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Gegen die Corona-Maßnahmen und die Schulpflicht

01.04.2022
Destruktive Proteste werden nach der Pandemie nicht verschwinden
Foto: Pixabay / rainhard2
Destruktive Proteste werden nach der Pandemie nicht verschwinden Foto: Pixabay / rainhard2

Destruktive Proteste werden nach der Pandemie nicht verschwinden

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, erkennt, wie die „Zeit“ Mitte Januar berichtet, unter den Demonstranten gegen die Corona-Politik auch „eine neue Szene von Staatsfeinden.“

Diese ließen sich den bisherigen Kategorien wie Rechts- oder Linksextremismus nicht mehr eindeutig zuordnen, so Haldenwang. Sie „lehnen unser demokratisches Staatswesen grundlegend ab“, erklärt der oberste Verfassungsschützer und ergänzt, dabei bräuchten diese Extremisten auch kein spezifisches Thema. Die Pandemie sei nur der Aufhänger: „Ob das jetzt Corona ist oder die Flüchtlingspolitik. Oder auch die Flutkatastrophe: Da hat man teilweise die gleichen Leute gesehen, die versuchten, den Eindruck zu vermitteln, der Staat versage und tue nichts für die Menschen“, sagte Haldenwang laut „Zeit“. Der Rebellion der Ziellosen, wie man vielleicht die neue Bewegung nennen will, liegt sicher eine Haltung zu Grunde, die da heißt: Gegen alles Neue, gegen Veränderung, aber auch gegen als hinderlich empfundene Konventionen. Auch Losung, die zum Sturz der Regierung aufrufen, ändern nichts an diesem Tatbestand. Die Demonstrierenden haben kein alternatives Gesellschaftsmodell und faseln von einem großen Rachefeldzug gegen „die da oben“. Banalste Anlässe können zu gesellschaftlichen Eruptionen genutzt werden. Protest um des Protestes Willen? Alles schon gehabt.

Delegitimierung der Presse

Rückblickend schreibt der „Spiegel“ in Jahr 2010: „Selten reagierten die Westdeutschen so hysterisch wie bei der Einführung der Gurtpflicht. 1975 verweigerten sich Millionen Menschen dem Lebensretter Sicherheitsgurt. Männer fürchteten um ihre Freiheit, Frauen um ihren Busen - am Ende spaltete der bizarre Glaubenskrieg die ganze Republik.“ Fundamentale Ablehnung gegen staatliche Entscheidungen sind ganz offensichtlich das Bindeglied für die Massenproteste der Spießbürger, die normalerweise jeden Demonstranten als Störer ihrer kleinbürgerlichen Beschaulichkeit gern hinter Gitter schicken würden. „Sicherheit durch Recht und Ordnung“ war die zentrale Wahlkampfparole der NPD 1969, unverkennbar auf die rebellierenden Studenten der 68er gemünzt. Eindeutig auch ein Reflex gegen eine Diskussion um Nazi-Verstrickungen, die man längst in der Rumpelkammer der Geschichte entsorgt glaubte.

Ein gewisses Beharrungsvermögen hat dazu geführt, dass man sich auch kleinsten Eingriffen in das gewohnte Tun und Lassen mitunter mit radikalen Methoden entgegenstemmt. Ein wesentliches Mittel, dass dies funktioniert, ist eine Delegitimierung staatlich-offizieller Einrichtungen und der Presse, für die längst das Schlagwort „Lügenpresse“ als Adjektiv in den Sprachgebrauch eingezogen ist.

Der Dunning-Kruger-Effekt

Als 2005 der Gründer der rechtspopulistischen Partei „Die Republikaner“, Franz Schönhuber, das Zeitliche segnete, zierte seine Todesanzeige in der Postille seines Geburtsortes der Spruch: „Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse.“ Der Satz stammt aus der Feder von Karl Marx, mit dem Schönhuber zu Lebzeiten erkennbar nicht viel verbunden hat. Sollte mit seinem Namen posthum der Bogen zu den Linken geschlagen werden? Eine Querfront, wie sie in Zeiten von Corona immer wieder propagierte und teilweise auch praktiziert wurde. Auf jeden Fall eine Abwertung der herrschenden Meinung und ihrer Vertreter.

Coronaleugner oder Menschen, die die Maßnahmen gegen die Pandemie an der Seite von Rechtsradikalen und Neonazis bekämpfen wollen, haben kein Problem, das Symbol des gelben Sterns – mit dem die Nazis die Juden stigmatisierten – zu missbrauchen. Eine Rednerin hat sich in Hannover auf einer Querdenker-Kundgebung mit Sophie Scholl verglichen, der von den Nazis ermordeten Widerstandskämpferin.

Sieht man sich diese „Rebellen“ wider die amtlichen Vorgaben genauer an und lauscht ihren „Argumenten“, die in der Regel aus nicht belegbaren Behauptungen geschneidert sind, beschleicht einem das Gefühl, dass man es hier mit einer Massenerscheinung des Dunning-Kruger-Effektes zu tun hat. Das erst seit 1999 erforschte psychologische Phänomen, ist dadurch gekennzeichnet, wie das Wissenschaftsmagazin „National Geographic“ 2020 beschreibt: „Gerade Menschen mit wenig Wissen überschätzen oft ihre eigenen Fähigkeiten – während sie die Leistungen kompetenterer Menschen verkennen.“

Schnell geraten die Vertreter des gefährlichen Halbwissens, wie „National Geographic“ schreibt, dabei in einen Teufelskreis der Inkompetenz, schlussfolgert der amerikanische Psychologieprofessor David Dunning und sein Student Justin Kruger: „Denn, weil Halbwissende dazu neigen, sich selbst zu überschätzen und zugleich die Kompetenz anderer verkennen, sehen sie auch nicht die Notwendigkeit, sich weiterzubilden und damit ihre Kompetenz zu steigern.“

Gegen den Euro, Migranten und Gesundheitspolitik

Jede Form von Bildung oder wissenschaftlicher Auseinandersetzung scheint diesen Gesellschaftskritikern ohnehin überflüssig. Die jeweilige Kampagne, der sie sich anschließen, ist ohnehin ein Strohfeuer. So war die Hauptstoßrichtung der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) in ihren Anfangsjahren von der Ablehnung des Euro geprägt. Auf dieser Welle musste man nur kurze Zeit reiten, dann kam die Flüchtlingswelle von 2015. Der Euro schien fortan nicht mehr die Hauptgefahr für den europäischen Exitus, mit einer Anti-Migrationsrhetorik ließen sich mehr Leute ansprechen und mobilisieren.

Nicht zuletzt ihre ausländerfeindliche Rhetorik führte zu dem Zulauf an Wählerstimmen, die der AfD 2017 den Einzug in den Bundestag sicherten. Hier wurde sie zur Stimme auch gegen die Corona-Maßnahmen der Regierungen und betätigt sich mittlerweile als Wortführer gegen Maßnahmen, die die Erderwärmung eindämmen und den Klimawandel begrenzen sollen. Diese Zielrichtung ist zweifellos die vielversprechendste, wenn es um Proteste in der Zeit nach Corona geht.

Gesunder Menschenverstand statt Analyse

Bevorzugt sind immer Themen, deren Ursachen nicht mit beiden Händen zu fassen sind und somit Raum für Spekulationen bieten. Geradezu bilderbuchartig zeigt die Webpräsentation einer AfD-Kandidatin aus Thüringen, auf welche Hilfsmittel man dabei zurückgreift: „Meine größte Stärke ist mein gesunder Menschenverstand.“ Dieser „gesunde Menschenverstand“ wird immer wieder beschworen; was das ist, bleibt diffus. Hat aber eine lange Tradition. „Rudolf Hess zum Beispiel hat über Adolf Hitler einmal gesagt, der habe in Innen- wie Außenpolitik den gesunden Menschenverstand ausschlaggebend zur Geltung gebracht‘. Der große Bruder des gesunden Menschenverstands war damals bekanntlich das gesunde Volksempfinden, und wozu das geführt hat, muss ich hier nicht ausführen“, schrieb der Psychologe Christian Stöcker im „Spiegel“. Der „gesunde Menschenverstand“ wird stets dann bemüht, wenn tiefergehende Argumente fehlen. Leider nicht selten in der Politik. Zum Beispiel hat, letzter Bundesverkehrsminister der Merkel-Ära, Andreas Scheuer (CSU) Überlegungen zu einem Tempolimit auf Autobahnen und zu höheren Dieselsteuern brüsk zurückgewiesen. Sie seien „gegen jeden Menschenverstand“ gerichtet, sagte Scheuer. Dass er damit den restlichen EU-Staaten, die ausnahmslos Tempolimits eingeführt haben, „jeden Menschenverstand“ absprach, blieb folgenlos.

Vorbild Tea Party?

Über die Herkunft der Querdenker vor allem in Baden-Württemberg hat man sich an der Universität Basel Gedanken gemacht. Man kommt in der Studie, über die der SWR im November vergangenen Jahres berichtete, zu der Erkenntnis: „So gut wie gar keinen Zusammenhang gebe es zu der Protestbewegung gegen das Bahnhofsprojekt ‚Stuttgart 21‘.“ Das lässt den Schluss zu, dass sich hier eine „neue“ Schicht mobilisieren ließ, die von ganz anderen Intentionen getrieben wird, als bislang in Erscheinung getretene Protestbewegungen. Der Blick in die USA lässt allerdings folgern, dass eine solche Bewegung sich durchaus längerfristig etablieren und – wie die Tea Party – ernstzunehmenden politischen Einfluss gewinnen kann. Die Tea Party kommt ohne zentrale Organisation aus. Sie schoss sich schon vor mehr als einem Jahrzehnt auf Obamas Gesundheitsreform ein, mitunter mit Etikettierungen wie „Euthanasie“. Eine Vorwegnahme der Slogans querdenkerischer Impfgegner?

Sollten sich die Konfliktfelder in Sachen Corona-Bekämpfung in nächster Zukunft erledigt haben, stehen die Truppen für die nächste Kampagne bereit. In hoher personeller Übereinstimmung wird der Klimawandel oder zumindest der vom Menschen verursachte Klimawandel in Abrede gestellt. Maßnahmen zum Erreichen des Pariser 1,5 Grad-Ziels bei der maximalen Erderwärmung werden in den Fokus der Neinsager geraten. Diese Befürchtung äußert auch Verfassungsschutzchef Haldenwang in eingangs erwähnter Quelle. „Eine Intensivierung staatlicher Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels könnte als unrechtmäßig empfunden und abgelehnt werden“, sagte Haldenwang. Rechtspopulisten haben in der Leugnung des durch Menschen verursachten Klimawandels längst ihr nächstes Feld gefunden, auf dem sie in absehbarer Zeit reiche Ernte einfahren wollen. Schon heute wird sichtbar, dass sich Unternehmen zu deren Geschäftsmodell alternative Energiegewinnung zählt, auf turbulente Zeiten einstellen müssen.

Abschaffung der Schulpflicht

Die Konfliktpotenziale der Zukunft lassen sich schwerlich prognostizieren. Die sich bereits jetzt abzeichnende Süßwasser-Knappheit, wird in absehbarer Zeit zu Be- und Einschränkungen führen, und damit zweifellos Wasser auf die Mühlen der Ego-Rebellen sein. Denn (fast) alles, was den Lebensstandard einschränkt, ist ein Werk dunkler Mächte. Solche kruden Behauptungen behindern dann den notwendigen Diskurs um gesellschaftliche Entwicklungen.

Um für die „Aufgaben“ der Zukunft gewappnet zu sein, sind die nächsten Projekte schon im Blick. Schon seit einigen Jahren werden immer wieder Stimmen laut, die eine Abschaffung der Schulpflicht das Wort reden. Oftmals aus religiösen Sekten. Nun hat auch die AfD diese Forderung auf die Agenda gesetzt. Mit „Lehrkräften“ nach eigenem Gusto sollen die Kinder einzig im Sinne der Eltern erzogen werden, die dann alleinige Herrscher der Lehrinhalte wären. So könnten die Verschwörungsrebellen sich den eigenen Nachwuchs heranziehen. Die schon zitierte Thüringer AfD-Kandidatin wurde auch nach ihrer größten Schwäche befragt. Ihre Antwort: „Ich denke hin und wieder zu viel über Dinge nach.“ Es ist zu befürchten, dass sie diese Schwäche bald überwunden haben wird. Es warten große Aufgaben auf sie und ihresgleichen.

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Peter Niggl

Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight