Wesentliche Regelungsaspekte der neuen EU-Produktsicherheitsverordnung
Vor allem Herstellern, Importeuren und Händlern von Verbraucherprodukten ist eine Auseinandersetzung mit den Vorgaben der EU-ProdSV zu empfehlenFoto: Gerd Altmann/Pixabay
Die neue Verordnung (EU) 2023/988 (EU-ProdSV) ist mittlerweile im EU-Amtsblatt veröffentlicht worden und wird mit Geltung zum 13. Dezember 2024 einen neuen Rechtsrahmen für die Bereitstellung von Verbraucherprodukten aufstellen. Die EU-ProdSV wird als EU-Verordnung unmittelbar in allen EU-Mitgliedsstaaten gelten und eine große Bedeutung für Wirtschaftsakteure haben, die mit Verbraucherprodukten handeln. Mit diesem Beitrag wird ein Überblick zu den wesentlichen Regelungsaspekten der EU-ProdSV gegeben.
- Der Begriff des Verbraucherprodukts
Die EU-ProdSV gilt nur für die Bereitstellung Verbraucherprodukten. Verbraucherprodukte i.S.d. Verordnung sind Gegenstände, die „für Verbraucher bestimmt sind oder die unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen wahrscheinlich von Verbrauchern benutzt werden, selbst wenn sie nicht für Verbraucher bestimmt sind“. Insoweit entspricht der Anwendungsbereich der EU-ProdSV dem Anwendungsbereich des deutschen Produktsicherheitsgesetzes. Damit sind auch harmonisierte Produkte wie etwa Rauchwarnmelder als Verbraucherprodukte einzustufen, sofern diese in privaten Haushalten Anwendung finden sollen.
- Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes
Inwieweit die EU-ProdSV für die Bereitstellung von harmonisierten Verbraucherprodukten gilt (insb. CE-kennzeichnungspflichtigen Verbraucherprodukten), richtet sich nach dem in Art. 2 Abs. 1 EU-ProdSV definierten Spezialitätsgrundsatz. Hiernach findet die Verordnung keine Anwendung, sofern in Unionsvorschriften spezifische Bestimmungen über die Sicherheit der betroffenen Produkte existieren, mit denen im Vergleich zu den Vorschriften der EU-ProdSV dasselbe Ziel verfolgt wird. Unter anderem gelten die in Kapitel III Abschnitt 1 definierten Pflichten der Wirtschaftsakteure nicht für die Bereitstellung von Produkten, „die spezifischen Anforderungen der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union unterliegen“, siehe Art. 2 Abs. 1 S. 3 lit. b) EU-ProdSV.
Die Auslegung des Spezialitätsgrundsatzes ist vor allem im Hinblick auf die Pflichten der Wirtschaftsakteure mit Unsicherheiten behaftet. Zum einen lässt sich Art. 2 Abs. 1 S. 3 lit. b) EU-ProdSV dahingehend auslegen, dass die in Kapitel III Abschnitt 1 definierten Pflichten der Wirtschaftsakteure generell keine Anwendung auf harmonisierte Verbraucherprodukte finden sollen. Zum anderen kann die Vorschrift bei einer gemeinsamen Betrachtung mit Art. 2 Abs. 1 S. 1 EU-ProdSV auch so verstanden werden, dass die in Kapitel III Abschnitt 1 definierten Pflichten der Wirtschaftsakteure ebenfalls für die Bereitstellung von harmonisierten Verbraucherprodukten gelten sollen, soweit in den einschlägigen Harmonisierungsvorschriften keine Rechtspflichten existieren, die im Vergleich zu den Kapitel III Abschnitt 1 definierte Pflichten dieselben Aspekte betreffen und dasselbe Ziel verfolgen.
Es ist zu erwarten, dass die EU-Kommission ihre Auffassung zum Verhältnis der EU-ProdSV und dem EU-Harmonisierungsrechts in der nächsten Fassung des Blue-Guides (derzeit 2022/C 247/01) darstellen wird.
- Wesentlichen Regelungsaspekte der EU-Produktsicherheitsverordnung
Vor allem die nachfolgenden Regelungsaspekte können im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Verbraucherprodukten zu einem Handlungsbedarf führen:
In Kapitel II stellt die Verordnung neue Anforderungen für eine Sicherheitsbeurteilung von Verbraucherprodukten auf. Zu nennen sind etwa die in Art. 6 Abs. 1 lit. c) EU-ProdSV definierten „Cybersicherheitsmerkmale“, welche bei der Sicherheitsbeurteilung von Verbraucherprodukten zu berücksichtigen sind, sofern Cybersicherheitsrisiken bestehen. Die Sicherheitsanforderungen der EU-ProdSV gelten jedoch nicht, wenn dieselben Sicherheitsaspekte bereits durch spezifische Harmonisierungsrechtsvorschriften abgedeckt werden. Für den nichtharmonisierten Produktbereich hat der Unionsgesetzgeber außerdem erstmals geregelt, mit welchen „Instrumenten“ die Sicherheitsbeurteilung für Verbraucherprodukte durchzuführen ist, siehe Art. 8 EU-ProdSV.
Die neuen Pflichten der Wirtschaftsakteure werden in Kapitel III Abschnitt 1 der EU-ProdSV geregelt. Hersteller und Importeure werden beispielsweise im Rahmen der Produktkennzeichnung zur Angabe ihrer E-Mail-Adresse verpflichtet. Hersteller müssen außerdem Beschwerdemöglichkeiten für Verbraucher einrichten, die auch für Menschen mit Behinderung zugänglich sind. Entsprechendes gilt ebenfalls für Importeure, sofern der jeweilige Hersteller keine hinreichenden Beschwerdemöglichkeiten eingerichtet hat.
Praxisrelevant sind außerdem die neuen Anforderungen an die Gestaltung von Fernabsatzangeboten, welche in Art. 19 EU-ProdSV geregelt werden. So müssen etwa die für das jeweilige Produkt erforderlichen Warn- und Sicherheitshinweise dem Verbraucher in dem jeweiligen Angebot eindeutig und gut sichtbar mitgeteilt werden. Damit entsteht vor allem für den Online-Handel ein Handlungsbedarf, weil die Online-Angebote an die Anforderungen des Art. 19 EU-ProdSV anzupassen sind. Im Übrigen hat der Unionsgesetzgeber in Art. 20 EU-ProdSV erstmals spezifische Notifikations- und Informationspflichten im Zusammenhang mit Unfällen geregelt, die „durch Produkte verursacht“ worden sind. Hersteller müssen beispielsweise ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung unverzüglich die zuständigen Marktüberwachungsbehörden über den Sachverhalt informieren.
Ein Handlungsbedarf wird sich insb. für Hersteller und Importeure aus Kapitel VIII der EU-ProdSV ergeben. Dort hat der Unionsgesetzgeber die Informations- und Notifikationspflichten der Wirtschaftsakteure ausgeweitet. Bislang regelt das deutsche Produktsicherheitsgesetz in Fällen eines Produktrisikos nur eine Notifikationspflicht gegenüber den Marktüberwachungsbehörden, siehe § 6 Abs. 4 ProdSG. Ist im Kontext der EU-ProdSV ein Verbraucherprodukt als „gefährlich“ einzustufen, müssen Hersteller und Importeure jedoch nicht nur die Marktüberwachung notifizieren, sondern unverzüglich auch alle betroffenen Verbraucher, die sie ermitteln können, über den Sachverhalt informieren.
- Rechtsfolgen etwaiger Verstöße und zu erwartende nationale Konkretisierungen
In der EU-ProdSV wird nicht geregelt, welche Konsequenzen ein etwaiger Rechtsverstoß hat. Es ist vielmehr den EU-Mitgliedsstaaten überlassen, angemessene Sanktionen für Verstöße gegen die EU-ProdSV zu regeln. Dabei ist zu erwarten, dass zumindest bestimmte Verstöße gegen die EU-ProdSV mit Bußgeldern geahndet werden können. Dies dürfte insb. Verstöße gegen eine ordnungsgemäße Produktkennzeichnung (E-Mail-Adresse) oder Verstöße gegen die Notifikations- und Informationspflichten betreffen. Hinsichtlich des Bußgeldrahmen können aktuell nur Spekulationen angestellt werden, weil dieser abhängig von der Rechtslage in den jeweiligen EU-Mitgliedsstaaten unterschiedlich hoch ausfallen kann.
Verstöße gegen die EU-ProdSV werden ab dem 13. Dezember 2024 außerdem zu wettbewerbsrechtlichen Risiken für den betroffenen Wirtschaftsakteur führen. Denn viele Pflichten der EU-ProdSV dürften als Marktverhaltensregelung i.S.v. § 3a UWG einzustufen sein. Insoweit besteht im Falle einer unterlassenen Pflichtenerfüllung das Risiko einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung, die schlimmstenfalls zu einem Vertriebsverbot führen kann, solange eine ordnungsgemäße Pflichtenerfüllung nicht erfolgt.
Da die EU-ProdSV als EU-Verordnung im Gegensatz zu einer EU-Richtlinie bereits eine unmittelbare Geltung in den EU-Mitgliedsstaaten beansprucht, ist eine Umsetzung der Verordnung durch nationale Gesetze weitestgehend nicht erforderlich. Eine nationale Umsetzung ist aber jedenfalls im Kontext der Sanktionen sowie der Marktüberwachung zu erwarten.
- Fazit und Empfehlung
Vor allem Herstellern, Importeuren und Händlern von Verbraucherprodukten ist eine Auseinandersetzung mit den Vorgaben der EU-ProdSV zu empfehlen. Sofern die EU-ProdSV im Vergleich zu etwaig einschlägigen EU-Harmonisierungsrechtsvorschriften strengere Pflichten für Wirtschaftsakteure aufstellt, oder Aspekte adressiert, die in den EU-Harmonisierungsrechtsvorschriften nicht geregelt werden, ist aus Aspekten der Rechtsicherheit eine Umsetzung der weitergehenden Pflichten der EU-ProdSV zu erwägen. Dies betrifft etwa die neue Pflicht zur Kennzeichnung von Verbraucherprodukten mit der E-Mail-Adresse oder die Pflicht zur Einrichtung eines Beschwerdesystems für Verbraucher. Außerdem sollten Wirtschaftsakteure, die Verbraucherprodukte bereitstellen, beobachten, wie die EU-Kommission in der nächsten Überarbeitung des Blue-Guides die Auslegung des in Art. 2 Abs. 1 EU-ProdSV definierten Spezialitätsgrundsatzes konkretisiert.
Ein Handlungsbedarf wird außerdem vor allem in Bezug auf die neuen Notifikations- und Informationspflichten der EU-ProdSV bestehen. Insoweit können Anpassungen in den Informations- und Risikomanagementprozessen der Unternehmen bzw. Wirtschaftsakteure notwendig sein.
Mehr Artikel vom Autor
Suhayl Ungerer
Suhayl Ungerer ist Rechtsanwalt in der Franßen & Nusser Rechtsanwälte PartGmbB, einer hochspezialisierten, bundesweit tätigen Kanzlei für die Rechtsgebiete Umwelt-, Produkt und Planungsrecht mit Büros in Berlin und Düsseldorf. Er berät vor allem Hersteller, Händler und Importeure zu produktumwelt- und produktsicherheitsrechtlichen Fragen.