Impfpflicht kann nicht einfach angeordnet werden
Der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke antwortet auf Fragen von Peter Niggl
Im Laufe dieses Jahres werden sich die Auseinandersetzungen, die sich um das Thema Impfungen drehen mit Sicherheit zuspitzen. Dies wird auch zu komplizierten Situationen in der Sicherheitsbranche kommen. Vor allem private Sicherheitsdienstleister sind in der Regel Diener vieler Herren.
SECURITY insight: Wie soll oder muss sich ein Sicherheitsunternehmer verhalten, wenn ein Kunde ausschließlich geimpfte Mitarbeiter zum Einsatz kommen lassen will, ich nenne als Beispiel die Sicherheit in Fußballstadien?
Christian Solmecke: Da die Vertragsbeziehung zwischen dem Sicherheitsunternehmen und seinem Kunden, z. B. einem Stadionbetreiber, privatrechtlicher Natur ist, kann der Kunde aufgrund seiner Privatautonomie zulässigerweise bestimmen, dass nur geimpfte Mitarbeiter des Sicherheitsunternehmens zum Einsatz kommen dürfen. Für das Sicherheitsunternehmen, welches auf die Aufträge seiner Kunden angewiesen ist, ist die Situation dann natürlich schwierig. Gegenüber den angestellten Sicherheitsleuten kann er als Arbeitgeber nämlich nicht ohne weiteres eine Impfpflicht anordnen. Hierfür müsste es eine gesetzliche Grundlage geben.
„Ein Unternehmen kann sich nicht einfach auf sein Weisungsrecht als Arbeitgeber berufen.“
Das Sicherheitsunternehmen kann sich nicht einfach auf sein Weisungsrecht als Arbeitgeber berufen, wenn es seine Mitarbeiter zu einer Impfung verpflichtet. Hier sollte man als Sicherheitsunternehmen auf jeden Fall mit seinen Kunden in Verhandlung treten und darauf hinweisen, dass man als Arbeitgeber nicht einfach eine Impfpflicht gegenüber seinem Personal anordnen darf. Der Kunde wird darauf eingehen müssen. Schließich ist er auch auf die Dienstleistungen des Sicherheitsunternehmens angewiesen.
In der Ausübung ihrer Tätigkeit unterliegen die Luftsicherheitsassistenten den Vorgaben der Bundespolizei. Könnte diese ihrerseits darauf bestehen, ausschließlich geimpftes Personal einzusetzen?
Einerseits schließt die Bundespolizei mit den Luftsicherheitsunternehmen, die sie beauftragt, privatrechtliche Verträge. Aufgrund ihrer Vertragsfreiheit kann sie es in den Verträgen zur Bedingung machen, dass die bei den Luftsicherheitsunternehmen angestellten Luftsicherheitsassistenten geimpft sein müssen. Die Bundespolizei ist als Bundesbehörde aber auch unmittelbar an Grundrechte gebunden. Hier ist zu berücksichtigen, dass die genannte vertragliche Bedingung einen erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit der beauftragten Luftsicherheitsunternehmen sowie in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und die Allgemeine Handlungsfreiheit der Luftsicherheitsassistenten bedeuten würde. Meiner Ansicht nach müsste es für einen solchen Eingriff in jedem Fall eine gesetzliche Grundlage geben.
Weitere Mitspieler in dieser Runde sind die Fluggesellschaften. Können sie ihrerseits auf die Einhaltung entsprechender Vorgaben pochen? (Die australische Fluggesellschaft Qantas hat z. B. bereits angekündigt, künftig nur geimpft Passagiere befördern zu wollen)
Grundsätzlich können sich private Unternehmen, wie auch Fluggesellschaften, nach deutschem Recht auf ihr Hausrecht berufen, wenn sie nur geimpfte Passagiere an Bord lassen wollen. Aufgrund des Prinzips der Privatautonomie im Zivilrecht können sie frei darüber entscheiden, wem sie unter welchen Bedingungen Einlass gewähren und wen sie bedienen. Dementsprechend können sie auch die Vorlage eines Impfausweises verlangen und bestimmen, dass nur Personen, die bereits geimpft sind, Zutritt haben. Es gibt im deutschen Zivilrecht zwar auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, welches Diskriminierung im Zivilrechtsverkehr verbietet. Demnach ist eine Benachteiligung aber nur aus bestimmten Gründen verboten, z. B. wegen der Rasse, der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts. Bei Fluggesellschaften oder anderen öffentlichen Verkehrsmitteln ist allerdings zusätzlich auch noch zu berücksichtigen, dass sie eine Beförderungspflicht gegenüber allen Personen, auch Nicht-Geimpften, haben. Dann müssen alternative Lösungswege gefunden werden, um die anderen Reisenden vor Infektionsgefahren zu schützen. Die Lufthansa hat zum Beispiel angekündigt, sie würde von den Passagieren künftig einen Impfnachweis oder einen negativen Corona-Test verlangen.
Dann bleiben noch die Fluggäste selbst. Wie steht es um ihr Recht, größtmögliche gesundheitliche Sicherheit einzufordern und nur von Personal mit entsprechender Impfung kontrolliert zu werden?
Auch hier lautet das Stichwort Vertragsfreiheit. Den Fluggästen steht es ja frei, in die Beförderungsbedingungen der Fluggesellschaft einzuwilligen und den Flug wahrzunehmen oder nicht. Wenn sie sich auf die entsprechenden Beförderungsbedingungen einlassen, können sie darüber hinaus nicht einfach weitere Forderungen stellen.
Auch das Personal des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs muss seinen Dienst u.U. mit sehr engem Kontakt zu den Fahrgästen verrichten. Auch hier wäre wieder die Frage nach den Rechten des Dienstherrn beziehungsweise des Kunden/Fahrgastes.
Hier gilt ebenso das bereits Gesagte. Der Arbeitgeber darf eine Impfpflicht des Personals nicht einfach ohne rechtliche Grundlage anordnen und eine solche gibt es bisher nicht. Auch die Fahrgäste des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs lassen sich auf die dort geltenden Beförderungsbedingungen ein und können darüber hinaus nicht einfach fordern, nur von geimpftem Personal kontrolliert zu werden.
Wenn eine Impfpflicht, weil rechtlich nicht durchsetzbar oder politisch nicht gewollt, nicht zum Tragen kommen würde, stellt sich die Frage, welche anderen Anreize geschaffen werden könnten, um eine „freiwillige Impfung“ durchzusetzen nicht nur legitim, sondern auch rechtlich korrekt wären. Wo würden in diesem Fall die Grenzen verlaufen?
„Impfprämie wäre nach dem deutschen Arbeitsrecht grundsätzlich zulässig.“
Als eine Möglichkeit, Anreize zu schaffen, wird bezogen auf Arbeitsverhältnisse vielfach diskutiert, ob Arbeitnehmern Impfprämien gewährt werden sollen, wenn sie sich impfen lassen. Das wäre nach dem deutschen Arbeitsrecht grundsätzlich zulässig. Natürlich muss dabei gleichzeitig der Betriebsfrieden aufrechterhalten bleiben. Die Bereitstellung von Impfprämien darf nicht zu einer Spaltung der Mitarbeiterschaft führen, sodass sich Arbeitnehmer, die eine Impfung verweigern, benachteiligt fühlen.
Damit stellt sich natürlich auch die Frage, welche Gegenmaßnahmen durch Unternehmen ergriffen werden dürfen. Sind Kündigungen gegenüber Impfverweigerern als Ultima Ratio zur Aufrechterhaltung der Betriebsabläufe denkbar? Wann ist diese gegeben?
Ohne eine gesetzliche Impfpflicht wäre eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber Impfverweigerern aktuell tatsächlich nur als ultima ratio denkbar. Man könnte über eine personenbedingte Kündigung wegen des Wegfalls der Eignung des Arbeitnehmers nachdenken. Dafür müsste allerdings die Gesundheit der Mitarbeiter und Kunden des Impfverweigerers in besonderem Maße gefährdet sein. Davon ist bei einem ungeimpften Mitarbeiter am ehesten noch in Pflege- oder sonstigen medizinischen Berufen auszugehen. Vorher müsste außerdem überprüft werden, ob es andere unbedenklichere Einsatzmöglichkeiten im Unternehmen für den ungeimpften Beschäftigten gibt.
Könnte eine Verweigerung der Impfung als Störung des Betriebsfriedens im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ausgelegt und sanktioniert werden?
Wann eine Störung des Betriebsfriedens vorliegt, ist rechtlich nicht definiert. Es muss hier stets eine Einzelfallbewertung getroffen werden. Typische Fälle der Störung des Betriebsfriedens sind allerdings Beleidigungen, körperliche Angriffe oder Diskriminierungen durch Arbeitnehmer, die dann unter Umständen abgemahnt werden. Wenn jemand sich aus Gewissensgründen oder gesundheitlicher Vorsicht nicht impfen lassen möchte, halte ich es für abwegig, hier über eine Störung des Betriebsfriedens nachzudenken, selbst wenn dadurch Unmut bei den Kollegen ausgelöst wird. Schließlich hat der Ungeimpfte möglicherweise nachvollziehbare Gründe für seine Entscheidung. Er stört hier in der Regel nicht mutwillig den Betriebsfrieden.
"Rechtsanwalt Christian Solmecke, Rechtsanwalt und Partner der Kölner Medienrechtskanzlei Wilde Beuger Solmecke ist vor allem mit Beiträgen zu juristischen Fragen auf YouTube einem Millionenpublikum bekannt"