reality (VR) in Zukunft aussehen kann: Um zu entscheiden, wie viele und welche Infrarot-Sensoren für die Perimeter-Außensicherung eines Geländes bzw. Gebäudes erforderlich sind, lassen sich die von den Sensoren nicht abgedeckten Überwachungszonen sichtbar darstellen und zum Beispiel behindernde Objekte sofort identifizieren. Oder man kann in der virtuellen Szenerie erkennen, ob die Abstände der einzelnen Strahlen der Infrarot-Strecke im richtigen Abstand gewählt wurden. Gerade bei komplexeren Überwachungssensoren kann sich dann zeigen, dass mehr Sensoren notwendig sind als ursprünglich angenommen. Während der Planungsphase kann man dies noch einfach korrigieren, während eine spätere Nachrüstung hohe Folgekosten bedeuten würde.

Digitalisierung optimiert Gebäudeentfluchtung

Ein weiteres konkretes Beispiel dafür, wie der Digital Twin die Sicherheit von Mensch und Gebäude erhöht, ist die Simulation der Gebäudeentfluchtung, und zwar sowohl in der Planungsphase als auch im Praxisbetrieb. Die Voraussetzung dafür bilden Tools wie die aktuelle Evakuierungssoftware von Siemens. Sie erlaubt die direkte Simulation auf Basis des vom Planer bereitgestellten digitalen Construction Twin, und damit die Analyse von Evakuierungszeiten und kritischen Engpässen unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien.

Basierend auf dem 3D-Modell des Construction Twin fügt die Software Einzelpersonen und Gruppen so in das virtuelle Gebäude ein, wie sie sich typischerweise im Gebäude aufhalten und bewegen. Dann wird der Evakuierungsablauf simuliert. Die Software errechnet und visualisiert die möglichen Fluchtwege sowie das zu erwartende Menschenaufkommen. Dabei wird auch berücksichtigt, dass sich einzelne Personen möglicherweise entgegen der Fluchtrichtung der Menschenmenge bewegen, beispielsweise Ersthelfer, die zum Brandherd vordringen müssen.

Bereits während der Planung eines Gebäudes lassen sich somit die Punkte ermitteln, die gefährliche Situationen begünstigen. Diese Engpässe können dann durch geeignete bauliche Maßnahmen präventiv entschärft werden. Mit den Erkenntnissen aus der Simulation lassen sich so bestehende Sicherheitssysteme optimieren, indem Engpässe oder Gefahrensituationen erkannt und schon in der Planung behoben werden können. Und auch bei geplanten Umbauten oder bei der Umnutzung von Gebäuden kann die Simulationssoftware sinnvoll zum Einsatz kommen.

Entfluchtung in Echtzeit planbar

Der Performance Twin macht die Entfluchtung in Echtzeit transparent und damit planbar. Die Evakuierungssoftware greift dafür auf Gebäudemanagement- und Intelligent-Response-Systeme zu, die dynamisch auf Gefahrensituationen reagieren und die Menschen aus der Gefahrenzone leiten können.

Auf Basis der gebündelten Echtzeit-Informationen berechnet die Software dynamisch die besten Entfluchtungswege und überträgt diese in das Gebäudemanagement. So berücksichtigt das Programm automatisch, welche alternativen Wege genutzt werden können, wenn ein Fluchtweg plötzlich blockiert ist. Die Information der Gebäudenutzer im Gefahrenbereich und die Steuerung der Personenströme erfolgt aus dem Gebäudemanagementsystem durch integrierte Fluchtweglenkungssysteme, gestützt durch situationsspezifisch definierte Sprachdurchsagen und dynamische Anzeigen.

Zusammenfassung

Mit guten Gründen wird die Planung sicherheitstechnischer Systeme in Zukunft auf der Grundlage eines digitalen Gebäude-Zwillings, eines Digital Twins, erfolgen. Denn eine softwarebasierte Simulation vor dem eigentlichen Baubeginn gewährleistet nicht nur hohe Sicherheitsstandards, sondern auch wesentliche Zeit- und Kosteneinsparungen. Deshalb wird die Bedeutung von virtuellen Medien im Bereich Sicherheitstechnik in den kommenden Jahren noch weiter zunehmen.

(Bildquelle: Siemens AG)

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Über den Autor: Redaktion Prosecurity

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