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Dramatik von Politik und ihrer Vermittlung

13.09.2022
Deutsche Bundestag
Foto: Robert diam / Pixabay
Deutsche Bundestag Foto: Robert diam / Pixabay

Von Jens Washausen, GEOS Germany

Vor einigen Monaten durfte ich mich an dieser Stelle schon einmal über die mittelbaren und unmittelbaren Folgen der deutschen Energiewende bzw. der Klimaschutzpolitik äußern. Die seit dem 24. Februar mit dem Beginn der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine eingetretenen Lageänderungen, sind für mich erneut Anlass, angrenzende Fragen aufzugreifen.

In meinem persönlichen und beruflichen Umfeld erlebe ich zur Zeit eine Anspannung, wie seit dreißig Jahren nicht mehr. Was hat sich geändert? Warum ist das so? Warum haben wir eine so zugespitzte Wahrnehmung des neuen politischen Alltags?

Zunächst fällt auf, dass es bis zum Ende der letzten schwarz-roten Regierung unter Führung der Kanzlerin Angela Merkel sehr anders war. Wir haben vor allem in Erinnerung, dass Frau Dr. Merkel mit unglaublich „ruhiger Hand“ geführt hat. Zumindest war das der Eindruck, der in die Republik vermittelt wurde. Wenn wir uns mit unserem Rückblick etwas mehr anstrengen, werden wir gewahr, dass die Politik vor Bundeskanzler Scholz durchaus ihre eigenen Zündstoffthemen hatte.

Führung, Organisation und Öffentlichkeitsarbeit im ersten Jahr der Covid-Pandemie waren alles andere als gelungen. War das zweite Jahr besser? Nein. Bis heute sind die Gesundheitsbehörden mit der Erfüllung ihrer Aufgaben überfordert. Die für uns alle überraschende Lösung: wir streichen einfach ein paar Aufgaben und verschieben die Verantwortlichkeiten. Öffentliches Bauen, Instandhaltung der öffentlichen Infrastrukturen – für kritische Menschen mit Ingenieurwissen eine Zumutung. Wie es anders geht, machen uns mittlerweile alle europäischen Nachbarn vor.

Ergebnis einer inkonsistenten Energie- und Wirtschaftspolitik

Auch von einem gelungenen Start der deutschen Energiewende konnten wir bei der Vorgängerregierung sicher nicht sprechen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien wurde systematisch ausgebremst, beim Umbau der Stromverteilungsnetze ging es nur gemächlich voran und gleichzeitig wurde der schnelle Ausstieg aus der Kohleverstromung gegen das Petitum von Ökonomen und Industrieverbänden durchgesetzt.

Der Ausstieg aus der Nuklearenergie und das unmittelbar danach verordnete aus für die Kohle musste bei gleichzeitiger Stagnation der grünen Energien zwangsläufig zu den Gaskraftwerken führen. Dass dann der deutsche Hunger auf Gas mit preiswertem russischem Gas gestillt wurde, ist nicht das Resultat einer Erpressung durch Putin, sondern das selbst gemachte Ergebnis einer inkonsistenten Energie- und Wirtschaftspolitik.

In seinem Interview vom 19. September in der Berliner Zeitung (Grüne Energiewende war Unsinn! Ökonom Hans-Werner Sinn im Interview (berliner-zeitung.de) kommentierte der Ökonom Hans-Werner Sinn diesen Vorgang wie folgt: „Nein, das Russengas gewann seine dominante Stellung wegen der grünen Energiewende, also aus politischen Gründen. Da Wind- und Solarenergie sehr flatterhaft sind, braucht man während der häufigen, langanhaltenden Dunkelflauten regelbare, konventionelle Kraftwerke als Lückenfüller, und zwar im vollen Umfang des deutschen Strombedarfs. Die Kohle- und Atomkraftwerke wollte die Politik ja abschalten, also blieb den Erzeugern nur das teure Gas. Die unheilvolle Abhängigkeit vom Russengas ist der Kollateralschaden einer unbedacht organisierten Energiewende.“

Wenn wir die Wirkungen der Politik der Ampel-Koalition und die derzeitige Lage verstehen wollen, müssen wir tiefer in die Bilanzen der deutschen Politik im Corona-Jahrzehnt einzusteigen.

Zum sichtbaren Teil der Bilanz gehört auch der dramatische Mangel an Arbeitskräften. Wir haben noch die Meldungen der Medien zum Anfang der diesjährigen Sommerferien über das drohende und wenig später eingetretene Versagen einiger deutscher Flughäfen vor Augen. Einigen Airlines ging es nicht besser. Jeder von uns kennt aus seinem eigenen Umfeld Beispiele: Hotels und Gaststätten bleiben zu oder schränken den Service ein, Terminvereinbarungen mit Handwerkern dauern Monate, weil qualifizierte Arbeitskräfte fehlen.

Die Kasernierung der Gewalt

Ist das eine Überraschung? Keineswegs. Die Prognosen zur demografischen Entwicklung sind seit vielen Jahren bekannt. Ökonomen, Sozial- und Rentenexperten fordern von der Politik seit Jahrzehnten ein Einwanderungsgesetz für qualifizierte Migration. Passiert ist nichts. Das Thema wird regelmäßig im Streit zwischen den Parteien zerrieben.

Die Sozialsysteme und die gesetzliche Rentenkasse werden ihre Aufgaben in absehbarer Zeit nicht mehr erfüllen können, weil es einfach zu wenige Einzahler aus sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen gibt.

Der geschichtliche Deal zwischen der Bevölkerung und ihrem Staat lautet, der Staat gewährleistet den Schutz der Menschen. Und diese schulden ihm dafür Abgaben und die Einhaltung der verordneten Regeln. Thomas Hobbes (1588 – 1679) formulierte in seinem „Leviathan“ dazu die bekannte Vertragstheorie. Die Menschen, die sich zuvor als wahre Wölfe (homo homini lupus) gegeneinander verhalten hatten, sollten ihr Grundrecht zur Gewaltausübung oder auch Selbstjustiz an den Herrscher und seine Verwaltung abtreten. Der Soziologe Elias hat das einmal sehr treffend als die Kasernierung der Gewalt bezeichnet.

Heute gehören zur Schutzfunktion nicht nur die innere und äußere Sicherheit, sondern auch der Schutz des Eigentums und die Gewährleistung einer allgemeinen Wohlfahrt. Das hat in der Geschichte der Bundesrepublik bisher recht passabel funktioniert.

Statt die dringenden strategischen Aufgaben im Blick zu haben und konsequent anzugehen, erleben wir derzeit jedoch eine neue Form ideologisierter Politik in Deutschland. Nach zweieinhalb Jahren Covid-Pandemie lechzten Bevölkerung und Wirtschaft nach positiven Impulsen und Perspektiven. Statt dessen sehen wir eine mit prophetischem Eifer vorangetriebene Politik zur Erreichung der proklamierten Ziele ohne Rücksicht auf die Wirkungen im eigenen Land.

Mehr Anstrengungen in politische Initiativen

Bezüglich des Ziels, die bewaffnete Aggression Russlands gegen die Ukraine zu beenden, besteht zweifelsohne im ganzen Land Konsens. Es ist jedoch ein großer Unterschied, ob das Ziel des Handelns die Wiederherstellung des Friedens ist oder darin besteht, Russland als Nation in die Knie zu zwingen.

Es wäre vernünftig, mehr Anstrengungen in politische Initiativen zur Entwicklung von Gesprächs- und Verhandlungskanälen zu investieren um dem Krieg schnellstmöglich ein Ende zu setzen. Stattdessen wird auf ein Sanktionspaket gesetzt, das die eigene Wirtschaft in immer größere Probleme stürzt und der Republik eine unglaubliche Inflation und Gefährdung der bisherigen Lebensstandards beschert. Es bleibt nichts mehr zu wünschen, als die Rückerinnerung der Politiker an die mühsam erarbeiteten Erkenntnisse aus dem KSZE-Prozess. Politische Probleme können und dürfen nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden.

Um die Russische Föderation und ihren Präsidenten zu sanktionieren, lösen wir nun die Abhängigkeit von deren Rohstoffen durch neue Abhängigkeiten ab. Und wir ersetzen die Erzeugung von Strom und Wärme aus Erdgas durch die Verbrennung von Kohle. Gleichzeitig wird die Nutzung von Nuclear Power aus übergeordneten Gründen kategorisch abgelehnt. Das versteht im Rest Europas niemand mehr.

Der Bundeswirtschaftsminister räumte mehrmals öffentlich ein, dass das Gesamtpaket der Maßnahmen für Bürger und Wirtschaft eine Zumutung sind. Das ist korrekt. Gleichwohl kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Regierung die Toxizität des Vorgehens im Unterbewusstsein klar zu sein scheint.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, merkte dazu treffend an: „Es ist nicht klar, wieso die Bundesregierung die Gasumlage an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergibt, um sie dann mit einer weiteren Maßnahme, der Senkung der Mehrwertsteuer, um den gleichen Betrag zu entlasten. Es stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, die Bundesregierung hätte die Gasumlage selbst bezahlt und nicht mit diesen zwei Maßnahmen lediglich zusätzliche Bürokratie und Unsicherheit geschaffen.“

Die Wirkungen einer solchen Politik erleben wir hautnah. Die deutsche Wirtschaft rutscht in eine tiefe Rezession und große Teile der Bevölkerung geraten in finanzielle Nöte. Der Sparkassenverband rechnet mit mehr als 60 Prozent deutscher Privathaushalte, die ihre Girokonten nicht mehr ausgleichen können.

Vielleicht ist es hilfreich, sich an längst vergangen geglaubte Kapitel der deutschen Geschickte zu erinnern. Die sozialen Konflikte im Vorfeld der Reichstagswahlen 1933 waren dem, was uns jetzt ins Haus steht nicht unähnlich. Hoffentlich wiederholt sich die Geschichte nicht.

Dann lieber keine Kommunikation

Unbestreitbar gilt das Primat der Politik. Sie hat aber nicht das Recht, sich von der gesellschaftlichen Realität zu emanzipieren. Dann entstehen möglicherweise Wirkungen, die wir alle nicht wollen können. Rechtextreme Gruppen schüren bereits die Erwartungen auf einen „heißen Herbst“. Verfassungsschutzpräsident Haldenwang sieht noch keine Anzeichen für „flächendeckende staatsfeindliche Proteste oder gar gewalttätige Massenkrawalle“. Schon diese Frage so aufzurufen, entfaltet eine sehr eigene Wirkung. Dann lieber keine Kommunikation.

Die überall spürbare Depression, verbreitete Existenzängste und bereits sichtbare wirtschaftliche Folgen machen deutlich, dass eine weitsichtige Strategie gefordert ist und deutlich bessere Kommunikation. Zur Zeit vermittelt die Politik nicht Klarheit sondern Ängste. Aus der Sicht vieler Sicherheitsexperten entwickeln sich hier extrem anspruchsvolle Herausforderungen.

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Jens Washausen

Jens Washausen, ehemaliger Berufsoffizier diente in fallschirmspringenden Spezialeinheiten und war Bereichsleiter Sicherheitswesen der Tengelmann Warenhandelsgesellschaft und Leiter Technik und Vertrieb bei der NEUMANN Elektronik. Er ist Mitglied des Vorstandes des Bundesverbandes unabhängiger deutscher Sicherheitsberater und -Ingenieure BdSI und im Wirtschaftsrat Deutschland aktiv.