Normen und Richtlinien besser verstehen
Normen gelten häufig als „allgemein anerkannte Regeln der Technik“ (aaRdT) und sind damit die Grundlage für das Planen, Errichten, Inbetriebnehmen und Instandhalten von sicherheitstechnischen Anlagen. Häufig jedoch sind Normen und Richtlinien für alle Baubeteiligten schwer verständlich. Die SicherheitsPraxis sprach über die Vorteile von Normen und eine effektive Nutzung mit Christian Kühn, Geschäftsführer des Berliner Sicherheitsfacherrichters Schlentzek & Kühn und Vorsitzender der ZVEI-Arbeitsgemeinschaft Errichter und Planer.
SicherheitsPraxis: Wie gehen Sie in der Praxis mit Normen und Richtlinien um und gibt es hierfür konkrete Beispiele, die Sie schildern können?
Christian Kühn: Normen sind bei Schlentzek & Kühn die Grundlage für nahezu jedes Projekt. Wir gleichen die Schutzziele der Normen mit den konkreten Bauwerksanforderungen ab und setzen das Ergebnis dann um. Eine gute Normenkenntnis spart uns gerade bei größeren oder komplexeren Projekten Zeit und mindert unser Haftungsrisiko, vor allem wenn Normeninhalte aaRdT darstellen. Umgekehrt nehmen wir als DIN-Mitglied Praxiserfahrungen mit in die Ausschüsse, um Normen verständlicher zu machen und zu vereinfachen. Wir machen Normen damit sozusagen baustellentauglich. Der Grund dafür ist, dass vor allem ältere Normen überwiegend von Produktherstellern formuliert worden sind. Zwar wurden dabei auch Anwendungsanforderungen formuliert, häufig jedoch ohne die nötige Expertise dafür zu besitzen. Die Folge waren Rückfragen von Handwerkern und Errichtern sowie letztendlich auch Anwendungsfehler, die Projekte verzögerten und verteuerten.
SicherheitsPraxis: Was raten Sie anderen Facherrichtern?
Christian Kühn: Normen und Richtlinien sollten nicht als starre Arbeitsanweisung verstanden werden. Vielmehr sind sie ein Ratgeber zum Erreichen von Mindestschutzzielen. Diese müssen immer mit den speziellen Objektanforderungen abgeglichen werden. Planer und Facherrichter sollten auch die Struktur des Normenwerks verstehen. Harmonisierte Produktnormen z. B. beschreiben Mindestanforderungen an Produkte, damit diese in Europa von den Herstellern auf den Markt gebracht werden dürfen. Wichtiger für Planer und Facherrichter sind die meist nationalen Anwendungsnormen, die häufig bereits gewisse Bauwerksanforderungen enthalten. Querverweise zu den Produkt- und anderen Normen ersparen doppelte Inhalte und reduzieren die Anzahl an Normen erheblich. So haben wir für das Errichten und Aufschalten einer Brandmeldeanlage (BMA) lediglich drei Normen und nicht 20.
SicherheitsPraxis: Welche Normen markieren für Sie den größten Fortschritt in den letzten Jahren?
Christian Kühn: Ein Meilenstein ist sicherlich die europäische Dienstleistungsnorm DIN EN 16763. Sie legt erstmals europaweit die Anforderungen an Dienstleister für Brandsicherheits- und Sicherheitsanlagen fest. Die Qualität und die Transparenz von Dienstleistungen werden damit gemäß den Forderungen der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie deutlich erhöht. In der Folge werden die deutschen Anwendungsnormen mit der DIN EN 16763 in Einklang gebracht, sie erscheinen jetzt in zwei Teilen, mit den Anforderungen an Dienstleister im 2. Teil. Fachkräfte und Facherrichter sollten sich nach diesen Normen zertifizieren lassen, um ihre hohe Qualität auch im Markt zu dokumentieren. Für die Kunden ist das ein unschätzbarer Vorteil, denn sie können die Dienstleistungen in unserer Branche europaweit vergleichen. Für mich ist das der richtige Weg in die Zukunft.
SicherheitsPraxis: Gab es Hürden für die tägliche Arbeit und wenn ja, wie haben Sie diese überwunden?
Christian Kühn: Normen müssen von den ehrenamtlich besetzten Normenausschüssen erarbeitet und vom DIN „verwaltet“ werden und das kostet Geld, das durch den Normenbezug der Nutzer aufgebracht wird. Im praktischen Einsatz kann man die Normen nicht einfach nur jedem Mitarbeiter zur Verfügung stellen, sondern muss über zielgerichtete Schulungen Ziele und Inhalte vermitteln, das stellt einen vor hohe Kosten. Die Mitgliedschaft im DIN ermöglicht all unseren Mitarbeitern einen einfachen Zugang zu den Normen, was viel Zeit und Kosten spart.
SicherheitsPraxis: Wo liegen Risiken und Fallstricke für die Facherrichter?
Christian Kühn: Schwierigkeiten gibt es immer dann, wenn Normen nicht verstanden oder falsch gelesen werden. Es kommt darauf an, die Schutzziele zu erkennen und mit den Objektanforderungen zu einer sicheren und wirtschaftlichen Lösung zu verschmelzen. Normen können in Anmerkungen nur kurze beispielhafte Erläuterungen geben, die nicht in jedem Bauwerk genau so anzutreffen sind. Allerdings findet eine Nichtbeachtung von Normen, die an sich meist keine Gesetzeskraft besitzen, spätesten im Schadenfall auch rechtliche Konsequenzen. Der Gesetzgeber vermutet bei einer Beachtung der aaRdT in einem ersten Schritt, dass damit die Anforderungen der Landesbauordnungen erfüllt werden. Bei Nichtbeachtung müssen Planer und Facherrichter – meist aufwendig – nachweisen, dass sie die Schutzziele der Norm anderweitig erreicht haben.
SicherheitsPraxis: Wo geht die Zukunft hin beim Thema Normen?
Christian Kühn: Vernetzung und Digitalisierung haben zwar längst Einzug in die Normung von Sicherheitsanlagen gehalten. Gleichwohl gibt es hier und bei der Standardisierung von Dienstleistungsanforderungen noch erheblichen Nachholbedarf. Die damit befassten Arbeitsgruppen bei der DKE bzw. im DIN bearbeiten gerade vor allem Schnittstellen und „vernetzte“ Dienstleistungen wie Remote Services. Dabei geht es im Wesentlichen um die Organisation, Verantwortung und die technischen Datensicherheit dieser smarten Schnittstellen. Ebenfalls im Fokus stehen dort standardisierte Dienstleistungsanforderungen an ferngesteuerte Prozesse wie der Ferninspektion.