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22.02.2022

Bei der Verwendung harmonisierter Bauprodukte müssen die nationalen Bauwerksanforderungen und somit die Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (VV TB) des jeweiligen Bundeslandes beachtet werden. Bei der Planung des anlagentechnischen Brandschutzes ist unter anderem zu prüfen, ob die relevanten wesentlichen Merkmale der jeweiligen harmonisierten Norm erfüllt werden. Diesbezüglich ist zukünftig mit einem erheblichen Mehraufwand zu rechnen, da zukünftig auch Werte bzw. Klassen zwischen der VV TB[1] und den Leistungserklärungen der Bauprodukte abgeglichen werden müssen. Eine (Lebens-) Aufgabe nicht nur für Juristen.

Der freie Warenverkehr innerhalb der Europäischen Union ist und bleibt ein erklärtes Ziel der Mitgliedstaaten. Das spiegelt auch die Europäische Bauproduktenverordnung (EU-BauPVO) [1] wider, die seit 2013 Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten innerhalb der EU festlegt. Von einer unter der EU-BauPVO harmonisierten Europäischen Norm (hEN) erfasste Bauprodukte dürfen frei gehandelt werden, wenn sie mindestens eines der sogenannten Wesentlichen Merkmale (WM) erfüllen. Die Übereinstimmung dieser WM muss bei Brandmeldeanlagen (BMA) durch eine notifizierte Stelle bestätigt werden. Der Hersteller hat die Erfüllung der WM in einer Leistungserklärung (LE) zu erklären und das Bauprodukt zu kennzeichnen (CE-Kennzeichen mit Nummer des Bauproduktes). Ist keine hEN vorhanden, können Hersteller ein Bauprodukt auch über eine Europäisch Technische Bewertung harmonisieren lassen. Für nicht harmonisierte Bauprodukte ist im Regelfall ein nationaler Verwendbarkeitsnachweis erforderlich. Dieser kann jedoch entfallen, wenn es für das Bauprodukt allgemein anerkannte Regeln der Technik (a.a.R.d.T.) gibt, die nicht als Technische Baubestimmungen bekanntgemacht worden sind [2] Die Zulässigkeit der Verwendung dieser Bauprodukte resultiert aus der Annahme, dass das Bauprodukt bereits durch ein anderes Regelsetzungs‐ und Zertifizierungssystem abgedeckt sind und deshalb bewusst auf die Bekanntmachung der a.a.R.d.T. als Technische Baubestimmung verzichtet wird.

Handel versus Verwendung

Der freie Handel harmonisierter Bauprodukte bedeutet nicht zwingend, dass diese auch überall verwendet werden dürfen. Den EU-Mitgliedstaaten steht es nach wie vor frei, Bauwerksanforderungen festzulegen, um den nationalen Anforderungen an Gebäudesicherheit und Risikominimierung Rechnung zu tragen. In Deutschland wurde das lange durch zusätzliche Anforderungen an harmonisierte Bauprodukte in den Bauregellisten berücksichtigt. Diese Praxis wurde jedoch durch den Europäischen Gerichtshof EuGH gekippt [3]. Als Folge wurden die Bauregellisten (nationale Anforderungen an Bauprodukte) durch die VV TBen der Länder ersetzt [4] (nationale Anforderungen für die Verwendung von Bauprodukten in Bauwerken). Als Basis für die landesspezifischen VV TBen dient die vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) veröffentlichte Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB).

No Performance Determined

Um Bauprodukte für unterschiedliche Anwendungsfälle auf den Markt bringen zu können, lässt die EU-BauPVO zu, dass in der Leistungserklärung lediglich die Übereinstimmung mit mindestens einem WM angegeben sein muss. Alle anderen in der hEN festgelegten WM können mit der Angabe „NPD“ (No Performance Determined – Keine Leistung festgestellt) versehen werden. Die europäische Sicherheitsindustrie hat sich zwar grundsätzlich dazu bekannt, für die Brandmeldetechnik alle WM in der Leistungserklärung zu beschreiben [5], die Einhaltung dieser Übereinkunft ist allerdings freiwillig und auch gar nicht immer möglich.

Die Technische Regel Technische Gebäudeausrüstung (TR TGA) legt deshalb für die Verwendung harmonisierter Bauprodukte fest, welche WM der entsprechenden hEN erfüllt sein müssen, damit ein Bauprodukt als Bestandteil der TGA im jeweiligen Bundesland verwendet werden darf. Die TR TGA konkretisiert somit die Bauwerksanforderungen an die TGA und ist seit der Ausgabe 2019/1 im Anhang 14 der MVV TB zu finden. Die Anforderungen an harmonisierte Bestandteile einer BMA sind in der Tabelle 1 im Kapitel 2 der TR TGA festgelegt. Für Bestandteile einer BMA, für die keine harmonisierten Produktnormen zur Verfügung stehen (z.B. Feuerwehr-Peripherie, Lüftungskanalmelder, Mehrfachsensormelder), verweist die TR TGA auf die Anwendungsnormen DIN 14675-1:2018-04 und DIN VDE 0833-2:2017-10.

Auswirkungen auf die Praxis

Aufgrund der Verankerung der TR TGA im Bauordnungsrecht der meisten Länder müssen die Vorgaben bei der Planung einer baurechtlich geforderten BMA berücksichtigt werden. Fachplaner müssen anhand der Leistungserklärung der jeweiligen Komponente prüfen, ob alle als notwendig gelisteten Leistungsmerkmale erfüllt sind. Eine gewaltige Herausforderung, denn die Tabelle umfasst vier Seiten und ca. 150 Zeilen. Ein Abgleich ist in der Regel nur bei Vorliegen der jeweiligen Produktnorm möglich, was bei den wenigsten Planern der Fall sein dürfte. Erschwert wird der Abgleich zudem durch den unterschiedlichen Aufbau der Leistungserklärungen. So nutzen einige Hersteller anstelle von NPD das Kürzel NA (not applicable). Hierdurch soll zum Ausdruck gebracht werden, dass ein Merkmal für das vorliegende Bauprodukt nicht relevant ist. Das ist z. B. der Fall, wenn in der hEN über eine Fußnote klargestellt wird, dass ein WM nur bei bestimmten Anwendungsfällen relevant ist. Die TR TGA geht auf diese Feinheiten im Bereich der Brandmeldetechnik jedoch (noch) nicht ein. Es bedarf somit eines hohen Rechercheaufwands zur Feststellung, dass und warum ein Bauprodukt trotz der Angabe NPD bzw. NA verwendet werden darf, obwohl in der TR TGA für das WM eine Leistungsangabe vorgesehen ist. Wünschenswert wäre hier ein Hinweis über Fußnoten, wie sie z. B. bereits im Kapitel 7 (Lüftungsanlagen) der TR TGA eingeführt sind.

Hinzu kommt, dass die TR TGA bei der Veröffentlichung „neuer“ harmonisierten Normen im Amtsblatt der EU erst im Zuge der nächsten zyklischen Anpassung aktualisiert werden kann. Dies stellt insbesondere dann eine Herausforderung dar, wenn sich die WM gegenüber der vorherigen Fassung der hEN geändert haben, wie dies aktuell z. B. bei der EN 54-5 der Fall ist.

Glücklicherweise sind den Verfassern bezogen auf die TR TGA noch keine Abweichungen zwischen landesspezifischen VV TBen und dem Muster bekannt. Dennoch liegt den VV TBen in Baden-Württemberg und Hessen noch das Muster in der Fassung 2017/1 zugrunde [6], in der die TR TGA noch gar nicht enthalten ist.

… und es kommt noch schlimmer

Für die Zukunft kündigt sich nun noch weiteres Ungemach an: Bis jetzt stehen in der TR TGA für BMA bis auf wenige Ausnahmen lediglich Kreuze; konkrete Werte bzw. Klassenangaben fehlen. Das korrespondiert mit den bisherigen Leistungserklärungen, in denen die WM mit „erfüllt“ o.ä. beschrieben sind. Diese Form der Leistungserklärungen resultiert wiederum daraus, dass die zugrundeliegenden hEN wegen nunmehr jahrelanger Diskussionen zwischen den europäischen Normungsgremien und der Europäischen Kommission noch nicht an die Anforderungen der EU-BauPVO angepasst werden konnten. Sobald eine Einigung zwischen den genannten Parteien erzielt ist, werden in der Folge die hEN sukzessive aktualisiert werden und in der TR TGA für jedes einzelne WM Werte bzw. Klassen angegeben sein. Wie dies aussehen kann, lässt sich bei einem Blick in die Leistungserklärung von automatischen Brandmeldern erahnen, die bereits nach EN 54-5:2017 + A1:2018 bzw. EN 54-7:2018 geprüft sind. Zukünftig müssen Planer somit abhängig von den Bauwerksanforderungen den Wert bzw. die Klasse jedes einzelnen WM ausschreiben. Und das bei einer Anlage, bei der nicht nur jede Komponente für sich geprüft sein muss, sondern bei der auch das Zusammenwirken der Komponenten sichergestellt sein muss.

Fazit und Ausblick

Fraglich ist, ob Fachplaner und Errichter zukünftig die dargestellten Zusammenhänge bezogen auf Bauprodukte der TGA noch überblicken können. Durch die zunehmende Komplexität steigen nicht nur Aufwand und Haftungsrisiken; auch zu einer Kostensenkung im Bauwesen führt diese Vorgehensweise sicherlich nicht. Es ist dringend erforderlich, die Abläufe zu vereinfachen und für mehr Transparenz zu sorgen. Hierbei können digitale Tools und Methoden wie BIM sicherlich unterstützen, jedoch ist auch dort die Rechtssicherheit zu beachten. Es bleibt also spannend – nicht nur für Hersteller, Fachplaner und Errichter, sondern auch für Juristen und Regelsetzer.

Autoren: Bastian Nagel VDI, M.Eng. ist als Spezialist für Bauordnungsrecht, Normen und Richtlinien Mitglied in zahlreichen Normungs- und Richtlinienausschüssen sowie Dozent bei verschiedenen Weiterbildungsanbietern.

Thomas Litterst leitet im Produktmanagement den Bereich Normen und Richtlinien für die Geschäftsbereiche Rauchwarnmelder, Feststellanlagen und Brandmeldesysteme. Er ist Mitglied im CEN/TC 72 sowie  im DIN FNFW und arbeitet in mehreren DKE-Ausschüssen mit.

 

Literatur

[1]    Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011, Amtsblatt der Europäischen Union L88/5.

[2]    Musterbauordnung MBO. Fassung November 2002, zuletzt geändert durch Beschluss der Bauministerkonferenz vom 25.09.2020.

[3]    Europäischer Gerichtshof Az.: T-229/17. In: EuZW 2019, 515, 2019.

[4]    DIBt: Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MV V TB) 2020/1, https://www.dibt.de/fileadmin/dibt-website/Dokumente/Referat/P5/Technische_Bestimmungen/MVVTB_2020-1.pdf [Zugriff am: 04.02.2021].

[5]    ZVEI: Bauprodukte-Verordnung (BauPV) EU 305/2011, 2016, https://www.zvei.org/verband/fachverbaende/fachverband-sicherheit?showPage=827&cHash=697a9cce35937b98d4e485b3c4b4f1d5 [Zugriff am: 02.11.2021].

[6]    Deutsches Institut für Bautechnik: Stand der Umsetzung der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) in den Ländern – Stand: 4. November 2021 [Zugriff am: 10.11.2021].

 

 

 

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