Nur wer klare Begriffe hat kann führen!
Mit Dr. Dr. Dirk Freudenberg, Sicherheitsexperte an der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (BABZ), sprach Peter Niggl
Herr Dr. Freudenberg, Unternehmenssicherheit im militärischen Konfliktfall ist eines Ihrer Themen und Aufgabengebiete als Sicherheitsexperte an der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung vormals Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) beim BBK – dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Wie ist Deutschland, nicht nur mit dem Blick auf die aktuellen Entwicklungen, auf diesem Gebiet aufgestellt?
Gestatten Sie mir für die Antwort einen Rückgriff auf die jüngere Geschichte unseres Landes. Man muss feststellen, dass viele wirtschaftliche Bereiche der staatlichen Daseinsvorsorge mit dem Ende des kalten Krieges privatisiert wurden, wie zum Beispiel Energie, Gesundheit, Verkehr, Telekommunikation, Post und andere. Nun aber wird vor dem Hintergrund der Entwicklung in Osteuropa eine Frage wieder ganz aktuell: Wie weit geht das Sicherheitsversprechen des Staates? Während des kalten Krieges wurden umfassend Fähigkeiten der Zivilen Verteidigung und besonders auch des Zivilschutzes aufgebaut, die genauso Verfassungsauftrag sind, wie die militärische Verteidigung und zudem auch (NATO-) Bündnisverpflichtung sind. Da fällt uns jetzt auf die Füße, dass in den 90er Jahren beim Einstreichen der „Friedensdividende“, sehr viel davon ab- oder zurückgebaut worden ist. Und erst mit 09/11 ist man mit dem Auftreten der asymmetrischen Bedrohungen und dem Auftreten des transnationalen Terrorismus zum ersten Mal aufgewacht. Seither müssen wir die zivilen Stäbe vom Landrat, Oberbürgermeister bis hoch zur Bundesregierung, neu beatmen. Das war auch der Grund, warum ich 2002 Dozent für Sicherheitspolitik, Krisenmanagement und Strategische Führungsausbildung an der Akademie geworden bin.
Sind ihre Aufgaben ausformuliert oder befindet sich das Ganze noch in der Aufbauphase?
Das Thema ist grundsätzlich in den entsprechenden Gesetzen bereits definiert. Ebenso die Aufgabe der Behörde. Gleichwohl verbirgt sich dahinter eine Never Ending Story. Mit anderen Worten: Wir lernen – oft sehr schmerzhaft –, dass die Strukturen, die wir zum Teil noch aus dem kalten Krieg haben, heute nicht mehr passen. Deshalb wird versucht, seit den Erfahrungen des 11. September 2001, das Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern neu zu gestalten. Man kann auch sagen: zu optimieren.
Wie kann ich das verstehen?
Der Katastrophenschutz ist Sache der Länder, er wächst „von unten auf“. Wir haben Einzelereignisse, da übernehmen Kommunen den Rettungsdienst, den Brandschutz, die technische Hilfe. Wenn diese überfordert sind, dann kann der Kreis über die Ausrufung des Katastrophenfalls die Sache an sich ziehen. Dieser hat auch bestimmte Rechtsinstrumente, mit denen er bestimmte Maßnahmen anordnen kann. Der Kreis übernimmt damit auch die Führung und Koordination der weiteren Schritte. Das Gleiche können auch die Regierungsbezirke – soweit es sie noch gibt – übernehmen, denen ansonsten nur eine Fachaufsicht zufällt oder die Länder selbst. Da hat es bis 2009 eine klare rechtliche Sperre gegeben, erst dann hat man in die Neufassung des Zivil- und Katastrophenschutzgesetzes (ZSKG) den Passus aufgenommen, dass der Bund auf Antrag eines oder mehrerer Länder Verantwortung übernehmen kann.
Thema unseres Gespräches soll der militärische Konfliktfall sein…
…darauf komme ich jetzt. Im Verteidigungsfall – oder um es klar zu sagen im Krieg – sieht es anders aus. Der Krieg – so sagt es ein Kollege immer sehr treffend – gehört dem Bund. Mit der Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalles sind bestimmte Maßnahmen und Gesetze freigegeben. Wenn wir wissen, dass das normale System und auch der Markt nicht mehr funktioniert kann der Staat dann über bestimmte Mechanismen und insbesondere die sogenannten Sicherstellungsgesetze in den Markt eingreifen. Der stärkste Eingriff ist beispielsweise das Arbeitssicherstellungsgesetz, das 1968 im Rahmen der Notstandsgesetze geschaffen wurde – aufgrund dessen jemand verpflichtet werden kann, dann an einer bestimmten Stelle Dienst zu tun. Das ist ein Gesetz, das nur im Verteidigungsfall freigegeben werden kann. Das ist allein dafür reserviert. Das sind ganz starke Grundrechtseingriffe. Auch über das Bundesleistungs- und das Verkehrssicherstellungsgesetz, mit dem zum Beispiel in das Transportwesen eingegriffen wird, wenn der Bund feststellt, dass es zu wenig Transportkapazitäten gibt. Auch wenn Unternehmen bereits schon vertraglich gebunden sind, können sie zur Bereitstellung von Dienstleistungen – unter Außerachtlassung anderer vertraglicher Verpflichtungen – angehalten werden. Das sind ganz scharfe Schwerter, die gezogen werden können, weil im Krieg der Markt einfach nicht mehr funktioniert.
Was bedeutet dies in der Konsequenz für die Unternehmen, die diese Eingriffe hinnehmen müssen?
Wir gehen davon aus, dass die Unternehmen diesen Maßnahmen letztendlich positiv gegenüber eingestellt sind, weil diese ja auch garantieren, dass ihr Betrieb weiterhin existiert. Nehmen wir Transportunternehmen, die auf privatrechtlicher Basis gar keine Aufträge mehr hätten in einer solchen Situation, weil der Markt zusammengebrochen ist.
Die Zivile Verteidigung hat allerdings vier Säulen:
Die erste Säule ist die Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktion, weil wir davon ausgehen, dass wir ein Rechtsstaat sind, der sich per Grundgesetz als wehrhafte Demokratie verfasst hat. Das heißt auch, dass die Verwaltung, Polizei, Gerichte und so weiter bis auf die untere Ebene weiter arbeitsfähig bleiben.
Die zweite Säule ist der Zivilschutz. Da kommt der friedenszeitliche Katastrophenschutz, für den – wie schon dargestellt – die Länder verantwortlich sind, unter die Fittiche des Bundes. Dafür stellt der Bund im Rahmen der Katastrophenhilfe jetzt schon in Friedenzeiten bestimmte Ausrüstungen und entsprechende Ausbildung zur Verfügung. Maßnahmen zum Schutz von Kulturgut sind ebenfalls ein ganz wesentlicher Punkt, der heute schon eine Rolle spielt.
Eine weitere Säule ist die Sicherung von Versorgungsleistungen. Bei denen geht es darum, die Bevölkerung mit Ernährungsgütern zu versorgen oder Energieleistungen der gewerblichen Wirtschaft zu sichern. Die Versorgung mit Wasser und die Sicherstellung der Abwasserentsorgung gehören dazu. Letztendlich müssen auch die Leistungen auf dem Sektor des Finanz- und Geldwesens gesichert werden. Hierfür gibt es jeweils auch Sicherstellungsgesetze.
Dann gibt es noch als letzte Säule die Unterstützung der Streitkräfte, zur Gewährleistung der Operationsfähigkeit der militärischen Verbände. Hierfür wird der Mobilisierungs- und Ergänzungsbedarf bereitgestellt, sowohl personell als auch materiell. Dabei geht es unter anderem um die Freihaltung von Straßen und die Bereitstellung von Transportmitteln und -leistungen, aber auch von Treibstoff oder Baumaschinen etc. Die Unterstützung durch Polizei oder das Sanitätswesen gehören ebenfalls hierzu.
Bei den angeführten Aufgaben liegt vieles noch im Argen und muss nun neu konzeptionell unterlegt werden. Dort wo dann noch Lücken vorhanden sind, müssen wir diese mit Mitteln des Krisenmanagements schließen.
In den vergangenen zwanzig Jahren hat uns das Thema Terror sehr stark beschäftigt. Nicht nur von Seiten der polizeilich-militärischen Abwehr, sondern auch sehr stark unter dem Aspekt der Auswirkungen. Also, wie gehen wir mit den Schadensbildern um, wenn das Ereignis eingetreten ist? Wenn die Säulen der Gefahrenabwehr wie Nachrichtendienste, Polizei und Militär nicht gegriffen haben, dann sind die Feuerwehren, die Hilfsorganisationen wie das BBK und das Technische Hilfswerk gefordert. Wer auch gefordert ist, das sind die in den letzten 30 oder 40 Jahren privatisierten Unternehmen der Kritischen Infrastrukturen. Dabei steht Energie ganz vorne an; wenn wir keinen Strom mehr haben, tut sich gar nichts mehr.
Dann stellt sich natürlich die Frage, wie binden wir diese Unternehmen ins Krisenmanagement ein? Die wollen sich auch einbinden lassen; und wie arbeiten wir an den Schnittstellen zusammen. Unsere Aufgabe beim BBK ist, die Zusammenarbeit im Krisenmanagement mit Leben zu erfüllen. Das heißt, wir versuchen ein gemeinsames Verständnis von Krisenmanagement zu entwickeln: Nur wer klare Begriffe hat kann führen!
Die Sache hat aber einen Haken. Auf dem freien Markt ist die Ausbildung, die wir anbieten wirtschaftlich so nicht realisierbar. Dann kommt möglicherweise der Bundesrechnungshof und stellt die Frage an die BBK: Ist das noch eure originäre Zuständigkeit für den Krieg? Seid ihr hier in der Unternehmenssicherheit tätig oder im Katastrophenschutz?
Vielleicht können Sie die damit verbundenen Herausforderungen und Aufgabenstellungen etwas präzisieren…
… die sind vielschichtig. Das beginnt mit der Frage: Wie stellen wir uns einen Krisenstab vor? Welche Rolle kommt dem Leiter eines Krisenstabes zu? Das Führen mit Auftrag und letztendlich der nationale Führungsprozess gehören dazu. Kurz gesagt: Wie sehen die Entscheidungsebenen aus. Das versuchen wir zu vermitteln. So dass an den entscheidenden Schnittstellen, unabhängig von den verbleibenden Verantwortlichkeiten, diese Säulen sauber zusammenarbeiten. Ein großes Problem ist für uns dabei, die Entscheidungsebenen zu bekommen – insbesondere in den Administrationen. Die Wirtschaft ist teilweise sehr stark bei uns vertreten. Auf der Ebene von CEOs haben wir genauso das Problem, wie bei den behördlichen Leitern, dass sie oftmals leider nicht gewillt sind, sich den Aufgaben zu stellen. Wir weisen aber darauf hin, dass es auf der behördlichen Seite eine Verpflichtung zum Erwerb der Kompetenz gibt. Auf der Ebene von Bund und Ländern leitet sie sich ab aus der Regierungsfunktion. Das ist zumindest meine Auffassung.
Ausgenommen sind dabei allerdings – als grundgesetzliche Schranke – aufgrund des Demokratieprinzips und der Freiheit des Mandats, die politischen Entscheidungsträger. Im Umkehrschluss heißt das, dass die administrativen Entscheidungsträger, sprich die beamteten Staatssekretäre und die administrativ verantwortlichen Abteilungsleiter auf der Bundes- und Landesebene – nach dieser Rechtsauffassung –verpflichtet sind, sich ausbilden zu lassen.
Unterhalb dieser Ebene, sieht es hingegen anders aus. Bei den Landräten und Oberbürgermeistern ergibt sich diese Pflicht aus den entsprechenden Regelungen aus den Katastrophenschutzgesetzen der Länder. Aus der Stellung als Hauptverwaltungsbeamte (HVB) leitet sich auch im strafrechtlichen Sinne eine Garantenpflicht ab.
Was muss ich mir darunter vorstellen?
Für diese Entscheidungsträger ergäbe sich die Situation, dass sie strafrechtlich in die Pflicht genommen würden, wenn sie durch das Unterlassen geeigneter Maßnahmen Schäden zu verantworten hätten. Daraus ergibt sich für uns ein Hebel, dass wir dem Kreis von Verantwortlichen in der gesamtgesellschaftlichen Sicherheitsarchitektur unser Angebot näherbringen können, sich entsprechend aufzustellen.
Was ist, wenn wir als Land in einem militärischen Konflikt nicht involviert, aber betroffen sind. Aus den Erfahrungen der Pandemie, kann man die Frage ableiten, ob wir bei lebenswichtigen Medikamenten nicht zu sehr von Indien und China abhängig sind. Könnten bei dadurch entstehenden Engpässen bereits die von Ihnen skizzierten Maßnahmen zur Anwendung kommen?
Das Gesundheitssicherstellungsgesetz, das man in den 70er Jahren schon einmal angedacht hat, will man nun aufgrund der aktuellen Erfahrungen – so sagt es jedenfalls der Koalitionsvertrag – auf den Weg bringen. Es geht hierbei um Mangelverwaltung. Das Gesetz soll dem Bund gewisse Möglichkeiten einräumen, wie zum Beispiel eine gewisse Bevorratung.
Darüber hinaus sind wir gegenwärtig in der Findungsphase für ein „Gemeinsames Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz, GeKoB“, das nicht im, sondern beim BBK angesiedelt sein soll. Dort ist angedacht, gewisse Fähigkeiten und Kompetenzen in einem übergeordneten nationalen Interesse zusammenzuführen. Dafür gibt es bereits positive Signale der Länder und der Hilfsorganisationen.
Mehr Artikel vom Autor
Peter Niggl
Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight