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Die Bauart in Theorie und Praxis

12.10.2020

Die Bauart in Theorie und Praxis

Von Rechtsanwältin Dr. Marthe-Louise Fehse

Die Bauministerkonferenz hat im Jahr 2016 die Musterbauordnung (MBO) umfassend überarbeitet. Dabei wurde insbesondere das Bauproduktenrecht in Folge eines EuGH-Urteils aus dem Jahr 2014 (Rs. C-100/13) neugestaltet. Mit der Novelle wurde auch das Instrument der Bauartgenehmigung neu eingeführt. Der nachfolgende Beitrag stellt daher den gesetzlichen Rahmen der Bauartgenehmigung sowie ihre praktische Umsetzung dar.

Hintergrund der Neuregelung

Der Begriff der Bauart war bereits in der MBO 2012 definiert. Das Instrument der Bauartgenehmigung wurde jedoch erst mit der Novelle 2016 neu eingeführt. In der MBO 2012 war für die Planung, Bemessung und Ausführung eines Systems, das aus verschiedenen Bauprodukten zusammengesetzt wurde, häufig eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) erforderlich (§ 21 MBO 2012). Solche abZ wurden beispielsweise für Feststellanlagen erteilt. Das Gesetz sah allerdings nicht ausdrücklich von einer abZ ab, wenn das System auch einzelne Bauprodukte enthielt, welche nach der Verordnung (EU) 305/2011 (EU-Bauproduktenverordnung, EU-BauPVO) mit der CE-Kennzeichnung gekennzeichnet werden mussten. Art. 8 EU-BauPVO lässt Anforderungen der Mitgliedstaaten an harmonisierte Bauprodukte allerdings nur in sehr eingeschränktem Umfang zu. Da den Mitgliedstaaten aber nach wie vor die Kompetenz für die Definition der Bauwerksanforderungen zusteht, sollten in der MBO die produktbezogenen Anforderungen deutlicher von bauwerksbezogenen Anforderungen abgegrenzt werden. Für nicht harmonisierte Bauprodukte stehen daher nunmehr die Verwendbarkeitsnachweise der §§ 17 ff. MBO zur Verfügung (die abZ; das allgemeine bauaufsichtliche Prüfzeugnis, abP und die Zustimmung im Einzelfall, ZiE), während tätigkeitsbezogene Anforderungen nunmehr in der Bauartgenehmigung geregelt werden. Für Feststellanlagen wird deshalb nunmehr in der Regel eine allgemeine Bauartgenehmigung erteilt.

Definition: Bauart

Die MBO definiert die Bauart als „das Zusammenfügen von Bauprodukten zu baulichen Anlagen oder Teilen von baulichen Anlagen“ (§ 2 Abs. 11 MBO). Bereits aus dieser Definition folgt, dass die Bauart die Bautätigkeit betrifft, nämlich das Zusammenfügen von Bauprodukten zu einer baulichen Anlage oder Teilen davon. Dies folgt auch aus der systematischen Stellung der Regelung zur Bauartgenehmigung in § 16a MBO im Abschnitt „Allgemeine Anforderungen an die Bauausführung“.

Nicht verwechselt werden darf die Bauart mit der Kombination mehrerer Bauprodukte zu einem neuen Bauprodukt. Hierbei steht das neu geschaffene Bauprodukt im Vordergrund und nicht die Tätigkeit des Zusammenfügens. Darüber hinaus entsteht durch das Zusammenfügen mehrerer Bauprodukte zu einem neuen Produkt häufig noch kein Teil einer baulichen Anlage. Für das neu entstandene Bauprodukt ist deshalb regelmäßig keine Bauartgenehmigung zu beantragen, sondern ein Verwendbarkeitsnachweis nach den §§ 17 ff. MBO. Auch darf die Bauart nicht mit einem Bausatz im Sinne des Art. 2 Nr. 2 EU-BauPVO verwechselt werden. Die EU-BauPVO definiert dort den Bausatz als ein Bauprodukt, das von einem einzigen Hersteller als Satz von mindestens zwei getrennten Komponenten, die zusammengefügt werden müssen, um ins Bauwerk eingefügt zu werden, in den Verkehr gebracht wird. Der Unterschied zur Bauart liegt auch hier darin, dass durch das Zusammenfügen der Komponenten ein neues Bauprodukt entsteht. Damit die EU-BauPVO auf den Bausatz anwendbar ist, muss er entweder von einer harmonisierten Norm erfasst sein oder einer Europäisch Technischen Bewertung entsprechen (Art. 4 Abs. 1 EU-BauPVO). Da der Bausatz dann auch mit dem CE-Kennzeichen versehen werden muss (Art. 8 Abs. 2 EU-BauPVO), richtet sich die Verwendbarkeit des Bausatzes ausschließlich nach § 16c MBO. Ein Verwendbarkeitsnachweis kann für einen Bausatz, der in den Anwendungsbereich der EU-BauPVO fällt, nicht beantragt werden. Auch eine Bauartgenehmigung kommt in der Regel nicht in Betracht.

Genehmigungsbedürftigkeit

Um eine Bauart anzuwenden, bedarf es grundsätzlich einer Bauartgenehmigung. Die Genehmigung kann vorhabenbezogen oder allgemein sein. Zwar ist das Gesetz so formuliert, dass grundsätzlich eine Bauartgenehmigung erforderlich ist und nur in wenigen Ausnahmefällen auf eine solche verzichtet werden kann. In der Praxis dürfte es allerdings eher die Ausnahme sein, dass keiner der beiden Ausnahmetatbestände des § 16a Abs. 2 MBO greift. Eine Bauartgenehmigung ist für die Anwendung der Bauart nämlich immer dann nicht erforderlich, wenn die Bauart nur unwesentlich von einer Technischen Baubestimmung abweicht oder es allgemein anerkannte Regeln der Technik gibt. Häufig gibt entweder Technische Baubestimmungen oder allgemein anerkannte Regeln der Technik. Insbesondere, wenn die Art und Weise, wie die einzelnen Bauprodukte in die bauliche Anlage eingebracht werden, in technischen Normen niedergelegt ist, liegen in der Regel allgemein anerkannte Regeln der Technik vor. Es wird grundsätzlich vermutet, dass kodifizierte technische Normen (z.B. DIN-Normen, VDE-Normen etc.) die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiedergeben. Die Installation einer Brandmeldeanlage ist nach der Definition des § 2 Abs. 11 MBO beispielsweise zwar eine Bauart, dennoch wäre keine Bauartgenehmigung erforderlich, weil die Installation einer Brandmeldeanlage in zahlreichen Normen ausführlich beschrieben ist (z.B. DIN VDE 0833-1, DIN VDE 0833-2, DIN 14675). Denkbar ist auch, dass es allgemein anerkannte Regeln der Technik für die Bauart gibt, die nicht ausdrücklich in technischen Normen niedergelegt sind.

Auch wenn die Pflicht zur Einholung der Bauartgenehmigung nach § 16a Abs. 2 MBO grundsätzlich besteht, kann die Oberste Bauaufsichtsbehörde im Einzelfall oder für genau begrenzte Fälle allgemein festlegen, dass eine Bauartgenehmigung nicht erforderlich ist (§ 16a Abs. 4 MBO). Dies setzt voraus, dass eine Gefahr durch die Bauart nicht zu befürchten ist.

Antragsberechtigung

Wer die Bauartgenehmigung beantragen muss, ist in der MBO nicht festgelegt. Da es sich bei der Bauartgenehmigung um eine Allgemeinverfügung handelt, die für und gegen Jedermann gilt, kann sie daher grundsätzlich von Jedermann, der ein Interesse an einer Bauartgenehmigung hat, beantragt werden. Letztendlich muss die Bauartgenehmigung bei der der Errichtung, Änderung und Instandhaltung der Bauart vorliegen (§ 16a Abs. 2 MBO). In der Praxis werden die Bauartgenehmigungen häufig vom Systemanbieter beantragt, um dem Anbieter die Kaufentscheidung zu erleichtern. Zwingend ist dies jedoch nicht.

Zeitpunkt der Bauartgenehmigung

Die Bauartgenehmigung muss spätestens zum Zeitpunkt der Anwendung der Bauart vorliegen. Was sie unter Anwendung versteht, definiert die MBO nicht ausdrücklich. Allerdings legt § 16a Abs. 2 MBO fest, dass die Bauart bei der „Errichtung, Änderung und Instandhaltung baulicher Anlagen nur angewendet werden darf […]“, wenn für sie eine Bauartgenehmigung erteilt worden ist. Daraus folgt, dass die Anwendung mit der Errichtung, Änderung und Instandhaltung baulicher Anlagen zeitlich zusammenfällt und zu diesem Zeitpunkt die Bauartgenehmigung spätestens vorliegen muss. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die Bauartgenehmigung bereits zu dem Zeitpunkt vorliegt, in dem ein Systemanbieter die Komponenten der Bauart auf dem Markt bereitstellt, wenngleich dies in der Praxis häufig der Fall sein wird, wenn der Systemanbieter Antragssteller der Bauartgenehmigung ist.

Fazit

Eine Bauartgenehmigung bezieht sich nur auf die Bautätigkeit. In der Praxis wird die Bauartgenehmigung häufig von einem Systemanbieter eingeholt, wenngleich dies nicht zwingend ist, weil erst der Anwender der Bauart (in der Regel das bauausführende Unternehmen) die Genehmigung zum Zeitpunkt des Einbaus benötigt. Möglich ist dies jedoch, weil es sich bei der Bauartgenehmigung um eine Allgemeinverfügung handelt, die für und gegen Jedermann gilt.

 

 

 

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