NGOs – zwischen Verlockung und Alptraum
Greenpeace versteht es seit Jahrzehnten, mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam zu machen Foto: Eveline de Bruin / Pixabay
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat mit der Berufung von Jennifer Morgan zur Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik einen Coup gelandet, dessen Auswirkungen wohl noch niemand genau abzuschätzen weiß. Allerdings könnten damit vor allem Unternehmen unruhige Zeiten entgegensehen. Die 1966 in Ridgewood (USA) geborene Jennifer Morgan, die seit 2016 zusammen mit der Neuseeländerin Bunny McDiarmid die Nichtregierungsorganisation (NGO) Greenpeace International geleitet hat, lebt seit rund zwei Jahrzehnten in Berlin. Auch ein Zeichen dafür, dass man die deutsche Hauptstadt als einen wichtigen Stützpunkt für Greenpeace sieht.
Greenpeace versteht es seit Jahrzehnten, mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam zu machen: Vom Umweltkutter „Rainbow Warrior“, der 1985 vom französischen Geheimdienst versenkt wurde, bis zur missglückten Landung eines Gleitschirmpiloten bei einem UEFA-Fußballspiel im Juni vergangenen Jahres.
„.. insgeheim amerikanische Politik...“
Auch wenn die Wellen um ihre Ernennung der Greenpeace-Chefin zunächst hochschlugen, so meint das „manager magazin“ („mm“), sei „eine solche Ernennung wie die von Jennifer Morgan in diesen globalen Zeiten doch längst überfällig.“ Welche Zielsetzungen mit der Berufung von Morgan verbunden sind, bleibt vorerst noch etwas nebulös. Auffällig dennoch, dass ihre Stelle als Staatssekretärin am Außenministerium Baerbocks und nicht am Umweltministerium von Robert Habeck angesiedelt ist. Nachdenklich macht eine eher beiläufig eingeflochtene Frage im Beitrag vom „mm“: „Oder müssen wir befürchten, dass Frau Morgan insgeheim amerikanische Politik macht?“
Die Frage ist nicht unberechtigt, denn NGO bedeutet nicht automatisch, dass deren Zielrichtung völlig von der Regierungspolitik losgelöst zu betrachten ist. In den USA seien etwa 1,5 Millionen NGOs tätig, heißt es in einem Artikel auf der Website des US-Außenministeriums, veröffentlicht am 20. Januar 2021, dem Tag der Amtseinführung von Joe Biden und seines Außenministers Antony Blinken. „Diese NGOs unternehmen eine breite Palette von Aktivitäten… Sie entwickeln und befassen sich oft mit neuen Ansätzen für soziale und wirtschaftliche Probleme, die Regierungen nicht allein bewältigen können“, wird darin festgestellt.
Regelmäßiger Wechsel in Regierungsämter
Gerd Schindler, von 2012 bis 2016 Präsident des BND, sieht diese Praxis wohlwollend und schreibt in seiner Streitschrift „Wer hat Angst vorm BND?“: „In den USA zum Beispiel gibt es Hunderte von NGOs in Form von Stiftungen, Gesellschaften, Instituten, Akademien oder Ähnlichem, die sich nahezu ausschließlich mit Fragen der inneren und äußeren Sicherheit befassen. Diese privaten Organisationen spielen im politischen Alltag eine äußerst einflussreiche Rolle. Viele ehemalige Politiker arbeiten dort genauso wie viele ehemalige Führungskräfte aus den Sicherheitsbehörden. Oft ist die Tätigkeit bei einer NGO das Sprungbrett für einen späteren Job in der Regierungsadministration. In den USA gibt es regelmäßige Wechsel von NGOs in Regierungsämter und zurück, und dieses System der praktizierten Politikberatung tut dem Niveau der Debatte und der Aufgabenerfüllung gut.“ Dabei habe sich auch das Militär wertvolle Tipps geholt: „Die Diskussion im Vorfeld hierüber, welche neuen Gefahren entstehen und wie man ihnen begegnen kann, fand nicht nur in geschlossenen Zirkeln des Militärs, sondern auch in den NGOs statt.“ Soweit Herr Schindler.
Deutlicher noch sagte es der damalige US-Botschafter in Deutschland, John C. Kornblum, während des sogenannten Bosnienkrieges. In einer Rede am 2. September 1998 im Aspen-Institut in Berlin, ließ er das Auditorium wissen, er könne „aus eigener Erfahrung sagen, es sind die NGOs, die Nichtregierungsorganisationen, die eine viel größere Rolle spielen, dieses Gefühl des em-powerment zu vermitteln, als Regierungen. Einige Jahre lang wurden in Bosnien zum Beispiel westliche Ideale eigentlich nur von den NGOs hochgehalten. Wo unsere offizielle Politik Schwierigkeiten hatte, sich auf die neue Lage auf dem Balkan einzustellen, waren es NGOs, die ein westliches Engagement vertreten haben.“
Rollenverteilung der Politik mit NGOs
In dieselbe Kerbe schlägt Géza Andreas Freiherr von Geyr, heute der deutsche Botschafter in Moskau. Auch er weiß die Expertise von NGOs zu schätzen. 2015, von Geyr war gerade vom Posten des Vizepräsidenten des BND zum Leiter der Abteilung Politik im Verteidigungsministerium gewechselt, legte er das Spektrum seiner Experten dar: „Wir brauchen vieles, um einen kompletten Blick zu haben: Von der Tiefenschärfe, die uns Experten geben können, über die besondere Expertise aus dem parlamentarischen Raum, die spezifischen Erfahrungen von NGOs, bis zu Einstellungen die sich zeigen, wenn man gewissermaßen der Bevölkerung auf den Puls fühlt: Wie deren Befindlichkeiten sind, deren Sorgen, die Bedrohungsvorstellungen, gegen die wir ja schützen sollen. All das zusammen ergibt ein komplettes Bild.“
Schon 1980 hat der Berliner CDU-Politiker Heinrich Lummer seinen Einsatzplan für NGOs zu Papier gebracht. In einem Aufsatz unter dem Titel „Entspannung trotz Sacharow?“ in der theoretischen Zeitschrift „Die politische Meinung“ hat er einer gewissen Arbeitsteilung das Wort geredet. Seiner Ansicht nach, „wäre bei konstruktivem politischem Klima eine Rollenverteilung mit nichtgouvernementalen Kräften abzusprechen, weil die Regierung in bestimmten Situationen gehalten ist, Rücksicht walten zu lassen.“
Zukünftig häufiger Konflikte zwischen Unternehmen und NGOs
Wie bekannt ist, gehört der politische Druck auf Unternehmen zum Repertoire der Politik des State Departments. Einige NGOs zählen dabei unzweifelhaft zum strategischen Kalkül. „Zukünftig werden Konfrontationen zwischen NGOs und Unternehmen weiter wachsen. Die meisten Unternehmen sehen durch eine engere Zusammenarbeit aber auch eine Chance, um ein gutes Image zu bekommen. Das geht aus einer Studie des Instituts für Handel & Internationales Marketing an der Universität des Saarlandes hervor. … Rund die Hälfte der Unternehmen geht davon aus, dass in Zukunft Konflikte mit NGOs häufiger vorkommen werden“, ist auf der Website des Informationsdienstes compliancedigital.de zu lesen.
Solche Konfrontationen scheinen zur Programmatik von Jennifer Morgan zu gehören. „The European“ zeichnet ein Charakterbild: „Morgan setzt sich fortan mit Eifer als Kämpferin für Klima und Umwelt in Szene, sie ist so etwas wie eine personifizierte Nervensäge, die Unternehmen und Politikern, die ihr den Klimawandel nicht ernst genug nehmen, kräftig die Leviten liest. Ein kompromissloser Umgang mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft scheint ihr in die Gene gelegt zu sein. Nach drei Jahrzehnten Nahkampferfahrungen bei politischen Aktionen, ist sie der Überzeugung, dass Greenpeace die Bilder macht, die die Welt versteht. Gerade die Provokation ist der Kern der Marke Morgan.“
„Greenpeace hat wenig innere Demokratie...“
Greenpeace ist die vielleicht schlagkräftigste NGO. Von ihren weltweit rund drei Millionen „Fördermitgliedern“ sind 630.000 in Deutschland, die deutsche Sektion ist dabei die mit Abstand größte aller 45 Länder, in denen Greenpeace aktiv ist. Dem gegenüber stehen allerdings deutschlandweit nur 40 echte Mitglieder im Verein, die die Ausrichtung der NGO bestimmen. 2020 konnten die Umweltschützer 80,3 Millionen Euro an Spenden verbuchen. Aber: „Greenpeace hat wenig innere Demokratie und ist hierarchisch organisiert; die Themen setzt die nationale Führungsspitze, die dabei abhängig ist von den Vorgaben des internationalen Büros in Amsterdam“, bemängelt die Hochschule Darmstadt auf ihrer Website „grüner Journalismus“.
Über die Rollenverteilung zwischen Baerbock und Morgan kann man nur spekulieren. Da Baerbock stets die Gasleitung Nord Stream 2 als Sanktionsmittel gegen Russland hervorgehoben hatte, ist die Suche nach Alternativen nur folgerichtig. Parteifreund Robert Habeck hat als Umweltminister bereits das äußerst umstrittene, weil giftigere und teurere Liquefied Natural Gas (LNG) – allgemein nur Fracking-Gas – aus den USA ins Kalkül gezogen und trifft Vorbereitungen, auf diese Energieform umzusatteln. Auch seine Aufwartung beim Emir von Katar gehört zur LNG-Politik von Habeck. Für Greenpeace eigentlich ein No-Go: „Fracking ist die neueste Scheinlösung der fossilen Brennstoffindustrie für unser Energieproblem.“ Und Jennifer Morgan hat am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz 2018 auf Fragen der „Tageszeitung“ (taz) die Ansicht vertreten, „Das Militär führt Kriege um Öl. Jetzt muss das Militär genau das Gegenteil tun: Dafür sorgen, dass das Öl, das Gas, diese CO2-Bomben, im Boden bleiben.“ Sich mit der Berufung Morgans von den zu erwartenden Protesten freizukaufen, dürfte reichlich kurz gedacht sein.
Subtile Methoden
Weltweite Beachtung fand Greenpeace zum ersten Mal 14 Jahre nach seiner Gründung, als eine kleine Truppe um den Gründer David McTaggart das Schiff „Rainbow Warrior“ zum Mururoa-Atoll steuerte. Dort hatte 1985 Frankreich Kernwaffentests angekündigt. Das Schiff wurde am 10. Juli 1985 von Mitarbeitern des französischen Geheimdienstes DGSE im Hafen von Auckland (Neuseeland) mit zwei Sprengsätzen versenkt, wobei ein Mensch sein Leben verlor. Die Aktion wurde für Präsident François Mitterrand zum Rohrkrepierer, als zwei der Saboteure des DGSE, Hauptmann Dominique Prieur und Major Alain Mafart, von der neuseeländischen Polizei festgenommen werden konnten und schließlich zu zehn Jahren Haft verurteilt wurden. Auf dem Weg zum Gericht wurden die beiden von einem von Greenpeace gecharterten Hubschrauber begleitet, der in geringer Höhe dem Fahrzeug folgend, den Eindruck erweckte, es könnte jederzeit ein Angriff erfolgen. Ein Nervenkrieg, der auch bei den Geheimdienstlern nicht ohne Wirkung blieb.
Dies ist jedoch kein Einzelfall im geheimen Krieg gegen NGOs, besonders mit Greenpeace. Mitte der 1990er Jahre beauftragte der von ehemaligen Mitgliedern des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 gegründete private Nachrichtendienst Hakluyt & Company den deutschen Privatermittler Michael Schlickenrieder, Greenpeace und andere NGOs auszuspionieren. Er bekam die Order, Informationen zu beschaffen, mit welchen Mitteln die Organisationen den Ölfirmen Shell und BP das Leben schwermachen wollen. Schlickenrieder schlüpfte in die Rolle eines mit den Linken sympathisierenden Dokumentarfilmers. Die Sache flog auf und die Auftraggeber gerieten in Erklärungsnot. Die Erfahrungen besagen also, dass die klandestinen Mittel immer erhebliche Risiken bergen und schnell zum Fehlschlag führen können.
Als ein Beispiel, wie Greenpeace auch Globalplayer in die Knie zwingt, nennt Prof. Dr. Sebastian Krautheim, Inhaber des Lehrstuhls für International Economics an der Universität Passau, die sogenannte Anti-Sweatshop-Kampagne gegen den Sportartikel-Hersteller Nike im Jahr 1998. Dazu heißt es auf der Website der Uni in der Drei-Flüsse-Stadt: „Das war einer der ersten Fälle, in denen ein großer Konzern mit der Strategie scheiterte, Verantwortung für die Handlungen unabhängiger Zulieferer in seiner internationalen Wertschöpfungskette pauschal von sich zu weisen.“ Die internationalen Boykott-Aufrufe verschiedener Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gegen die Arbeitsbedingungen bei Nikes indonesischen Zulieferbetrieben hätten dort zu großen Einbrüchen geführt: Der Börsenwert sei um 20 Prozent gesunken, der Jahresgewinn um 49 Prozent.
Selbst Nestlé zu erheblichen Veränderungen gezwungen
Nestlé, der größte Nahrungsmittel-Konzern der Welt, hat angekündigt, den Verkauf der Mineralwassermarke Vittel in Deutschland einzustellen. Das Unternehmen wolle sich auf andere Marken fokussieren, heißt es. Nestlé steht aufgrund der umstrittenen Wassergewinnung im französischen Vittel seit Jahren stark in der Kritik vor allem von NGOs. „Nestlé ist ein Lieblingsfeind von Nichtregierungsorganisationen“, hatte „blick.ch“ im März 2022 geschrieben. Dabei habe Nestlé in den vergangenen fünf Jahren unter dem CEO Mark Schneider enorme Anstrengungen unternommen, sich zu wandeln. „Das zu Recht kritisierte Wassergeschäft in den USA wurde größtenteils abgestoßen, Schneider steckte rund eine Milliarde in fleischlose Ernährung, stufenweise Reduktion von Zucker und Salz, umweltfreundliche Verpackungen und nachhaltiges Wirtschaften. Nicht zur Freude aller Aktionäre.“
Die Konfliktfelder auf denen verschiedenste Interessen aufeinanderstoßen, werden in den nächsten Jahrzehnten dramatisch zunehmen. Ganz oben steht der Klimawandel mit allen seinen Folgen. Diese können von der Wasserknappheit und den damit verbundenen Ernteausfällen bis zu neuen Schwerpunkten der Rohstoffausbeute – als Beispiel Lithium – reichen. „Der Kampf gegen Landnahme und Raubbau an der Natur wird immer gefährlicher“, schrieb der „Tagesspiegel“ im September vergangenen Jahres. 2020 seien „weltweit 227 Umweltschützer getötet worden, wie die Nichtregierungsorganisation Global Witness … bei der Vorstellung einer neuen Studie“ mitgeteilt habe. Drei Viertel der tödlichen Angriffe seien in Lateinamerika zu verzeichnen gewesen. „Hinter den Gewalttaten stecken meist Unternehmen, Bauern und teilweise auch staatliche Akteure sowie kriminelle Banden, paramilitärische Gruppen und Rebellen“, so das Blatt. Man benötigt wohl nur wenig Phantasie, sich auszumalen, welche Folgen es für die Reputation eines Unternehmens haben kann, auch nur mittelbar mit solchen Verbrechen in Verbindung gebracht zu werden.
Dass der Unternehmenssicherheit und dem CSO gewaltige Herausforderungen ins Haus stehen, liegt auf der Hand.
Mehr Artikel vom Autor
Peter Niggl
Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight