Hätte, hätte, Lieferkette…

Im Trendbarometer fragen wir Hersteller, und Errichter nach ihrer Einschätzung zum Thema Lieferketten

Lesezeit: 5 Min.

06.06.2022

Von Jochen Krings, Fachredaktion SicherheitsPraxis

Produktionsausfälle, Engpässe in der Logistik, fehlende Vorprodukte und Komponenten – durch Pandemie und Ukraine-Krieg sind die Lieferketten so sehr gestört wie noch nie seit der Globalisierung. Durch die rigide Null-Covid-Politik in China stauen sich im weltgrößten Containerhafen in Shanghai die Frachtschiffe und verursachen massive Störungen im Welthandel. Der Krieg in der Ukraine sorgt für Unsicherheiten und drastisch steigende Preise in der Energieversorgung, es fehlen wichtige Rohstoffe für die Stahlproduktion und Zehntausende von ukrainischen LKW-Fahrern, die jetzt für ihr Land kämpfen.

Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Accenture, die im Mai auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos veröffentlicht wurde, verursachten Lieferketten-Störungen 2021 einen Verlust des Bruttoinlandsprodukts in der Eurozone von rund 112,7 Milliarden Euro. Statt einer Entspannung hat sich die Lage durch den Krieg in der Ukraine noch weiter verschärft. Erwartete man vor dem Krieg noch eine Normalisierung der Lieferketten in der zweiten Jahreshälfte 2022, rechnen die Experten damit jetzt frühestens 2023, vielleicht sogar erst 2024. Je nach Verlauf des Krieges sind demnach weitere Verluste von bis zu 318 Milliarden Euro im Jahr 2022 und 602 Milliarden Euro im Jahr 2023 möglich.

Die Studie legt auch nahe, dass Lieferketten in Zukunft anders konzipiert sein müssen. Ging es in der Vergangenheit nahezu ausschließlich um Kostenoptimierung, spielen zukünftig vor allem Widerstandsfähigkeit, Transparenz und Nachhaltigkeit eine Rolle.

Von Friedel Hacker, Geschäftsführer TRAKA Deutschland

Auf Grund der geopolitischen Ereignisse wird die Sicherheitslage in Deutschland angespannter. Die schleppend verlaufende Digitalisierung hat sich bereits zuvor negativ ausgewirkt, auch im Bereich Sicherheit. Nun verzögern gestörte Lieferketten und längere Lieferzeiten zusätzlich die Anpassung der sicherheitstechnischen Infrastruktur. Bezogen auf Branchen schätzen wir besonders die Lage in Unternehmen der kritischen Infrastruktur, wie Strom- und Wasserversorgung oder Telekommunikation, als kritisch ein. Auch im produzierenden Gewerbe, etwa Chemieanlagen, gibt es sicherheitstechnischen Optimierungsbedarf.

Für unser Unternehmen bestehen die größten Probleme aktuell bei Elektronikkomponenten, speziell kapazitive Touch-Displays sowie im Transport sensibler Güter. Wir mildern die Auswirkungen hauptsächlich durch eine verfügbarkeitsbezogene ABC-Analyse in der Lagerhaltung ab, verbunden mit einer kontinuierlichen Wahrscheinlichkeitsbewertung sich anbahnender Projekte. Zusätzlich optimieren wir die Quellenfindung von Komponenten mit Hilfe weltumspannender Einkaufskontakte und bauen eigene Transportkapazitäten auf, sodass sensible Ware auch künftig verlustfrei den Empfänger erreicht.

Von Christian Kühn, Geschäftsführer Schlentzek & Kühn GmbH

Krieg und gestörte Lieferketten führen aktuell sicherlich zu teilweise großen Problemen und Herausforderungen am Sicherheitsmarkt. Diese könnten aber abgemildert werden, hätte die Branche frühzeitig auf Digitalisierung der eigenen Lieferketten mit ihren Kunden gesetzt. Bis heute gibt es hier unzureichend Bereitschaft der Lieferanten und Hersteller, Lagerverwaltung und Bestellwesen mit ihren Kunden zu vernetzen. Seit mehreren Jahren gibt es sogar auf der Kundenseite Anwenderlösungen, die standardisiert sind, nicht jedoch von den Herstellern eingepflegt werden. Hier arbeitet ein Großteil der Branche noch immer mit Excel-Preislisten und statischen Angeboten oder Datanorm-Dateien. Die Auswirkung wird dadurch sichtbar, dass alle wie an der Börse fast wöchentlich Zuschläge in den blauen Himmel kalkulieren, die der Errichter so ohne Weiteres gar nicht weiter geben kann.

Wäre es nicht schön, wenn der Hersteller bereits einen neutralisierten Artikelbedarf aus den Datenbanken seiner Kunden bekäme und im Gegenzug die Lagerverfügbarkeit und bessere Planbarkeit von Lieferterminen und Preisen zur Verfügung stellt? Errichter könnten viel besser auf Unwegsamkeiten reagieren und damit die Hersteller entlasten, weil nicht erst eine Bestellung gemacht wird, wo im Nachgang dann Ersatzartikel versucht werden zu beschaffen und dann alle Bestellungen und Aufträge erneut angepasst werden.

Wie peinlich ist es denn, dass unsere Branche Auftragsbestätigungen schreibt mit ‚tbd.‘ und ‚in Klärung‘? Amerikanische Logistiker haben gezeigt, dass frühzeitige ganzheitliche Digitalisierung es ermöglicht, auch auf querstehende Tanker oder 2-wöchige Hafenschließungen besser reagieren zu können.

 

Von Philip Kennedy, Geschäftsführer Ei Electronics GmbH

Die Hersteller von Sicherheitstechnik stehen in besonderer Verantwortung, denn ihre Produkte schützen Menschenleben und Sachwerte. Sind entsprechende Systeme und Ersatzteile nicht lieferbar, drohen Sicherheitsmängel. Dementsprechend hoch sind die Anforderungen an resiliente Lieferketten und zuverlässige Produktionsstandorte.

In unruhigen Zeiten wie diesen hängt die Sicherstellung der Lieferfähigkeit nicht allein vom Einkauf, sondern von der Zusammenarbeit und Flexibilität des gesamten Unternehmens ab. Bei auftretender Bauteilknappheit, wie wir sie momentan fast täglich erleben, diskutieren wir bei Ei Electronics in abteilungsübergreifenden Arbeitsgruppen sofort über mögliche Alternativen. Denn das Ausruhen auf ‚Second-Source‘-Quellen wäre trügerisch, gerade bei älteren oder Low-Volume-Bauteilen. Darüber hinaus müssen Alternativlösungen in der Sicherheitstechnik ordentlich geprüft und zugelassen werden. Häufig gibt es auch die Möglichkeit, Kunden von einem anderen, gleichwertigen Produkt zu überzeugen. Einkauf, Entwicklung und Vertrieb arbeiten hier also eng und flexibel zusammen.

Lieferfähigkeit ist aber auch eine Frage der langfristigen Ausrichtung. So hat Ei Electronics bereits Ende letzten Jahres eine neue Unternehmenszentrale mit modernen Produktionslinien eingeweiht. Seit unserer Gründung entwickeln und fertigen wir sämtliche Geräte zu 100% in Shannon in Irland. Die hohe Fertigungstiefe stärkt unsere generelle Lieferfähigkeit, da die zur Produktion benötigten Einzelmaterialien variabler zu beschaffen sind als Fertigbauteile. Als inhabergeführter Mittelständler investieren wir in nachhaltige Partnerschaften mit Kunden und Lieferanten. Wurden wir vor kurzem wegen des lohnintensiven Personaleinsatzes in Europa noch belächelt, stellt sich das jetzt als strategischer Vorteil heraus. Unsere Rauchwarnmelder und anderen Sicherheitslösungen sind jedenfalls aktuell uneingeschränkt lieferbar.

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Über den Autor: Redaktion Prosecurity

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