Mit Erik Liegle, Leiter des Bereiches Forensik der Konzern Sicherheit bei VW sprach Peter Niggl
Security insight: Herr Liegle, wenn man die Medien aufmerksam beobachtet, bekommt man das Gefühl, dass die Angriffe auf die Lieferkette zugenommen haben. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Erik Liegle: Meine Beobachtungen der gesamten Logistikwelt decken sich mit diesem Eindruck. In den vergangenen Jahren ist die Logistik im internationalen Kontext für Kriminelle offensichtlich interessanter geworden. Anders gesagt: Die Gefahr nimmt zu. Eine Ursache sehe ich darin, dass der Warentransport über Landwege stark expandiert ist. Hinzu kommt, dass der durchschnittliche Wert der transportierten Teile gestiegen ist. Den Tätergruppen erscheint es daher immer lohnender, in diesem Bereich tätig zu werden.
Was bereitet Ihnen in der gegenwärtigen Situation die meisten Kopfzerbrechen?
Von Kopfzerbrechen kann nicht die Rede sein. Uns geht es darum, mit klarer Analyse die richtigen Antworten finden. Wir denken voraus, welche weitere Entwicklung auf uns zukommt. Das beschäftigt mich und mein Team. Fakt ist: Cargo Crime stellt ein zunehmendes Risiko für jedes Unternehmen dar, das am Warenaustausch beteiligt ist. Letztlich geht es immer darum, sicherzustellen, dass Güter pünktlich und in vollständiger Stückzahl den richtigen Adressaten erreichen. Die Konzern Sicherheit von Volkswagen hat deshalb bereits vor Jahren gemeinsam mit der Konzernlogistik eine Task Force zur Bekämpfung dieses Phänomens eingerichtet.
Sind es bei VW immer die gleichen Teile, auf die es Kriminelle abgesehen haben?
Ich gebe Ihnen eine allgemeine Antwort: Im Bereich Logistik gibt es unterschiedliche Ausprägungen von Delikten. Einerseits geht es um die klassische Eigentumskriminalität, letztlich also in der Regel um einzelne Diebstähle in einzelnen Bereichen einer Logistikkette. In diesen Fällen ist der Schadensumfang vergleichsweise überschaubar. Ganz anders ist das, wenn organisierte Tätergruppen zuschlagen. Sie fokussieren sich häufig auf Teile, an denen regelmäßiger Bedarf besteht, also ein laufender Abnehmermarkt vorhanden ist, beispielsweise Verschleißteile für Fahrzeuge, die bereits eine gewisse Lebensdauer erreicht haben. Solche Teile rücken bei spezialisierten Tätergruppen ins Blickfeld, weil ihr organisierter Diebstahl ein gutes Geschäft verspricht. Ohne funktionierende Prävention wäre der Schaden beträchtlich.
Wie gelangt das Diebesgut in den legalen Wirtschaftskreislauf?
Organisierte Kriminalität stellt sich sehr flexibel auf: Neuer Bedarf wird schnell erkannt und gewinnbringend befriedigt. Die Warenströme verlaufen auf unterschiedlichsten Wegen. Für den Kunden am Ende der Kette ist es oft äußerst schwierig zu erkennen, welchen Weg das Teil zu ihm genommen hat.
Obliegt es Ihrem Aufgabenbereich, herauszufinden, wo die wirklichen Schwachstellen in der Logistik sind?
Schwachstellenanalyse gehört selbstverständlich zu unseren Aufgaben. Es geht immer um Fragen wie diese: Wo bewegen sich Tätergruppen und wie, wo können sie Zugang erlangen, wer könnte sie mit Informationen versorgen, wer leistet Unterstützung, wer sind die Abnehmer? Erfolgreiche Prävention identifiziert diese Schwachstellen und schließt sie.
Blicken wir mal auf die Gegenseite. Wissen Sie, wie die illegale Logistik funktioniert?
Wir erarbeiten ein Gesamtbild. Dank intensiver Zusammenarbeit mit unseren Sicherheitspartnern in der Industrie, bei den Behörden, bei den Gremien und Verbänden wird das Bild immer klarer und weitgehend deckungsgleich mit Erkenntnissen über Cargo Crime in anderen Bereichen: Gestohlene Teile gehen zurück in den Marktkreislauf und besetzen dann den Platz, den normalerweise ein regulär gehandeltes Teil besetzen würde. Es ist also anders als etwa beim Kunstdiebstahl, bei dem ein gestohlener Gegenstand dem Markt häufig dauerhaft entzogen wird.
Der Transportdienstleister Alpensped hat vor kurzem verlauten lassen, dass er gemeinsam mit VW ein Konzept erarbeitet habe, durch das die Frachtdiebstähle in Rumänien um 70 Prozent gesenkt werden konnten. Lässt sich daraus schließen, dass Sie die Logistiker deutlich mehr in die Verantwortung genommen haben?
Unabhängig von konkreten Vorgängen: Es geht immer darum, zunächst einmal Umfang und Ursache eines Problems zu erkennen, denn ein professionell erstelltes Lagebild ist unverzichtbar. Dafür werden Darstellung, Analyse, Daten und weitere sachdienliche Informationen zusammengeführt, dann trennen wir die Spreu vom Weizen. Daraus ergibt sich ein zumeist recht klares Bild von Transportverlusten, die durch Kriminalität entstanden sind. Erst dann folgen Maßnahmen. Wir arbeiten dabei ähnlich wie behördliche Ermittlungsstellen, und wir arbeiten mit ihnen zusammen, denn nur ein Miteinander führt zum Erfolg. Deshalb gibt es einen engen Schulterschluss, wir tauschen uns aus, wir finden gemeinsam Lösungswege, und wir setzen sie entsprechend abgestimmt erfolgreich um.