Mit Marco Felsberger, Head of Corporate Security des österreichischen Logistikunternehmens Gebrüder Weiss GmbH, sprach Peter Niggl
Herr Felsberger, das Logistikunternehmen Gebrüder Weiss im österreichischen Vorarlberg blickt auf eine beeindruckende Firmengeschichte von mehr als 500 Jahren zurück. Wenn ich auf die Website Ihrer Firma schaue, finde ich allerdings nicht sehr viel über Lkws und andere Transportmittel. Vielleicht ein paar Worte zu Ihrem Unternehmen…
… weil unsere Firma gar nicht so viele Lkws im Einsatz hat. Wir sind auf das Management, auf Lagerhaltung und auf Supply-Chain-Gesamtlösungen spezialisiert. Für den Nahverkehr haben wir schon noch Lkws an den Standorten im Einsatz. Lagerhallen haben wir an den verschiedenen Standorten unseres Unternehmens. Diese bilden einen weiteren Schwerpunkt in unserem Geschäft. Wir haben weltweit etwas über 8.000 Mitarbeiter an 180 Standorten und im vergangenen Jahr einen Umsatz von über drei Milliarden Euro.
Worin bestehen gegenwärtig Ihre Hauptprobleme im Bereich der Sicherheit?
Akut liegen die Probleme ganz sicher im Transportdiebstahl, im Cargo–Theft-Bereich. Das findet im klassisch-operativen Bereich statt und beschäftigt uns sehr stark. Auf diesem Sektor gibt es leider in der gesamten Transportindustrie sehr viele Vorfälle. Dabei kommt es relativ selten vor, dass ein kompletter Lkw gestohlen wird. Von weit größerer Bedeutung ist für uns – was ja auch immer wieder durch die Presse geht – die Problematik der sogenannten Planenschlitzer.
Wie läuft so etwas ab?
Diese Straftäter gehen nachts, während der Ruhezeiten zu Werke. Da werden die Planen der Lkws aufgeschlitzt oder es wird die Ladeboardwand geöffnet. Dann wird die Ware vom Lkw abgeräumt. Das geht zum Teil so weit, dass bei Security-Transporten, bei denen sogenannte Box-Trailer vorgeschrieben sind, diese von den Dieben sogar aufgeschweißt werden.
Wissen denn die Diebe, was die Lkws geladen haben?
Ich weiß von einer verdeckten Ermittlung in Holland. Dabei konnte der Modus Operandi sehr genau nachvollzogen werden. Es stellte sich heraus, dass die Diebe bestens organisiert waren. Sie verschafften sich durch das Aufschlitzen von Planen oder Ähnlichem einen Überblick über die Ladung. Dann wurde diese potenzielle Beute in speziellen WhatsApp-Gruppen angeboten. Daraufhin kamen „interessierte Kunden“, also die Hehler, und luden die Ware in einen Mini-Van um. So läuft ein ganz klassischer Vorgang.
Eine zweite Vorgehensweise – die ebenfalls oft vorkommt – ist, dass die Diebe durch den Ladeort schon ziemlich genau wissen, was zu holen ist. Zum Beispiel gibt es Ladestellen, bei denen eine hohe Spezialisierung vorliegt, zum Beispiel Elektronik-Artikel wie Handys und Laptops. Da wissen die Ganoven natürlich schon von vornherein, welche Ware von Lkws, die dort ihre Fracht aufgenommen haben, zu holen ist.
Sind dabei auch Innentäter eine Gefahr?
Wir hatten immer wieder mal den Verdacht, dass Fahrer involviert sind. Außerdem kommt es vor, dass Informationen „irrtümlich“ über Facebook und andere Soziale Medien geteilt werden. Aber das ist als eine geringere Problematik anzusehen. Einen anderen Punkt möchte ich aber in diesem Kontext nicht unerwähnt lassen. Die gesamte Logistik arbeitet ja bekanntlich sehr viel mit Leiharbeitskräften. Da besteht immer die Gefahr, dass Insiderwissen – bewusst oder unbewusst – an Unbefugte weitergegeben wird. Dann warten die Diebe vor einer Ladestelle und fahren dem Lkw hinterher, bis der Fahrer eine Pause macht. Das dauert in Europa Aufgrund von gesetzlichen Vorgaben oder schlechter Planung bekanntlich nicht so lange.
Wo liegen die Hotspots solcher kriminellen Aktionen?
In Europa haben wir die Schwerpunkte in Deutschland. Die Lieferketten für die Hightech-Industrie starten oft in Deutschland oder in Tschechien – und auch die führen meistens durch Deutschland. Diese Lieferketten sind stark von Diebstählen betroffen. Hinzu kommen die Niederlande und auch England.
Und wie sieht Ihre Reaktion auf diese Gefahr aus?
Unser Sicherheitskonzept umfasst eine recht breite Palette. Das geht schon damit los, dass wir den Lkw sichtbar machen im Sinne von GPS-Tracking. Das ist die Grundlage. Dann verwenden wir eine Door Open Detection, das sind Magnetsensoren vergleichbar einer Einbruchmeldeanlage an einem Gebäude. Dazu kommen Lichtsensoren. Die reagieren auf den Lichteinfall beim Aufbrechen einer Transportbox.
Das Ganze haben wir auf ein Monitoring Center geschaltet, welches rund um die Uhr die Fahrt aller unserer Transporter, die wir dort angemeldet haben, im Auge hat. Der nächste Schritt ist ein Routen-Assessment. Da schauen wir uns an, wo darf der Transporter fahren, wo gibt es sichere Parkplätze. Das geben wir dann dem Monitoring Center vor und dieses überwacht die Fahrt zum Beispiel mittels GPS-Signal. Sobald eine Abweichung von der Vorgabe festgestellt wird, poppt dort ein Alarm auf und das Monitoring Center schreitet ein, zum Beispiel in dem Sinne, dass der Fahrer angerufen und nach dem Grund der Abweichung befragt wird. Warum ist er von der Route abgewichen oder warum parkt er auf einem Parkplatz, der nicht freigegeben ist. Die Skala der Möglichkeiten reicht dann bis zum Einsatz von Interventionskräften, die man an den Ort des Geschehens beordert. Das kann zum Beispiel sein, wenn der Lkw-Fahrer aufgrund der gesetzlichen Ruhezeiten nicht weiterfahren kann und deshalb auf einem Parkplatz gelandet ist, der von uns nicht als sicher eingestuft wird. Dann können wir einen Sicherheitsdienstleister dort hinschicken, der für die Verweildauer die Sicherung des Transporters samt Ladung übernimmt.
Es gibt in Europa etwas über 300 Parkplätze, die wir regelmäßig auditieren. Bei denen wir sagen können, die gewährleisten einen verhältnismäßig hohen Sicherheitslevel. Dort fühlen wir uns mit der Ware unserer Kunden gut aufgehoben.
Das klingt aufwändig und ist sicher ein Kostenfaktor. Wird Sicherheit damit nicht zu einem Wettbewerbsnachteil?
Die Kunden, denen wir unsere Dienstleistungen anbieten, haben schon ein sehr ausgeprägtes Sicherheitsverständnis. Die wissen schon, dass dies Mehrkosten mit sich bringt. Extrakosten fallen in der Regel durch die Parkplatzgebühr an. Die kommt on top. Und eventuell muss man auch umrouten, weil man auf der kürzesten Strecke nicht die Sicherheitsparkplätze hat, die wir für notwendig erachten. Dann müssen vielleicht ein paar Kilometer Transportweg mehr in Kauf genommen werden. Auch das schlägt sich im Preis nieder. Aber das ist mit unseren Kunden recht klar geregelt und die haben auch ein großes Verständnis dafür, da die Kosten und Aufwände bei einem Diebstahl schwerer ins Gewicht fallen.
Man muss solche Sicherheitsverstöße natürlich detektieren! Die Lkw-Fahrer schauen schon mal, wo es das beste Schnitzel gibt, die interessante Spielhalle oder anderes Amüsement. Das wollen wir nicht und setzen deshalb die Alarmierung dahinter. Damit wir am Ende auch sagen können, welcher Fahrer hält sich an die Vorgaben und welcher nicht.
Wer zertifiziert diese Parkplätze?
Das mache ich oder mein Team nur selten. Wenn wir auf Dienstreise sind, machen wir das schon mal selber, in der Regel aber haben wir Sicherheitsdienstleister, die vor Ort sind, und denen geben wir eine Kriterienliste. Diese Fachleute fahren die Parkplätze an und auditieren sie nach vorgegebenen Sicherheitsmerkmalen. Es gibt auch die Möglichkeit auf die Datenbanken der Esporg oder TAPA zurückzugreifen, die ebenfalls Parkplätze zertifizieren. Das macht aber den geringeren Anteil aus, die meisten Parkplätze zertifizieren wir noch selber.
Routen planen ist das eine, Routen einhalten zu können das andere. Staus, marode Straßen oder Brücken – werden in die Situation Umleitungen zum Sicherheitsproblem?
Da sind wir sehr eng im Austausch mit den operativen Kollegen, welche die Dispo machen und die Touren managen. Diese Kollegen sind besonders geschult und wissen, auf welche Kriterien es aus der Sicht der Security ankommt. Das würde gar nicht anders zu bewerkstelligen sein. Aber auch sie können die Route nicht so im Detail planen; sonst würden zu viele Fehlalarme auflaufen. Weicht ein Fahrer von der Route ab, gibt es im Monitoring Center einen Alarm. Je mehr solcher Alarme, umso größer die Gefahr, dass sie nicht mehr entsprechend abgearbeitet werden können. In solchen Fällen – die in erster Linie Deutschland betreffen, zum Teil auch England – geben wir nur die Parkplätze vor, denn dort besteht das größte Risiko.
Die Logistik wird aber auch von langfristigen Veränderungen betroffen…
… natürlich, das sind gegenwärtige auch wirtschaftliche oder inflationsbedingte Entwicklungen. Die schauen wir uns in meiner Abteilung schon an, um zu bewerten, ob dies einen Einfluss auf die Kriminalitätsentwicklung hat. Wenn Sachen teurer werden und sich die Menschen diese nicht mehr leisten können, steigt die Gefahr krimineller Angriffe. Das haben wir schon auf dem Radar. Auch was sich geopolitisch tut. Wir hatten Kunden und Standorte in der Ukraine, auch Russland haben wir beliefert, da muss natürlich die aktuelle Entwicklung in die Planung einbezogen werden. Je eher man unter den unterschiedlichsten Gesichtspunkten merkt, dass sich da etwas zusammenbraut, desto eher kann man das auch kommunizieren oder Vorgaben für die Kollegen definieren, die dies dann umsetzen müssen.
Dann gibt es da noch die Antiterror- und Sanktionslisten. Das heißt für meine Abteilung: Wir müssen Sanktionschecks machen, darf der Kunde überhaupt beliefert werden. Aber auch für diesen Fall sind die wichtigsten Daten im System hinterlegt. Wenn sich dort zu viele Übereinstimmungen ergeben, bekommen wir eine Info. An uns liegt es dann, den Transport freizugeben oder nicht.
Die Sanktionslisten werden durch bestimmte Anbieter tagesaktuell gehalten. Unsere Datenbank wird so auf dem Laufenden gehalten. Die Software kann nicht alle Fragen klären, dann muss meine Abteilung in die Entscheidung mit eingreifen.
Auf der jüngsten Sicherheitstagung von Verfassungsschutz und ASW in Berlin haben Sie das Thema Brexit angesprochen…
… ja und gerade beim Brexit haben wir gezeigt, wie man langfristig gut reagieren kann. Dadurch, dass wir die Lage rechtzeitig evaluiert und diese Evaluierung regelmäßig überprüft haben, konnten wir eigene Lösungen finden und dem Chaos Großteils entgehen. Wir haben mit einem Dienstleister kooperiert, der einen eigenen Hafen betreibt, denn der offizielle Übergang in Calais war durch die Lkw-Abfertigung völlig überlastet. Unser Kooperationspartner hat zudem Mitarbeiter, die als Zolldeklaranten vereidigt sind. So ist es uns gelungen, für wichtige Kunden den Warenfluss weitgehend ungestört aufrechtzuerhalten. Damit sind wir mit dieser schwierigen Situation deutlich besser zurechtgekommen, als viele unserer Mitbewerber.
Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang waren die enorm gestiegenen Containerpreise…
… die waren schon beim Brexit von etwas über 2.000 Euro auf über 10.000 Euro gestiegen. Während der Covid-Pandemie hatten Lockdowns und daraus resultierende Supply Chain Unterbrechungen die Preise weiter in die Höhe getrieben. Dazu kommt, dass normalerweise die Hälfte der Luftfracht mit Passagiermaschinen transportiert wird; da der Passierverkehr in der Luft aber während Covid fast völlig zum Erliegen kam, wirkte sich dies auf den Schiffsverkehr aus und deshalb gingen noch einmal die Preise für die Container nach oben. In der Supply-Chain muss man feststellen: Ein Problem löst das nächste aus.
Wo und wie erwarten Sie Unterstützung von politischer Seite für Ihre Arbeit?
Da sind wir wieder bei den gesicherten Parkplätzen. Wir brauchen mehr gesicherte Parkplätze, denn die vorhandenen sind bereits heute oft so überfüllt, dass die Lkws bis auf die Autobahn stehen. Programme aufzulegen, um solche sicheren Parkplätze zu fördern, wäre nicht nur ein großer Schritt in Richtung Security, sondern auch zum Schutz der Gesundheit der Fahrer und des Verkehrs.
Mehr Artikel vom Autor
Peter Niggl
Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight