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Schweine, Schalke und Security

25.09.2020
Tönnies-Imperium
Foto: imago-images/RHR
Tönnies-Imperium Foto: imago-images/RHR

Tönnies wurde zum Synonym einer Grauzone in der kritischen Infrastruktur

Von Peter Niggl

Tönnies ist beim Schweineschlachten in Deutschland die Nummer eins. Der Kreis Gütersloh und das Land NRW haben deshalb „in Abstimmung festgestellt, dass Tönnies einen Versorgungsauftrag als Unternehmen mit kritischer Infrastruktur hat.“ So der WDR. Dem Staat fiele somit eine besondere Fürsorge‑ und Aufsichtspflicht zu. Doch davon ist wenig zu spüren. Dem Betrachter eröffnet sich stattdessen ein obskures Firmen‑ und Personengeflecht.

carnem et circensis

„Ob Tönnies-Fleisch oder Stölting Group: Subunternehmen, Lohn Dumping & Scheinselbständigkeit machen den Kumpel- & Malocherclub zur Farce!“, diese unmissverständliche Botschaft stammt von erbosten Schalke-Fans; auf ein Transparent gepinselt, als der Schalke-Chef wieder einmal nicht gerade positiv in die Schlagzeilen geraten war. Meist konnten ihm solche Anfeindungen nichts anhaben. Es waren die Folgen der Pandemie, die das Erfolgsrezept des carnem et circensis von Clemens Tönnies für viele ungenießbar machte. An seiner Person manifestiert sich nun die Kritik an der – seit langem umstrittenen – Methode von Subunternehmen und Leiharbeit. Besonders in ihren schlimmsten Auswüchsen. „Tönnies ist Teil eines kranken Systems“, resümiert Anton Draxler, Tönnies-Freund und Kolumnist der „Bild“. Dieses „System“ verdient es, genauer unter die Lupe genommen zu werden.

1971 legte Bernd Tönnies, der ältere der beiden Brüder, den Grundstein für die Schlachtfabrik. Nach dessen frühen Tod im Jahr 1994 nahm sein Bruder Clemens das Heft in die Hand und startete seinen unaufhaltsamen Aufstieg. Im selben Jahr noch wurde er Mitglied des Aufsichtsrates des FC Schalke 04 und ab 2001 dessen Vorsitzender. Es war eine Symbiose von Fleisch und Fußball, die ihn auf seinem Weg zum Marktführer begleitete. Skandale inklusive.

Der gute Freund der Familie

Bei Schalke laufen seit Langem für das Tönnies-Imperium essenzielle Fäden zusammen. Sichtbar wurden sie unter anderem bei einem Erbschaftsstreit, den die Witwe von Bernd Tönnies 2016 gegen ihren einstigen Steuerberater und „guten Freund der Familie“, Josef Schnusenberg, wegen einer vermeintlichen Übervorteilung angestrengt hatte.

„Die Vorstandsetagen des 1. FC Schalke 04 als Dreh- und Angelpunkt für den Fleischer-Clan.“

Schon Firmengründer Bernd Tönnies war ein eingefleischter Schalkianer. Seine Amtszeit als Vereinsvorsitzender endete jedoch durch sein Ableben bereits nach fünf Monaten. Später folgte ihm jener Schnusenberg auf diesen Posten. Von 1994 bis 2007 war der Steuerberater stellvertretender Vorstandsvorsitzender und Schatzmeister der Königsblauen. Nachdem „Schalkes Aufsichtsrat-Chef Clemens Tönnies im März 2007 Josef Schnusenberg ins Präsidentenamt hievte“ („Der Westen“), war dieser bis 2010 Vorsitzender des Vorstandes. „In der Schlachterei hat Schnusenberg ein eigenes Büro, eine Filiale seiner Steuerberatungskanzlei. Der Schatzmeister ist auch Generalbevollmächtigter des Fleischfabrikanten“, so „Die Zeit“ 2007. Lange Jahre stand er an der Seite von Clemens Tönnies, der von 2001 bis 2020 als Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalke 04 fungierte.

„Angst, Unzufriedenheit, Missgunst und Vertrauensprobleme“

Heute sitzt Schnusenberg („Steuerberater, Ex-CEO & CFO FC Schalke 04“) im Beirat der Stölting Service Group in Gelsenkirchen; jener Firma, die von den zitierten Schalke-Fans in einem Atemzug mit Tönnies genannt wird. Berechtigterweise. Mit ihrem Geschäftsfeld Security Service schaffte es Stölting Mitte 2020 die Securitas AG auf Schalke vom Platz zu kicken. Und das, obwohl dieser von Schalke in einer Pressemeldung bescheinigt wurde, eine qualitativ hervorragende Leistung abgeliefert zu haben. Stölting ergatterte so, nachdem sie 2018 bereits die Reinigung der Veltins-Arena übernommen hatte, auch die Stadionsicherheit. Tönnies, Schalke und Stölting sind also ein eingespieltes Team. Nicht jeder ist von dessen Fair Play überzeugt. Stölting-Leute sorgen auch im Tönnies-Schlachthaus in Rheda-Wiedenbrück dafür, dass alles reibungslos funktioniert. Ein Mitarbeiter klagte öffentlich über das dort herrschende Klima der „Angst, Unzufriedenheit, Missgunst und über Vertrauensprobleme.“

Das Unternehmen Stölting, 1899 als Glasreinigungsbetrieb gegründet, wird seit 1988 von Hans Mosbacher geleitet. Unter seiner Ägide kamen die Arbeitnehmerüberlassung und das Personalmanagement hinzu, 2004 folgte das Security-Portfolio.

Krumme Geschäfte

2005 war Tönnies ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten. Dem Geschäftsführer des Tochterunternehmens Weidemark im emsländischen Sörgel, Richard Wieck, war fristlos der Stuhl vor die Tür gesetzt worden. Wieck räumte ein, seit 2002 über fingierte Beraterverträge zulasten des Betriebes mehr als 700.000 Euro veruntreut zu haben. Die Festnahme erfolgte im Zusammenhang mit illegalen Beschäftigungen in der Fleischbranche. Durch Wiecks Einlassungen geriet auch Clemens Tönnies ins Visier der Ermittler. „Report Mainz“ damals über den Vorgang: „Richard Wiecks Aussagen hatten das bislang umfangreichste Ermittlungsverfahren in der Fleischbranche ausgelöst. Im September 2007 durchsuchte die Staatsanwaltschaft Bochum das Unternehmen. Ermittelt wird unter anderem wegen des Verdachts auf gewerbsmäßigen Betrug bei der Zusammensetzung von gemischtem Hackfleisch. Die Anwälte von Tönnies bestritten dies stets.“

Die gerichtlichen Aussagen von Wieck blieben Tönnies erspart. Kurz vor Beginn des Prozesses wurde dieser Ende März 2009 in einem Hotelzimmer im niedersächsischen Garrel tot aufgefunden. Erstes Obduktionsergebnis: natürlicher Tod; zweites Obduktionsergebnis: hochtoxische Menge Cadmium im Blut, aber keine Fremdeinwirkung.

Sicheres Gespür für sprudelnde Einnahmequellen

Eine lukrative Einnahmequelle eröffnete sich für Tönnies-Partner Stölting mit dem Flüchtlingsstrom. Das Betreiben der Unterkünfte für Geflüchtete versprach schnellen Gewinn. Einziger Haken: Die Lizenzen zur Bewachung von Heimen für Flüchtlinge wurden nur an Firmen vergeben, die dem Branchenverband der Sicherheitswirtschaft BDSW angehörten. Der aber wollte Stölting nicht aufnehmen. Mit einem geschickten Schachzug konnte man sich dieses Makels entledigen.

Aber der Reihe nach. Das Betreiben solcher Objekte zur Unterbringung Geflüchteter überlies Stölting seinem Geschäftspartner „European Homecare“ (EHC). Die EHC zählt zu den größten Betreibern von Flüchtlingsheimen in Deutschland. Deren medienscheuer Geschäftsführer, Sascha Dominique Korte, der bis vor Kurzem auch als Geschäftsführer diverser Stölting Unternehmen eingetragen war, sitzt neben Schnusenberg im Beirat der Stölting Service Group. Die „Waldeckische Landeszeitung“ im Jahr 2014 über die EHC: „Die Wurzeln von ‚European Homecare‘ liegen im Waldecker Land - eine Geschichte von Glücksrittern, Staatsknete und ‚Lizenz zum Gelddrucken‘.“ Nach den skandalösen Vorfällen in jenem Jahr in Flüchtlingsquartieren, namentlich in Burbach, kamen weitere Details an die Öffentlichkeit.

„Aus dem Knast in Führungsposition – ein weitverzweigtes Firmengeflecht mit dunklen Flecken.“

Nebenbei sei erwähnt, dass in der Essener Schürmannstr. 22a neben einer Dependance der Stölting Service Group auch die Firma „European Homecare“ (EHC) residiert.

In ihrer Personalwahl bewies die EHC nicht immer ein glückliches Händchen. Im November 2016 stand ein von der EHC eingesetzter ehemaliger Leiter einer Notunterkunft in Arnsberg vor dem Landgericht. Ihm wurde die mehrfache Vergewaltigung einer Syrerin zur Last gelegt. Dabei stellte sich heraus, dass der 51-jährige Angeklagte ein stattliches Vorstrafenregister besaß. Insgesamt 19 Mal war der Mann bereits in den Niederlanden, in Belgien und in Deutschland verurteilt worden. Zu den Delikten gehörte neben Drogen, Hehlerei und Urkundenfälschung auch noch ein Sexualdelikt.

Der Trick mit der Tochterfirma

Mit Haken und Ösen auf der Erfolgsspur. Wie „Zeit online“ nach den Übergriffen von Wachbediensteten auf Asylsuchende in Burbach über Mängel in der Auftragsvergabe zu berichten wusste, mussten nach den „Vorgaben der Bezirksregierung in Arnsberg alle Firmen, die in Flüchtlingsheimen tätig sind, Mitglied im Bundesverband BDSW sein. Die Satzung des Verbandes verbietet es jedoch, dass Unternehmen Mitglied werden, deren leitende Angestellte in ihrem ‚wirtschaftlichen Verhalten‘ in der Vergangenheit ‚gegen Bestimmungen des Gesetzes‘ verstoßen haben. Stölting ist bis heute nicht Mitglied im BDSW.“ Das war im Oktober 2014. An anderer Stelle wird dann die weitere Entwicklung nachgezeichnet, nicht zuletzt wie Stölting dann doch noch in den Schoß des Arbeitgeberverbandes kam: „Offiziell ist nun die Tochterfirma S.E.T. GmbH Security & Event Team in den Flüchtlingsheimen unterwegs. S.E.T. hat seit 2008 eine Verbandsmitgliedschaft und gehört mittlerweile mehrheitlich zur Stölting-Gruppe. Damit scheint das Problem für die Politik aus der Welt, zumal Stölting inzwischen selbst einen neuen Antrag beim BDSW gestellt hat.“

Mittlerweile wirbt Stölting auf seiner Homepage mit Kompetenz: „Mitarbeit im Fachausschuss des BDSW ‚Schutz von Flüchtlingsunterkünften‘ und Einhaltung der Qualitätsparameter.“

Burbach und viele Fragen

Nach dem Vorfall in Burbach wurde eine öffentliche Sitzung des Innenausschusses des Landtages in Düsseldorf anberaumt. Dabei insistierte der CDU-Abgeordnete Gregor Holland gegenüber Innenminister Jäger und hielt ihm vor, versichert zu haben: „Die [in Heimen für Flüchtlinge] eingesetzten Firmen müssen gewisse Kriterien erfüllen. … ‚Alle beauftragten Sicherheitsunternehmen weisen die Mitgliedschaft im BDSW oder einem vergleichbaren Arbeitgeberverband nach.‘ Ich frage daher: Ist die jetzt beauftragte Firma Stölting in dem Verband oder nicht? In dem Zusammenhang frage ich Sie auch“, so Holland weiter, „ob Ihnen der Name Mark Musebrink etwas sagt, der offenbar ein vorbestrafter Krimineller ist und in der Geschäftsleitung dieser Firma sitzt, obwohl er mit einer mehrjährigen Haftstrafe bedacht worden ist.“ Das war starker Tobak, aber Holland konnte sich seiner Sache sicher sein.

Denn in dieser Feststellung steckte ein Fingerzeig auf den (nicht mehr existenten) Sicherheitsdienstleister „Arnolds Sicherheit GmbH“. Dieses, im Geld- und Werttransport tätige Unternehmen, war Ende August 2006 in die Schlagzeilen geraten, nachdem erhebliche Unterschlagungen der Geschäftsführer bekannt geworden waren. Bei „Wikipedia“ ist dazu zu lesen: Im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wurde festgestellt, dass Vater Hans Musebrink und Sohn Mark „bereits seit dem Jahr 2000 Kundengelder veruntreuten. Der Versicherer des Unternehmens wurde auf rund 24 Millionen Euro in Anspruch genommen und lehnte die Regulierung des Schadens ab, da die Geschäftsführer bei Abschluss der Versicherungsverträge im Jahr 2005 bereits getäuscht hätten. … Am 27. Februar 2007 begann vor dem Landgericht Essen der Prozess gegen die ehemaligen Geschäftsführer. Hans und Mark Musebrink wurden zu je fünf Jahren und neun Monaten Freiheitsentzug verurteilt.“

Zweifelhafter Ruf

Wie dem Jobportal Xing zum Fortgang der Sache entnommen werden kann, erfreute sich Mark Musebrink schon im Juni 2009 einer neuen Anstellung. Wie er in seinem Account wissen lässt, war er seit dieser Zeit bis April 2019 in der „Geschäftsleitung/Spartenverantwortlicher Security“ bei der Stölting Service Group GmbH gewesen.

2016 legte Clemens Tönnies das Bundeskartellamt geschickt aufs Kreuz. Er umging die Zahlung eines Bußgeldes, das gegen seine Firmen Böklunder und Anecke wegen ungesetzlicher Preisabsprachen in Höhe von 128 Mio. Euro verhängt worden. Eine Lücke im Gesetz („Wurstlücke“) ermöglichte es ihm, die beiden Firmen nach dem Amtsentscheid auf andere Gesellschaften zu übertragen und anschließend aus dem Handelsregister löschen zu lassen. Ärgerlich für den Steuerzahler.

Besonders im Bereich der kritischen Infrastruktur wird nicht ohne Grund auf einen makellosen Leumund geachtet. Dabei sind wir wieder am Ausgang dieser Geschichte. Ende Mai 2016 ließ sich Clemens Tönnies von 900 geladenen Gästen zu seinem 60. Geburtstag feiern. Schlagersternchen Helene Fischer heizte dem Publikum im A2-Forum in Rheda-Wiedenbrück mit ihrem Erfolgslied „Atemlos“ unter gesanglicher Begleitung durch Tönnies ein. Das Promi-Blättchen „Gala“ pikiert: „Das Geburtstagskind, das sogar mit Helene im Duett sang, hat einen zweifelhaften Ruf.“ Man könnte schmunzeln, aber es geht um jemand mit einer wichtigen Stellung in der kritischen Infrastruktur!

 

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Peter Niggl

Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight