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Bestmögliche Sicherheit ist machbar

17.03.2025

Der Staat muss auf Bundes-Landes- und kommunaler Ebene dem berechtigten Grundbedürfnis der Menschen nach Sicherheit gerecht werden

Bestmögliche Sicherheit ist machbar

Keine Veranstaltung gleicht der anderen. Foto: Geoff Gill / Pixabay

Trauer, Bestürzung und Fassungslosigkeit liegen noch immer über Magdeburg.

Die Todesfahrt eines offenbar psychisch kranken und vielfach auffälligen Täters riss auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt sechs Menschen in den Tod und verletzte über dreihundert Menschen teils schwer. Hinzu kommen die mentalen Verletzungen bei den Rettungs- und Einsatzkräften, den Angehörigen und denen, die einfach nur Glück hatten, aber das Geschehen unmittelbar erlebt haben. 

Viele Menschen – nicht nur in Magdeburg – fragen aber auch zu Recht: 

Wie konnte das passieren ? Die Reaktionen in den Netzwerken und Medien zeigen eine Bandbreite von Wutgefühl bis hin zu unerträglichem Hass und politischem Nutznießertum . Viele Experten bemängeln, kritisieren und üben sich in Finger-Pointing und Schuldzuweisungen.

Und die Politik – mit sich wiederholendem Ritual - verspricht die totale Aufklärung und dass „Alles auf den Tisch muss“. Gleichzeitig verweist man nun auf laufende Ermittlungen, eingerichtete Untersuchungsausschüsse und Sondersitzungen, die hinter verschlossenen Türen laufen. Hinzu kommen wenig hilfreiche Rechtfertigungen, wie etwa das Statement der Innenministerin von Sachsen-Anhalt bei MDR-heute als sie behauptete, man könne einen Weihnachtsmarkt „nicht einbetonieren“. Niemand hätte das je verlangt und es wäre außerdem auch nicht notwendig gewesen.

Es geht um die bestmögliche Sicherheit

Was dagegen unstrittig ist: Der Staat muss auf Bundes-Landes- und kommunaler Ebene dem berechtigten Grundbedürfnis der Menschen nach Sicherheit gerecht werden. Es geht nicht um die 100%ige Sicherheit sondern um die Bestmögliche. Das wird nur gelingen, wenn wir anstatt übereinander zu reden, beginnen miteinander zu reden. Nicht Schuld zuweisen sondern Verantwortung übernehmen und eine Kultur der „gelernten Lektion“ ist der Weg, den die Menschen von Politik und Experten erwarten. 

Die schreckliche Tat in Magdeburg zeigt im Kern auf drei einfache Fragestellungen:

  1. Der Täter ist über viele Jahre mit seinen Drohungen und Ankündigungen, seinen wirren und teils menschenverachtenden Aussagen bei einer Vielzahl von Sicherheitsbehörden, bei Migrationsbehörden und bei der Justiz auffällig. Trotzdem erhält er Asyl und darf als Facharzt für Psychologie im Strafvollzug arbeiten.
  2. Der Magdeburger Weihnachtsmarkt hatte ein Sicherheitskonzept, welches vom Veranstalter aufgestellt und von der Stadt Magdeburg abgenommen und genehmigt wurde. 
  3. Die tatsächliche physische und personelle Umsetzung des Sicherheitskonzeptes durch den Veranstalter, die Polizei und weitere Sicherheitskräfte vor Ort.

Alle drei Fragestellungen sind vor dem Hintergrund der bekannten allgemeinen Sicherheitslage und den Gefährdungshinweisen auf Weihnachtsmärkte im Besonderen zu betrachten. Die erste Fragestellung wird die Bundes- und die Länderebenen in vielfältigen Sitzungen der Innenausschüsse beschäftigen und bringt schon jetzt Erstaunliches und Befremdliches zu Tage. Die Fragestellungen Zwei und Drei allerdings, das sind die Basics – das Einmaleins der Schaffung und Gewährleistung von bestmöglicher Sicherheit vor Ort. 

Ganzheitliche Sicherheitskonzepte zu erstellen ist kaum noch leistbar

Ist die Erwartung von bestmöglicher Sicherheit gerechtfertigt und umsetzbar ? Eindeutig Ja, denn wir besitzen sowohl die theoretischen Grundlagen und Expertisen für die Erstellung von ganzheitlichen Sicherheitskonzepten als auch die entsprechenden technischen Möglichkeiten. Laut dem Deutschen Schausteller Bund (DSB) finden in Deutschland pro Jahr ca. 10.000 Volksfeste und 3.000 Weihnachtsmärkte statt. Nicht eingerechnet die Vielzahl an Sportevents, Konzerten, Musikevents, Märkten, Straßenfesten und Brauchtums-Veranstaltungen.

Bei dieser Menge und Vielfalt ist es für die Städte- und Kommunen und deren Verwaltungen – insbesondere der zuständigen Ordnungsämter –im Kontext der existierenden und dynamischen Sicherheitslage, der Zunahme von Amok- und Messerangriffen und der Anforderungen an die allgemeinen Gewaltprävention kaum noch leistbar, ganzheitliche Sicherheitskonzepte zu erstellen.

Die Erstellung und Umsetzung solcher Sicherheitskonzepte bilden auf kommunaler Ebene das letzte Glied in der Kette der Sicherheitsmaßnahmen und erfordern adäquate Ressourcen, Kompetenzen und finanzielle Mittel. Doch nicht jede Kommune ist gleichermaßen ausgestattet und oft sind die kommunalen Verwaltungen auf sich allein gestellt. Die Vorbereitung, die Planung, die Einbindung aller Beteiligten, die technische und organisatorische Umsetzung und letztlich die Abnahme und Genehmigung sind ein komplexes Gebilde.

Wie sieht das Gesamtbild des Veranstaltungsschutzes aus Sicht der täglichen Praxis eines externen Fachplaners aus? Diese Frage stellten wir Benjamin Coppik, Geschäftsführer der Firma AES-Konzept mit Sitz in Frankfurt am Main und Oberursel. Er ist mit seinem Planungsteam seit vielen Jahren Fachplaner für Veranstaltungssicherheit und Zufahrtschutz. Er engagiert sich außerdem im Fachverband BVVS-Bundesverband Veranstaltungssicherheit.

Keine Veranstaltung gleicht der anderen

Coppik bestätigt die zunehmende Komplexität der Planung von Sicherheitskonzepten. Die Vielfalt der Veranstaltungen und die dynamische Sicherheitslage stellt die kommunalen Verantwortungsträger als auch die Polizeien und Feuerwehren vor zunehmende Probleme. Keine Veranstaltung gleicht der anderen und muss jedes Mal neu bewertet werden. Die Aufbauten und der Charakter einer Veranstaltung verändern sich, die Besucherzahlen wachsen, die Topografie der Veranstaltungsflächen sind nie gleich, die entsprechend unterschiedlichen  Anforderungen an die Verkehrsführung und Besucherlenkung sind zu berücksichtigen. Bei innerstädtischen Flächen müssen Zufahrtschutz-Konzepte an die Bedürfnisse der umliegenden Bebauung und der Anwohnerschaft angepasst werden.

Benjamin Coppik verweist aber auch auf die positive Entwicklung bei den Herstellern von technischen Zufahrtssperren. Sowohl bei den festen Sperreinrichtungen als aber insbesondere auch bei mobilen Sperren gibt es bemerkenswerte Fortschritte. Allerdings macht dies umgekehrt eine sorgfältige und fachlich fundierte Auswahl der geeigneten und am Schutzziel ausgerichteten Sperren erforderlich. Nicht jede Sperre ist für jeden Untergrund und jeden Flächenabschnitt geeignet. Welche Eindringtiefe lässt die Sperre zu und wie weit müssen Aufbauten und Besucher entfernt bleiben. 

Belange der Feuerwehren und Rettungsdienste – insbesondere im Hinblick auf die Absicherung von Rettungs- und Fluchtwegen – müssen zwingend berücksichtigt werden. Alles das ist laut Benjamin Coppik plan- und umsetzbar – aber eben nicht mit dem Produkt von der Stange oder dem statischen Betonblock. Nicht selten müssen unterschiedliche Produkte von verschiedenen Herstellern zur Absicherung einer Veranstaltung eingesetzt werden. Das kostet Geld und personelle Ressourcen bis hin zum Training von Sicherheitskräften, wenn es um die Bedienung von mobilen Sperren bei Rettungswegen geht.

Komplexität der Planung und Vielfalt der Rollenverteilung

Interessant in diesem Zusammenhang ist aber auch, dass es für diese Komplexität der Planung und der Vielfalt der Rollenverteilung der Beteiligten  keine eindeutige Rechtsgrundlage gibt. In Deutschland kennen wir auf Ebene der Länder die jeweils gültigen Versammlungsstätten-Verordnungen, die genaue Vorgaben und Planungshinweise geben und die Genehmigungs- und Rechtsgrundgrundlage für die Durchführung von Veranstaltungen- und Versammlungen sind. Aber ein Weihnachtsmarkt oder ein Straßenfest fällt in der Regel nicht unter diese Verordnung. Wie also sieht die Rechtsgrundlage aus?

Meistens erfolgt die Ableitung für eine Genehmigung je nach Art der Veranstaltung aus der Straßenverkehrsordnung ( Sondernutzung von Verkehrsflächen ) sowie aus möglicherweise weiteren tangierten Einzelvorschriften wie etwa dem BImSchG, der Gewerbeordnung oder lokalen Bauvorschriften. Wenn wir über das Schutzziel Leben und körperliche Unversehrtheit sprechen darf an dieser Stelle sicherlich gefragt werden, ob dies noch angemessen ist.

Glücklicherweise gibt es bereits freiwillige Initiativen der Privatwirtschaft und der Errichter, als auch der Polizeien der Länder, um auf Basis einer Empfehlung, einer Planungshilfe oder Handreichung bei der Auflösung der komplexen Fragestellungen zu unterstützen. Hervorzuheben sind hier sicherlich die Empfehlungen der Polizei zum Schutz vor Überfahrtaten oder die Handreichung „Zufahrtsschutz kompakt“ des BHE. Beide Dokumente verweisen ebenfalls auf entsprechende DIN-Normen insbesondere beim Einsatz von zertifizierten Sperren.

Keine neuen Gesetze oder mehr Bürokratie – aber zumindest eine ganzheitliche Planungshilfe für die Veranstalter und kommunalen Verwaltungen und Verantwortungsträger wäre hilfreich. Benjamin Coppik unterstreicht dies. Der Verband BVVS hat hierzu eine Arbeitsgruppe „Zufahrtsschutz“ eingerichtet, um in Kürze eine entsprechende Planungshilfe zur Abdeckung der einzelnen Aspekte den Verantwortlichen anzubieten. Eingebunden ist ebenso der Bund-Länder offene Workshop des BVVS für Sicherheits- und Ordnungsdienste.

Fazit:

Der Schutz von Veranstaltungen ist und bleibt insbesondere an der Basis für den Schutz von Besuchern vor Ort ein komplexes und anspruchsvolles Thema. Aber, Schutzkonzepte dürfen in ihrer Wirkung nicht abschrecken, sondern den Besuchern ein unbeschwertes Veranstaltungserlebnis ermöglichen.

Und es sei die Frage erlaubt, wo ist das Ende? Wo liegt das gesellschaftlich akzeptierte Restrisiko ? Können wir jede Brauchtumsveranstaltung, jeden Umzug und jedes Straßenfest adäquat schützen und vor allem wollen wir das ? Für die Ausrichtung von Weihnachtsmärkten war die Bedrohungslage allerdings bekannt!

Wir sollten miteinander Zuständigkeits- und Rollenbarrieren abbauen und mehr in Richtung der Schutzziele und Anforderungen denken. Bestmögliche Sicherheit ist machbar.

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Michael Sorge

Michael Sorge war bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2018  Chief Security Officer im Bayer-Konzern und mit Neuausrichtung und Neuorganisation der Konzernsicherheit betraut. Seit dem ist er als Senior Consultant der Firma Proteus.One tätig. In dieser Funktion unterstützt er bei der Beratung von Konzernen, Familienunternehmen und großen Sportorganisationen in den Bereichen strategisches Sicherheits- und Krisenmanagement, Sicherheitsorganisation und Behördenmanagement sowie Recruiting.

Von 2022–2024 war er als Berater für die NFL sowie den Hauptsponsor der Fußball-EM im Hinblick auf die Einführung und Umsetzung der Sicherheitsvorkehrungen sowie das notwendige Behörden- und Genehmigungsmanagement verantwortlich. 

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