Executive Protection – eine unterschätzte Disziplin
Professioneller Personenschutz braucht Beratungskompetenz. Ein Beitrag von Oliver Graf, Geschäftsführer der PROTEUS.one GmbH
Lesezeit: 6 Min.
13.09.2023
Professioneller Personenschutz braucht Beratungskompetenz
Tätigkeitsimage und professionelle Realität fallen im Personenschutz diametral auseinander. Nicht zuletzt, weil durch Film und Fernsehen stereotype und völlig verzerrte Rollenbilder aufgebaut wurden. Kevin Kostner und Konsorten haben unseren Beruf seit Anfang der 1990er-Jahre zwar unglaublich populär gemacht, aber leider eine sehr eindimensionale Idee von Executive Protection vermittelt. Der Branche und dem spezifischen Markt hat das unter qualitativen Aspekten nicht gutgetan.
Der Mythos des bewaffneten Bodyguards, der sich im Alleingang um die persönliche Sicherheit seiner Schützlinge kümmert, ist immer noch omnipräsent. Erschwerend kommt hinzu, dass es Wirtschaftsverbände, Politik und zuständige Behörden bisher nicht geschafft haben, ein anerkanntes Berufsbild durchzusetzen. Wo es um den Schutz von Leib, Leben und Gesundheit geht, ist das nicht länger hinzunehmen. Neben Ausbildungs- und Prüfungsstandards für Personenschützer braucht es ein Verständnis unserer Dienstleistung als komplexe Spezialmaterie sowie kompetente Analysten und Berater, die dem gerecht werden können. Wie könnte ein grober Orientierungsrahmen Qualität im Personenschutz also aussehen?
Schutzkonzepte können nicht unreflektiert „verordnet“ werden
Initial muss eine ansatzweise wissenschaftliche Risikoanalyse durchgeführt werden. Methodisch sind dabei zunächst potenzielle Bedrohungselemente festzustellen, also Einzelpersonen oder Gruppierungen zu identifizieren, die nicht nur die hypothetische Fähigkeit, sondern auch die Absicht haben, Schutzpersonen empfindlich zu schaden. In einem zweiten Schritt wird beurteilt, inwieweit Schutzpersonen für diese böswilligen Akteure überhaupt sichtbar und tatsächlich erreichbar sind (Exposition als Gefährdungskriterium). Ein Abgleich mit bereits implementierten Schutzmaßnahmen liefert schließlich Hinweise auf aktuelle Schwachstellen im Sicherheitsdispositiv und lässt Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit und Dimension zukünftiger Schäden zu (Risiko). Je nach individuellem Risikoprofil empfehlen sich diverse Maßnahmen, die unter Best-Practice-Perspektive priorisiert und empfohlen werden können (Schutzkonzept).
Es braucht eine ganze Klaviatur vorbeugender und reaktiver Maßnahmen
Sicherheitsbegleitung muss im Gesamtsystem persönlicher Sicherheit bei entsprechender Gefährdungslage selbstredend repräsentiert sein. Entgegen landläufiger Meinung stellt direkter Personenschutz aber nur einen kleinen, sichtbaren Teil der Facetten und Möglichkeiten dar. Ein Großteil der Maßnahmen ist „Left of Bang“[1] zu verorten, um präventiv auszuschöpfen, was personell, organisatorisch, technisch und pädagogisch nötig ist, um den „Worst Case“ zu verhindern. Trotzdem muss ein Personenschutzkonzept natürlich exakt festschreiben, wie in Ausnahmesituationen zu verfahren ist und Pläne für ein professionelles Alarm-, Notfall- und Krisenmanagement beinhalten.
Risk Monitoring und Protective Intelligence sind unabdingbar
Dem PDCA-Gedanken entsprechend, müssen Risikoanalysen fortlaufend revidiert und Schutzkonzepte kontinuierlich verbessert respektive angepasst werden. Das lässt sich beispielhaft unter Corporate Security-Perspektive erläutern:
Im Zuge der CORONA-Krise haben sich mit dem Querdenker-Phänomen für diverse Unternehmen und ihre Vorstände neue interne und externe Bedrohungsaspekte im Kontext politisch motivierter Kriminalität ergeben, von denen vorher keine Rede war. Einige TOP-Entscheider sind medial stark profilbildend mit ihrem Bekenntnis für eine Impfplicht in Erscheinung getreten, andere qua Position oder Funktion in Pharmaunternehmen in den Fokus geraten. Im Ergebnis haben sich neue Risiken bzw. Risk Levels ergeben, was einzelne Vorstandssicherheitsverantwortliche veranlasst hat, konzeptionell nachzusteuern.
Operativer Personenschutz sollte als dualistisches Einsatzmodell aufgebaut sein
Die Idee, neben dem Begleitschutz ergänzend auch verdeckte Aufklärungs- und Überwachungsmaßnahmen im räumlichen Umfeld regelmäßiger Aufenthaltsorte gefährdeter Personen und ihrer Angehörigen durchzuführen, ist nicht neu. Sie geht letztlich auf das tradierte polizeiliche Terrorismus-Fahndungskonzept K 106 der AG Kripo aus dem Jahr 1986 zurück und ist aus dem privaten Personenschutz heute nicht mehr wegzudenken. Aus taktischer Sicht empfiehlt es sich, Aufklärungskonzepte regelrecht und dauerhaft zu implementieren. Dort wo Auftraggeber bereit sind, entsprechende Kosten abzusichern, sollte die reaktive Komponente einer 365/24/7-Interventionsbereitschaft ergänzt werden, damit Überfall- oder Einbruchalarme jederzeit von „Aufklärern“ verfolgt, konkrete Gefahren ggfs. „on scene“ abgewehrt oder Standardmaßnahmen einer qualifizierten notfallmedizinischen Erstversorgung durchgeführt werden können.
Moderner Personenschutz ist (auch) digital
Die Anwendungsmöglichkeiten digitaler Methoden und Instrumente im Personenschutz sind immens. Umfassende Protective Intelligence-Recherchen im Internet zum Beispiel sind ohne Software-basierte Analysetools im Prinzip undenkbar. Eine Untersuchungsdimension ist hierbei die Ermittlung des „digitalen Fußabdrucks“ von Schutzpersonen, wenn deren „Zielattraktivität“ aus der Sicht eines hypothetischen Gewalttäters beurteilt werden soll. Neben Online-Hinweisen auf Meldeanschriften, Vermögen, Ehepartner oder Kinder kann dabei u.a. auch relevant sein, inwieweit eine Person in konventionellen oder Sozialen Medien mit politischen oder gesellschaftlichen Reizthemen in Verbindung zu bringen ist oder welche Tonalität individuell zugeordnete Beiträge haben.
Digitaler Personenschutz beschäftigt sich selbstredend auch mit der Frage, ob von Schutzpersonen sichere IT- und Kommunikationssysteme genutzt werden oder wie man auf stationären und mobilen Geräten umfassende Datensicherheitsvorkehrungen trifft.Echte Sicherheitsmehrwerte ergeben sich in einem anderen digitalen Nutzungszusammenhang durch den Einsatz einer Smartphone-Notfall-App, mit der Schutzpersonen im Ereignisfall über einen Bluetooth-Panic-Button „stille“ Bedrohungsalarme absetzen können, die georeferenziert und redundant an definierte Sicherheitsmitarbeiter weitergeleitet werden. Ein im Prinzip unverzichtbarer Baustein professioneller Schutzprogramme.
Verhaltensoptimierung bildet einen strategischen Hebel persönlicher Sicherheit
Schutzpersonen bilden selbst einen wesentlichen Faktor in der Risikomitigierung. Es muss die Aufgabe von Personenschutz-Beratern sein, über Sensibilisierungsgespräche, Schulungen und Trainings sowohl Risikobewusstsein wie auch Situational Awareness zu steigern, um richtiges präventives Verhalten in Gefährdungskontexten aber auch Handlungssicherheit in Extremsituationen zu vermitteln. Zwischen ausgeprägter Paranoia und völliger Sorglosigkeit liegt ein Meer an Möglichkeiten.
Eine Alarmanlage ist wichtig – am Ende zählt aber deren Einbettung in ein Sicherheitsmanagementsystem
Keine Frage, baulich-mechanische und elektronische Sicherheitsvorkehrungen an Wohn- und Geschäftsgebäuden bilden eine wesentliche Komponente persönlicher Sicherheit. Besonderes Augenmerk bei der Konfiguration von Alarmanlagen verdient der Aspekt der Anwesenheitssicherung und die Einbindung von Überfall- und Einbruchmeldesystemen in die gesamte Personenschutz-Organisation. Man darf die Regie nicht (allein) den Herstellern und Errichterunternehmen überlassen und tut gut daran, schon frühzeitig auf übergeordnete und unabhängige Executive-Protection-Expertise zu setzen.
Diskrete Background Screenings können helfen, Personalrisiken zu identifizieren
Bei der Einstellung bzw. langfristigen Beauftragung von Mitarbeitern und Hilfspersonen müssen Sicherheitsvorkehrungen über die Vorlage eines Polizeilichen Führungszeugnisses und eine Schufa-Auskunft hinaus gehen. Instinkt und Hoffnung sind die falschen Ratgeber. Transparente Hintergründe schaffen Sicherheit. Selbstverständlich müssen die Ermittlungen einem hohen ethischen und qualitativen Standard entsprechen. Gesonderte Geheimhaltungsvereinbarungen, deren Erläuterung und auch ausdrückliche Sensibilisierungen sind zu empfehlen.
Hoheitliche Auskunfts- und Übermittlungssperren – eine sinnvolle Ergänzung
Wenngleich sich in der Genehmigung von Auskunfts- und Übermittlungssperren gemäß §51 BMG oder §41 StVG ein restriktiver Trend abzeichnet und relevante unbestimmte Rechtsbegriffe immer strenger ausgelegt werden, sollte nichts unversucht gelassen werden, Melde-, Fahrzeug- und Halterdaten auf diesem Wege zu schützen. Gerade Wohnanschriften von Schutzpersonen sind heute, wenn kein Sperrvermerk vorliegt, über Adressermittlungsportale online schnell und günstig zu beschaffen. Das eröffnet diverse kriminelle Möglichkeitsräume. Weniger bekannt ist, dass ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse auch für private Sicherheitsfirmen und ihre Fahrzeuge begründet werden kann, insbesondere dann, wenn sie im Schutzauftrag für gemäß PDV 129 als gefährdet eingestufte Personen eingesetzt werden.
Personenschutz erschöpft sich nicht in „Bodyguarding“. Die professionelle Wirklichkeit sieht anders aus. Auf dem Weg von der Risikoanalyse bis zu einem ausgeklügelten System präventiver und korrektiver Maßnahmen sind strategische und operative Beratungskompetenz erforderlich. Es ist wichtig und richtig, dass sich Markt- und Qualitätsführer organisieren und ein entsprechend breites Dienstleistungsverständnis propagieren. Auf der Makroebene werden die Weichen aber nur gemeinsam mit den Sicherheitsverbänden zu stellen sein. Diese müssen einerseits beginnen, ihren politischen Einfluss für die Schaffung eines anerkannten Berufsbildes im Personenschutz zu nutzen und sich andererseits damit beschäftigen, hohe und praktikable Sicherheitsstandards für den Personenschutz zu entwickeln.
[1] der Begriff geht zurück auf „Left of Bang“: How the Marine Corps‘ Combat Hunter Program Can Save Your Life, Patrick Van Horne, 2014, Tantor Media