Das nächste Virus kommt bestimmt – Chancen und Risiken für Facherrichter

Die Corona-Pandemie stellt die Sicherheitsbranche vor neue Herausforderungen, bietet Chancen, braucht aber auch viel Flexibilität bei Brandschutz und Sicherheitstechnik.

Lesezeit: 7 Min.

23.04.2021

Seit dem ersten Lockdown ist nun ein gutes Jahr vergangen. Zeit für eine Bilanz: wie hat sich der Sicherheitsmarkt verändert und wie sieht die Zukunft aus? Die Sicherheitspraxis sprach mit Christian Kühn, einer der beiden Geschäftsführer von Schlentzek & Kühn. Das Unternehmen beschäftigt in Berlin-Bohnsdorf mehr als 40 Mitarbeitende und Auszubildende und feierte im letzten Jahr 25jähriges Jubiläum – wegen Corona nahezu unbemerkt.

Die Corona-Pandemie hat weitreichende soziale und wirtschaftliche Auswirkungen. Wo stehen Installateure und Errichter der Sicherheitstechnik nach diesem außergewöhnlichen Jahr?

Christian Kühn: Das kommt darauf an… Die Zahlen der Verbände sehen zwar nicht schlecht aus, allerdings kommt es sehr auf die Betriebsgröße an. Größere Unternehmen können Umsatzausfälle und die zusätzlichen Hygienemaßnahmen leichter verkraften als kleine und mittlere Betriebe. Besonders im letzten Sommer haben einschließlich der Hersteller alle Federn lassen müssen. Vor allem die Instandsetzung wurde bedingt durch Kurzarbeit und Budgetkürzungen eher auf die lange Bank geschoben. Besonders betroffen waren Krankenhäuser und Pflegeheime, die während des letzten Jahres andere Sorgen hatten. Angezogen hat dagegen der Neubau und durch das bei vielen Betrieben vorhandene gute Auftragspolster wurde häufig zumindest die schwarze Null erreicht.

Auf der anderen Seite bringt die Corona-Pandemie auch viel Bewegung in die Branche. Die Arbeit bei unseren Kunden wird viel sicherheitsorientierter und es entstehen neue Gebäudenutzungen wie Impfzentren, die abgesichert werden müssen. Deutlich zugenommen hat die Zahl der Nutzungsänderungen. Nicht mehr benötigte Büro- und Verkaufsräume werden zu Teamräumen und Logistikflächen umgewidmet und Hotels werden zu Übergangsunterkünften. Großunternehmen räumen Büroflächen, stattdessen ziehen KMUs mit einem gänzlich anderen Nutzung- und Sicherheitskonzept dort ein. Diese Veränderungen eröffnen Chancen, erfordern aber auch viel Flexibilität bei Brandschutz und Sicherheitstechnik.

Welche aktuellen Entwicklungen brennen den Errichtern zurzeit besonders unter den Nägeln

Der immer noch vorhandene Fachkräftemangel wird durch die Einschränkungen bei Seminaren und Schulungen noch weiter verstärkt. Es stockt erheblich bei der Aus- und Weiterbildung, was nur teilweise kompensiert werden kann und irgendwann auch Auswirkungen auf die Baustelle hat. Dazu kommen neue Fragen, wie beispielsweise die, ob online erworbene Zertifikate überhaupt gültig sind. Wie immer brennt auch das Thema Baurecht unter den Nägeln. Es ist stark reguliert, was einerseits mit klaren Regeln Sicherheit für alle Baubeteiligten schafft. Andererseits entwickelt es auch oft ein Eigenleben, was die Situation häufig sehr verkompliziert. So geht es beim Anwendungsgebiet der MLAR eigentlich um den schutzzielorientierten Funktionserhalt brandschutztechnischer Anlagen. Die MLAR enthält allerdings zunehmend Lösungsansätze, die technisch nicht dort hingehören und manchmal auch nicht umsetzbar sind. Dazu gehören beispielsweise Einhausungen oder Ausnahmeregeln, die eigentlich in den Normen als Anforderungen formuliert werden müssten.

Die Feuerwehren schreiben in die Technischen Anschlussbedingungen TAB immer häufiger Sachverhalte, die dort nicht hinein gehören.  Wieso wird dort beispielsweise die Schriftgröße im Anzeigetableau festgelegt, das gehört doch in die Technischen Regeln. Brandschutzkonzepte enthalten oft entweder zu wenig oder zu viele Details und Schutzziele werden nur unklar oder gar nicht formuliert. Das stört den weiteren Ablauf. Ein ergänzendes Brandmelde- und Alarmierungskonzept ist an dieser Stelle äußerst hilfreich. Wünschenswert wären auch einheitliche TABs, beispielsweise festgelegt durch die DIN 14675. Diese könnten dann mit den organisatorischen und spezifischen Einsatzanforderungen der jeweiligen Feuerwehren ergänzt werden.

Wie bewerten Sie die Auswirkungen der Neuordnung von Musterbauordnung und der Technischen Baubestimmungen auf die Errichter?

In der Praxis und auf der Baustelle gibt es für Errichter nur wenige direkte Auswirkungen. Als Ausführende sind wir relativ weit weg von den häufig komplizierten und theoretischen baurechtlichen Bestimmungen. Alle wissen, dass es neue Anforderungen gibt, setzen aber nach wie vor auf Altbewährtes. Schließlich ist die Umsetzung der baurechtlichen Anforderungen zuallererst Aufgabe des Brandschutzkonzeptes und der Fachplanung. Da stellen wir allerdings fest, dass die Umsetzung der neuen MBO und MVV TB häufig noch mit großen Unsicherheiten behaftet ist, was zu nachlassender Qualität führt. Das hat dann sehr wohl Auswirkungen auf unsere Arbeit, denn solche Defizite können zu Umplanungen und Zeitverlusten auf der Baustelle führen. Manche Vorgaben aus der Fachplanung sind überhaupt nicht mit den baurechtlichen Anforderungen in Einklang bringen. Das hat auch für Errichter Konsequenzen, bis hin zu haftungsrechtlichen Risiken. Denn schließlich stehen wir mit Abgabe einer Errichtererklärung im Wort und in der Pflicht.

In der Praxis wird häufig über zu viele Normen und Normenänderungen diskutiert. Zu unübersichtlich, zu einengend, zu teuer. Sehen Sie das auch so?

Grundsätzlich sind Normen eine gute Sache, vor allem wenn sie zu den allgemein anerkannten Regeln der Technik zählen. Sie unterstützen alle Baubeteiligten bei der technischen Umsetzung und geben rechtliche Sicherheit. Wenn ich als Errichterbetrieb normgerecht arbeite, wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass die baurechtlichen Anforderungen eingehalten sind. Ich brauche die Einhaltung nicht umständlich nachzuweisen. Für zertifizierte Facherrichter sollte es auch kein Problem sein, in Sachen Normen auf dem Laufenden zu bleiben. Diese Betriebe haben sich zur regelmäßigen Weiterbildung verpflichtet und sind in der Lage, neben Informationen aus Fachpresse und Internet auch die zahlreich angebotenen Seminare zu nutzen. Kleineren Errichterbetrieben fällt es naturgemäß schwerer, die notwendigen Ressourcen dafür bereitzustellen.

Luft nach oben besteht noch in der Übersichtlichkeit von Normen. Eigentlich sollte eine Norm beschreiben, wie bestimmte Schutzziele mit welchen Anforderungen erfüllt werden können. Stattdessen wird in eine Norm teilweise auch heute noch alles hineingeschrieben, was das Fachgebiet an technischen Feinheiten hergibt. Fortschritte sind aber in Sicht. Die Normenarbeitskreise arbeiten heute viel übergreifender als früher, was beispielsweise an den Klarstellungen in diversen Normen zum Thema Alarmierungsanlagen deutlich wird. Insgesamt wird der Normenmarkt derzeit sortiert, bereinigt und konsolidiert.

Können Sie uns dafür ein Beispiel nennen?

Ein Beispiel ist die europäische Dienstleistungsnorm DIN EN 16763. Sie beschreibt zum ersten Mal Qualitätsanforderungen an Dienstleister für sämtliche Sicherheitsanlagen, also nicht nur für den Brandschutz, sondern auch für Zutrittskontroll- und Videosicherheitsanlagen. Bauherren und Betreiber erhalten damit ein europaweit einheitliches Kriterium zur Auswahl ihrer Dienstleister. Nach Inkrafttreten der Dienstleistungsnorm wurden und werden zahlreiche andere Normen wie zum Beispiel die Normenreihe DIN VDE 0833 und die DIN 14675 angepasst. Statt jeweils eigener Festlegungen zur Dienstleistungsqualität wird einfach auf die DIN EN 16763 verwiesen. Das führt zu einheitlichen Formulierungen und größerer Übersichtlichkeit.

Am Markt durchgesetzt hat sich die DIN EN 16763 allerdings noch nicht, was vor allem oft am fehlenden akkreditierten Verfahren für die Zertifizierung liegt. Das wird zwar gerade erarbeitet, ein wenig mehr Tempo der politischen Gremien und der Dakks wäre allerdings hilfreich. Obwohl die Norm große Chancen bietet, ist  die Kenntnis am Markt ebenfalls noch gering. Ein Grund könnte sein, dass die Anwendung der DIN EN 16763 freiwillig ist. Im Gegensatz zur DIN 14675, deren Einsatz über die TABs verpflichtend ist.

Die Corona-Pandemie stellt uns noch lange vor große Herausforderungen, durch Lockdown und Impfungen ist jedoch Licht am Ende des Tunnels in Sicht. Was sollten Errichter jetzt schon für das Wiederanfahren von Geschäfts- und öffentlichem Leben beachten?

Covid-19 hat die Welt verändert, und zwar dauerhaft. Das Leben und die Wirtschaft nach der Pandemie werden nicht mehr dieselben sein wie vorher. Das Virus hat uns dazu gezwungen, bei zahlreichen Abläufen und Prozessen zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Kontaktvermeidung, Home-Office und Video-Meetings werden uns auch zukünftig erhalten bleiben. Das hat Auswirkungen auf zahlreiche Branchen, was sich unter anderem in der Gebäudenutzung niederschlägt. Aus Verkaufsraum wird Lagerfläche, große Unternehmen geben Büroflächen auf und es ziehen viele kleine Firmen in das Gebäude ein. Das Anpassen der Sicherheits- und Sicherungskonzepte im Bestand ist eine große Herausforderung für alle Beteiligten. Auch die Gesundheit am Arbeitsplatz wird einen viel höheren Stellenwert einnehmen. Für Orte mit vielen Menschen wie Schulen, Universitäten und Krankenhäuser werden Konzepte für mehr Sicherheit erarbeitet, einschließlich Hygieneanforderungen, kontaktloser Identifikation und Lüftung. Schlussendlich ist mit einer überwundenen Corona-Pandemie das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Das nächste Virus oder andere Gefahren mit neuen Anforderungen an die Sicherheit kommen bestimmt. Neben allen Widrigkeiten sollten Errichter wachsam sein und die Chancen darin erkennen.

Bildquelle: Pixabay

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Über den Autor: Christian Kuehn

Christian Kühn, Geschäftsführer Schlentzek & Kühn GmbH