Mit einem Thinktank in den Wirtschaftskrieg
Mit Christian Harbulot, Direktor der Ecole de Guerre Economique in Paris, sprach Peter Niggl
SECURITY insight: Monsieur Harbulot, lässt sich der Begriff Wirtschaftskrieg genauer definieren?
Christian Harbulot: Wirtschaftskrieg ist, sehr allgemein gesprochen, jeder Konflikt um politische Vorherrschaft, der ohne militärische Mittel ausgetragen wird. Wirtschaftskrieg lässt sich nur verstehen, wenn man ihn aus zwei Perspektiven betrachtet. Einerseits sind da die Machtspiele – ich sage jetzt einmal – zwischen Nationen und andererseits das Kräftemessen um Märkte oder Marktanteile. Für den Wirtschaftsschutz ihrer Nation. Mit einer weitzurückreichenden Geschichte.
Wirtschaftskonflikte hatten ihren Ursprung mit der Entstehung der ersten Imperien. Nur ein Beispiel: Das Imperium der ägyptischen Pharaonen wurde sehr bald damit konfrontiert, dass die Waffen der Gegner aus neuem Material geschaffen wurden. Während sie noch mit Bronzewaffen kämpften, besaß die Gegenseite bereits eisernes Kriegswerkzeug. Ägypten sah sich im Sinne des Machterhalts gezwungen, den Handel mit diesem Material zu kontrollieren. Für den Wirtschaftsschutz ihres Landes.
Gibt es auch Beispiele aus der Gegenwart?
Natürlich. Was sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielt, ist der Konflikt um den Zugang zu den Erdölreserven, der vor allen Dingen wichtige erdölproduzierende Länder wie Russland, Iran, Venezuela und Libyen betrifft. Für die Öffentlichkeit werden diese Konflikte allerdings in einem ganz anderen Licht dargestellt, was ein Teil der klandestinen Strategie im modernen Wirtschaftskrieg ist.
Man muss hinzufügen, dass die Erfahrungen der USA in Syrien, wo sie keinen wirklichen großen Erfolg gegenüber dem syrischen Regime zu verzeichnen haben, das Thema Wirtschaftskrieg befördert. Die Haltung Washingtons hat sogar die Rückkehr der Russen in das Gebiet vereinfacht. Und auch die regionale Position des Iran gestärkt. Der Einsatz militärischer Kräfte ist heute eine sehr delikate Angelegenheit, wenn man das Ergebnis erzielen will, den Einfluss auszubauen.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ meinte am 17. August vergangenen Jahres: „Bei einem Wirtschaftskrieg sterben zum Glück keine Menschen.“ Also alles halb so schlimm?
Das ist leider falsch. Eine der ersten Auswirkungen der ökonomischen Gewalt war, dass sich die Imperien durch die Sklaverei entwickelten. Die Sklaven haben damals unter schwierigen Umständen gelebt, da existierten keine humanistischen Prinzipien und es gab sehr viele Tote. Und auch heute fordert der Aufbau von Imperien weiter Menschenleben.
Auch die Kämpfe um das Erdöl, die ja noch andauern, haben zu großen menschlichen Verlusten geführt. Nehmen wir nur die Embargo- oder Boykottpolitik der USA gegen das irakische Regime von Saddam Hussein, die zu fehlenden Medikamenten in Krankenhäusern führte und Tausende Tote verursachte, vor allem unter Kindern. Während der Iran sich für den Wirtschaftsschutz entschied.
Ich greife Ihre Stichworte wie Embargo oder Boykott auf. Sind das nur Synonyme für das wenig populäre Wort „Wirtschaftskrieg“?
Eine sehr wichtige Frage. Wenn ich ein Land militärisch angreife, finde ich immer einen Anlass, mein Handeln gerechtfertigt erscheinen zu lassen, den Casus Belli. Diese Legitimität gibt es im Wirtschaftskrieg eben nicht, auch wenn genauso eine Eroberung angestrebt wird. Aber aus einer langfristigen Eroberung des Umfeldes der Gegenseite ergeben sich die Vorteile. Und der Versuch, den anderen zu dominieren, führt auch oft zu einem finanziellen Gewinn.
Um aber beim Thema der Mittel zu bleiben: Wirtschaftskrieg umfasst weit mehr als die eingangs erwähnten Begriffe. Spionage spielt dabei immer noch eine wichtige Rolle, aber die Möglichkeiten gehen heute schon weit darüber hinaus. Der wirkliche Wirtschaftskrieg zielt heute darauf ab, ein Land von einem anderen abhängig zu machen.
Und zwar auf Gebieten, die strategisch wichtig sind. Indem wir den Wirtschaftsschutz des anderen brechen. Das kann dadurch erreicht werden, indem man Regeln im Finanzwesen vorschreibt oder auch im Datenschutz usw. Waren es früher Einzelaktionen, so ist es heute eine systematische Vorgehensweise, indem man Länder beispielsweise Normen vorschreibt. Wer die Normen kontrolliert, setzt seine Sichtweise durch. Sei es in der Finanzwirtschaft, sei es im Transportwesen, sei es im Datenschutz etc. Damit erringt man auch die Kontrolle.
Nun gibt es immer wieder bi- oder multilaterale Treffen, wie den G20-Gipfel, bei denen man den Eindruck gewinnt, es gebe so etwas wie einen Waffenstillstand im Wirtschaftskrieg…
… den es zumindest dem Anschein nach geben kann. Ich glaube aber keine einzige Sekunde an die Logik eines Waffenstillstandes. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund, unser Institut, die Ecole de Guerre Economique in Paris führt Studien über die amerikanische Strategie der Markteroberung durch.
Dabei müssen wir feststellen, dass die amerikanische Aktivität zur Eroberung sehr ausgeprägt und somit auch keinen Waffenstillstand möglich ist. Diese Strategien laufen natürlich im verborgenen ab. Und die ganze Arbeit unseres Instituts zielt auch darauf, solche Strategien zu identifizieren, aus dem Dunklen hervorzuholen und zu analysieren. Es ist klar, dass auch die Chinesen nicht dumm sind. Und sie darauf reagieren müssen. Verbesserung ihres Wirtschaftsschutz.
Welche Chance haben wir Europäer, uns zu emanzipieren und aus diesem Wirtschaftskrieg auszuscheren?
Die Konsequenzen einer solchen Emanzipation wären zwangsläufig die einer amerikanischen Reaktion. Die USA würden alles unternehmen, um Europa und die europäischen Staaten abhängig zu halten. Wir kennen drei Einflussgebiete, auf denen die USA dann tätig werden. Das erste träfe Länder wie die Niederlande oder auch Länder aus Nordeuropa wie etwa Norwegen. Großbritannien müssen wir natürlich auch dazu zählen.
Sie stützen sich auf diese Länder, um ihre offensiven Strategien zu verbergen. Das ist so, weil in diesen Ländern 80 Prozent der Mittel der NGOs angesiedelt sind, die für die amerikanischen Interessen eintreten. Gleichzeitig muss man auch noch Frankreich und Deutschland hinzurechen, weil es auch hier NGOs gibt, die sich massiv für die US-amerikanischen Interessen einsetzen.
Als zweite Komponente kommen die ehemaligen sozialistischen Länder in Osteuropa hinzu. Da spielen die Amerikaner mit der Angst dieser Staaten vor dem russischen Einfluss.
Als Drittes sind die populistischen und nationalistischen Initiativen zu erwähnen. Auf sie zielt ebenfalls der Einflussapparat. Steve Bannon, der Chef des Propagandaapparates Breitbart und ultra-konservativer Trump-Souffleur kommt nicht umsonst nach Europa.
Wenn sich also Frankreich und Deutschland wirklich an einen Tisch setzen würden, um einen eigenständigen europäischen Weg zu entwerfen, würden die USA alles daransetzen, dies zu verhindern. Um ihren Wirtschaftsschutz zu schwächen.
Wo sind denn sozusagen „Kriegsschauplätze“ sichtbar, die uns in Europa direkt betreffen?
Das beste Beispiel ist zur Zeit der Konflikt um den chinesischen Technologiekonzern Huawei. Die USA haben auf alle ihre angelsächsischen Partner eingewirkt, dass diese auf Linie gehen, und sie werden auch versuchen, neben Großbritannien auch Frankreich und Deutschland auf ihre Linie einzuschwören. Die Frage, die sich stellt ist, haben die drei Nationen die Fähigkeiten und den Willen „nein“ zu sagen. Dies würde ihnen einen starken Wirtschaftsschutz bieten.
Es gibt noch einen zweiten Punkt. Dabei geht es um den zukünftigen europäischen Kampfjet, also das Nachfolgemodell des Rafale, wo es sich auch zeigen wird, ob die Europäer eine eigenständige Linie finden oder nicht. Die Amerikaner wollen kein europäisches Kampfflugzeug.
Obwohl das nicht offen ausgesprochen wird, ist das ersichtlich. Und die Zukunft Europas hängt auch davon ab, ob es fähig ist, dieses Kampfflugzeug zu bauen oder nicht. Wenn man nicht in der Lage sein sollte, dieses Flugzeug zu bauen, dann wird es sehr schwierig, zu erklären, wie man eine eigenständige europäische Verteidigungspolitik gestalten will.
Und Nord Stream 2…
… ist ein perfekter Akt des Wirtschaftskrieges. Es geht dabei um die Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland. Für die USA ist das Ziel, zu verhindern, dass sich jemand von einem anderen – wir sprechen in dem Fall von dem Gegner – wirtschaftlich abhängig macht.
Versuchen wir in die Zukunft zu blicken. Wo liegen die Chancen für die Europäer?
Im Grunde müssen wir genau das Rezept verfolgen, dass die Amerikaner bisher bei uns angewendet haben. Die Amerikaner haben in den letzten 40 Jahren wirklich gut gelernt, wie man solche Eroberungsstrategien systematisch aufbaut und umsetzt, aber gleichzeitig systematisch verbirgt.
Auf diesem Gebiet haben sie einiges an Erfahrungen gesammelt, natürlich auch aus den Fehlern, die sie gemacht haben. Ich möchte als erstes Beispiel die NGO USAID nennen, die in der Zeit des Vietnamkrieges geschaffen wurde, also in der Zeit von Kennedy.
Sie ist ein Beispiel für verborgene Strategie, denn die Positionen von USAID waren vorgeblich, als Unterstützung für Länder zu agieren, um deren Demokratie zu entwickeln. USAID aber war schon damals ein Instrument, um Einfluss zu nehmen, um besser auf die Bevölkerung in Vietnam einzuwirken und die offenen Ohren für die kommunistische Propaganda aus Nordvietnam zu verschließen. Das ist gescheitert. Aber die Operation Solidarność mit Lech Wałęsa in Polen, den die Amerikaner voll unterstützt haben, war ein Erfolg, aus dem die Amerikaner gleichzeitig sehr viel lernen konnten.
Daraus haben sie gelernt, wie man erfolgreiche Einflussnahme betreibt, wie man politischen Diskurs moralisiert. Diese Erfahrungen haben den Amerikaner erlaubt, in jüngster Zeit ein ganzes System verdeckter Einflussnahmen aufzubauen. Man muss dabei an die Farbenrevolution denken, die es in Osteuropa gab, wie die orangene Bewegung in der Ukraine oder aber auch den sogenannten arabischen Frühling.
Wo es Erfolge wie auch Niederlagen für die Amerikaner gab. Mein Ansatz ist es, solche Entwicklungen wissenschaftlich aufzuarbeiten und zu analysieren, um nicht in den Verdacht einer Verschwörungstheorie zu kommen. Und es gibt heute auch Erklärungen und Informationen, die man nicht mehr so einfach beiseiteschieben kann.
Wer soll die strategische Denkarbeit übernehmen?
Ich bin davon überzeugt, dass es wichtig ist einen europäischen Thinktank zu schaffen in dem vor allem Deutsche und Franzosen zusammenarbeiten. Dies würde ihnen einen starken Wirtschaftsschutz. Es ist klar, dass die Amerikaner alles unternehmen werden, um einen solchen Thinktank zu Fall zu bringen.
Ich denke aber, dass Deutschland und Frankreich über genügend Erfahrung verfügen, so etwas zu überstehen. Man kann sich schon denken, wer instrumentalisiert wird, um eine solche Strategie zu attackieren. Das werden aus Deutschland verschiedene Gruppen der extremen Linken sein, ebenso in Frankreich.
Sind Partner in den Parteien für ein solches Projekt zu finden?
Das Niveau der politischen Klasse ist sehr schwach. Den Niedergang, den die SPD in Deutschland gerade erlebt, haben in Frankreich die Sozialisten, die einmal Regierungspartei waren, schon hinter sich, sie liegen in den Umfragen noch bei fünf bis sechs Prozent. Es findet gerade ein kompletter Umbruch in der französischen Parteienlandschaft statt.
Die Partei vom Emmanuel Macron „La République en Marche!“ wurde wie ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert. Sie ist ja völlig neu und stellt meines Erachtens eine Schwächung der politischen Klasse dar. Sie macht immer noch keine Kaderausbildung. Insbesondere im Sinne des Wirtschaftsschutz
Die einzige, die gerade eine richtige Kaderschmiede aufbaut, ist Marion Maréchal, eine Nichte von Marine Le Pen, die vor kurzem eine Businessschool in Lyon gegründet hat, die der „Spiegel“ als „Kaderschmiede von Frankreichs konservativen Ultras“ bezeichnete. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Vorgehensweise mit unserer Sicht übereinstimmt. Denn man muss bedenken, die erste Reise, die Frau Maréchal angetreten hat, um sich international bekannt zu machen, ging in die USA.
Sind die Kräfte für einen solchen Thinktank in Europa sichtbar?
Es ist eher eine gewisse Anzahl von Persönlichkeiten. Ich prüfe das an den Teilnehmern meiner Executiv-Seminare. Die heute nicht nur diese Position verstehen, sondern die auch sehr aktiv sind entsprechendes Knowhow zu entwickeln. Ich bin sehr optimistisch, dass ein solcher Think Tank einiges bewegen wird, wenn man die richtigen Personen zusammenbringt. Die Ecole de Guerre Economique ist das beste Beispiel, weil sie schon einen weiten Weg zurückgelegt und erfolgreich überstanden hat. Und bisher haben es die Amerikaner nicht geschafft, die Ecole zu zerstören.
Bildnachweis: Christian Harbulot, Direktor der Ecole de Guerre Economique
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Christian Harbulot
Direktor der französischen Schule für Wirtschaftskrieg in Paris und stellvertretender Direktor der Firma Spin Partners.