Videoüberwachung – neue Trends in Ethik und Technologie
Expertengespräch mit Mathias Glock, Projekt Sales Manager von Panasonic Bildquelle: Panasonic
Die Digitalisierung hat die Welt, in der wir leben und arbeiten, massiv verändert. Durch die Demokratisierung von Künstlicher Intelligenz und der Verfügbarkeit von Metadaten aus der Bildanalyse hat sich der Markt für Überwachungskameras gewandelt. Was leisten die heutigen Systeme, was sind Anwendungsszenarien für KI und was bedeutet der Einsatz aus ethischer Sicht? Dazu haben wir mit Herrn Glock gesprochen.
SicherheitsPraxis: Herr Glock, was leisten moderne Überwachungskameras heute?
Mathias Glock: Die neue Generation von Künstlicher Intelligenz ermöglicht es heute bei modernen Überwachungskameras, präzisere Voranalysen von Situationen vorzunehmen. Im Falle einer Stadt werden die neuen Algorithmen beispielsweise in der Lage sein, die Aufmerksamkeit der Betreiber auf Menschenmengen oder anormale Bewegungen von Menschenmengen zu lenken. Das ist möglich durch den Einsatz von Deep Learning bei Bildanalysealgorithmen: Damit können große Datenmengen zum Trainieren von Künstlicher Intelligenz verwendet werden. Hinzu kommen Fortschritte bei der Rechenleistung und die Miniaturisierung von Computerprozessoren, die nun direkt in Überwachungskameras integriert sind. Auf diese Weise werden die Kosten für den Einsatz dieser Technologien für Endnutzer erschwinglicher.
Wie werden solche Überwachungssysteme eingesetzt?
Insgesamt finden sich in Deutschland eine Reihe von Anwendungsszenarien für Videoüberwachungssysteme im öffentlichen Bereich, beispielsweise auf Märkten, vielbesuchten Plätzen oder in Bussen und Bahnen. So geht es beispielsweise um die Lenkung der Besucherströme auf öffentlich oder auch gewerblich genutzten Flächen. Informationen aus verschiedenen Kameras geben hier einen Gesamtüberblick und erlauben es, angepasst an die aktuellen Bedingungen vor Ort zu handeln. Informationen zum aktuellen Besucheraufkommen an Eingängen oder Bahnsteigen lassen sich beispielsweise via Videoüberwachungssystem mit Anzeigetafeln koppeln, die die Gäste an Orte mit geringen Wartezeiten leiten. Die Kameras schaffen auch mehr Sicherheit im öffentlichen Raum: Denn je früher Störpersonen aufgespürt werden, desto sicherer für alle. Bei neuartigen Gesichtserkennungslösungen lassen sich beispielsweise Aufnahmen bereits bekannter Risikopersonen auf einem internen Server hinterlegen. Kamerasysteme mit intelligenter Gesichtserkennung gleichen ihre Bilder mit dem Archivmaterial dieser Personen ab.
Und welche Anwendungsszenarien gibt es über Besucherströme und öffentliche Sicherheit hinaus noch?
Zum Beispiel die Verkehrsüberwachung: Hier melden Kameras, wo ein Fahrzeug verbotenerweise abgebogen ist, wo zu hohe Geschwindigkeiten gefahren wurden, oder ob der Fahrer angeschnallt fährt. Auch, ob er gegebenenfalls mit dem Telefon am Ohr fährt und somit eine erhöhte Gefahr darstellt. Die Kameras können aber auch erfassen, wo Fahrzeuge geparkt werden und alarmieren bei Bedarf, wenn beispielsweise Sperrflächen oder Rettungswege zugestellt wurden.
Sie haben am Anfang Deep Learning erwähnt. Wie kommt die Technologie denn genau bei der Videoüberwachung zum Einsatz?
Wenn wir mit all diesen Kameradaten Systeme der Künstlichen Intelligenz trainieren, können sie verschiedene Formen erkennen: einen Mann, eine Frau, eine Katze. Sie können aber auch Farben erkennen, dann etwa einen Mann mit rotem T-Shirt und Schnurrbart, ein Kind auf einem Roller, ein bestimmtes Gesicht. Heutige Videoüberwachungssysteme sind daher zu Experten für die Erkennung von Mustern geworden. Auf der Grundlage des Erkannten erstellen sie eine Metadatenbank, die sich selbst versorgt und eine immer feinere Analyse der Bilder ermöglicht. Dies ist die Grundlage für biometrische und gesichtserkennende Systeme – wie etwa beim Beispiel öffentliche Sicherheit.
KI wird auch mit Blick auf Ethik sehr kontrovers diskutiert. Welche Bedenken sind typisch in der Überwachungstechnologie und wie kann man ihnen begegnen?
Natürlich bedeuten verbesserte Auswertemöglichkeiten auch, dass mehr Wert auf den Schutz der erhobenen Daten gelegt werden muss. Denn bei Lösungen, die so individuelle Auswertungen ermöglichen, ist die Diskussion über Ethik in der Überwachungstechnologie sehr nahe. Man muss sich fragen, wann die Auswertung noch ethisch vertretbar ist. Gilt das nur für die Gesichtserkennung oder das Erkennen von Emotionen? Oder dürfen noch weitere Merkmale wie Herkunft, Kleidungsstil oder Tattoos zu einer Aufzeichnung der Personendaten führen? Die Antworten werden mit Sicherheit in jeder Kultur anders lauten.
Welche Möglichkeiten zum Schutz der Privatsphäre gibt es?
Grundsätzlich sollten diese Daten immer so geschützt werden, dass der Zugriff von extern oder durch nicht autorisierte Personen bestmöglich abgeschirmt ist. Schon heute gibt es Lösungen, die diesen Schutz bieten, zum Beispiel mit verschlüsselten Netzwerkverbindungen und Inhalten. Das ermöglicht beispielsweise unsere Technologie für sichere Kommunikation. Zudem können Gesichts- und Personendaten bereits in der Kamera so verpixelt werden, dass eine direkte Zuordnung der ausgewerteten Daten nicht mehr möglich ist. Hierzu haben wir bereits mit „AI Privacy Guard“ eine KI-Lösung in neueren Kameras der i-PRO S- und X-Serie standardmäßig verbaut. Sie ermöglicht es, diese Verpixelung für jede Kamera kostenfrei zu konfigurieren. Zudem wurden durch die DSGVO klare Richtlinien geschaffen, die den Nutzer verpflichten, entsprechende Vorkehrungen zur korrekten Erfassung und Speicherung der Daten klar zu definieren. Außerdem machen sie es dem Aufgezeichneten deutlich sichtbar, dass er erfasst wird und dokumentieren dies auch korrekt.
Der tatsächliche Schutz personenbezogener Daten ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen!
Das stimmt – und in der Tat legen nicht alle Hersteller die Videos datenschutzkonform ab: Dafür ist erforderlich, dass sie nicht auf den Kameras gespeichert werden, sondern in einem gesicherten Bereich auf dem Server. Bei Panasonic ist dies Standard – und schützt die oftmals in Außenbereichen installierten Kameras auch bei einem Diebstahl vor Datenverlust. Hinzu kommt, dass die Daten verschlüsselt übertragen werden. Grundsätzlich schützt der Rechtsrahmen in Europa mit der DSGVO streng die individuellen Freiheiten. Aus Sicherheitssicht besteht das Ziel von Metadaten nicht darin, Bürger zu identifizieren – was in Europa ohnehin nicht erlaubt ist –, sondern darin, die Nutzung des Videoschutzes zu optimieren und proaktiv und vorausschauend zu gestalten.
Es gibt sicherlich auch Zukunftsszenarien für die Integration von KI in der Überwachungstechnologie?
Selbstverständlich. Bis 2024 werden schätzungsweise 30 Prozent der auf dem Markt verkauften Kameras in der Lage sein, Deep Learning einzubetten. Die auf Künstlicher Intelligenz basierende Bildanalyse boomt. Es ist jetzt nur noch eine Frage der Zeit: die Zeit, die benötigt wird, um Infrastrukturen bereitzustellen und KI-Anwendungen zu entwickeln, um die Gesellschaft zum Besseren zu wandeln. Mit dem Einsatz intelligenter, KI-gestützter Lösungen werden Videokameras zu Gesamtsystemen mit vielen Funktionalitäten. Sie reichen weit über die reine Gesichtserkennung, die wohl bekannteste Innovationstechnologie in diesem Bereich, hinaus. Panasonic beispielsweise bietet Lösungen für die Gebäudeautomation. Sie kommen bei der smarten Wartung und Überwachung von Maschinen oder auch im Supermarkt der Zukunft zum Einsatz.