Olympische Spiele 2024 als Testlauf für KI
Frankreich: Konflikt um Videoüberwachung. In gut einem Jahr finden in Paris die Olympischen Sommerspiele statt. 600.000 Menschen werden bei der Eröffnungszeremonie in Paris erwartet
Im Rahmen der Olympischen Spiele 2024 sollen zahlreiche Videokameras von KI unterstützt werden. Foto: Pixabay
In gut einem Jahr finden in Paris die Olympischen Sommerspiele statt. 600.000 Menschen werden bei der Eröffnungszeremonie in Paris erwartet. Sie soll unter den wachsamen Augen zahlreicher Videokameras stattfinden, die zum ersten Mal von Künstlicher Intelligenz (KI) unterstützt werden.
Das aber führt schon jetzt zu einem heftigen Konflikt. Kritiker wie Amnesty International warnen: „Aufdringliche Überwachungstechnologien bei den Olympischen Spielen könnten eine dystopische Zukunft einläuten.“ Die Installation von Überwachungskameras mit KI für die Olympischen Spiele 2024 in Paris wurde Ende März von der Nationalversammlung beschlossen, zwei Monate nach einem ersten grünen Licht des Senats. Der Text kann noch vor dem Verfassungsrat angefochten werden.
Amnesty International warnt
Die Französin Agnès Callamard, Generalsekretärin in der Londoner Zentrale von Amnesty International, malt ein düsteres Bild. „Die Aufstockung des Sicherheitsapparats mit künstlicher Intelligenz getriebener Massenüberwachung ist ein gefährliches politisches Projekt, das zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen könnte. Jede Aktion im öffentlichen Raum wird in ein riesiges Überwachungsnetz gesogen und grundlegende bürgerliche Freiheiten untergraben“, beklagte Callamard Ende März.
Laut dem jüngsten „Treuhandbarometers der französischen Sicherheit für Le Figaro“ sind jedoch die Franzosen weitgehend für die Anwendung der „intelligenten“ Videotechnologie. Auf die Frage „Sind Sie für oder gegen den Einsatz dieser intelligenten Kameras …?“ gaben 89 Prozent der mehr als 1.000 Befragten an, dass sie die Installation solcher Tools in Stadien befürworten, verglichen mit 88 Prozent im Umfeld von Stadien sowie 81 Prozent in öffentlichen Verkehrsmitteln. Über den sportlichen Kontext hinaus befürworten 74 Prozent der Befragten eine derartige Überwachung im öffentlichen Straßenverkehr.
„Gefährliches Verhalten“ erkennen
Im Rahmen der Olympischen Spiele 2024 sollen diese Überwachungskameras den Behörden helfen, verdächtige Objekte, Menschenmassen oder sogar Fahrzeuge mit „gefährlichem Verhalten“ zu erkennen. Sie können auf festen Trägern, aber auch auf Drohnen platziert werden.
Befürworter der Technologie vertreten die Ansicht, dass mit dieser Technik der Anschlag von Nizza verhindert hätte werden können. Am 14. Juli 2016 war ein Attentäter mit einem Lkw in eine Menschenmenge gerast. Dabei waren 86 Todesopfer zu beklagen, mehr als 200 Menschen wurden verletzt.
771 Kameras auf 100.000 Einwohner
Der Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi, setzte sich daraufhin besonders für die Anwendung auf Videoüberwachungssysteme ein. Laut einer 2020 von der „Gazette des Communes“ veröffentlichten Studie ist Nizza mit 771 Kameras pro 100.000 Einwohner oder durchschnittlich einer pro 130 Einwohner die mit Abstand am besten videoüberwachte Stadt Frankreichs. Gefolgt von Nîmes, die mit 267 Kameras nur ein Drittel dieser Dichte aufweist. Paris kommt in dieser Statistik mit 63 Kameras pro 100.000 Einwohner erst auf dem elften Platz.
Die Videoüberwachung gilt in Frankreich als Testlauf für den weiteren Einsatz dieser Technik im öffentlichen Raum. Die Technologie ist nach den Aussagen der Befürworter stark reglementiert, denn Gesichtserkennung ist in Frankreich verboten - und soll es auch mit dem neuen Gesetz bleiben. „Das französische Recht verbietet den Abgleich von Daten. Natürlich filme ich Gesichter, aber das Gesetz verbietet mir, diese Gesichter zu identifizieren“, erklärt Régis Lebeaupin, zuständig für den Videoschutz bei der Stadtpolizei von Massy, einem Vorort von Paris.
Biometrische Gesichtserkennung befürchtet
Der Testlauf der Maßnahmen ist laut Regierung bis Juni 2025 geplant, also zehn Monate über die Olympiade hinaus. Deshalb befürchten Kritiker, abgesehen von einer Verlängerung der intelligenten Überwachung, dass mittelfristig auch eine Identifizierungsmöglichkeit durch die besonders umstrittene biometrische Gesichtserkennung in Echtzeit hinzukommen könnte. Diese stand bereits zur Diskussion, wurde von der französischen Nationale Kommission für Informatik und Freiheiten (CNIL) und liberalen Kräften im Land allerdings kurzfristig verhindert.
Befürworter der Technologie versuchen ihrerseits die Einführung der neuen Videoüberwachung zu beschleunigen. „Wenn wir zu lange warten, kaufen wir amerikanische, chinesische, israelische oder japanische Produkte von der Stange“, warnt laut AFP ein Industrieller, der von einem „industriellen Schaufenster“ für den französischen Sicherheitssektor und von einem praxisnahen Test schwärmt.
Philippe Latombe von der Macron-freundlichen Partei Modem sagte kürzlich, wie „DerStandard“ (Wien) zu berichten weiß, es gäbe ausreichend französische Unternehmen, die solche Systeme zur Verfügung stellen könnten. Man müsse sich aber bald entscheiden, weil die Algorithmen trainiert werden müssen, um zum Event einsatzbereit zu sein.
Elon Musk gescheitert
Nach Diskussionen zwischen den Leitern von OpenAI und dem Staatssekretär für Digitales, Jean-Noël Barrot, will die EU ein Projekt zur Regulierung künstlicher Intelligenz namens „AI Act“ auf den Weg bringen, um sich als Vorreiter im Bereich der KI-Regulierung zu etablieren. OpenAI ist ein amerikanisches Forschungslabor für künstliche Intelligenz (KI), das aus der als gemeinnützig geltenden OpenAI Incorporated (OpenAI Inc.) und ihrer gewinnorientierten Tochtergesellschaft OpenAI Limited Partnership (OpenAI LP) besteht. OpenAI betreibt KI-Forschung mit der erklärten Absicht, eine freundliche KI zu fördern und zu entwickeln. OpenAI-Systeme laufen auf dem fünftstärksten Supercomputer der Welt. Berichten zufolge hatte Elon Musk 2018 versucht, OpenAI zu übernehmen, sei jedoch gescheitert.
Diese Hintergründe befeuern die Ablehnung der Videoüberwachung. Zum Beispiel beklagt Agnès Callamard: „Diese Technologien verstärken rassistische Praktiken bei Strafverfolgungsoperationen und bedrohen das Recht auf Protest. Ethnische Minderheiten – insbesondere Migranten und People of Color – sind am stärksten gefährdet, von bestimmten Überwachungsinstrumenten, insbesondere Gesichtserkennungssystemen, herausgegriffen zu werden.“
Die Technologie der Videoüberwachung mit KI, bei der israelische und französische Unternehmen führend sind, werfe laut La Quadrature du Net jedoch ebenso viele Fragen in Bezug auf die bürgerlichen Freiheiten in einer Demokratie auf wie die Gesichtserkennung. La Quadrature du Net ist eine französische Vereinigung, die sich digitale Rechte und Freiheiten der Bürger auf die Fahnen geschrieben hat.
Nur London mit China vergleichbar
Zum Vergleich mit dem Rest der Welt ist die am stärksten videoüberwachte Stadt Europas London, wo nach einem Bericht der Illustrierten „Stern“ im Jahr 2021 rund 7.300 Kameras auf 100.000 Einwohner kommen. London liegt damit im weltweiten Ranking der Videoüberwachung hinter den chinesischen Städten Taiyuan und Wuxi an dritter Stelle – noch vor Peking. Nach dem Brexit muss sich das Vereinigte Königreich auch nicht mehr an die Restriktionen bei der Gesichtserkennung halten.
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Peter Niggl
Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight