Brandschutz – Vorschriften ohne Ende?

Die Meinungen über diese kontrovers diskutierten Themen gehen in der Sicherheitsbranche wie auch bei Betreibern und Bauherren weit auseinander. Wir haben diskutiert, mit Herstellern, Errichtern und Planern.

Lesezeit: 8 Min.

16.09.2021

Das Wehklagen darüber ist so alt wie das Feuer selbst: Vorbeugender Brandschutz sei viel zu teuer. Vor allem die vielen Vorschriften und Normen aus Europa und anderswo würden das Planen und Errichten sicherheitstechnischer Anlagen unnötig verkomplizieren sowie Aufwand und Kosten in die Höhe treiben. Doch ist das wirklich so? Natürlich hat die Neuordnung des Bauproduktenrechtes, unter anderem mit der Einführung der MVV TB, die Vorschriftenlandschaft nicht gerade verschlankt. Die Bauregellisten sind weg und die Verarbeiter kämpfen auf den Baustellen mit den Bauarten und ihren Verwendbarkeitsnachweisen. Darüber hinaus sorgen lückenhafte harmonisierte Europäische Normen für Unsicherheiten bei Planung und Ausführung. Andererseits geben verlässliche Vorschriften und Normen allen Baubeteiligten die notwendige Anwendungssicherheit, nicht zuletzt im Hinblick auf die Beurteilung von Haftungsrisiken.

Ändern soll das alles nicht zuletzt die Digitalisierung. Glaubt man den Studienautoren, werden die Vernetzung und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Neuronalen Netzen die Sicherheitstechnik revolutionieren und das Planen und Errichten von Sicherheitsanlagen entscheidend vereinfachen. Dabei sind allerdings noch viele Fragen offen: Wer hat zukünftig die Hoheit über die gesammelten Daten? Wie entwickelt sich das lukrative Servicegeschäft? Wie wird die Rollenverteilung in neuen Geschäftsmodellen wie „Sicherheit as a Service“ aussehen?

Die Meinungen über diese kontrovers diskutierten Themen gehen in der Sicherheitsbranche wie auch bei Betreibern und Bauherren weit auseinander. Wir haben deshalb Herstellern, Errichtern und Planern zwei Fragen gestellt:

Wie kann die Umsetzung wirkungsvoller Maßnahmen des Vorbeugenden Brandschutzes vereinfacht werden?

Wie verändern intelligente Technologien den anlagentechnischen Brandschutz, vor allem das Service- und Instandhaltungsgeschäft? Wie müssen Errichter sich darauf einstellen?

Statement Christian Kühn, Schlentzek & Kühn GmbH 

Eine Deregulierung des Baurechts und damit auch des Brandschutzes wird bereits seit längerem von vielen Marktteilnehmern und von vielen politischen Akteuren gewünscht. Die durch das EuGH-Urteil erzwungene Neufassung der Musterbauordnung MBO und der Einführung der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen MVV TB hat die Situation für die Anwender jedoch deutlich verkompliziert, unter anderem durch den Wegfall der Bauregellisten und der Einführung von Bauarten. Umso wichtiger sind jetzt eine schutzzielorientierte Planung und Umsetzung des Vorbeugenden Brandschutzes. Das würde den Bauablauf bis hin zur Abnahme erheblich verbessern. In der Praxis stellen wir allerdings fest, dass eine schutzzielorientierte Denkweise und entsprechende Festlegungen bei Brandschutzkonzept-Erstellern und Planern noch wenig verbreitet ist. Auch die baurechtlichen Regelungen sollten sich auf die Festlegung von Schutzzielen beschränken und nicht wie z. B. die MLAR bereits Lösungen oder Lösungsansätze skizzieren. So wichtig die Anforderungen an Bauwerke im Zusammenhang mit lückenhaften harmonisierten Normen sind: Grundsätzlich sollte sich die MVV TB an den gültigen technischen Regelwerken und Normen orientieren und keine neuen Tabellen einführen, die dann wieder eine Übersetzungsmatrix benötigen. Wenig hilfreich ist auch, bei Ausschreibungen reflexhaft den Billigsten auszuwählen. Mangelnde Qualität führt erfahrungsgemäß zu chaotischen Bauabläufen und damit zu mehr Aufwand und Kosten. Mit diesen, nicht allzu schwer umzusetzenden Maßnahmen hätten alle Baubeteiligten mehr Ausführungssicherheit im Projekt.

 

Intelligente Technologien, Vernetzung und Digitalisierung werden den Brandschutz tiefgreifend verändern und tun es heute schon. So lassen sich mit Fernzugriff auf Sicherheitsanlagen kundenfreundliche Lösungen schaffen, die gleichzeitig unsere Arbeit erleichtern und effizienter machen. Das gilt auch für die Arbeitsmittel innerhalb der Betriebe wie z. B. digitale Stundenzettel und Lagerhaltung, die Planungssicherheit bei Kosten und Personalressourcen ermöglichen. Frühzeitige Informationen stellen gerade in diesen Zeiten auch Dinge wie das Ersatzteilmanagement sicher.Unsere Arbeitswelt wird sich verändern, aber in vielem stecken auch Chancen. Errichter müssen sich frühzeitig und vollumfassend darauf einstellen und dürfen keine Angst vor Neuerungen haben. Entscheidend für das Gelingen der Umstellungen wird die Haltung der Hersteller sein, ob diese sich eher als Partner oder als Lieferant sehen. Eines wird jedoch bleiben: Für den Kunden zählt am Ende eine zufriedenstellende Lösung und nicht, wie diese zustande gekommen ist.

Statement Arne Schneiders, Architekt AKNW, Sachverständiger für vorbeugenden Brandschutz ( EIPOS )  

Durch das EuGH-Urteil C-100/13zum Bauproduktenrecht 2014 sind EU-Regelungen erlassen worden, die das Baurecht und damit auch den Brandschutz erheblich verkompliziert haben. Anstelle der Bauregelliste ist die um ein vielfaches umfangreichere Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen für jedes Bundesland in Kraft getreten, sämtliche Landesbauordnungen mussten, weil ursprünglich an die Bauregelliste gekoppelt, erneuert werden. Die Regeln für Abnahmen und Nachweise haben sich deutlich verkompliziert. Die früher angestrebte Vereinfachung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu Abnahme, Nachweispflicht und Dokumentation wurde dadurch ad acta gelegt. Sinnvoll wären Hilfestellungen beispielsweise in Form von Checklisten, die den Handelnden auf der Baustelle und den Ingenieuren und Bauleitern eine Leitlinie vorgeben, wie Standardfälle zu behandeln sind. Der Einheitlichkeit wegen sollten derartige Listen von zentraler Stelle festgelegt werden. Dies würde auch über gewisse Begrifflichkeiten hinweghelfen, wie beispielsweise Übereinstimmungserklärung, Fachunternehmerbescheinigung, Fachunternehmererklärung etc. Vereinfachungen der Verwaltungsvorschrift Technischen Baubestimmungen können nur von gesetzgebender Stelle erfolgen. Die derzeitigen Überarbeitungen erfolgen nach meiner Ansicht allerdings eher mit Blick auf juristische Absicherung als mit Blick auf Vereinfachung für die am Bau Tätigen.

 

Die Digitalisierung ist mit Sicherheit durch den Einsatz intelligenter Mangelüberwachungssoftware auf dem Vormarsch, allerdings warne ich vor allem bei haustechnischen Anlagen vor einem Automatismus, der im Regelfall den Prüfenden den Überblick entzieht. Gemeint sind keine automatischen Störmeldungen mit anschließender Überprüfung vor Ort, sondern Instandhaltungsmechanismen, die automatisiert ausgelöst werden. Dabei stellt die Sicherheit vor Fremdzugriff und Manipulation eine der größten Herausforderungen dar. Absolut sicher ist kein System, es geht es also darum,  eine mindestens ausreichende Sicherheit zu gewährleisten, ein Ziel des Normenentwurf der DIN 50710. Begehungen von Objekten bei gesetzlich vorgeschriebenen wiederkehrenden Prüfungen zur Mangelfeststellung können heutzutage mit Hilfe einer Vielzahl von Dokumentationssoftwaren erledigt werden. Welches Programm für die jeweilige Anwendung am besten geeignet ist, hängt von den Anforderungen und der vorhandenen IT-Infrastruktur ab. In den meisten Fällen reicht ein Tablett bzw. Mobiltelefon mit entsprechender angepasster Software aus, wobei ein auf der Baustelle versandfertig erstelltes Protokoll meist noch Seltenheitswert hat. Alternativ ist es auch ohne zusätzliche Software möglich, Mängel als Foto aufzunehmen und mittels Eingabestift digital mit Hinweisen für das später zu erstellende Mangelgutachten zu versehen. Letztendlich regelt der Preis die Anwendungsbereitschaft der Software. Je mehr Anbieter sich auf eine automatisierte Wartung spezialisieren, desto günstiger kann die Software werden. Die Entwicklung bleibt somit abzuwarten.

Statement Dipl.-Ing. (FH) Heidi Burow-Strathoff, Brandschutzsachverständige bei G+H ISOLIERTUNG, Engineering Services

Es gibt sicherlich viele Stellschrauben, an denen wir alle arbeiten müssen. Hier sind nicht nur die Hersteller, sondern auch die zuständigen Behörden gemeint. Die Verwendbarkeitsnachweise müssten zukünftig so gestaltet sein, dass die technische Randbedingungen einfach formuliert sind und die Verarbeiter diese auch verstehen können. Eine Möglichkeit wäre, vermehrt visuelle Darstellungen zu nutzen. Auf den Baustellen gibt es darüber hinaus viele Schnittstellen, die sich reduzieren lassen. Können Planungsvorgaben nicht eingehalten werden, ist es oft nicht immer eindeutig, wer von den Beteiligten Verantwortung übernehmen muss. Pragmatische Lösungsansätze kommen aus diesem Grunde nicht zum Zuge. Viele sehr gute Ansätze scheitern spätestens schon bei der Nachweisführung. Als Beispiel sei an dieser Stelle die unklare Rechtsgrundlage bei der Behandlung von Abweichungen von harmonisierten Bauprodukten angesprochen. Es gibt in der Bauproduktenverordnung keine klare Spielregel hierzu. Die Erklärung von Nicht wesentlichen Abweichungen zu nationalen Verwendbarkeitsnachweisen, mit denen wir gut arbeiten können, sind nicht anwendbar.So haben wir schon Brandschutzklappen – als ein harmonisiertes Bauprodukt nach EN 15650 mit CE-Kennzeichnung – bei einer abweichenden Einbausituation trotz positiver brandschutztechnischer Bewertung des Herstellers ausbauen müssen, weil aus formellen Gründen der Nachweis nicht geführt werden konnte in der Leistungserklärung. Die zuständigen Gremien müssen sich diesem Thema annehmen und darüber sprechen, welche Risiken beim Einbau von brandschutztechnischen Systemen akzeptiert werden können. Wir können nicht jedes Einbaudetail filigran in Nachweisdokumenten aufführen. Das verwirrt die Anwender nur noch mehr. Eine große Herausforderung wird zukünftig sein, wesentliche Inhalte von Verwendbarkeitsnachweisen so einfach darzustellen, dass sie auch verstanden werden.

 

Die Digitalisierung im anlagentechnischen Brandschutz setzt ungeheuer viel Potenzial frei für eine Erweiterung des Dienstleistungsangebotes vor allem im Bereich des Service- und Instandhaltungsgeschäfts. In wieweit eventuelle Datenschutzbelange berücksichtigt werden müssen, muss für die Zukunft noch abgeklärt werden. Für kleinere und mittelständige Unternehmen ist diese Digitalisierung eine große Herausforderung in der Gegenwart und für die Zukunft. Jedoch darf man die hierfür notwendigen Investitionskosten nicht vergessen, die aufgebracht werden müssen. Unternehmen, die die intelligente Technologien im anlagentechnischen Brandschutz bereits umsetzen, mussten ihr Fachpersonal hierfür intensiv schulen. Um die regelmäßige Prüf-, Service- und Wartungsarbeiten die zum Erhalt der Betriebsbereitschaft der entsprechenden Anlagen wie zum Beispiel der Überprüfung der Sprinklerpumpen, der Druckluftwasserbehältern oder auch der Wartungsschieber bei Sprinkleranlagen nach VdS-Richtlinien umsetzen zu können, ist die Digitalisierung garantiert ein optimales Hilfsmittel. Viel Potenzial liegt sicherlich in der Vernetzung mit anderen Gewerken. Hier können wir gespannt sein, was für Lösungen uns zukünftig präsentiert werden.

 

 

Beitrag teilen

Über den Autor: Redaktion Prosecurity

Die ProSecurity Publishing GmbH & Co. KG ist einer der führenden deutschen Sicherheitsfachverlage. Wir punkten mit fachlicher Kompetenz, redaktioneller Qualität und einem weit gespannten Netzwerk von Experten und Branchenkennern.