Direkt zum Inhalt

Messerangriffe in Deutschland: Neue Zahlen, Ursachen und Sicherheitsstrategien

13.10.2025

Alle 18 Minuten ein Messerangriff in Deutschland. Neue Zahlen zeigen eine besorgniserregende Entwicklung – Experten fordern bessere Prävention und Sicherheit.

Messerangriffe in Deutschland: Neue Zahlen, Ursachen und Sicherheitsstrategien

Die steigende Gewalt mit Stichwaffen wird zunehmend zur Herausforderung für Sicherheitsbehörden und politische Entscheidungsträger.
Foto: www.istockphoto.com / Ralf Geithe

Willkürliche Messerattacken sind nicht neu, werden aber gegenwärtig vielerorts zu einem Problem

Der Oberbürgermeister der Ruhrmetropole Essen, Thomas Kufen (CDU), hat schärfere Waffenkontrollen an Schulen vorgeschlagen. Ausschlaggebend hierfür war der Angriff am 5. September auf eine Lehrerin an einer Berufsschule durch einen 17-Jährigen. Die 45-Jährige war schwer verletzt worden und musste notoperiert werden; der Täter wurde auf der Flucht durch Schüsse der Polizei erheblich verletzt. Er stammt laut Medienberichten aus dem Kosovo. Die Tat hat die seit geraumer Zeit geführte Debatte, wie solche Straftaten eingedämmt werden können, weiter angefacht. 

Schon in der am 2. April dieses Jahres von der Bundesinnenministerin vorgestellten Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2024 war hervorgehoben worden, diese enthalte „erstmals Daten zu Messerangriffen und Aussagen zur Entwicklung der Tatverdächtigenzahlen von Deutschen und Nichtdeutschen unter Berücksichtigung der Bevölkerungsentwicklung durch die neu für alle Tatverdächtigen eingeführte ‚Tatverdächtigenbelastungszahl‘.“

Was aber können reine Zahlen aussagen? 2024 registrierte die Polizei in Deutschland 29.014 „Messerangriffe“, d. h. etwa alle 18 Minuten eine derartige Tat. 54,3 Prozent dieser Angriffe werden dem Bereich der Gewaltkriminalität zugeordnet, 43,3 Prozent dem Delikt einer „Bedrohung“. Ernüchterndes Fazit des Bundeskriminalamtes: Der Anteil der als „Messerangriff“ erfassten Taten, welche der gefährlichen und schweren Körperverletzung zugeordnet werden müssen, sei im Vergleich zum Vorjahr um 10,8 Prozent angestiegen.

Eine vergleichbare Entwicklung muss beispielsweise auch unser südliches Nachbarland Österreich konstatieren. Laut dem Portal „statista.de“ wurden dort 2024 „rund 2.600 Gewalttaten bei der Polizei zur Anzeige gebracht, bei denen Stichwaffen verwendet, mitgeführt oder deren Einsatz angedroht wurden.“ Damit sei „die Zahl der Gewaltdelikte mit Messern das vierte Jahr in Folge und auf den höchsten Stand im Beobachtungszeitraum“ gestiegen. 

Angriffe auf Lehrerkräfte sind keine neue Erscheinung

Für Deutschland konstatierte die Wochenzeitung „Die Zeit“ im März vergangenen Jahres: „Jeder Fünfte nimmt ein Messer mit in die Schule“. Ganz neu ist das Phänomen eines Messerangriffs von Schülern auf Lehrkräfte in Deutschland nicht. Schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert erregte ein solches Verbrechen bundesweites Aufsehen. Am 9. November 1999 war ein 15-jähriger Schüler maskiert in ein Klassenzimmer des Franziskaneum Gymnasiums im sächsischen Meißen gestürmt und hatte auf die 44-jährige Deutsch- und Geschichtslehrerin Sigrun Leuteritz eingestochen, die in den Armen eines Kollegen ihren Verletzungen erlag. Ein halbes Jahr nach dem Mord sprach die Große Jugendkammer des Landgerichts Dresden ihr Urteil: Der Messerstecher Andreas S. wurde wegen heimtückischen Mordes zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Anlass der Tat sei eine Wette über 1.000 Mark mit Mitschülern gewesen, ob S. sich traue, die Lehrerin während des Unterrichts zu töten.

Messerattacken aus heiterem Himmel sind also nicht neu, die Zunahme ihrer Häufigkeit dennoch besorgniserregend. Und bei weitem nicht nur Schulen in denen solche Angriffe stattfinden. Praktisch ist jeder Lebensraum gefährlich, wenn man nicht wie die Romanfigur Robinson Crusoe allein auf einer Insel lebt. 

Experten sehen Verbote im ÖPNV kritisch

Die meisten Bundesländer haben die Möglichkeit zur Einrichtung von Messerverbotszonen wahrgenommen. Dies meldete im April dieses Jahres „Die Zeit“ unter Berufung auf eine Umfrage der Nachrichtenagentur epd, in der ermittelt worden war, dass zwölf Bundesländer seit dem sogenannten Sicherheitspaket solche Zonen eingerichtet hätten oder dies planten. Im vergangenen Jahr war nach dem Attentat in Solingen das zum Teil als unzureichend bezeichnete Sicherheitspaket verabschiedet worden.

In der Umsetzung der Maßnahme konnte man ab Mitte Juli dieses Jahres für kurze Zeit in den Verkehrsmitteln und Bahnhöfen der Berliner Nahverkehrsgesellschaft BVG die Ansage hören: „Damit sich alle Fahrgäste sicher fühlen, ist das Mitführen von Messern und anderen gefährlichen Gegenständen in allen Bussen, Bahnen und Bahnhöfen verboten.“

Zum Start des Verbots am 17. Juli waren mehr als 100 Polizisten der Landespolizei im Einsatz, um auf den Bahnhöfen und in den Verkehrsmitteln der BVG gezielt Fahrgäste auf Messer und andere Waffen zu kontrollieren. Parallel war auch die Bundespolizei in den S-Bahnen und Sicherheitskräfte der Verkehrsbetriebe unterwegs. Erste Erfolgsmeldung: Bei 600 Kontrollen wurden elf Messer beschlagnahmt.

Kritische Stimmen zur BVG-Ansage kommen aus Fachkreisen. Die Tageszeitung „BZ“ zitiert Janine Neuhaus von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Die Expertin vertrat mit besonderem Blick auf Kinder und Jugendliche die Ansicht: „Ich finde die aktuellen Ansagen in den öffentlichen Verkehrsmitteln – man dürfe hier keine Messer tragen – höchst problematisch, weil es die Aufmerksamkeit darauf lenkt. Das heißt, es schafft einen Anreiz – es bleibt kognitiv im Gehirn hängen.“

Bundestag stellte schon 1964 die häufige Nutzung von Springmessern fest

Eine annähernde Größenordnung, wie viele Messerstraftaten durch diese Maßnahmen verhindert wurden oder werden, wird sich wohl kaum ermitteln lassen. Messerangriffe sind ein gesellschaftliches Problem, das sich durch spezielle Maßregelungen kaum aus der Welt schaffen lässt.

Schon vor über sechs Jahrzehnten wurde im Entwurf eines Bundeswaffengesetzes (Drucksache IV/2883) im Dezember 1964 festgestellt: „Springmesser sind häufig bei der Begehung von Straftaten, besonders bei Messerstechereien, verwendet worden. Unter das Verbot fallen nur Messer, die mehrseitig scharf geschliffen und damit offenkundig als Stichwaffen bestimmt sind.“ Da es in dieser Zeit keine entsprechenden Erhebungen gab, muss diese Aussage als eindeutiges Indiz gewertet werden, dass Straftaten mit Messern schon damals als ernstzunehmendes Problem wahrgenommen wurden.

Dies mag unter anderem daran gelegen haben, dass in diesen Jahren mit den neu in der Bundesrepublik gekommenen Arbeitskräften aus anderen Ländern (gemeinhin als „Gastarbeiter“ apostrophiert) auch eine Zunahme gewaltsamer Konflikte – nicht selten mit Messern ausgetragen – zu verzeichnen war.

In der heute zur Diskussion stehenden Problematik lediglich ein da capo der Herausforderungen vor einem guten halben Jahrhundert zu sehen, greift jedoch zu kurz. Zwar wurden die Motive damals wie heute wenig oder gar nicht systematisch erforscht, es kann jedoch zumindest partikular festgestellt werden, dass es sich heute bei Straftaten mit Messern weniger um persönliche oder milieubezogene Konflikte handelt, stattdessen mehr die Ablehnung der hiesigen Lebensweise eine dominierende Rolle spielt. Die Opfer bis hin zu Kleinkindern sind oft nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.

Schlachtrufe als Indikator

Zum eingangs beschrieben Messerangriff auf eine Lehrerin in Essen, hieß es beispielsweise wenige Tage nach der Tat, die Hintergründe und das Motiv würden derzeit noch ermittelt.  Dies habe der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) mitgeteilt. Eingebunden in die Ermittlungen sei, wie der WDR berichtet, nun auch der Staatsschutz: „Aus der ersten Auswertung der sichergestellten Datenträger lassen sich nämlich Hinweise auf eine religiös motivierte Tat erkennen.“ Es gehe dabei um Videos, die der Tatverdächtige angefertigt hat. Später ergänzte Reul, dass sich Hinweise auf einen islamistisch motivierten Hintergrund verdichteten. Laut Sicherheitskreisen soll der 17-Jährige in einem Video die Tat kommentiert haben. Darin soll er als Begründung für die Tat angegeben haben, die Lehrerin habe den Propheten beleidigt. Zudem soll er mehrmals „Allahu Akbar“ (Gott ist am größten) gerufen haben. Um diesen Schlachtruf geht es immer wieder. So zum Beispiel auch, als der Somalier Abdirahman Jibril A., am 25. Juni 2021 in der Würzburger Altstadt bei einem Amoklauf mit einem Messer mehrere Menschen ermordete und verletzte. Der Täter stach zuerst in einem Kaufhaus und danach auf der Straße auf die Opfer ein. Dabei tötete er drei Frauen und verletzte fünf weitere Personen schwer.

Vergleichbare Situation: Mit einem Messer in der Hand ist ein Mann am 15. Februar dieses Jahres in Villach im Süden Österreichs auf mehrere Passanten losgegangen. Ein 14-Jähriger kam dabei ums Leben. Bei dem Tatverdächtigen handelt es sich nach Angaben der Polizei um einen 23-jährigen Geflüchteten aus Syrien, der eine Aufenthaltsberechtigung für Österreich besitzt. Augenzeugen berichteten, er habe ebenfalls „Allahu Akbar“ gerufen.

Irritierende Stellungnahme von Politikerin

Ob in einer Zeit derartiger Verbrechen Politiker immer den richtigen Ton treffen, ist fraglich. Die ehemalige Berliner Staatssekretärin, Sawsan Chebli, hat ausgerechnet in den Tagen intensiver Diskussionen um politisch motivierte Gewalt mit einem Posting auf Instagram eine kontroverse Diskussion ausgelöst und für Irritationen gesorgt. Die in Berlin geborene SPD-Politikerin mit palästinensischen Wurzeln äußerte sich Anfang Januar in dem Netzwerk zu  ihrem Empfinden nach ausländer- und fremdenfeindlichen Tendenzen in Deutschland. Sie endet dann, wie „Die Welt“ berichtet, mit einem Appell: „Es ist unfassbar, dass wir so weit gekommen sind“, so Chebli. „Bitte gebt nicht auf! Es ist auch euer Land.“ Und beschwört: „Demographie wird Fakten schaffen.“ Ob sie sich über die Konsequenz, dass Irregeleitete dies als Aufforderung verstehen könnten, bei den demographischen Fakten gewaltsam nachzuhelfen, im Klaren war, muss bezweifelt werden.

Wie schon am Beispiel Österreichs gezeigt, haben auch die Nachbarländer Deutschlands ihre Schwierigkeiten mit zunehmender Messergewalt. Mitte März 2023 meldeten die niederländischen Medien, dass das dortige Forensische Institut (NFI) eine Messerdatenbank eingerichtet habe, um Messerstechereien besser untersuchen zu können. Das Institut sei besorgt über die zunehmende Messergewalt unter jungen Menschen in den Niederlanden. Laut Mikrospuren-Ermittler Martin Janssen würden die Messer „immer größer“. Es handele sich nicht um Küchenmesser, sondern um „Messer mit sägeähnlicher Verzahnung, Hackmesser und sogenannte Rambo-Messer“. 

Allein im Jahr 2022 gab es laut einer Umfrage der niederländischen Nachrichtenagentur ANP mindestens 70 Messerstechereien mit Beteiligung Minderjähriger. Die niederländische Polizei verfügt zwar nicht über genaue Zahlen, aber es ist klar, dass die Zahl der Messerstechereien in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Dies gilt auch für die Zahl der Festnahmen von Minderjährigen mit Messern. Im Jahr 2019 waren es 33, im Jahr 2022 bereits 355 Personen.

London verzeichnete stärksten Anstieg der Messerkriminalität

Dramatisch lesen sich Zahlen aus Großbritannien. In einer Aufstellung des an Sicherheitskräfte gerichteten Webportal „Get Licensed“ wurde am 5. Dezember vergangenen Jahres zusammengefasst: „Die Londoner City verzeichnete den stärksten Anstieg der Messerkriminalität mit einem Anstieg von 72,73 Prozent in den letzten fünf Jahren. Dieser Bereich verzeichnete auch den höchsten Anstieg im Vergleich zum Vorjahr aller Polizeibezirke. Allein zwischen April 2021 und März 2022 stieg die Messerkriminalität um 192,86 Prozent. In den letzten zwölf Monaten stieg die Zahl der Vorfälle weiter an, mit einem weiteren Anstieg um 40 Prozent.“ Messerkriminalität sei ein Problem, das Gemeinden in ganz England betrifft, von geschäftigen Großstädten bis hin zu ruhigeren Ortschaften, heißt es dort. Jüngsten Regierungsdaten zufolge wurden zwischen Juli 2023 und Juni 2024 fast 50.000 schwere Messerdelikte registriert – eine beunruhigende Zahl, die den Ernst des Problems verdeutlicht.

Ein Messerangriff eines Chinesen im Oktober vergangen Jahres auf mehrere Kinder in Zürich-Oerlikon veranlasste das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) zu einem überkontinentalen Blick auf das Phänomen. Darin wird festgestellt: „In Europa – zum Beispiel in Großbritannien, Deutschland und auch der Schweiz – kam es in den letzten Monaten immer wieder zu Messerattacken. Wenig bekannt ist hierzulande, dass es in den letzten Jahren auch in China regelmäßig solche Angriffe gab.“ Einen Aspekt dieser Messergewalt glaubt die „Neue Zürcher Zeitung“ zu kennen, wie sie im September 2024 schreibt: „Ein zehnjähriger Schuljunge aus Japan ist nach einem Messerangriff in Südchina gestorben. Es ist der dritte Angriff gegen Ausländer innerhalb kurzer Zeit. Kritiker sehen die Schuld für die Gewaltspirale in Xi Jinpings Außenpolitik und Propaganda.“

Liegt hier tatsächlich ein Quäntchen Wahrheit, dass die „große“ Politik direkte Auswirkungen auf das (kriminogene) Verhalten des einzelnen Bürgers hat? Es wäre zumindest ein Aspekt, der bei einer fundamentierten Motivanalyse eine Rolle spielen müsste – aber auf der politischen Ebene nicht unbedingt sofort Unterstützung finden wird.

Von Thomas Schuster



Daten & Fakten

 

Deutschland

Die Daten zu Messerangriffen werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamtes (BKA) erfasst. Eine gesonderte Erfassung als „Messerdelikt“ findet seit 2019 statt.

  • 2023: 8.954 Straftaten unter Einsatz eines Messers.
  • 2022: 8.160 Straftaten.
  • 2021: 7.509 Straftaten.
  • 2020: 6.703 Straftaten.
  • 2019: 6.307 Straftaten.


Quelle: Bundeskriminalamt (BKA), Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 2019-2023.
 

Frankreich

In Frankreich werden Statistiken zu Straftaten vom nationalen Statistikdienst des Innenministeriums (SSMSI) veröffentlicht. Die Daten sind nicht immer detailliert nach Waffentyp verfügbar.

  • 2023: 18.000 registrierte Angriffe mit einer Stichwaffe (inkl. Messer).
  • 2022: 17.000 registrierte Angriffe.
  • 2021: 15.000 registrierte Angriffe.


Quelle: Französisches Innenministerium, Service statistique ministériel de la sécurité intérieure (SSMSI), Jahresberichte zur Kriminalität.
 

Polen

Die polnische Polizei (Komenda Główna Policji) sammelt und veröffentlicht Kriminalitätsstatistiken. Messerdelikte sind oft in der Kategorie „Straftaten gegen Leben und Gesundheit mit gefährlichen Werkzeugen“ enthalten, was die genaue Erfassung von Messerangriffen erschwert.

  • 2023: 15.540 Straftaten, bei denen eine gefährliche Waffe verwendet wurde (inkl. Messer, aber auch Schusswaffen und andere).
  • 2022: 15.429 Straftaten.
  • 2021: 15.390 Straftaten.


Quelle: Polnische Polizei, Kriminalitätsstatistik-Jahresberichte (Statystyka Policji).

 

Mehr Artikel vom Autor

Aktuell zum Thema