Rätsel im Grünen Gewölbe

Haftungsfragen für Sicherheitsdienstleister am Beispiel des Einbruchdiebstahls im Residenzschloss in Dresden vom 25.11.2019.

Lesezeit: 7 Min.

12.04.2024

Am 25.11.2019 um 04.57 Uhr und 38 Sekunden erhält der Sicherheitsdienst der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) einen Einbruchalarm nebst Videobildern. Die  Sicherheitszentrale befindet sich im Residenzschloss, in demselben Objekt, in welchem der Alarm ausgelöst wird. Die Videosequenz zeigt zwei Täter, die mit Äxten auf die Vitrinen mit den wertvollsten Stücken einschlagen, in denen sich die Brillantgarnitur von August dem Starken befindet. Die Täter erbeuten 21 Schmuckstücke mit mehr als 4.300 Brillanten und einem Wert von ca. 113.800.000 €. Der größte Schmuckraub der Geschichte.

Die Darstellung der Abläufe und Ermittlungen und der letztendlichen Überführung und Verurteilung von fünf Mitgliedern des Remmo-Clans aus Berlin Neukölln ist Gegenstand der beiden vor Kurzem erschienenen Bücher von Butz Peters „Der Clan und die Juwelen“ und von Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer „Der Jahrhundertcoup – Ein Clan auf Beutezug und die Jagd nach den Juwelen aus dem Grünen Gewölbe“. Alle im Folgenden geschilderten Sachverhalte und Überlegungen basieren auf diesen beiden Büchern.

Beginnt Peters mit der Verurteilung der Täter und nimmt als Handlungsstrang ihre Vorbereitungen und Aktionen, so verfolgen die beiden anderen Autoren den Fall aus der Ermittlungsperspektive der Polizei. Auch wenn sich beide Bücher mit derselben Thematik befassen und sich deshalb zwangsläufig immer wieder überlappen, ergänzen Sie sich jedoch vielfältig, nicht nur in der Fülle und Präzision der Details, sondern auch durch die unterschiedlichen Perspektiven auf den Fall.

Die Polizei ermittelt mit hohem Einsatz

Beeindruckend ist die breite Ermittlungsarbeit der Polizei dargestellt. Ob es allerdings notwendig ist, die von den Ermittlungsbehörden eingesetzten unterschiedlichen Programme zur Auswertung von Daten immer wieder zu benennen (Heise/Meyer-Heuer), darf angezweifelt werden. Da sich Peters dem Thema vom Ende her nähert, stehen bei ihm fünf Angehörige des Remmo-Clans als Tätergruppe von Anfang an fest. Bei Heise/Meyer-Heuer erfährt man dazu eine Vielzahl von vergeblich verfolgten Spuren und bekommt ein umfassenderes Bild von den vielen Möglichkeiten, den Sackgassen der Ermittlungen und dem erheblichen personellen Aufwand der Ermittler.

Ein extremer Aufwand an Quantität: Alleine die Festnahme der fünf Täter in Berlin am 16.11.2020 erfolgte unter einem Einsatz von ca. 1.800 Polizeibeamten, es wurden 6.000 Telefonanschlüsse überprüft, auf 412 Anschlüssen wurden 59.700 Telefonate in acht Sprachen abgehört. Aber auch an Qualität: Einsatz von Forensikern für das Auslesen von Daten aus Pkw, DNA-Experten der Spurensicherung, der Einsatz von Geruchsdifferenzierungshunden und Experten für Videoauswertungen.

Und dennoch bleiben am Ende nur wenige Punkte übrig, mit denen der Staatsanwalt den aus seiner Sicht ausreichenden Tatverdacht des bandenmäßigen Diebstahls begründen kann.  Und das Diebesgut ist verschwunden.

Es reicht nicht für die Verurteilung wegen Diebstahls

In dieser Lage kommen den Ermittlern zwei Umstände zugute: Es gab eine erste Brandstiftung am Pegelhaus in der Nähe des Tatortes, mit welchem die Stromversorgung des Residenzschlosses unterbrochen werden sollte. Und das Fluchtfahrzeug wurde wenige Minuten nach der Tat und nur drei Kilometer vom Tatort auf der anderen Seite der Elbe in einer Tiefgarage abgestellt und dort angezündet. Neben dem Tatfahrzeug brennen dort 2 Fahrzeuge ebenfalls komplett aus, weitere 61 werden in Mitleidenschaft gezogen. Mit dem Schaden am Gebäude ergibt sich ein Schaden von ca. 760.000 €. Insbesondere bestand die Gefahr, dass die über der Tiefgarage wohnenden Menschen verletzt werden oder sterben. Und so lautet der zweite Punkt der Anklage auf „besonders schwere Brandstiftung“. An die Kette von Verurteilung wegen Diebstahls, Drogenentzug, Maßregelvollzug und Bewährung und damit verbundene Abwesenheit von der Familie von wenigen Jahren haben sich die Beschuldigten gewöhnt. Nun aber droht eine ungeplante Freiheitsstrafe von bis zu fünfzehn Jahren. Das führt zu Gesprächs- und Vergleichsbereitschaft bei den hartgesottenen Gewohnheitsverbrechern. Am Ende erhalten die Täter Haftstrafen unter sieben Jahren und die SKD 18 der 21 Preziosen zurück, in teilweise erheblich beschädigtem Zustand. Nicht jedoch die drei wertvollsten.

Die Haftung des Sicherheitsdienstleisters

Ein in den Büchern nicht explizit erörterter Aspekt ist die Haftung des Sicherheitsdienstleisters, weshalb hier näher darauf eingegangen wird. Zunächst ist festzuhalten, dass jeder Sicherheitsdienst immer nur eine Dienstleistung schuldet, nie aber einen Erfolg. Dies bedeutet, dass ein erfolgreicher Einbruch-Diebstahl wie hier nicht automatisch zur Haftung des Bewachungsunternehmens führt. Die Frage ist also, ob das Unternehmen schuldhaft gehandelt hat und ob sich daraus kausal ein Schaden ergibt oder ein solcher vergrößert wurde.

Denkbar ist ein Informationsabfluss aus dem Kreis der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstleisters an die Täter. Diese Insiderinformationen könnten dazu führen, dass die Tat überhaupt erst möglich wird. So war es bei einem anderen Bewachungsunternehmen bei dem Einbruch in das Bode-Museum am 27.03.2017. Gestohlen wurde die „Big Maple Leaf“, eine Goldmünze mit 100 kg Gewicht und einem Wert von ca. 3.300.000 €. Die „Beschaffung von Interna und die Fensteröffnung“ (Peters) durch einen mehrfach vorbestraften Wachmann waren wesentliche Punkte, welche die Tatausführung durch zwei dafür später verurteilte Mitglieder des Remmo-Clans erst ermöglichten, die auch für die Tat in Dresden eine erneute Strafe erhielten. Auswahlverschulden ist hier eine denkbare Anspruchsgrundlage für die Haftbarhaltung durch den Auftraggeber, wenn die Vorstrafen im Führungszeugnis erkennbar gewesen sein sollten, was sie meistens aber nicht sind. Aber auch die strafbare Handlung an sich ist für das Sicherheitsunternehmen haftungsbegründend. Beide Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass eine Insiderbeteiligung bei den Mitarbeitern im Residenzschloss nicht nachgewiesen werden kann, obwohl leise Zweifel bestehen bleiben.

Nach der Ausschreibung: Der alte ist der neue Sicherheitsdienst

Am 09.12.2023 veröffentlicht SKD auf Ihrer Website folgende Nachricht:

„SKD vergeben Sicherheitsdienstleistungen neu – DWSI bleibt Sicherheitsdienstleister – strenge Qualitätskontrollen – Wachhabende während des Einbruchs wurden suspendiert

(…)

Im Zusammenhang mit dem Einbruch in das Historische Grüne Gewölbe am 25. November 2019 waren einzelne Angestellte der DWSI von Ermittlungen betroffen, diese wurden eingestellt. Sie führten nicht zu einer rechtskräftigen Verurteilung, die dem Unternehmen oder einzelnen Mitarbeitern Pflichtverletzungen nachweist. Es gab daher keine rechtliche Handhabe, das bestehende Vertragsverhältnis vorzeitig zu beenden. Die Beschäftigten, welche zum Zeitpunkt des Einbruches in der Leitzentrale ihren Dienst versahen, waren bereits unmittelbar danach nicht mehr bei der SKD tätig.

Die SKD sehen sich aus diesem Grund haushaltsrechtlich gezwungen, die Firma DWSI auf Schadensersatz zu verklagen, da nach Überzeugung des Freistaates von einem schuldhaften Fehlverhalten und somit von einer Verletzung von Vertragspflichten Einzelner auszugehen ist. Eine rechtliche Prüfung hat ergeben, dass diese zivilrechtliche Klage aber keinen Ausschluss von DWSI aus dem Vergabeverfahren zur Folge haben darf. Die SKD waren demnach verpflichtet, es zuzulassen, dass DWSI sich neben anderen Bietern um die Vergabe der Dienstleistung bewirbt.“

Peters berichtet von einer gerichtlich geltend gemachten Schadenersatzforderung von 15.000.000 €. Einem neutralen Betrachter drängt sich die Frage auf, welchen Einfluss die Bewertung der finanziellen Situation des Sicherheitsdienstleisters auf die Ausschreibung gehabt hätte, wenn die Forderung für die drei nicht wiedererlangten Stücke den geschätzten Wert von 53.000.000 € und den Restaurationsaufwand von weiteren bis zu 25.000.000 € für die wiedererlangten Stücke umfasst hätte (Zahlen: Heise/Meyer-Heuer). Es ist denkbar, dass mit einer Forderung von 78.000.000 € der beim Sicherheitsdienstleister versicherte Bereich deutlich verlassen worden wäre.

Lernen aus Fehlern

Die vor dem Angriff insgesamt schlechte Sicherheitslage im Grünen Gewölbe wird von Peters als „organisierte Unverantwortlichkeit“ bezeichnet. Zwar kann ein Bewachungsunternehmen als Dienstleister an gewünschten Abläufen und baulichen Gegebenheiten oft nicht viel ändern, da diese Parameter vom Auftraggeber gesetzt werden. Es muss aber sehr genau darauf achten, die vereinbarten Abläufe (Überfallknopf, Alarmlicht) einzuhalten, um Haftungssituationen zu vermeiden.

Es genügt daher nicht, sich immer wieder mündlich über Abläufe zu verständigen, sondern es müssen Prozesse schriftlich fixiert und Alarmsituationen geübt werden. Dazu gehört auch, dass Mitarbeiter für besondere Risiken auch besonders ausgewählt, qualifiziert und besser bezahlt werden. Der Einsatz für Schusswaffen beim Wachpersonal im Residenzschloss führte zu einer besseren Bezahlung als Waffenträger, aber auch zu einem vollständigen Führungszeugnis. Kurz vor dem Überfall wurde das System von Waffenträgern auf unbewaffnete Wachleute umgestellt, nach Einschätzung von Heise/Meyer-Heuer, um den Waffenzuschlag einzusparen. Der Sicherheitsstandard wurde dadurch nicht verbessert.

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Über den Autor: Bernd M. Schäfer

Diplom-Betriebswirt (FH) Bernd M. Schäfer ist geschäftsführender Gesellschafter der Atlas Versicherungsmakler für Sicherheits- und Wertdienste GmbH, ein Spezialmakler für Sicherheits- und Facility-Management-Unternehmen