Kommissionsentwurf einer neuen EU-Bauprodukteverordnung

Die EU-Kommission hat Ende März den Entwurf einer neuen Bauprodukteverordnung vorgelegt, der Teil eines Maßnahmenpakets im Zusammenhang mit dem European Green Deal ist

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17.05.2022

Die EU-Kommission hat Ende März den Entwurf einer neuen Bauprodukteverordnung vorgelegt (Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council laying down harmonised conditions for the marketing of construction products, amending Regulation 2019/1020 and repealing Regulation 305/2011(EU), KOM (2022) final). Der Entwurf ist Teil eines Maßnahmenpakets im Zusammenhang mit dem European Green Deal aber auch das Ergebnis eines seit 2016 andauernden Revisionsprozesses.

  1. Hintergrund der Neuregelung und derzeitige Regelung

Der Entwurf der neuen EU-Bauprodukteverordnung soll die Ablösung der derzeit geltenden Verordnung (EU) 305/2011 (im Folgenden: EU-BauPVO) vorbereiten. Die EU-BauPVO hatte bereits im Jahr 2013 die bis dahin geltende Bauprodukterichtlinie 89/106/EWG (im Folgenden: BPR) abgelöst. Das Ziel des europäischen Bauprodukterechts ist die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes für Bauprodukte durch Harmonisierung. Das Bauprodukterecht regelt auf europäischer Ebene Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten, indem in harmonisierten technischen Spezifikationen (z.B. harmonisierten Normen) Bedingungen für die Ermittlung und Angabe produktbezogener Leistungsinformationen festgelegt werden. Im Rahmen dessen regelt die EU-BauPVO beispielsweise, dass der Hersteller eines Bauproduktes die aufgrund der harmonisierten Norm ermittelten Leistungen im Rahmen einer Leistungserklärung angeben muss und das Bauprodukt mit dem CE-Kennzeichen versehen muss. Die Mindestanforderungen an die Verwendung eines Bauproduktes werden – unter gewissen rechtlichen Einschränkungen – durch das Bauordnungsrecht der Mitgliedstaaten definiert. Die harmonisierten technischen Spezifikationen im Geltungsbereich der EU-BauPVO beschränken sich (theoretisch) auf die Festlegung von Prüfverfahren, ohne dabei konkrete Eigenschaften festzulegen. Nur ausnahmsweise kann die EU-Kommission in delegierten Rechtsakten Leistungsklassen festlegen, auf welche die Mitgliedstaaten dann Bezug nehmen müssen. Die Anwendung einschlägiger harmonisierter Normen im Anwendungsbereich der EU-BauPVO ist dabei für die Hersteller verbindlich.

 

Im Rahmen des bisherigen Revisionsprozesses haben sich Unzulänglichkeiten des bisherigen Regelungssystems gezeigt. Hierzu zählt zunächst, dass die bisherige Regelung das Politikziel der Kommission, einen digitalen, resilienten und grünen Binnenmarkt zu schaffen, nicht hinreichend umsetzt. Zentral sind überdies Unzulänglichkeiten im Zusammenhang mit harmonisierten technischen Spezifikationen, insbesondere harmonisierten Normen. Die Kommission stellt strenge Qualitätsanforderungen an die europäischen Normen, da der EuGH diese im Anwendungsbereich der EU-BauPVO als Unionsrecht qualifiziert hat. Eine Vielzahl der von den europäischen Normungsorganisationen fertiggestellten Normen entspricht diesen Qualitätsanforderungen jedoch nicht, weshalb die Kommission ihre Fundstellen nicht im EU-Amtsblatt veröffentlicht hat. Dies führte zu einem veralteten Normenbestand. Als Alternative nutzten immer mehr Hersteller den Weg über die (individuelle) Europäisch Technische Bewertung (ETA), wodurch sich auch diese Verfahren verzögerten. Darüber hinaus führt die beschriebene Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten zu der Herausforderung, dass die europäischen Produktnormen als Grundlage für die mitgliedstaatlichen Verwendungsanforderungen fungieren können müssen. In der Praxis stellen die Mitgliedstaaten jedoch teilweise Anforderungen an die Verwendung harmonisierter Bauprodukte, für welche die harmonisierten Normen keine Prüfverfahren enthalten. Aus der Sicht des jeweiligen Mitgliedstaates enthält die harmonisierte Norm an dieser Stelle eine Regelungslücke. In der Praxis schlossen die Mitgliedstaaten diese Regelungslücken teilweise durch zusätzliche nationale Anforderungen, welche den gemeinsamen Binnenmarkt behindern. Ferner erkannte die Kommission, dass die Marktüberwachungsbehörden in den Mitgliedstaaten auf sehr unterschiedlichem Niveau arbeiteten.

  1. Wesentliche Neuerungen des Entwurfs
    1. Leistungserklärung und Konformitätserklärung

Der neue Entwurf der Bauprodukteverordnung behält das bisherige Regelungskonzept hinsichtlich der bauwerksbezogenen Anforderungen im Wesentlichen bei. Die Grundanforderungen an Bauwerke, auf welche sich die wesentlichen Merkmale in den technischen Spezifikationen beziehen, sind in Anhang I Teil A des Entwurfs aufgeführt. Der Hersteller muss grundsätzlich nach wie vor eine Leistungserklärung erstellen, in welcher er Leistungsangaben in Bezug auf die sog. Wesentlichen Merkmale macht, die er zuvor nach Maßgabe harmonisierter technischer Spezifikationen geprüft hat (Art. 4, Art. 9 des Entwurfs). Daneben enthält der neue Entwurf der Bauprodukteverordnung aber auch Produkteigenschaften, welche die Bauprodukte künftig erfüllen müssen (z.B. allgemeine Aspekte der Produktsicherheit, ressourceneffiziente Gestaltung, Anforderungen an Produktinformationen). In Bezug auf diese Eigenschaften sind die betroffenen Wirtschaftsakteure verpflichtet, eine Konformitätserklärung zu erstellen (Art. 13 des Entwurfs). Die Produkteigenschaften können bzw. müssen ebenfalls in harmonisierten technischen Spezifikationen festgelegt werden. Insoweit ist das Regelungskonzept des neuen Entwurfs der Bauprodukteverordnung an den New Legislative Framework angelehnt.

Die Pflicht zur Erstellung einer Leistungserklärung und die Pflicht zur Erstellung einer Konformitätserklärung decken sich nicht zwingend. Es ist möglich, dass die betroffenen Wirtschaftsakteure eine Konformitätserklärung erstellen müssen, obwohl sie keine Leistungserklärung erstellen müssen. Die Pflicht zur Erstellung einer Leistungserklärung ist nach wie vor an das Vorhandensein einer einschlägigen harmonisierten technischen Spezifikation bzw. an das Vorhandensein einer ETA gebunden. Dabei ist zu beachten, dass die Definition der harmonisierten technischen Spezifikation verändert wurde. Erfasst sind nunmehr harmonisierte Normen sowie delegierte Rechtsakte der Kommission, nicht jedoch Europäische Bewertungsdokumente. Die Pflicht zur Erstellung einer Konformitätserklärung ist jedoch grundsätzlich bereits gegeben, wenn das betroffene Produkt in den Anwendungsbereich des Entwurfs der neuen Bauprodukteverordnung fällt.

  1. Erweiterung des Anwendungsbereichs / Begriff des Bauproduktes

In engem Zusammenhang zu den soeben beschriebenen Änderungen steht auch die Neudefinition des Anwendungsbereichs des Entwurfs der neuen Bauprodukteverordnung. Der Anwendungsbereich der Verordnung wird daher nunmehr in Art. 2 des Entwurfs definiert. Er wird dabei in zweierlei Hinsicht erweitert: Eine Erweiterung erfolgt über die in Art. 2 Abs. 1 des Entwurfs genannten weiteren Gegenstände, die vom Anwendungsbereich erfasst sein sollen (z.B. 3D-Druck-Datensätze, ggf. Komponenten, ggf. kleine Einfamilien-Fertighäuser). Außerdem erfasst sind bestimmte gebrauchte Produkte (Art. 2 Abs. 2 des Entwurfs). Eine Erweiterung erfolgt aber auch durch die Neudefinition des Begriffs „Bauprodukt“ in Art. 3 Nr. 1 des Entwurfs der neuen Bauprodukteverordnung, wonach nicht nur Gegenstände und Bausätze, sondern auch Baugruppen sowie die Verpackung und die Gebrauchsanleitung umfasst sind.

  1. Definition des harmonisierten Bereichs

Um die Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten besser abzugrenzen, definiert Art. 7 des Entwurfs der neuen Bauprodukteverordnung den harmonisierten Bereich. Die Regelung stellt klar, dass die harmonisierten technischen Spezifikationen abschließend sind und etwaige Nachregulierungen der Mitgliedstaaten grundsätzlich ausgeschlossen sind. Dabei wird u.a. klargestellt, dass schon weitergehende Produktinformationen nicht zulässig sind. Allerdings sieht Art. 7 des Entwurfs der neuen Bauprodukteverordnung nunmehr die Möglichkeit der nationalen Nachregulierung vor, die jedoch unter dem Genehmigungsvorbehalt der Kommission steht. In der derzeitigen Fassung der EU-BauPVO wurde das Verhältnis des europäischen Bauprodukterechts ausschließlich in Art. 8 EU-BauPVO im Zusammenhang mit dem CE-Kennzeichen geregelt. Dort enthielt insbesondere Art. 8 Abs. 4 EU-BauPVO das sog. Behinderungsverbot. Ein dem Art. 8 Abs. 4 EU-BauPVO entsprechendes Behinderungsverbot enthält nunmehr Art. 16 Abs. 6 des Entwurfs der neuen Bauprodukteverordnung.

  1. Ausblick

Der Entwurf der Kommission muss nun das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen. Im Rahmen dessen sind noch weitgehende Änderungen möglich. Darüber hinaus sieht der Entwurf an vielen Stellen die Möglichkeit delegierter Rechtsakte durch die Kommission vor. Diese werden den Inhalt der Regelungen weiter konkretisieren und daher maßgeblich mitgestalten. Zum Entwurf können Stellungnahmen abgegeben werden, welche in das Gesetzgebungsverfahren einfließen.

http://www.fn.legal

 

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Über den Autor: Marthe-Louise Fehse

Dr. Marthe-Louise Fehse ist Rechtsanwältin und Partnerin in der Sozietät Franßen & Nusser Rechtsanwälte PartGmbB, einer hochspezialisierten, bundesweit tätigen Kanzlei für die Rechtsgebiete Umwelt- und Produktrecht mit Büros in Berlin und Düsseldorf. Dr. Fehse studierte Rechtswissenschaften in Münster und Athen und promovierte an der TU Darmstadt mit einer Arbeit zum Bauprodukterecht. Sie berät insbesondere im Bereich des Bauprodukterechts sowie damit zusammenhängenden Themen. Dr. Fehse ist Verfasserin zahlreicher Fachbeiträge zu diesen Themen.