Die Clans organisieren ihre Parallelwelt
Razzia im Bereich der Clan Kriminalität, in Essen, Club Essence Bildquelle: Innenministerium NRW Foto: Jochen Tack / Im Auftrag des IMNRW
Die Clans organisieren ihre Parallelwelt
Erziehung, Hochzeit oder Trauerfeier im Sinne der kriminellen Struktur
Bisher fehle „es an einer bundeseinheitlichen Definition des Begriffes ‚Clankriminalität‘“, wird im jüngst veröffentlichten „Lagebild ‚Clankriminalität‘ Berlin 2020“ festgestellt. Und versucht sich dann in einer sehr weitgefassten Beschreibung: „‚Clankriminalität‘ ist die Begehung von Straftaten durch Angehörige ethnisch abgeschotteter Strukturen („Clans“). Sie ist bestimmt von verwandtschaftlichen Beziehungen und/oder einer gemeinsamen ethnischen Herkunft und einem hohen Maß an Abschottung der Täter, wodurch die Tatbegehung gefördert oder die Aufklärung der Tat erschwert wird. Dies geht einher mit einer eigenen Werteordnung und der grundsätzlichen Ablehnung der deutschen Rechtsordnung.“
Das klingt, als seien „die Clans“ lediglich ein Problem der Strafverfolgungsbehörden. Seit den spektakulären Beutezügen, die Tätern dieser Provenienz zugerechnet werden, steht auch die Frage auf der Tagesordnung: Was geschieht mit den kriminellen Gewinnen? Die ARD-„Tagesschau“ im November 2019: „Nach dem spektakulären Einbruch in eine Sparkassenfiliale im Jahr 2014 versuchte sie, den Verbleib der Beute im Wert von knapp zehn Millionen Euro aufzuklären. In der Folge ließ ihre Behörde 2018 dann 77 Immobilien der Familie beschlagnahmen. Der Vorwurf: Mitglieder des Clans hätten die Beute ‚gewaschen‘ und in Immobilien angelegt.“ Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, dass jeder Verantwortliche im Wirtschaftsprozess in den Dunstkreis der „Clans“ geraten kann.
Die meisten Tatverdächtigen zwischen 18 und 25 Jahre
Die Anzahl der in Berlin „Clankriminalität“ zugerechneten Tätern und Tatverdächtigen erscheint mit 388 Personen auf den ersten Blick nicht sonderlich dramatisch. Wenn man sich die kriminelle Energie ansieht, sieht das Bild schon anders aus. „23 Jahre jung, 173 Straftaten alt“, titelte kurz und knapp die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und ergänzte: „Wissam R. hat zusammen mit einem Cousin im März 2017 die hundert Kilogramm schwere Goldmünze ‚Maple Leaf‘ aus dem Berliner Bode-Museum gestohlen. Ihr Wert: 3,75 Millionen Euro. Und er war mutmaßlich auch mit dabei, als Juwelen und Schmuck von unschätzbarem Wert aus dem Grünen Gewölbe in Dresden gestohlen wurden – zusammen mit sechs weiteren Männern aus seiner Großfamilie.“ Das ist die Spitze des kriminellen Eisbergs. „Von 291 tatverdächtigen Personen haben insgesamt 197 Personen bis zu vier Straftaten und 94 Personen fünf oder mehr Straftaten begangen“, listet der „Lagebericht“ auf. Die meisten Tatverdächtigen sind zwischen 18 und 25 Jahre alt. Zu ihren „Tätigkeitsschwerpunkten“ zählen: Rauschgifthandel, Diebstahl, Raub, Betrug, illegaler Waffenbesitz und Verkehrsstraftaten. Hinzu kommt das Rasen mit Luxuskarossen, als fast rituelles Protzverhalten der jungen Männer. Der Anteil der weiblichen Tatverdächtigen ist in den ausgesprochen patriarchalischen Strukturen der Clans mit rund fünf Prozent auffallend gering. Obwohl viele Clan-Mitglieder schon seit Jahrzehnten in Deutschland leben und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, sind sie auf die Regeln ihrer Gruppe oder Ethnie fixiert.
Einstieg in die Politik
Es gibt Beispiele von Gruppen solcher Clans, wie der stellvertretende Direktor der schwedischen Polizeibehörde Mats Löfving im September betonte, die in die Politik eingestiegen sind, um eine Gemeinde zu führen, und auch in der Geschäftswelt sind kriminelle Clans aktiv. Zur inneren Struktur verwies Löfving darauf, dass Eheschließungen arrangiert werden um die Position des Clans zu stärken, und die Familie hilft bei der Erziehung der Kinder, um die kriminelle Organisation des Clans zu übernehmen. Schweden ist neben Deutschland eines der am stärksten von sogenannter Clan-Kriminalität betroffenen Länder in Europa. Wie aus Löfvings Wort zu entnehmen ist, können sogar vergleichbar alltägliche Vorgänge zu polizeilichen Maßnahmen führen. So geschehen Anfang April im Berliner Stadtteil. Dort hatte ein Vertreter des übel beleumundeten Remmo-Clans mit einer Braut aus einem anderen Clan Hochzeit gefeiert. Schwer bewaffnete Polizeikräfte sorgten zwar dafür, dass es zu keiner – wie beabsichtigt – Feier im Freien kam. Dass sich in der Villa die Hochzeitsgäste nicht an die Coronaregeln hielten, wurde von der Polizei allerdings toleriert.
Herstellung einer Gegenöffentlichkeit
Ein Jahr zuvor begleiteten mindestens 20 Mannschaftswagen und 20 Streifenwagen und ein Hubschrauber der Polizei die Beerdigung der verstorbenen Mutter des Clan-Chefs Issa Remmo. Etwa 150 Personen kamen nach Presseinformationen zur Bestattung. Die Ordnungshüter zeigten sich sichtlich erleichtert, dass nicht noch mehr zur Trauerfeier gekommen waren, schrieben dennoch 138 Strafanzeigen. Nach den Vorgaben zum Infektionsschutz hätten jedoch nicht mehr als 20 Personen die Trauerfeier besuchen dürfen. Einen Teilnehmer der Trauerversammlung verurteilte ein Amtsrichter im September zu einer Geldbuße von 100 Euro. Ein anderer legte zum Verhandlungstermin ein ärztliches Attest über eine Erkrankung vor. Der Fahndungsdruck und die Erfolge der Ermittlungsbehörden veranlassen polizeibekannte Clan-Mitglieder in die Öffentlichkeit zu gehen und dabei in eine perfide Opferrolle zu schlüpfen. Sie suggerieren Vergleiche mit Verfolgten des Naziregimes. Der Berliner „Tagesspiegel“ im Februar dieses Jahres: „Vertreter bekannter Berliner Clans wehren sich nun, von Gegenöffentlichkeit ist die Rede. Dabei haben einige gleich mehrfach das Vorgehen der Behörden mit dem Holocaust und dem Völkermord an den Juden verglichen. Und die Männer aus Berlins bekanntester Großfamilie bedienten rechtsextreme Verschwörungstheorien.“
Die kriminellen Vertreter der Clans, die zweifellos nur eine Minorität innerhalb des Familienverbandes ausmachen, schwingen sich auf, Hüter des Leumunds der Rechtschaffenen zu sein. Es wirkt wie eine bestens orchestrierte Kampagne. Begonnen habe es, so der „Tagessspiegel“ auf Instagram. Dort habe ein Spross des Remmo-Clans gepostete: „Die uns heute verfolgen, sind die Nachkommen, die damals unsere jüdischen Mitbürger verfolgt und vernichtet haben.“ So viel Empathie und Solidarität erfahren die „jüdischen Mitbürger“ von dieser Seite ansonsten kaum. „5000 Menschen lauschten Clanchef Arafat Abou-Chaker und seinem mehr als vierstündigen Talk, der sich vor allem gegen eine Berufsgruppe richtete: Journalisten“, berichtet das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am 4. Februar. Das Ganze fand statt auf Audio-only-App Clubhouse, die nur über Empfehlung zugänglich ist. RND: „An einer Stelle kritisiert die Talkrunde, dass immer wieder nicht kriminelle Angehörige der Clans stigmatisiert würden. Selbst auf der Beerdigung von Abou-Chakers Mutter seien Filmteams aufgetaucht, kritisieren die Diskutanten. ‚Das erinnert mich ganz stark an, wie heißt das noch mal, Zweite-Weltkrieg-Geschichte, hier, wo sie auf die Juden geritten sind‘, findet ein Gesprächsteilnehmer. Kabarettistin Baydar stimmt ihm umgehend zu: ‚Das ist die gleiche Story!‘, findet sie.“
Keine Anstellung bei der Polizei
Zunächst drohte Baydar denjenigen, die ihr vermeintlich eine Verharmlosung des Holocaust unterstellt hatten, mit Klage, ruderte dann jedoch zurück. Interessant ist hier vor allem, wie es zweifellhaften Größen der Clan-Szene gelingt, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in ihr Fahrwasser zu ziehen. Eine juristisch unanfechtbare Linie zwischen den normalen, selbstverständlichen bürgerlichen Rechten und (langfristigen) kriminellen Ambitionen zu ziehen, scheint schwierig. Wegen befürchteter Nähe zum kriminellen Clanmilieu habe die Berliner Polizei einen Bewerber laut einem Gerichtsbeschluss zu Recht abgelehnt, heißt es Ende März in einer Meldung. Die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts war den Argumenten der Polizei gefolgt. Der Verdacht der Nähe zu kriminalitätsbelasteten Milieus begründe Zweifel an der charakterlichen Eignung eines Bewerbers, so die Richter. Zur Klärung der Vorwürfe müsse der Sachverhalt jedoch weiter geprüft werden. Laut Gericht hatte das Landeskriminalamt eingeschätzt, dass der Bewerber enge Kontakte zu einem Mann hatte, der bislang 29 Mal polizeilich in Erscheinung getreten sei, davon in 24 Fällen als Tatverdächtiger von Gewaltdelikten wie Körperverletzung sowie von Betrug, Diebstählen und Bedrohung.
„Clan-Mitglieder vergleichen sich mit den Opfern des Holocaust“.
Wenn auch Clan-Mitglieder sich nicht scheuen, in den Außenbeziehungen, z.B. gegen Medienvertreter oder Behörden die staatliche Justiz in Anspruch zu nehmen, gelten im Binnenverhältnis andere Regeln. Intern sollen sogenannte „Parallelschlichtern“ (auch als Friedensschlichter bezeichnet) bar jeder Legimitation Streitigkeiten schlichten. Nicht nur die fehlende sachliche Grundlage dieser Clan-Autoritäten sind für die Ordnungshüter ein Problem. Das wurde auch Anfang April in Essen deutlich. Der 61-jährige Adam Goman, Friedensrichter des schwer kriminellen Goman-Clans, war einer Corona-Infektion erlegen. Statt der erlaubten 25 Teilnehmer kündigte die Großfamilie 500 Trauergäste an. Damit wird den Hochzeiten ein weiteres Konfliktfeld deutlich, auf dem die Clangrößen scheinbar außerhalb jeglicher strafbewehrten Absicht die Auseinandersetzung suchen können. Nur massiver Druck der Polizei bereits Tage vor der Trauerfeier, konnte das Einhalten der Regeln gewährleisten. Jedes Zurückweichen der staatlichen Autoritäten würde nicht nur zur Stärkung und Festigung der kriminellen Strukturen führen, sondern trüge auch zur Erosion der Autorität der Exekutive in der Bevölkerung bei.
Stelldichein krimineller Gruppierungen
Nicht die Clan-Kriminalität, sondern die gesamte Lebensorganisation wird zum entscheidenden Hindernis einer zielführenden Integration. Veranstaltungen wie z.B. Trauerfeiern sind immer wieder Manifestationen des eigenen Machtbereichs wie auch des Netzwerkes. Als der im September 2018 durch 18 Schüsse getötete Intensivtäter Nidal Rabih in Berlin-Schöneberg zu Grabe getragen wurde, wurde die Trauerfeier zu einem Stelldichein krimineller Gruppierungen. Fließende Grenzen wurden offenkundig. „Schon auf dem Weg zum Friedhof legten sich Hells Angels mit Hundertschaftsbeamten an. Mittendrin: Kadim Ü., der Stellvertreter des wegen Mordes angeklagten Rocker-Bosses Kadir Padir“, hieß es in einem Zeitungsbericht. Die Führung der Rockergruppe Hells Angels, die früher mehr oder minder offen mit ausländerfeindlichen Neonazis gemeinsame Sache gemacht hatten, war von Straftätern übernommen worden, deren Wurzeln im Vorderen Orient liegen. Angesichts dieser seit langem sich abzeichnenden Entwicklung in den kriminellen Parallelwelten, stößt die politische Konzeptionslosigkeit auf allgemeines Unverständnis. Mit gefährlichen Konsequenzen.
Bildquelle: Innenministerium NRW
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Peter Niggl
Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight