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Langfinger als Praktikanten hinterm Verkaufstresen?

03.02.2020
Ladendiebstahl und Warenkreditbetrug im online Handel haben Hochkonjunktur
Ladendiebstahl und Warenkreditbetrug im online Handel haben Hochkonjunktur

Mit Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg e. V. (HBB), sprach Peter Niggl

 

SECURITY insight: Herr Busch-Petersen, das Weihnachtsgeschäft kommt in Fahrt. Wieder einmal auch Hochkonjunktur für Ladendiebe?

 

 

Nils Busch-Petersen: Ja, leider. Das Gedränge in den Geschäften und Warenhäusern in der Vorweihnachtszeit bringt das Personal an seine Grenzen, da ist es schwierig den Überblick zu behalten. In den Straßen können die Diebe zudem im Schutze der Dunkelheit dieser Jahreszeit noch leichter untertauchen. Das sind die Faktoren, die sich für die Langfinger begünstigend auswirken.

 

 

Werfen wir einen Blick auf die Gesamtentwicklung des leidigen Themas Ladendiebstahl.

 

 

Der ist so einfach nicht, weil er davon abhängt, wie viele Straftaten tatsächlich zur Anzeige gebracht werden. Viele Ladenbetreiber oder Filialleiter scheuen bedauerlicherweise oft aus Frustration den – in ihren Augen nutzlosen – Arbeitsaufwand, um bei einfachen Diebstählen Anzeige zu erstatten. Deshalb hat die Polizeiliche Kriminalstatistik nur bedingte Aussagekraft. Hierzu ist anzumerken, dass bundesweit rund 23 Millionen Ladendiebstähle unentdeckt bleiben und erst bei der Inventur bemerkt werden. Die Dunkelziffer bei den Ladendiebstählen liegt nach unserer Einschätzung bei 98 Prozent. Die von uns errechnete wirtschaftliche Gesamtbelastung für den Einzelhandel liegt bei jährlich 2,4 Milliarden Euro. Für Berlin kann man sagen, dass auch 2018 die Anzahl der Ladendiebstähle auf unverändert hohem Niveau geblieben ist. Unser Verband schätzt, dass dem Einzelhandel jährlich rund ein Prozent der Waren durch Diebstahl verloren gehen. Das macht summa summarum für die Hauptstadt eine Größenordnung von über 180 Millionen Euro aus.

 

 

Sind besondere Entwicklungen zu erkennen?

 

 

Es muss die Tendenz zur Kenntnis genommen werden, dass zwar der – juristisch gesprochen – einfache Ladendiebstahl tendenziell stagniert oder sogar rückläufig ist, der schwere Ladendiebstahl jedoch kontinuierlich zugenommen hat. Unter schwerem Ladendiebstahl fällt das Entwenden besonders gesicherter Waren ebenso wie die bandenmäßig begangenen Diebeszüge. Bei Letzterem muss betont werden, dass hier die Auftragsdiebstähle einen ganz erheblichen Teil ausmachen. Insgesamt ist eine Verrohung in der Gesellschaft festzustellen, die trifft natürlich auch auf die Taten, die im Einzelhandel begangen werden zu.

 

 

Welche Geschäfte werden von den Dieben besonders frequentiert?

 

 

Die größten Probleme mit Diebstahl haben die Drogeriemärkte, gefolgt von den Baumärkten und vom Lebensmitteleinzelhandel.

 

 

Sprechen wir über die Möglichkeiten zur Verhinderung von Ladendiebstählen. Was sollen und was können die Betreiber zur Prävention unternehmen?

 

 

Ein bewährtes Mittel ist die Sensibilisierung der Mitarbeiter. Wenn sie einen suspekten Kunden bemerken, dass sie diesen anzusprechen und ihm damit zu verstehen geben, man habe ihn im Blick. Der ehrliche Kunde wird dies positiv registrieren, der potenzielle Ladendieb als Signal verstehen, dass er beobachtet wird. Für viele Vertreter dieser Zunft ein Zeichen, dass es angeraten ist, von seinem Vorhaben Abstand zu nehmen. Der andere Punkt, eine besondere Sicherung der Waren, ist nicht zuletzt ein finanzielles Problem. Ein Ladenbetreiber muss diese Kosten über den Verkaufspreis an den Kunden weitergeben. Wir gehen als Handelsverband bundesweit von Kosten bei den Präventionsmaßnahmen in Höhe von 1,45 Milliarden Euro jährlich aus. Da stoßen viele Einzelhändler einfach an Effektivitätsgrenzen.

 

 

Welche Gegenmittel sind sonst noch hilfreich und praktikabel?

 

 

Ich habe mal im 1. Bezirk in Wien das System der Fußstreifen gesehen. Wenn da beispielsweise eine Person das Geschäft eines angesagten Mode-Labels betrat und er dem Verkäufer verdächtig vorkam, konnte dieser einen verdeckten Knopf drücken und innerhalb von zwei Minuten war dann ein uniformierter Wachmann im Geschäft. Dieser begrüßte deutlich vernehmbar das Personal und schon entfernten sich einige Personen auffallend rasch aus dem Laden. Das war ein gemeinsames Projekt der Einzelhändler in Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienstleister Securitas.

 

 

Ein Modell auch für Berlin und Brandenburg?

 

 

Wir haben es empfohlen. Es ist aber nicht unsere Aufgabe als Arbeitgeberverband, die Umsetzung zu kontrollieren. Allerdings kann ich sagen, dass die Zusammenarbeit mit Unternehmen der Sicherheitsbranche gut funktioniert. Deren Mitarbeiter kommen in den Verkaufsräumen, aber auch in der Objekt- oder der Parkhaussicherung zum Einsatz. Die Marktführer sind sogar Mitglied bei uns. Sie interessieren sich sehr rege, welche Entwicklungen es auf dem Gebiet der Sicherheit im Einzelhandel gibt. Und andererseits sind wir immer daran interessiert, deren neueste Erkenntnisse zu hören. Diese Unternehmen werden unseren Mitgliedern auch in besonderer Weise empfohlen.

 

 

Aber es sind doch in erster Linie die „Großen“ im Einzelhandel, die sich diese Sicherheit leisten können…

 

 

… durchaus mit einem positiven Effekt für die Geschäfte in der Nachbarschaft. Dort wo Sicherheit sichtbar wird, bringt sie allen etwas. Deshalb auch unsere alte Forderung, mehr Uniform auf der Straße zu sehen; mehr Präsenz des Staates. Das gehört für uns zum Standardkatalog, was wir von der Politik fordern.

 

 

Bleibt ansonsten eigentlich ja nur noch die Strafverfolgung…

 

 

… die uns leider nicht immer Anlass zur Freude gibt. Wenn überhaupt eine Strafverfolgung geschehen soll, müssen die Ermittlungsbehörden den Täter vom Einzelhändler quasi präsentiert bekommen. Wir sind auf diesem Gebiet mit eigenen Forderungen an die Politik herangetreten. Zum Beispiel erachten wir es als notwendig, für schwere Delikte eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr gesetzlich zu verankern. Unsere Meinung ist, dass schwere Delikte als Verbrechen qualifiziert werden müssen. Ansonsten gibt es viel zu oft eine Einstellung des Verfahrens, was die Täter kaum zum Umdenken veranlasst.

 

 

Also soll das Problem mit der großen Keule angegangen werden?

 

 

Absolut nicht! In vielen Fällen geht es uns gar nicht um die Höhe der Strafe, sondern darum, dass die Gesetzesverstöße umgehend sanktioniert werden. Wenn innerhalb einer Woche das Delikt zur Anklage kommt, sehen die Täter, dass die Gesellschaft reagiert. Ein anderes Beispiel zu unseren Vorstellungen: Wir wollten jugendlichen Ersttätern durch eine Konfrontation mit ihren Opfern in einer Art Täter-Opfer-Ausgleich, moderiert und begleitet von Kriminologen, Formen der Wiedergutmachung einräumen. Diese hätten sogar einen Verzicht auf eine weitere Strafverfolgung ermöglichen sollen. Wir wollten die Langfinger-Novizen durchaus in unseren Betrieben zum Praktikum haben. Ganz bewusst. Das hat natürlich mancherorts Kopfschütteln ausgelöst und man hat uns gefragt: „Ihr wollt die die euch beklaut haben in den Laden holen?“

 

 

Und was lag dieser Überlegung zugrunde?

 

 

Damit sollte eine gewisse Anonymität aufgelöst werden. Es klaut sich immer leichter, wenn man nicht weiß, wem es gehört oder er sich das Gefühl vorgaukelt, die Ware gehöre ohnehin niemandem. Wenn ein solcher Täter in einem Warenhaus selbst sehen würde, was da alles dranhängt, welche Leute mit dem Verkauf der Waren ihren Lebensunterhalt verdanken, dann kann dies eine andere Einstellung zur Tat bewirken. Solche erzieherischen Maßnahmen sind von uns sehr intensiv vorbereitet worden, aber letztlich hatte die Berliner Staatsanwaltschaft kein Interesse und so das Projekt an die Wand fahren lassen.

 

 

Aber es sind doch wahrscheinlich nicht nur die ganz jungen, die als Täter ein Problem darstellen.

 

 

Täter finden sich wirklich in allen Altersgruppen und in allen Bevölkerungsschichten. Das ist schockierend. Ein Warenhausdetektiv sagte einmal zu mir: Die schlimmsten Ladendiebe sind die Stammkunden. Und da ist was Wahres dran. Oft nutzen Menschen den Vertrauensbonus, den sie als Stammkunde besitzen, um dann doch lange Finger zu machen. Das trifft auch auf die unehrlichen Mitarbeiter zu. Die zwar in den Fallzahlen eher gering, im Schaden dafür umso höher sind.

 

 

Immer mehr Einkäufe werden online abgewickelt, mit welchen Folgen für Ihre Branche?

 

 

Kurz gesagt: Die Internetkriminalität wächst weiter. Beim Onlinehandel stehen insbesondere der Warenkreditbetrug und der Betrug unter missbräuchlicher Verwendung von Zahlungskartendaten im Fokus. Sie machten im vergangenen Jahr 68,7 Prozent der Internetkriminalität aus. Dabei müssen wir gestehen, dass steigender Wettbewerbsdruck und die Erreichung gesteckter Umsatzziele oft zu Einschränkungen beim Risiko-, Prüf- und Sicherheitsmanagement führen.

 

 

Sie beklagen das zu lasche Vorgehen der Justiz. Vielleicht zu wenig öffentliches Interesse…

 

 

… und das ist eine völlige Verkennung des Problems. Diebstahl – und darunter in nicht unerheblichem Maße Ladendiebstahl – ist erwiesener Maßen das Einstiegsdelikt für kriminelle Karrieren. Hier frühzeitig einzugrätschen das Abrutschen in eine Ganovenlaufbahn zu verhindern, ist meines Erachtens von größtem öffentlichem Interesse. Dafür benötigen die Einzelhändler allerdings mehr staatliche Aufmerksamkeit und Unterstützung.

 

 

Fehlt es an Polizei?

 

 

Nein! Auf die Berliner Polizei lasse ich nichts kommen, die erscheint ja noch bei jeder Ladendiebstahlsanzeige. Das ist in anderen Städten schon lange nicht mehr der Fall. Das Problem liegt dahinter, beim Justizapparat, der dieses Thema nicht ordnungsgemäß bearbeitet. Die Polizei macht das, was sie machen kann.

 

 

Welche Forderungen zur Verbesserung vertritt Ihr Verband?

 

 

Ganz vorn steht die schnelle Reaktion der Justiz auf Straftaten. Aber auch der Einsatz von Technik muss erleichtert werden. Unsicherheiten beim Einsatz von Videoüberwachung gehören beseitigt. Deshalb wollen wir eine praxisgerechte Interpretation der Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung. Ich kann nur mit dem Kopf schütteln, wenn ich höre, dass die Verbesserung der Strafverfolgung und der Schutz von Mitarbeitern und Kunden nicht als „berechtigtes Interesse“ akzeptiert werden. So bleiben die Chancen, die in dieser Technik stecken weitgehend ungenutzt.

 

 

Eine ganz wichtige Verbesserung wäre auch die zentrale Bearbeitung der Strafanzeigen wegen Ladendiebstahls auf Landesebene und eine bundesweite Vernetzung. Damit könnten gewerbsmäßig agierende Ladendiebe schneller überführt werden. Das hätte zur Folge, dass die Strafandrohung für diese Täter erheblich steigen würde. In diesem Zusammenhang ist auch unsere Forderung zu sehen, dass die Anforderungen an die sogenannte Verhältnismäßigkeit gesenkt werden müssten und die Hürden für eine Anordnung von Untersuchungshaft abgebaut würden. Gleichzeitig sollten schwere Diebstähle als Verbrechen qualifiziert werden, was den Ermittlungsdruck erhöhen würde. Die Schwelle für die Einstellung von Verfahren muss höher gelegt werden.

 

 

Welche Mittel haben Sie zur Durchsetzung Ihrer Forderungen?

 

 

 Wir werden natürlich unsere Vorstellungen immer wieder auf der politischen Ebene vorbringen. Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben. Aber wir können auch ganz praktisch agieren. Wenn unsere Unternehmen sich die Mühe machen und alle entdeckten Ladendiebstähle zur Anzeige bringen, dann wird sich dies in der Bilanz der Polizeilichen Kriminalstatistik niederschlagen.

 

Bildquelle Spitzengespräch: Peter Adamik

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