Goldgrube Müllhalde
Interpol: Illegale Abfallbeseitigung ist viertgrößte Profitquelle der Organisierten Kriminalität
Im täglichen Abfall finden sich zum Teil höchst wertvolle Rohstoffe wider, zum anderen aber kann sich das Umgehen der zum Teil erheblichen Entsorgungskosten pekuniär lukrativ niederschlagen. Foto: Dmitriy / Pixabay
"Müll ist Gold wert!“ Dieser fast schon zum Sinnspruch gewordene Satz ist unter vielerlei Aspekten bedeutsam. Im Jahr 2022 wurden, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) zum Internationalen Tag der Umwelt am 5. Juni 2024 mitteilte, in Deutschland rund 400 Millionen Tonnen Abfälle entsorgt.
Zum einen finden sich im täglichen Abfall zum Teil höchst wertvolle Rohstoffe wider, zum anderen aber kann sich das Umgehen der zum Teil erheblichen Entsorgungskosten pekuniär lukrativ niederschlagen. Und wo jenseits des gesetzlichen Rahmens schnelles Geld gemacht werden kann, finden sich auch Leute, die entsprechend agieren. Ein weltweites Problem. Die Destatis-Analyse bescheinigt Deutschland, in der Effizienz der Abfallwirtschaft weltweit an dritter Stelle zu liegen, nach Südkorea und Dänemark. Was Statistiken jedoch kaum berücksichtigen, sind die Schattenseiten des Erfolges. Die aber sind nicht unerheblich und durchaus der Erwähnung wert.
Giftigen Müll im Tagebau entsorgt
„Statt den mit Schadstoffen belasteten Bodenaushub kostspielig zu entsorgen, hatten ein 56-Jähriger und sein Sohn den Aushub im Tagebau Garzweiler illegal abgeladen“, berichtete Anfang September der WDR. Der knappen Beschreibung des Vorgangs, wie ihn das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen in seiner Pressemeldung zusammenfasste, lässt die kriminelle Energie erahnen, mit der in diesem Fall vorgegangen wurde: Die im Baustoffsektor tätigen Beschuldigten sind verdächtig, mehrere tausend Lieferdokumente von Entsorgungsbetrieben gefälscht zu haben, um den giftigen Bodenaushub nicht kostspielig entsorgen zu müssen, sondern tonnenweise illegal im Tagebau Garzweiler Jüchen zu entladen. Den Kunden wurde mit diesen gefälschten Belegen die ordnungsgemäße Entsorgung vorgespiegelt und entsprechend hoch in Rechnung gestellt, so das LKA.
Über 150 Einsatzkräfte des LKA NRW, der Staatsanwaltschaft Dortmund und weiterer Behörden waren dann bei einer Razzia zugange, um 27 Durchsuchungsbeschlüsse in einem Ermittlungsverfahren gegen einen 56 Jahre alten Unternehmer, seinen 24-jährigen Sohn sowie vier weitere Beschuldigte in Grevenbroich, Jüchen, Krefeld und anderen Orten zu vollstrecken.
Nur zwei Umweltverfahren wurden der OK zugerechnet
Das in diesem Zusammenhang von Organisierter Kriminalität (OK) gesprochen werden kann und muss, ist keine neue Erkenntnis. Schon im Juni 1996 musste die Bundesregierung in einer Antwort zu einer großen Anfrage über „Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland“ einräumen: „Strukturen von OK im Deliktbereich der umweltgefährdenden Beseitigung von Sonder- und anderen Abfallstoffen sind mehrfach festgestellt worden.“ Im September 2020 beklagte der Bund Deutscher Kriminalbeamter in einem Schreiben die erschwerte „Verfolgung weiter Teile der Umweltkriminalität (z.B. die illegale Abfallentsorgung i.S. des § 326 StGB), dem nach einer INTERPOL-Schätzung viertgrößten Kriminalitätsphänomen weltweit.“
Angesichts dessen muss es natürlich verwundern, wenn beispielsweise im Bundeslagebild „Organisierte Kriminalität“ des Bundeskriminalamtes für das Jahr 2022 in knappen drei Zeilen festgestellt wird: „Im Jahr 2022 wurden zwei OK-Verfahren im Bereich der Umweltkriminalität geführt. Beide Gruppierungen wurden durch deutsche Staatsangehörige dominiert. Die Verfahren befassten sich mit der illegalen Abfallentsorgung.“ Ob OK oder nicht, beim Geld machen mit der Müllentsorgung wird sehr oft erhebliche kriminelle Energie sichtbar.
Wettbewerbsverzerrung im Müllkartell
Eine Geldbuße von über sieben Millionen Euro hat, wie die österreichische Presse im September berichtete, das Entsorgungsunternehmen Saubermacher akzeptiert. Hier ging es allerdings nicht um illegal entsorgten Müll. Laut der in Wien ansässigen Bundeswettbewerbsbehörde hat die Saubermacher Dienstleistungs AG zwischen Juli 2002 und März 2021 an kartellrechtswidrigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen sowie dem Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen im Bereich der Müllentsorgung teilgenommen. Geschädigte sind Konsumenten, Unternehmen, öffentliche Auftraggeber und insgesamt die Volkswirtschaft. Saubermacher war in dem Verfahren ein Kronzeugenstatus zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts eingeräumt worden, was sich dann in einer verminderten Geldbuße in Höhe von 7,085 Millionen Euro niedergeschlagen hat. Dies ist ein weiterer Punkt, wie mit Tricks und kriminellen Machenschaften beim Müll und dessen Entsorgung Wettbewerbsvorteile erzielt werden können. Die Auswirkungen können also auch die gesetzestreuesten Unternehmen empfindlich treffen.
Auf der anderen Seite wirke „sich auf jeden Fall strafverschärfend aus, dass sich der Gewerbetreibende durch die illegale Müllentsorgung auf Kosten der Allgemeinheit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollte.“ So kommentierte die SPD-Politikerin Franziska Giffey, damals noch Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln, im Jahr 2018 auf Facebook einen Erfolg des dortigen Ordnungsamtes gegen drei Bauarbeiter, welche versucht hatten rund drei Kubikmeter Bauschutt aus einer Wohnungssanierung in einem Gebüsch zu verstecken.
16 Jahre Mammutverfahren in Sachsen-Anhalt
Derartige Aktionen können getrost mit dem sprichwörtlichen Tropfen auf dem heißen Stein beschrieben werden. Rund 4 Millionen Euro gibt die Hauptstadt jährlich für die Beseitigung illegal entsorgten Abfalls aus. Längst haben die Müllvandalen ihre eigene Beseitigungsstrategie entwickelt. Wie der Rundfunk Berlin-Brandenburg Ende (rbb) vergangenen Jahres zu berichten wusste, ist das Berliner Umland besonders stark von illegalen Mülldeponien betroffen. „Hotspots der illegalen Müllablagerung“ seien die Autobahnausfahrten und umliegende Waldflächen entlang des Berliner Rings. „Neben achtlos weggeworfenen Bonbonpapieren, Haushaltsmüll, Siedlungsabfällen und ganzen Datschenmöblierungen werden laut Bericht zunehmend auch gefährliche Abfälle wie Asbest, Dämmstoffe oder Dachpappe im Wald abgeladen“, heißt es beim rbb. Allein diese Aufzählung macht deutlich, dass sich beim „Volkssport“ der illegalen Abfallentsorgung alle Schichten, vom Amateur bis zum Müllkriminellen tummeln.
Um fast eine Million Tonnen illegal entsorgten Hausmülls ging es in einem Mammutverfahren, dass Justiz und Politik in Sachsen-Anhalt rund eineinhalb Jahrzehnte beschäftigte. Bei dem Skandal ging es um die illegale Entsorgung von rund 900.000 Tonnen Hausmüll in ehemaligen Tongruben in den wenige Autominuten östlich von Magdeburg gelegenen Ortschaften Möckern und Vehlitz vor 16 Jahren. Ein Bericht des ZDF-Magazins „Frontal 21“ brachte den Skandal im März 2008 an die Öffentlichkeit und löste schließlich die Ermittlungen aus. In Pressemeldungen aus den ersten Jahren der Ermittlungen hieß es , in den Tongruben seien „über viele Jahre rund 1,3 Millionen Tonnen Haus- und Gewerbemüll, möglicherweise auch kontaminierter Krankenhausmüll, illegal eingelagert worden.“
Ehemaliger Landrat als zentrale Figur
Mit dem Urteilsspruch im Februar dieses Jahres gegen die Hauptangeklagten des Müllskandals, die für achteinhalb bzw. vier Jahre in Haft müssen, hat der Fall nun offensichtlich sein Ende gefunden. Wie ein Sprecher der Behörde sagte, muss der ehemalige Geschäftsführer einer Entsorgungsfirma und ein Mitangeklagter nun ins Gefängnis. Die Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig. Das Landgericht hat, wie der Mitteldeutsche Rundfunk berichtet, in Kombination mit weiteren Verurteilungen, unter anderem wegen Korruption und Steuervergehen, Gesamtfreiheitsstrafen gebildet. Ein Teil der verhängten Strafe gilt jedoch wegen Verzögerungen bereits als vollstreckt. Die Beseitigung der Schäden kostete Sachsen-Anhalt rund 34 Millionen Euro. Einen Teil des Geldes – so der MDR – habe sich das Land von privaten Beteiligten zurückgeholt.
Der Skandal gilt in der Bundesrepublik als einer der größten in der Geschichte dieser Art. Er hatte auch politisch für Schlagzeilen gesorgt. Der inzwischen 71-jährige ehemalige Landrat des Jerichower Landes, Lothar Finzelberg, war wegen Bestechlichkeit zu fast drei Jahren Haft verurteilt worden. Das Landgericht Magdeburg hatte es als erwiesen angesehen, dass der frühere Kommunalpolitiker von den Unternehmern „Gefälligkeiten“ angenommen und dafür im Gegenzug die illegalen Müllablagerungen ermöglicht hatte. Finzelberg, der die Vorwürfe immer bestritt, war von der Staatsanwaltschaft beschuldigt worden, Bestechungen im Volumen von mehr als 200.000 Euro angenommen zu haben. Nach Ansicht des Gerichts ließen sich nur etwa 56.000 Euro belegen. Laut dem Sprecher des Landgerichts Stendal seien die Verfahren zur Aufklärung des Skandals die umfangreichsten des vergangenen Jahrzehnts. Im Gericht hätten 280 Umzugskartons mit Akten einen ganzen Raum ausgefüllt.
Oft trifft es jedoch leider nur die „Kleinen“. Das Amtsgericht im mecklenburgischen Güstrow hat Ende vergangenen Jahres einen 37-jährigen Mann wegen illegaler Abfallbeseitigung zu einer Gefängnisstrafe von 16 Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Außerdem muss er seinen Lohn von insgesamt 6000 Euro zurückzahlen. Der Mann hatte auf der Mülldeponie in einem Wohnwagen gelebt und bei der Einlagerung geholfen. Die Suche nach den Hauptverantwortlichen für die 28.000 t illegal entsorgten Mülls – wie Asbest, Chemikalien und Mineralwolle – sind bisher nicht gefasst. Die notwendige Räumung des Geländes hat das Land Mecklenburg-Vorpommern fünf Millionen Euro gekostet.
Größter Müllskandal Schwedens
Wenn von kriminellen Müllmachenschaften die Rede ist, gehen die Blicke oft nach Osteuropa oder in die Mafia-Hochburgen Italiens. Das aber auch Länder, deren Image nicht derartig belastet ist, mit Skandalen in der illegalen Müllbeseitigung zu kämpfen haben, zeigt ein Prozess, der jetzt in Schweden begann. Vor Gericht steht Bella Nilsson, die sich selbst die „Königin des Mülls“ nennt. Die ehemalige Stripperin und Pornoclub-Managerin hatte zusammen mit ihrem Mann im Jahr 2012 die Müll Entsorgungsfirma Think Pink AB gegründet. Pink war ihr Markenzeichen, sogar der Müll wurde in rosafarbenen Säcken weggetragen. In seinen besten Zeiten hat das Unternehmen einen Umsatz von 129 Millionen Schwedischer Kronen (rd. 11,2 Millionen Euro) erwirtschaftet.
Doch dann flog alles auf. Brände auf illegalen Deponien, welche giftige Gase freigesetzt hatten, schreckten die Anwohner auf. Im Herbst 2020 griff die Polizei zu. Anstatt fachgerecht zu entsorgen, waren hunderttausende Tonnen Müll in großen Haufen abgeladen worden, die auf Land und im Wasser katastrophale Vergiftungen hinterließen. Dioxine, Arsen, synthetischer Chemikalien, Blei und Kupfer sickerte an 21 Orten im ganzen Land ein und gefährdeten die menschliche Gesundheit, schreibt ein Kolumnist von „Expressen.se“, der zu der Schlussfolgerung kommt, heute sei „die Rede vom schlimmsten Umweltskandal in der Neuzeit.“ Bella Nilsson, ihr Ehemann Thomas und der TV-Star Leif-Ivan Karlsson, der eine Zeit lang CEO des Unternehmens war, gerieten mit weiteren Tatverdächtigen ins Visier der Ermittlungen. Fünf der Personen sind nun wegen schwerer Umweltkriminalität angeklagt, ein Sechster steht wegen Beihilfe vor Gericht, fünf weitere Personen wegen einfacher Umweltkriminalität. Der Prozess soll mit 91 Verhandlungstage bis Mai 2025 dauern.
Profit mit Müllverbrennungsanlagen – die nie gebaut wurden
Eine eigene Variante der „Umweltkriminalität“ finden wir 2000 Kilometer südlich des reichen Schwedens, in einem der ärmsten Länder Europas: Albanien. Hier ist der ehemalige Finanzminister und einstige Chef der Steuerbehörde, Arben Ahmetaj auf der Flucht vor der Polizei. Zusammen mit der Müll-Mafia soll der Politiker der Sozialistischen Partei in Albanien Millionen veruntreut haben. Wie das österreichische Webportal „Exxpress.at“ Mitte vergangenen Jahres zu berichten wusste, war in der Skipetaren-Republik der Bau von Müllverbrennungsanlagen die Fassade für einen groß angelegten Betrug. Bezugnehmend auf Enthüllungen der News-Plattform “Birn”, heißt es da, die Regierung in Tirana hätte „an zwei dubiose Geschäftsleute den Auftrag für den Bau solcher Anlagen“ vergeben: „Ununterbrochen wurde Steuergeld überwiesen. Doch gebaut wurde nie. Profitiert davon haben zwielichtige Müllmanager, Beamte und sogar Journalisten. Doch das große Geld steckten vor allem korrupte Politiker ein. Wie Arben Ahmetaj. Dieser soll an der albanischen Küste mehrere Villen besitzen, verbrachte zudem viel Zeit in Luxus-Resorts.“ Albanische Journalisten enthüllten, „dass Ahmetaj derzeit in der Seestadt Lugano in der Schweiz lebt“ - als Asylbewerber.
Die hier aufgeführten Beispiele der recht unterschiedlichen Formen von Kriminalität im Bereich der Abfallentsorgung sind nur die Spitze des weltweiten Müllberges. Im Kampf gegen diese Auswüchse scheinen die Ermittler auf verlorenem Posten. Fachleute kritisieren die mangelnde personelle und finanzielle Ausstattung der Ermittlungsbehörden sowie die oftmals geradezu lächerlichen Strafen für die Täter.
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Peter Niggl
Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight