Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht?
Rohrabschottungen verhindern, dass Feuer, Rauch und zu hohe Temperaturen in andere Geschosse, Wohnungen und Nutzungseinheiten übertragen werden
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24.08.2022
Rohrabschottungen verhindern, dass Feuer, Rauch und zu hohe Temperaturen in andere Geschosse, Wohnungen und Nutzungseinheiten übertragen werden. Sie kommen als brandschutztechnische Maßnahme zur Anwendung, wenn Rohrleitungen durch Wände oder Decken mit Anforderungen an den Feuerwiderstand geführt werden. Grundlegende Schutzziele werden in § 3 und § 14 der Musterbauordnung (MBO) definiert.
Welche Anforderungen stellt der bauliche Brandschutz? Was ist bei der Montage von klassifizierten Abschottungen mit Verwendbarkeitsnachweis zu beachten und welche rechtliche Verantwortung hat der Ausführende?
Umsetzung durch Normbrandprüfungen
Zumeist erfolgt der brandschutztechnische Nachweis über die Wirksamkeit einer Abschottung auf Grundlage einer Normbrandprüfung. Je nach Produktart kann man bei einer Vielzahl von Produkten zwischen der deutschen Prüfnorm (DIN 4102-11), wie für Rohrabschottungen, und dem europäischen Prüfverfahren (EN 1366-3) wählen.
Verwendbarkeitsnachweise: es ist kompliziert
In Deutschland erteilen verschiedene Stellen baurechtliche Verwendbarkeitsnachweise auf die genannten Klassifizierungen. Sie unterscheiden sich in Abhängigkeit des Rohrwerkstoffes und der Anwendung. Nachweis sind hierfür die 1997 eingeführten allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisse (AbP).
Die allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen (AbZ) für Abschottungen brennbarer Rohre gibt es seit den 80er Jahren. Aktuell werden von den Prüfstellen die AbP für brennbare und nicht brennbare Rohre auf Basis von Streckenisolierungen aufgestellt. Das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) stellt Bauartgenehmigungen (AbG) für die Abschottung brennbarer mit brandschutzechnisch wirksamen intumeszierenden Baustoffen ausgestatten Rohre und für nicht brennbare Entsorgungs- und Versorgungsleitungen mit brennbaren Anschlussleitungen aus. Durch die Novellierung der MBO 2016 und die Einführung der Musterverwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVVTB) 2017 wurden die bisherigen Zulassungen durch das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) geändert und die Bauartgenehmigungen eingeführt.
Bauart vs. Bauartgenehmigung
Eine Bauartgenehmigung schreibt den Einbau detailliert vor, damit die errichtete Abschottung auch brandschutztechnisch wirkt, zusätzlich werden für die auf der Baustelle verwendeten Bauprodukte AbZ ausgestellt. Um diese Vorgaben umzusetzen, ist ein hoher personeller und kostenintensiver Aufwand erforderlich. Die aufgeführten Verweise bei den AbPs sind in der MVVTB nachzulesen.
Die Praxis
In der Umsetzung erfordert dieses Regelwerk sehr detaillierte Kenntnisse über die vollständige Leitungsverlegung. Sind Brandschutzanforderungen vorhanden, gibt es folgende Lösungsmöglichkeiten der Umsetzung:
Klassifizierte Rohrdurchführungen mit Verwendbarkeitsnachweis
Technisch kommen durchgängige Isolierungen unterschiedlicher Art gerne in Verbindung mit intumeszierenden Bandagen zum Einsatz. Für brennbare Leitungssysteme gibt es Manschetten. Die Verwendbarkeitsnachweise werden immer detaillierter. Anders als noch vor 10 Jahren, wird mittlerweile bei Isolierungen jeder Produktname aufgeführt. Folgende Randbedingungen müssen vor Erstellung der Rohrabschottungen geklärt und beachtet werden:
- Offenes/geschlossenes Leitungssystem
- Rohrwerkstoff
- Rohrwandstärke
- Isoliertypen (z.B. Polyurethan)
- Isolierproduktnamen
- Isolierdicke und -länge
- Abstand der 1.Abhängung
Bei nichtbrennbaren Rohren gibt es bzgl. der Leitungsbefestigung auch Vorgaben: Wurden Dübel mit Brandschutznachweis verwendet und die zulässigen Zugspannungen der Abhängungen eingehalten?
Übereinstimmungserklärung des Errichters und die Haftung
Wer Rohrabschottungen nach Verwendbarkeitsnachweis errichtet, haftet durch Ausstellen einer Übereinstimmungserklärung für die korrekte Ausführung. Die Vorgaben einzuhalten ist auch nicht einfach: Oft sind die Kernlochbohrungen zu klein, es gibt kaum Arbeitsraum zwischen Rohrdurchführung und Bauteillaibung. Die geforderte Isolierdicke kann nicht aufgebracht werden, Leitungen mit großen Durchmessern liegen relativ dicht beieinander. Können Vorgaben des AbP/AbG nicht eingehalten werden, sollte frühzeitig der Hersteller der Rohrabschottung kontaktiert werden, um den Sachverhalt zu bewerten und ggf. Kompensationsmaßnahmen festzulegen. Dies alles wird in einer Herstellererklärung dokumentiert bzw. eine „Nicht wesentliche Abweichung“ zu den Einbaubestimmungen des Verwendbarkeitsnachweises erklärt. Abschließend kann der Errichter eine Übereinstimmungserklärung ausstellen.
Rohrdurchführungen nach den Erleichterungen der MLAR
Die MLAR wurde 1988 für den Anwender erstellt und beinhaltet einfache Regeln für die Erfüllung brandschutztechnischer Anforderungen bei Leitungsanlagen. Sie wurde von jedem Bundesland eingeführt und regelmäßig überarbeitet, die letzte Fassung ist von Februar 2015. Für nichtbrennbare und brennbare Rohre sind hier einige „Erleichterungen“ festgeschrieben, wie bei der Leitungsdurchführung bei Wänden mit Brandschutzanforderungen vorzugehen ist.
Randbedingungen MLAR ohne Dämmung (Abschnitt 4.3.1)
- Rohrleitungen aus nichtbrennbaren Baustoffen ≤ 160 mm
- Rohrleitungen aus brennbaren Baustoffen mit einem Außendurchmesser ≤ 32 mm
- Mindestbauteildicken Wand/Decke: 60 mm Feuerhemmend (F30), 70 mm Hochfeuerhemmend (F60), 80 mm Feuerbeständig (F90)
- Restspaltverschluss mit nichtbrennbaren Baustoffen (z. Bsp. Mörtel), Mineralfasern (Restspaltbreite ≤ 50 mm), aufschäumenden Baustoffen (Restspaltbreite ≤ 15 mm)
- Abstandsregeln der Leitungen untereinander: mind. gleicher Durchmesser
- Kennzeichnungsschild muss nicht ausgestellt werden
- die Rohrabhängungen und deren Befestigungen werden nicht berücksichtigt
- sämtliche Vorgaben sind einzuhalten
Wird eine Rohrdurchführung nach diesen Vorgaben verschlossen, ist man in Übereinstimmung mit geltendem Recht, erhält jedoch keine klassifizierte Abschottung, denn ein nicht brennbares Rohr ohne Dämmung mit einem Rohraußendurchmesser ≤ 160 mm, welches durch eine 80 mm dicke Massivwand ohne Brandschutzmaßnahme vermörtelt durchgeführt wird, erfüllt die Anforderungen an klassifizierte Abschottungen nicht. Alle Randbedingungen müssen jedoch eingehalten werden.
Wieder neue Verwendbarkeitsnachweise
Am 29.11.2021 wurden die Hersteller von Brandschutzprodukten in einer Veranstaltung vom DIBt informiert, dass es die AbG ab 2026 in dieser Form nicht mehr geben wird. Stattdessen sollen „Anwendungsregeln“ durch das DIBt veröffentlicht werden. Danach sollen von den Prüfstellen AbPs erstellt werden. In diesem Jahr will man prüfen, welche Bereiche weiterhin Bauartgenehmigungen vom DIBt bekommen sollen. Ende 2022 gibt es dazu weitere Informationen.
Aus persönlicher Sicht gesprochen: Die Hersteller waren darauf nicht vorbereitet. Vier Jahre nachdem Bauartgenehmigungen eingeführt wurden, setzt man einen Prozess in Gang, um sie wieder abzuschaffen.
Fazit
Rohrabschottungen zu planen und zu errichten ist mittlerweile sehr komplex, wenn man in Übereinstimmung mit dem Baurecht agieren will. Die Umsetzung von Brandschutzanforderungen nach den Erleichterungen der MLAR ist einfach anwendbar, hat jedoch Grenzen. Es empfiehlt sich aus Gründen des Anlagenschutzes, bei Neubauten im Zuge der Sanierung unter Beachtung einiger Aspekte immer Rohrabschottungen mit Verwendbarkeitsnachweis zu errichten.
Neu eingeführte Verwendbarkeitsnachweise für Mischinstallationen haben im Markt zu einer großen Verunsicherung geführt. Die Frage ist, ob diese Nachweise (erstellt nach einem Ad-hoc-Brandprüfszenario) wirklich gebraucht werden, um sicher zu bauen. Der Bundesverband Technischer Brandschutz (bvfa) hat zur Aufklärung ein öffentlich zugängliches Positionspapier erstellt.
Eine erneute Umstellung der Verwendbarkeitsnachweise kann der Autorin nach nur angestoßen werden, wenn alle Akteure beteiligt werden – wovon wir noch weit entfernt sind.