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Fehlanalysen von Zufahrts- und Perimeterschutz Konzepten

24.05.2025

Schutz vor Amokfahrten erfordert flexible Sicherheitskonzepte, die auch Randbereiche öffentlicher Orte abdecken, da Täter meist spontan und opportunistisch handeln. Entscheidend ist, den Zugang zu potenziellen Zielen frühzeitig zu verhindern.

Schutz vor Amokfahrten erfordert flexible Sicherheitskonzepte

Schutz vor Amokfahrten erfordert flexible Sicherheitskonzepte
Foto: INIBSP

Die Überfahrtaten in Magdeburg, München und Mannheim haben die Wirksamkeit der Nutzung von Fahrzeugen als Waffe (FaW) erneut ins Licht gerückt. Zudem haben diese Vorfälle, insbesondere die folgende Analyse und die Reaktionen auf die Angriffe gezeigt, dass hostile vehicle attacks weiterhin missverstanden werden. Gründe dafür sind u.a. ein Mangel an klaren Begriffen für FaW-Vorfälle in Deutschland sowie Daten und Forschung zu dem Thema, und die häufige Pauschalisierung verbindet das Problem eher mit Terrorismus als mit Alltagskriminalität. Dies führt zu Fehlanalysen und Konsequenzen für die Entwicklung und Implementierung von Zufahrts- und Perimeterschutz-Konzepten.

Um mit der Bedrohung durch „Fahrzeuge als Waffe“ besser umgehen und sie verstehen zu können, müssen wir drei Faktoren betrachten: Die Nutzung von Autos als Waffen hat sich in den letzten zehn Jahren „normalisiert“; es gibt ein „Basis-Profil“ bei Tathergängen; und es gibt peu à peu ein „Motivationsprofil“ bei Überfahrtaten (Spoiler: Nicht Terrorismus).

Es gibt in Deutschland keine feststehende Definition für Überfahrtaten, weil es in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) keine Kategorie „Tatmittel Auto“ gibt. In Großbritannien wird der Begriff „Vehicle as a Weapon Attack“ (frei übersetzt) definiert als Versuch, mit einem Fahrzeug Menschen gezielt zu verletzten, Infrastrukturen zu stören oder zu zerstören oder in einen geschützten Bereich einzudringen und den (Innen-)Raum dahinter zu erreichen. Besonders ist, dass dieser Begriff auch den strukturellen Aspekt der Zerstörung oder Störung von Infrastruktur einschließt und es nicht primär um Menschen geht. In einem Kontext, in dem täglich Fahrzeuge als Rammbock bei Überfällen auf Geschäfte genutzt werden, ragt dieses Element der britischen Definition aufgrund seiner Relevanz für den Wirtschaftsschutz heraus.

Für unsere Analyse von rund 700 Vorfällen fokussieren wir uns jedoch auf die Bedrohung durch „Fahrzeuge als Waffe“ gegenüber Menschen und definieren solche Angriffe als den Versuch, mit einem Fahrzeug eine oder mehrere Personen deutlich und absichtlich einzuschüchtern, zu verletzen oder zu töten.

Die „Normalisierung“ der Nutzung von Fahrzeugen als Waffe

Seit 2014 steigt die Zahl von Überfahrtaten weltweit stetig an, erst durch Terrorismus und ab 2020 aufgrund von politischer Gewalt und v.a. in der Alltagskriminalität, wie z.B. bei häuslicher Gewalt. Drei Kernfaktoren beschleunigen diese Entwicklung: Erstens ist ein Fahrzeug das einfachste, effizienteste und effektivste Mittel, um Gewalt auszuüben, wegen des leichten Zugangs, der einfachen Nutzung, seiner Zerstörungskraft und des minimalen logistischen Aufwands. Zweitens inspiriert der „Erfolg“ von Überfahrtaten andere Täter, ebenfalls ein Fahrzeug als Waffe zu nutzen. Und drittens wird die Überfahrtat regelmäßig als Gewalttaktik vorgeschlagen und zur Nutzung von Fahrzeugen als Waffe aufgefordert.

Die bekannte Anzahl an Überfahrtaten ist trügerisch, da nur wenige Länder eine spezifische statistische Kategorie für FaW führen, daher beschreiben wir unsere Zahlen als „Mindestzahlen“. Außerdem beinhalten unsere Statistiken weder Überfahrtaten als Konsequenz von Fahrerflucht noch „Road Rage“, Unfälle oder die Tausende von Fällen, bei denen ein Fahrzeug als Einbruchsmittel für Raubüberfälle genutzt wird.

Die Statistiken zeigen jedoch, wie bestimmte Trends und Ereignisse zu einer Zunahme an Vorfällen führen. Seit dem Terroranschlag der Hamas gegen Israel am 7. Oktober 2023 hat sich die Zahl an FaW Vorfällen im Gebiet Israel/Palästina im Vergleich zum Jahresdurchschnitt zwischen 2014 und 2023 verdoppelt. In Irland sorgte das „Spiel“, mit einem geklauten Auto gezielt auf Personal und Fahrzeuge der Polizei zuzufahren dafür, dass im Jahr 2024 allein gegen die Polizei 54 Vorfälle registriert wurden – elfmal so viel wie im Jahresdurchschnitt. Und in Deutschland sorgten die Vorfälle gegen Demonstranten der Protestbewegung „Aufstand Letzte Generation“ für eine Verdoppelung des Jahresdurchschnitts in den Jahren 2022 und 2023. Deutschland liegt in der Statistik besonders weit oben – das Land gehört seit dem 1.1.2021 zu den Top 5 – mit und ohne die Angriffe auf die Letzte Generation.

Hauptgründe und Ziele

Zu den Hauptgründen für FaW Vorfälle gehören zuerst persönliche Gründe, Verwirrtheit und nicht definierbare Gründe. Dazu zählen Fälle wie z.B. in Magdeburg und Mannheim oder Situationen, in denen eine Bestellung im Restaurant fehlerhaft ausgegeben wurde. Als zweiter Grund ist häusliche Gewalt zu nennen, bei der die jeweiligen Partner oder Ex-Partner mit einem Fahrzeug angegriffen wurden. Und an dritter Stelle steht Terrorismus. Wenn wir jedoch die Anschläge mit Fahrzeugen im Gebiet Israel/Palästina abziehen, fällt Terrorismus als Grund für Überfahrtaten aus den Top 5 und stattdessen erreicht Hasskriminalität die Top 3. In Deutschland sind die Hauptgründe Ärger über Demonstranten; persönliche Gründe, Verwirrtheit oder nicht definierbare Gründe sowie häusliche Gewalt. Wenn wir die Taten gegen die Letzte Generation ausklammern, sind die Hauptgründe persönlich, häusliche Gewalt und Angriffe auf die Polizei.

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Die Hauptangriffsziele spiegeln die Hauptgründe wider, da am Häufigsten Polizisten, Demonstranten und Partner/Ex-Partner gezielt angefahren/überfahren werden. Dieses Ergebnis gilt auch ohne die Vorfälle gegen die Polizei in Irland in 2024 oder gegen die Letzte Generation in Deutschland in 2022 und 2023. Statische Menschenmengen, wie z.B. an Bushaltestellen oder auf Weihnachtsmärkten, oder mobile Menschenmengen wie Fußgänger gehören ebenfalls zu den Top 5 Zielen für Angriffe mit Autos. Dies gilt besonders für Deutschland, wo statische Menschenmengen, Partner oder Ex-Partner sowie Fußgänger die drei Hauptangriffsziele für Überfahrtäter sind, wenn wir die Angriffe auf die Letzte Generation nicht einbeziehen.

Unsere Analyse von Gründen und Zielen legt nahe, dass bei Angriffen mit Fahrzeugen:

  • Die Täter opportunistisch sind bzw. auf eine Möglichkeit mit Erfolgsaussicht reagieren
  • Meistens persönliche Gründe und Affekt das Handeln bestimmen
  • Der Angriffsort nebensächlich zum Angriffsziel ist
  • Sich die Ziele meistens bewegen
  • Die Entscheidung anzugreifen, meistens kurzfristig fällt statt geplant wird.

Eine solch reaktive Einstellung hat signifikante Konsequenzen für Zufahrts- und Perimeterschutz, da der Mensch das Ziel ist und er dort angegriffen wird, wo er sich befindet. Diese Situation erfordert eine erweiterte Risikominderungslogik, bei der bestimmte Orte das Epizentrum darstellen und die Sicherheitsmaßnahmen das Risiko außerhalb erheblich erhöhen, statt für Abschreckung und eine Dispersionswirkung zu sorgen. Vorfälle wie die Amokfahrt in Berlin am 8. Juni 2022 oder der geplante Anschlag rund um das Taylor Swift Konzert in Wien im August 2024 haben gezeigt, dass Täter auch die Möglichkeiten nutzen, die am Rand des Epizentrums liegen, um ihre Anschläge zu verüben. Die Auswirkung einer Tat am Rand ist die gleiche wie auf das Epizentrum, birgt aber für den Täter weniger Herausforderungen und eine höhere Chance auf Erfolg.

Geplante Überfahrtaten, Terrorismus und Tathergang

Ein geplanter FaW Anschlag unterscheidet sich von alltäglichen FaW Vorfällen primär durch die  ausführliche Vorbereitung der Tat und v.a. bei Terrorismus durch eine kohärente, strukturierte Motivation und Logik. Für die Vorbereitung eines FaW Angriffs ist das Auskundschaften des Ortes essentiell, um folgende Fragen beantworten zu können:

  • Wo sind die Schwachstellen, u.a. strukturell oder menschlich?
  • Welche alltäglichen Gewohnheiten und Dynamiken gibt es rund um den Ort, u.a. Straßenverkehr, Routine des Sicherheitspersonals, Menschenströme?
  • Wie sehen die Sicherheitsmaßnahmen und Reaktionen aus, u.a. wie reagiert das Sicherheitspersonal oder welche Routen nutzt die Feuerwehr?

Sowohl unsere Analyse als auch kriminalistische Forschung legen nahe, dass die Auskundschaftungsphase im Schnitt sechs Wochen dauert und bis ca. eine Stunde vor der Tat stattfindet. Wie die Vorfälle in New Orleans und Las Vegas gezeigt haben, ist auch besorgniserregend, dass Täter KI für die Planung nutzen, um Schwachstellen zu finden, mögliche Angriffsorte zu analysieren oder Material zu beschaffen. Diese brisante Entwicklung erhöht zusätzlich die Herausforderungen für Sicherheitskräfte.

Beim Tathergang sind die wichtigsten gemeinsamen Nenner erstens, dass die Beschleunigung meistens während des Angriffs stattfindet bzw. sehr kurz vor und innerhalb des Perimeters, deutlich innerhalb von 40 Metern vom Angriffsziel, sowohl aus taktischen Gründen – so nah wie möglich ans Ziel zu gelangen – als auch aufgrund von Hindernissen wie z.B. Straßenverkehr. Und zweitens haben Täter bei geplanten Taten oft eine zweite Angriffswelle vorbereitet, um mehr Menschen nach dem Angriff mit dem Auto zu verletzen. Kurz gesagt, Täter dürfen keinen Zugang zum Ziel bekommen.

Fazit

Die Daten zu Vorfällen mit „Fahrzeugen als Waffe“ weisen darauf hin, dass Amokfahrten wie in Magdeburg und Mannheim oder Terrorismus wie in München sowohl für das Profil der Tat als auch des Täters typisch sind. Die Normalisierung von FaW als Tatmittel und ihre alltägliche Nutzung sollte uns bewusst machen, dass diese Entwicklung keine Ausnahme mehr ist, sondern die Frequenz und das Risikopotenzial zunehmen und wir uns anpassen müssen. Das Problem wird durch die Nutzung von KI bei der Planung verschärft und erhöht die Herausforderungen für die Entwickler von Zufahrts- und Perimeterschutzkonzepten sowie das Sicherheitspersonal. Unsere Daten zeigen außerdem deutlich, dass die Unberechenbarkeit von FaW Taten – zeitlich, örtlich und des Ziels selbst – das Kalkül für das „Restrisiko“ verändern und sich damit auch unsere Sicherheits-Prioritäten ändern müssen, wenn wir über den Schutz öffentlicher Orte diskutieren.

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