Expats – Karrierechancen mit Schattenseiten

Der Bundesrepublik Deutschland wird laut einer Studie im internationalen Vergleich eine sehr geringe Attraktivität für Fachkräfte attestiert.

Lesezeit: 11 Min.

07.06.2024

Am 20. März dieses Jahres musste sich der Bundestag mit einer mündlichen Anfrage des sächsischen CDU-Abgeordneten Dr. Markus Reichel befassen. Reichel hatte eine Woche zuvor auf eine „Expat Insider“-Studie verwiesen, in der der Bundesrepublik Deutschland „mit Platz 49 von 53 eine im internationalen Vergleich sehr geringe Attraktivität für Fachkräfte“ attestiert wird.

Expatriate – in der Kurzform Expat – bezeichnet u. a. Personen, die außerhalb ihres Heimatlandes leben. Wenn diese zum Beispiel als Fachkraft für einen Arbeitgeber im Ausland tätig ist. Das Thema hat zwei gleichermaßen wichtige Aspekte: Zum einen die eigenen Expats, die irgendwo auf dieser Welt einen Auftrag zu erfüllen haben, zum anderen, die Expats aus anderen Staaten, die in Deutschland einer Tätigkeit nach gehen.

Bemerkenswert war in diesem Fall die Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales, Kerstin Griese (SPD). Sie räumte ein, „dass Deutschland im Ranking aufgrund einiger Faktoren hinten liegt, die als schlecht oder schwierig bewertet wurden.“ Die „Expat Insider“-Studie wird von der in München ansässigen InterNations GmbH erstellt. Frau Giese vermerkt, dass zu den negativ bewerteten Punkten von Expats in Deutschland „interessanterweise Faktoren, mit denen man sich wirklich beschäftigen muss“ zählen, wie zum Beispiel „die mangelnde Willkommenskultur.“

Auffällige Anzahl von Suiziden

Das Thema „Expats“ ist vielschichtig und für die Unternehmenssicherheit mitunter von größter Bedeutung. Zum einen geht es um die eigenen Mitarbeiter, die ins Ausland entsandt werden; zum anderen geht es um Beschäftigte ausländischer Partnerfirmen oder Kooperationspartner, die ins Land kommen und deren Wohl und Wehe von nicht unerheblicher Bedeutung auch für die deutschen Gastgeber ist. Da war es keine gute Nachricht, als die „WirtschaftsWoche“ vor einem Jahr einen Beitrag über eine Feststellung der Bertelsmann Stiftung mit den ebenso nüchternen wie ernüchternden Wort überschrieb: „Deutschland für Expats immer unbeliebter.“ Das kann dazu führen, dass unter Umständen dringend benötigte Spezialisten die Reise in die führende europäische Industrienation gar nicht erst antreten.

Diese Bewertungen werden durch Umfragen erzielt, sind also nur bedingt aussagekräftig. Insgesamt ist leider nur sehr bedingt brauchbares Zahlenmaterial zu erhalten, um sich ein wissenschaftlich belastbares Bild von der Situation der Expats zu machen. Das US State Departement hat ein Webportal eingerichtet, in dem (nicht namentlich aufgeführte) nichtnatürliche zivile Todesfälle von US-Bürgern außerhalb der Grenzen der Vereinigten Staaten mit Datum und Ort registriert werden. In Deutschland wurde im Jahr 2022 der Tod von neun US-Amerikanern festgehalten. Bei sechs von ihnen – also bei Zweidrittel – wurde als Todesursache „Suizid“ protokolliert. In der von der Einwohnerzahl mit Deutschland vergleichbaren Türkei kam im selben Zeitraum nur ein US-Amerikaner (durch einen Unfall) ums Leben.

Auch dieser Vergleich hinkt natürlich, weil Zahlen, wie viele US-Bürger sich im gegebenen Zeitraum in dem jeweiligen Land aufhielten und wie lange sie schon dort waren, fehlen. Auch wird man nach dem Grund ihres Aufenthalts, ob touristisch oder beruflich, vergeblich suchen. Aber von dem Selbstverständnis, die Länder des Westens böten per se ein angenehmes Klima für Expats, muss man sich wohl ein für alle Mal verabschieden.

Beliebtes Zielland mit einer grausamen Schattenseite

Die bereits zitierte, 2007 gegründete Internetplattform InterNations, die zur Hubert Burda Media gehört, ist heute die vielleicht meistgenutzte Quelle für Expat-Informationen. Von ihr wurde auch 2023 ein Ranking der beliebtesten Länder für Expats ermittelt. Unter den Top Ten finden sich als europäische Anlaufstellen nur die iberischen Staaten. Auf der Beliebtheitsskala stehen in dieser Reihenfolge: Mexiko, Spanien, Panama, Malaysia, Taiwan, Thailand, Costa Rica, Philippinen, Bahrain und Portugal.

Mexiko ist also das beliebteste Zielland für Expats. Dieses Bild des lebensfrohen, für Expats so erstrebenswerten mittelamerikanischen Landes wird durch die Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes der Bundesregierung erheblich getrübt. „Die Gewalt in Mexiko stagniert auf weitflächig hohem Niveau“, heißt es dort und weiter wird gewarnt: „Vor allem in von der organisierten Kriminalität kontrollierten Gebieten werden bei Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Banden Gegner oftmals getötet, auf Unbeteiligte wird keine Rücksicht genommen. Bei Schusswechseln zwischen den kriminellen Gruppierungen bzw. mit den Sicherheitskräften können auch unbeteiligte Touristen ins Kreuzfeuer geraten, auch mit Todesfolge.“ Der Sender ntv berichtete 2022: „In Mexiko gibt es 94 Mordopfer pro Tag.“ Insoweit bieten auch öffentliche und vielbesuchte Orte nicht immer Sicherheit. Gewaltverbrechen und Eigentumsdelikte sind an der Tagesordnung, wie es in den Reisewarnungen der Bundesregierung heißt. Häufigste Delikte seien, so das Auswärtige Amt, „Diebstähle, Raubüberfälle und Express-Entführungen. Polizeikräfte oder uniformiertes Sicherheitspersonal bzw. Kriminelle, die sich als solche ausgeben, können an Straftaten beteiligt sein. Die Gewalt gegen Frauen ist hoch, darunter Morde, sexuelle Übergriffe und Entführungsversuche, auch in den Touristenregionen. Die meisten Straftaten werden nicht aufgeklärt. Schusswaffen sind weit verbreitet; ihr Einsatz erfolgt oft hemmungslos. Dies gilt auch bei Überfällen im stehenden Verkehr und in öffentlichen Bussen.“

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ist in seinen Reisewarnungen für Mexiko noch drastischer. Dort listet es konkrete Fälle auf, bei denen Ausländer durch Schießereien ihr Leben verloren bzw. verletzt wurden. Solche Hinweise und Warnungen kann ein Tourist beiseite wischen, ein Unternehmen kann dies nicht. „Insgesamt leben nach Angaben der deutschen Botschaft rund 20.000 Deutsche in dem Land“, meldete das „Handelsblatt“ im März vergangenen Jahres.

Vielsagende private Sicherheitshinweise

Nicht gerade ermutigend ist das Sicherheitstraining, das eine Frau die sich Maria nennt, für den Aufenthalt in Mexiko durchlief und die Auszüge daraus auf der Website „Expertmamas“ präsentiert: „Laut ihm sollte man beim Verlassen eines Gebäudes erstmal in der Tür stehen bleiben, dann die nähere Umgebung im Umkreis von ein, zwei Metern checken, danach die nächsten zehn Meter und ganz zum Schluss alles bis auf 25 Meter anschauen und überlegen, ob mir etwas suspekt oder gefährlich vorkommt. Wenn ja, soll man wieder in das Gebäude zurückkehren, wenn nicht, dann darf man seinen Weg fortsetzen.“

Die Gefahren die das Leben in einem fernen Land mit sich bringt, können und dürfen nicht ignoriert werden. Wenn ein Expat erst dort angekommen feststellt, dass ihm das Pflaster doch zu heiß ist, er den Einsatz vorzeitig abbricht und seine Mission unvollendet bleibt, kann das dem Unternehmen – vor allem KMUs – eine schmerzliche Stange Geld kosten. Ernüchternd die Zahlen, die schon vor einigen Jahren veröffentlicht wurden. Laut der Studie „PwC/Cranfield School of Management – Measuring the value of International Assignments“ kostet ein durchschnittlicher Auslandseinsatz rund 300.000 Euro pro Jahr, aber 40 Prozent aller Auslandseinsätze werden als Misserfolg gewertet.

Da die Berichterstattung über Länder, die das Ziel von Expats sein können, oftmals von bestimmten Interessen geleitet sind, fallen bisweilen substanzielle Aspekte unter den Tisch. So liest man auf der Website „internationalliving.com“ über das südostasiatische Malaysia, dass dies „seit den frühen 1920er Jahren ein beliebter Treffpunkt für Expat“ sei. Zwar werden auch Negativpunkte ins Feld geführt, wie Einfuhrsteuern oder das Fahrverhalten der Einheimischen. Vergeblich sucht man Sicherheitshinweise, wie die des Auswärtigen Amtes: „In Malaysia besteht weiterhin die Gefahr terroristischer Anschläge.“ Eine akute Gefährdung, so heißt es dort weiter, „der dortigen touristischen Ziele und somit das Risiko von Überfällen und Entführungen bleibt signifikant.“ Dies sind keine Lappalien.

Vielmehr sollen und müssen diese Sicherheitshinweise vor der Entsendung eines Expats genau studiert werden. Für den Fall, das ein Expat in eine bedrohliche Situation gerät, sollte er nicht unvorbereitet und mit den wichtigsten Verhaltensmaßregeln vertraut sein. Diese unterscheiden sich von Land zu Land und müssen mit den gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen im Zielland abgeglichen und gegebenenfalls aktualisiert werden. Nachlässigkeit kann fatale Folgen haben.

Schlechte Lebensbedingungen können sich negativ auf die Sicherheit auswirken

Obwohl die globale Forschung zum Thema KMU-Auswanderer spärlich ist, so heißt es bei „Allianz Care“, zeigen Untersuchungen, die in Expat-Hubs wie Saudi-Arabien durchgeführt werden, dass 70 Prozent der Mitarbeiter für KMU arbeiten. In Japan zeichne sich ein ähnliches Muster ab. Auch wenn es heißt, dass der größte Teil der Einsatzabbrüche familiäre Ursachen hat, bleiben für die Unternehmen genügend Gründe, auch den Sicherheitsaspekt genauestens unter die Lupe zu nehmen. Man entsendet Mitarbeiter, keine Abenteurer.

So sind Angebote von Organisationen wie InterNations, – welche Veranstaltungen anbieten, bei denen Expats Land und Leute, aber auch die eigene Community schneller und besser kennenlernen können –, auch unter einem Sicherheitsaspekt zu sehen. Das Wohlfühlen in der neuen Umgebung senkt die Gefahr möglicher Frustrationen. Damit wird auch das Risiko eines Loyalitätsverlustes gegenüber Gastgeber wie Entsender gemindert. Und Loyalitätsverlust ist bekanntlich eine der Ursachen, dass Mitarbeiter – bewusst oder unbewusst – zu Innentätern werden.

Dating-App als tödliche Falle

Die Suche nach Abenteuer – oder nur ein kurzes Amüsement – kann schnell ins Auge gehen, wie der in den USA erscheinenden Webplattform „El Nuevo Herald“ am 16. Januar dieses Jahres zu entnehmen ist: Die Vereinigten Staaten haben ihre Bürger gewarnt, bei der Nutzung von Dating-Apps in Kolumbien vorsichtig zu sein, nachdem acht Amerikaner unter verdächtigen Umständen in Medellín tot aufgefunden wurden.

Die meisten der Todesfälle hätten sich im November und Dezember 2023 ereignet. Obwohl die US-Beamten nicht glauben, dass sie direkt miteinander in Verbindung stehen, handelte es sich in allen Fällen um unbeabsichtigte Überdosen von Drogen und in mehreren Fällen um Begegnungen, die über Dating-Apps und soziale Medien arrangiert wurden, so die Botschaft.

„Seien Sie vorsichtig, wenn Sie Online-Dating-Apps in Kolumbien nutzen“, heißt es in der von der US-Botschaft herausgegebenen Empfehlung. „Wenn Sie sich mit einem Fremden treffen, sollten Sie unbedingt in Erwägung ziehen, sich nur an öffentlichen Orten zu treffen und isolierte Orte wie Wohnsitze oder Hotelzimmer zu vermeiden, an denen Verbrechen wahrscheinlicher sind.“ Botschaftsbeamte haben im vergangenen Jahr einen Anstieg der gemeldeten Vorfälle beobachtet, bei denen Online-Dating-Apps benutzt wurden, um „Opfer anzulocken“, heißt es in der Empfehlung. „Die Botschaft erhält regelmäßig Berichte über derartige Vorfälle in Großstädten.“

Johannesburg führt Negativliste an

Apropos: Großstädte. Auch beim Blick auf die Lebensbedingungen für Expats in den Großstädten – und die meisten von ihnen werden dort ihr Tätigkeitfeld finden – ist für unsere Breitengrade ernüchternd. „Sechs der zehn schlimmsten Städte der Welt für Auswanderer liegen in Europa – darunter zwei deutsche“, schrieb „Business Insider“ Ende 2022. An der Spitze der Negativskala allerdings steht die südafrikanische Metropole. „62 Prozent der Expats sagten, dass sie sich in Johannesburg unsicher fühlten. ‚Selbst für südafrikanische Standards kann Johannesburg ein gefährlicher Ort sein‘, steht in dem Expat-Guide von InterNations – ‚Ihr werdet sicherlich nicht ständig bedroht werden, aber ihr solltet euch der potenziellen Gefahren bewusst sein‘“, heißt es in dem Artikel. Die Frage der Sicherheit ist allerdings nur einer der Bewertungspunkte für die Flop-Liste.

Aber auch die spektakulären Vorfälle, bei denen es um Expats geht sollen, dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Das westafrikanische Nigeria ist für solche Vorfälle seit Jahren bekannt. Mindestens sechs Menschen, darunter vier Soldaten, wurden Ende vergangenen Jahres getötet, als eine Gruppe bewaffneter Mitarbeiter der südkoreanischen Firma Daewoo im ölreichen nigerianischen Bundesstaat Rivers angriff. Zwei ausländische Arbeiter, die von den Sicherheitskräften eskortiert wurden, sind, wie ein Armeesprecher bekanntgab, von den Bewaffneten entführt worden sein.

Der „Aufstieg“ von Burkina Faso

Während solche Meldungen aus dem wirtschaftlich aufstrebenden, mit 230 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichstes Land des schwarzen Kontinents, leider keine Seltenheit sind, gehen so manche Entwicklung in dieser Region von unseren Medien fast unbemerkt vor sich. Burkina Faso ist das Land, das am stärksten vom Terrorismus betroffen ist – das erste Mal, dass ein anderes Land als Afghanistan oder der Irak an der Spitze des Globalen Terrorismusindex (GTI) steht. Das Land rangiert laut „statista.com“ vor Israel, Mali und Pakistan.

Fast 2.000 Menschen wurden bei 258 Terroranschlägen in Burkina Faso getötet, was fast ein Viertel aller terroristischen Todesopfer weltweit ausmacht. Dies geht aus dem GTI hervor, der eine umfassende Zusammenfassung der wichtigsten globalen Trends und Muster des Terrorismus bietet und vom Institute for Economics & Peace (IEP) erstellt wird. Diese Zahlen wurden von der in Sydney (Australien) ansässigen Organisation „Vision of Humanity“ veröffentlicht. Dazu wird vermerkt: „Die Zahl der durch Terrorismus verursachten Todesfälle ist um 22 Prozent auf 8.352 im Jahr 2023 gestiegen und befindet sich damit auf dem höchsten Stand seit 2017.“ Das westafrikanische Land wurde zum ersten Mal zum Land mit den größten Auswirkungen des Terrorismus: Die Zahl der durch Terrorismus verursachten Todesfälle stieg um 68 Prozent auf 1.907, obwohl die Anschläge um 17 Prozent zurückgingen. Ein Viertel aller terroristischen Todesfälle weltweit entfiel auf Burkina Faso.

Unterschiedliche Sichtweisen

Kehren wir auch angemessen vor der eigenen Haustür? Während amtliche Stellen das Leben für Expats in Deutschland in recht rosigen Farben malen, kann die Sichtweise von außerhalb durchaus davon abweichen. In den Reiseratschlägen des US-Außenministeriums für Deutschland liest sich das so: „Terrorgruppen planen weiterhin mögliche Anschläge in Deutschland. Terroristen können mit wenig oder keiner Warnung angreifen, die auf Touristenorte, Verkehrsknotenpunkte, Märkte/Einkaufszentren, lokale Regierungseinrichtungen, Hotels, Clubs, Restaurants, Gotteshäuser, Parks, große Sport- und Kulturveranstaltungen, Bildungseinrichtungen, Flughäfen und andere öffentliche Bereiche abzielen.“ Der Blick auf die Sicherheit für Expats kann also recht unterschiedlich ausfallen.

 

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Über den Autor: Peter Niggl

Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight