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Der Krieg gegen das Bargeld muss beendet werden

23.02.2023
Andreas Goralczyk, Berater der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste
Andreas Goralczyk, Berater der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste

Herr Goralczyk, Sie waren Anfang der 2000er Jahre Euro-Koordinator beim Bundesverband deutscher Banken. Zwei Jahrzehnte später gefragt: Gehören Sie immer noch zu den Zeitgenossen, die sich gegen die Abschaffung des Bargeldes wehren?

Absolut. Das Bargeld hat für mich eine zentrale Bedeutung. Es geht mir im Grunde darum, dass wir verschiedene Instrumente des Zahlungsverkehrs haben. Ich finde, man muss akzeptieren: Jedes dieser Instrumente hat seine Berechtigung. Wir brauchen die Karten-Zahlung, die ePayments und die MPayments – also den Bezahlvorgang mittels Handys – und wie sie alle heißen mögen, aber wir brauchen vor allem auch das jahrtausende-alte Zahlungsmittel, das Bargeld. Der Mix an Zahlungsinstrumenten ist das Entscheidende. Es liegt mir fern, dafür zu plädieren, dass es nur Bargeld gibt. Ich benutze auch die Karten, wahrscheinlich sogar mehr als vor Corona. Aber gegen die Idee, das Bargeld völlig verschwinden zu lassen, stelle ich mich dennoch mit aller Entschiedenheit.

Jetzt sind Sie ein ausgemachter Insider in Sachen Bargeld. Von welcher Seite kommt denn vor allem der Vorstoß, das Bargeld als Zahlungsmittel zu verdrängen?

Bei dieser Frage kommen wir schon in den kritischen Bereich. Es geht ja gesamtgesellschaftlich und auch gesamtwirtschaftlich um die Strategie einer allgemeinen Digitalisierung. Im Grunde genommen darum, wo immer es möglich ist, die analogen Formen abzuschaffen und durch digitale Abläufe zu ersetzen. Und da kommen wir auch sofort auf den Punkt. Gegenüber allen anderen Zahlungsmitteln ist das Bargeld das einzige anonyme Zahlungsinstrument bei dem ich keine Spuren hinterlasse. Das heißt, ich bin nicht kontrollierbar. Das aber ist es, was staatliche Institutionen und große Wirtschaftsunternehmen in der Zukunft unterbinden wollen. Dazu zählt auch das Weltwirtschaftsforum, das durch seine Jahrestreffen in Davos bekannt ist. Die „Better than Cash Alliance“, zu deren Gründungsgeldgebern die Bill & Melinda Gates Foundation gehört, hat es schon jetzt erreicht, dass zahlreiche Entwicklungsländer den Weg eingeschlagen haben, das Bargeld gänzlich abzuschaffen.

Noch konkreter sind aber die Banken und die großen Kartensysteme – VISA, Mastercard und wie sie alle heißen mögen – an der Abschaffung des Bargeldes interessiert. Die wollen in erster Linie ihre Produkte – zum Beispiel die Karten – verkaufen, ihre Infrastruktur, ihre Netze weltweit etablieren und die möchten natürlich die Informationen abschöpfen. Informationen sind heute ja der entscheidende Faktor, mit dem sie das meiste Geld generieren können. Das Zahlungs- wie das Konsumverhalten wird aus den Daten ausgelesen, damit lassen sich noch zielgerichtetere Finanz- und Wirtschaftsstrategien entwickeln.

Beispielhaft möchte ich an die Aktion der indischen Regierung im Jahr 2017 erinnern, als Ministerpräsident Modi faktisch über Nacht die geläufigen 500- und 1000-Rupien-Scheine für ungültig erklärte. Damals schon schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ in diesem Zusammenhang von einem globalen „Krieg gegen das Bargeld“.

Da stellt sich für mich natürlich die Frage: Reichen diese Motive aus, um so massiv gegen das Bargeld zu agieren?

Natürlich muss man die ganze Sache auch unter einem weiteren Blickwinkel sehen. Auf den einfachen Nenner gebracht: Bargeld kostet Geld. Um mal eine Zahl zu nennen: Im Handel beliefen sich bereits vor einigen Jahren die durch Bargeld verursachten Kosten insgesamt auf rund 6,7 Milliarden Euro. Geld muss geprägt und gedruckt werden, dazu braucht man die Rohstoffe, Maschinen und Personal. Die Mitarbeiter der Geld- und Werttransportunternehmen – für deren Verband ich jetzt als Berater tätig bin – müssen die Geldautomaten befüllen oder die Unternehmenseinnahmen zur Bank befördern. Und auch den Banken selbst ist die aufwändige und kostenintensive Handhabung von Bargeld ein Dorn im Auge. Und auch sie würden es lieber gestern als morgen abgeschafft haben. Die Banken wollen an ihren eigenen Kredit- oder Debitkarten verdienen. So summieren sich die Faktoren, die gegen das Bargeld ins Feld geführt werden.

Nun haben die zurückliegenden Jahre der Corona-Pandemie auch das Zahlungsverhalten beeinflusst…

… die Pandemie war das gefundene Fressen. Die Kartenzahlung wurde ungemein forciert. Das Bargeld wurde regelrecht desavouiert. Es wurde als Virenschleuder verteufelt – ohne jeglichen wissenschaftlichen Beweis. Der Handel hat diese Kampagne dummerweise noch mitgetragen. Mit dem Resultat, dass die Kartennutzung explosionsartig zugenommen hat. Die Pandemie brachte einen gravierenden Einschnitt in der Bargeldnutzung mit sich.

Einen weiteren Punkt muss man unbedingt im Auge behalten. Mit dem Rückgang der Bargeldnutzung geht die Verteuerung der Banknoten und Münzen einher. Die Anzahl der Geldautomaten in Deutschland nimmt ab – von 2019 bis 2021 um mehr als fünf Prozent –, was besonders in ländlichen Regionen spürbar wird. Das schlägt für die Branche der Geld- und Werttransporteure ebenso negativ zu Buche, wie die geringer werdenden Mengen an Bargeld, die dem Einzelhandel geliefert beziehungsweise von dort entsorgt werden müssen. Das ist eine unheilvolle Spirale.

Der Handel muss bekanntlich scharf kalkulieren. Was ist für ihn nun günstiger: bar oder digital?

Ich darf vielleicht aus einem Artikel von 2021 zitieren, der sich auf eine groß angelegte Studie der Bundesbank bezieht: „Die Untersuchung zeigt … auf, dass Bargeld nicht teurer als bargeldlose Verfahren sein muss, noch dazu, weil Händler ohnehin meist umsatzbezogen mit Sicherheitsfirmen abrechnen.“ Hier scheint die Entscheidung noch nicht gefallen. Wie auch immer: Die Bezahlung mit Bargeld muss – ich betone das „muss“ – weiter garantiert sein. Dafür bedarf es einer eindeutigen gesetzlichen Regelung.

Hans-Walter Peters, der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, meinte vor einigen Jahres in einem Vortrag: „Wer das Bargeld abschafft, vernichtet ein Stück Kulturgut.“ Sehen Sie das auch so?

Aber natürlich. Das Bargeld hat etwas Haptisches, auch etwas Genussvolles. Es ist einfach schön, die Scheine zu haben. Man sieht was man hat. Das ist auch optisch nachvollziehbar. Da hängt viel historisch Gewachsenes daran. Das Sparverhalten zum Beispiel, denken sie nur an das Sparschwein für die Kinder oder an das Sparbuch. Die Spende – gern auch mal anonym –, das geht alles verloren; Geld wird entmaterialisiert. Geld ist ein Wert an sich. Der Bezug zur Geldmenge, die einem zur Verfügung steht, geht bei der Digitalisierung für viele verloren. Die Privatinsolvenzen steigen. Der Informationsdienstleister CRIF geht für das Jahr 2022 von 100.000 Privatinsolvenzen in Deutschland aus. 2023 sei ein weiterer Anstieg auf bis zu 120.000 Fälle möglich. Wie viele davon insgesamt einem inadäquaten Umgang mit den eigenen Finanzen zuzuschreiben sind, lässt sich nicht genau eruieren. Statistisch belegt aber ist, dass jede siebte Privatinsolvenz einer unangemessenen Haushaltsführung geschuldet ist.

Sind Sie mit Ihrer Position nicht ein moderner „Maschinenstürmer“?

Ich bin nicht fortschrittsfeindlich, aber für mich steht außer Frage, der Kunde muss auch weiterhin die Entscheidungsfreiheit haben, ob er mit Bargeld oder digital zahlt, ob er anonym bleiben will, ob er die Haushaltskontrolle behalten will. Das ist – nicht zu unterschätzen – ein wesentliches Stück unserer Freiheit. Wir von der ESTA …

… das ist die European Cash Management Companies Association in Brüssel, die sich mit dem Bargeldmanagement befasst …

… wir setzen darauf, dass das Bargeld weiterhin seine Berechtigung und Bestand hat. Reden wir doch noch von einem anderen Aspekt. Bargeld ist immer noch das sicherste Zahlungsverkehrsinstrument. Bargeld kann man immer einsetzen, auch wenn Krisen kommen oder irgendetwas ausfällt, wie – um nur ein Beispiel zu nennen – bei einem Blackout. Diese Sicherheit haben sie bei Karten nicht. Bargeld benötigt keine Infrastruktur. Wenn ich Bargeld besitze, bin ich auf der sicheren Seite.

Aber auch von Seiten des Gesetzgebers wird an der Einhegung des Bargeldes gearbeitet …

Leider ja. Auch staatliche Stellen, nationale wie internationale, haben das Bargeld ins Visier genommen. Ich verweise hier nur mal auf die Geldwäscheverordnung. Die derzeit wieder ein Update bekommt. Da wird mit Geldwäsche, Schattenwirtschaft und dergleichen argumentiert und behauptet, man müsse deshalb den Einsatz des Bargeldes limitieren. Dazu gehört aktuell die Absicht, die Höhe des Bargeldvolumens bei Transaktionen im Einzelhandel auf 10.000 Euro zu begrenzen. Dabei wird immer wieder als Begründung vorgebracht, das Bargeld sei gefährlich, weil auf diese Weise der Terrorismus finanziert werde. Mittlerweile hat sich aber die Erkenntnis durchgesetzt, dass heute für die gesellschaftlichen Grauzonen andere Kanäle bestehen, mit denen eine Bargeldbeschränkung umgangen werden kann. Das Bargeld im Zusammenhang mit Kriminalität zu sehen, ist heute nicht mehr gerechtfertigt. Natürlich lässt sich der Dealer in Görlitzer Park den „Stoff“ weiterhin in bar bezahlen. Bei der großangelegten, grenzüberschreitenden Kriminalität allerdings spielt das Bargeld keine entscheidende Rolle mehr.

Welche Haltung nimmt die Europäische Zentralbank in Sachen Bargeld ein?

Die EZB betont immer wieder, dass die digitalen Zahlungsmittel das Bargeld „ergänzen“ sollen, sie spricht sich also für das Beibehalten aus. Aber der Spielraum wird kleiner gemacht. Der erste Schritt war, den 500-Euro-Schein abzuschaffen. Seit dem Spätsommer 2021 werden keine neuen 500 Euro-Scheine mehr produziert. Verschiedene Länder des Euroraumes haben den Bargeld-Transaktionen bereits Grenzen gesetzt. Bei uns ist auf dieser Ebene zurzeit etwas Ruhe eingekehrt, aber als nächstes ist vielleicht der 200-Euro-Schein dran. Es geht in diese Richtung weiter. Es wird von allen Seiten Attacken geritten, das Bargeld zu delegitimieren oder zu marginalisieren. Die EU-Staaten haben sich außerdem unter dem Signum der Bekämpfung von Geldwäsche, der Schattenwirtschaft und des Terrorismus jüngst auf ein Bargeldlimit von 10.000 Euro geeinigt, eine Obergrenze wird nun wahrscheinlich kommen.

Gesetzt den Fall, der Euro würde eines Tages nur noch digital existieren, würde sich dann nicht ein Markt für andere Währungen, die noch in Bargeld existieren eröffnen?

Das ist natürlich denkbar, dass dann vielleicht der Schweizer Franken das Euro-Bargeld ersetzen würde. Dann würde gewiss eine Flucht in die physischen Währungen, die es zu diesem Zeitpunkt noch gibt, einsetzen.

Ich möchte noch auf ein anderes Themenfeld kommen. Es wird seit langem darüber fabuliert, dass große Gelddienstleister oder Online-Versandhäuser mit einer eigenen Währung auf den Markt kommen könnten. Manch einer sieht in den „Amazon Coins“ als – wie der Versandriese selbst schreibt – „virtuelle Währung“  einen Versuchsballon. Ist das realistisch?

Bislang sprachen wir von den staatlich herausgegebenen und gestützten Währungen. Privatwährungen sind ein ganz anderes Terrain. Bargeld ist ja Zentralbank-Geld, genauso wie der geplante digitale Euro. Insofern ist es immer öffentliches Geld. Während das, was die Banken oder Finanzdienstleister anbieten würden, immer privates Geld wäre. Das wäre eine völlige Entrechtung des Bürgers. Niemand weiß genau, was dahintersteckt; das alles ist ja höchst intransparent. Das Privatgeld kann nach Gutdünken des Herausgebers von heute auf morgen abgeschafft werden. Das ist ein gewaltiger Einschnitt in die Freiheit der Bürger.

Ist dieses Horrorszenario Fiktion oder hat es einen realen Hintergrund?

Das kann man im Augenblick vielleicht noch nicht abschließend beantworten. Die Absicht großer Unternehmen eigene Währungen zum Beherrschen des Marktes herauszugeben, scheint mir zumindest langfristig durchaus denkbar.

Was muss jetzt Ihrer Ansicht nach der Gesetzgeber zum Schutz des Bargeldes machen?

Das Recht auf Bargeldzahlung besteht schon, aber der Bürger muss das Recht haben, in allen Zahlungsvorgängen bar zu zahlen. Deshalb sagen wir: Punkt eins. Die Annahme von Bargeld muss in allen Bereichen möglich sein, dies muss gesetzlich verankert werden. Punkt zwei ist: Das Bargeld muss die entsprechende Unterstützung bekommen; es muss gleichberechtigt neben digitalen elektronischen Zahlungsverkehrsmitteln Bestand haben. Der Krieg gegen das Bargeld muss beendet werden.

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Peter Niggl

Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight

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