Biden als Game-Changer in Europa?

Im politischen Spitzengespräch mit Elmar Theveßen, Leiter des ZDF-Studios Washington, mit Peter Niggl, Chefredakteur SECURITY Insight

Lesezeit: 13 Min.

08.06.2021

Mit Elmar Theveßen, dem Leiter des ZDF-Studios Washington, sprach Peter Niggl

SECURITY insight: Herr Theveßen, vor kurzem hat der republikanische Senator für Texas, Ted Cruz, seine Zustimmung für den neuen CIA-Chef mit der Bedingung verknüpft, dass die Biden-Administration mehr Sanktionen gegen die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 verhängt. Wird Biden mit solchen Junktims erpressbar?

Elmar Theveßen: Ganz offenbar spielt das Junktim von Ted Cruz keine große Rolle, da sich die Republikaner von Anfang in Fundamentalopposition üben. Das Corona-Hilfspaket ist ja im Kongress ohne eine einzige Stimme der Republikaner verabschiedet worden. Die Demokraten haben ihre knapper gewordene Mehrheit im Repräsentantenhaus und ihre knappe Mehrheit im Senat genutzt, um dieses Vorhaben fast unverändert durchzubringen. Die Republikaner haben lediglich Obstruktion betrieben. Und das zeigt, dass das Junktim im Grunde genommen ein Treppenwitz ist. Wenn man es ernst genommen hätte, hätte man den Präsidenten bei den ersten Vorhaben wenigstens ein wenig konstruktiv begleitet, vielleicht auch der eine oder andere dafür gestimmt. Deshalb ist das Junktim – sehr salopp gesagt – eigentlich wurscht. Biden hat ja gerade sein großes Infrastrukturpaket in Höhe von 2,29 Billion Dollar angekündigt. Das kann er auch, wenn er will, ohne Stimmen der Republikaner durchbringen und wird es auch tun.

Ist in der Ablehnung und den Sanktionsandrohungen gegen Nord Stream 2 Biden auf Trump-Linie?

In der Ablehnung der Nord-Stream-2-Pipeline sind Trump und Biden eigentlich einig. Die Frage ist: Wie geht man dann vor? Und Antony Blinken, der Außenminister, hat ja in den letzten Tagen signalisiert, dass die neue Regierung in den USA das Projekt nicht verhindern wird können. Sie haben den Europäern und den Deutschen klargemacht, dass sie Nord Stream 2 ablehnen, aber auch keine Sanktionen verhängen werden, wenn Deutschland am Ende die Gaspipeline dann doch fertigstellt. Das wird zwar die bilateralen Gespräche nicht schöner machen, die man auf anderen Themenfeldern führt. Man wird von Seiten Washingtons dann doch immer wieder ins Feld führen: „Ihr habt euch Russland an den Hals geworfen!“ Aber ich glaube nicht, dass es Sanktionen geben wird. Es ist schon wichtig zu verstehen, dass wir es hier mit einer neuen Administration zu tun haben, der die moralische Seite der Politik wichtig ist. Man wird später sehen, ob die Taten mit den Worten übereinstimmen, aber anders als Donald Trump sagt Joe Biden ganz klar, er ist gegen eine transactional foreign policy, also eine auf Deals ausgerichtete Außenpolitik. Mit anderen Worten, wegzusehen, wenn China oder Russland Verbrechen begehen. Und da könnte es sein, dass Amerika mit Deutschland oder den Europäern aneinandergerät.

Aber Joe Biden postuliert in gewisser Weise doch auch ein „Amerika first“?

Das ist so. Ganz klare Ansage, er hat ja gerade vor kurzem eine Pressekonferenz gegeben zu seinem Infrastrukturprogramm – es war eigentlich nur eine Rede, eine Bekanntmachung – und er hat sehr eindeutig gesagt, dass alles was für dieses Programm an Geld ausgegeben wird, ausschließlich an amerikanische Firmen gehen soll. Und dass auch die Ausrüstung für erneuerbare Energien, im Kampf gegen den Klimawandel, nach Möglichkeit in den USA hergestellt werden. So dass amerikanische Arbeiter davon profitieren. Ich sage mal so: Das unterscheidet sich nicht von Donald Trump. Biden spricht von „Buy American“ oder „Make it in America“. Aber Joe Biden sagt gleichzeitig, wie wichtig der Handel mit anderen Ländern ist und dass er dabei weniger konträr unterwegs ist, als es Trump war. Das alles ist sehr verständlich, denn Biden ist zum Erfolg verdammt. Er muss in den nächsten zwei Jahren Dinge liefern, von denen die breite Masse der Amerikaner etwas hat. Denn nur so ist es möglich, die Mehrheit im Kongress zu behalten oder auszubauen und in vier Jahren das Weiße Haus einmal mehr für die Demokraten zu sichern. Man muss sich darauf einrichten, dass Amerika sich darauf konzentrieren wird, mit seinen Verbündeten – allen voran den Europäern – den großen Herausforderungen der Zukunft die Stirn zu bieten. Russland ist es in Bezug auf Militär und Sicherheit, nicht in Sachen Wirtschaft, da spielt Russland so gut wie keine Rolle. China aber ist der große Herausforderer der Zukunft und versucht ja seine Interessengebiete weltweit abzustecken und Verbündete zu gewinnen, indem man sich einkauft über große Wirtschaftsprojekte rund um den Erdball.

Das klingt ein wenig wie die Neuauflage des Kalten Krieges…

… aber der Vergleich hinkt. Die Zahl der Verbündeten Russlands respektive der Sowjetunion zu Zeiten des Kalten Krieges war viel überschaubarer, als dies jetzt möglicherweise bei China der Fall sein wird. Die Wirtschaftsmacht von China ist jetzt schon um Vieles größer als die der Sowjetunion jemals war. Und auch militärisch schickt sich China an, mit dem Westen und den USA auf Augenhöhe zu kommen. Ich halte das für die größere Bedrohung.

Trotz der Fokussierung Bidens auf nationale Ressourcen, sehen deutsche Firmen Chancen in den Wirtschaftsprogrammen der neuen US-Regierung. Wunschdenken?

Nein, ich glaube, das ist unausgesprochen einkalkuliert. Joe Biden weiß, es wird nicht alles, was die Vereinigten Staaten brauchen, um diese Transformation zu schaffen, in Amerika tatsächlich hergestellt. Es wird wahrscheinlich nach dem Motto ablaufen, überall wo es möglich ist, soll es in Amerika hergestellt und gekauft werden. Aber dort wo Technologie notwendig ist, die es bisher nur anderswo gibt, muss sie importiert werden. Ich glaube, dass das Infrastrukturprogramm so weit wie möglich ein Programm für die amerikanische Industrie ist, trotzdem auch Chancen für europäische Partner, allen voran auch deutsche Firmen bietet.

Das führt fast zwangsläufig zum Mobilfunknetz 5G und damit zum Verhältnis China. Sind da neue Akzente zu erkennen?

Klare Ansage von Joe Biden: Mit China macht man keine Geschäfte, wenn man gleichzeitig wegschaut beim Völkermord an den Uiguren. Und das ist ein schönes Beispiel für diese neue Art von Außenpolitik. Denn der Außenminister Antony Blinken hat das Wort Genozid in den Mund genommen. Er hat also im Grunde genommen die Position von seinem Vorgänger Mike Pompeo übernommen, dass China an den Uiguren einen Völkermord verübt. Vor diesem Hintergrund müssen wir in Europa und in Deutschland erkennen, die Politik gegenüber China wird auch unter Joe Biden eine harte, vielleicht sogar eine noch härtere sein als die von Donald Trump, der ja offensichtlich eine gewisse Bewunderung für den autoritären Führer Xi hegte. Trump hat sich Xi doch sehr weitgehend an den Hals geworfen, das wird – wie ich glaube – bei Biden nicht passieren. Jedenfalls nicht, wenn er den hehren Worten, die er in den letzten Monaten ausgesprochen hat, auch Taten folgen lässt. Das bedeutet, es wird eine harte Deinvestitionspolitik gegenüber China gemacht werden, also chinesische Investitionen aus Amerika zu verbannen, so wie das schon unter Donald Trump begonnen hat.

Da tut sich bereits das nächste Konfliktfeld auf: Boykott der Winterspiele in Peking im kommenden Jahr. Wird die Biden-Administration so weit gehen?

Diese Frage wurde bei den Pressekonferenzen schon mehrfach an Antony Blinken und an die Pressesprecherin im Weißen Haus gestellt. Wenn ich die Signale richtig deute, wird die Administration einen Boykott vermeiden wollen. Es wird meiner Ansicht nach keinen Boykott der Olympischen Spiele geben, weil man auch aus der Erfahrung der Geschichte weiß, dass der Boykott von Olympischen Spielen wenig oder nichts bringt. Wir erinnern uns an 1980 Moskau oder anschließend in Los Angeles. Unter dem Strich hat das nicht dazu beigetragen, dass Russland in irgendeiner Weise eingeschwenkt wäre. Ich glaube, es wird eine klare Aufforderung zum Boykott des Besuchs der Olympischen Spiele geben, in dem Sinne, dass Wirtschaftsdelegationen aus den USA anreisen.

Mit der Wahl Donald Trumps wurden die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP auf Eis gelegt. Werden sie unter Biden reanimiert?

TTIP wurde unter Obama vorangetrieben. Aber ich glaube, das Thema ist erledigt. Es sind andere Themen momentan wichtiger. Allen voran die inländische Situation zu verbessern. Deshalb konzentriert Biden all seine Kraft auf Hilfspakete und Infrastrukturmaßnahmen, den Kampf gegen den Klimawandel. Da sind solche internationalen Handelsabkommen schwer zu vermitteln, wenn man gleichzeitig klarmachen will, dass einem die Interessen der amerikanischen Wähler und vor allem der amerikanischen Arbeiter besonders am Herzen liegen. Ich will nicht ausschließen, dass man auf das Thema TTIP zurückkommt, das kann gut sein, aber es hat nicht oberste Priorität. Zumal man bei den schon erwähnten Programmen auch mit den Republikanern ein Stück weit zusammenarbeitet. Da würde es eher schädlich sein, das Thema TTIP hier aufzugreifen.

Richard Grenell, Botschafter unter Trump in Berlin, hatte deutsche Unternehmen direkt aufgefordert, sich ihm gegenüber zu erklären, ob sie die Sanktionen gegen den Iran einzuhalten gedenken. Ist so etwas unter Biden auch denkbar?

Ich glaube, dass das als Werkzeug auch in einer Außenpolitik von Joe Biden und Antony Blinken eine Möglichkeit ist. Aber man wird vieles tun, um das zu vermeiden. Er wird mit aller Macht dafür werben, dass die Verbündeten und die Wirtschaftsunternehmen mit der Biden-Administration an einem Strang ziehen. Ich denke, dass dies eine erfolgreiche Strategie sein kann. Iran hat sich ja zu den indirekten Gesprächen bereit erklärt. Es liegt der neuen Administration sehr viel daran, dass man nicht einfach zum Abkommen – zum Iran-Deal wie er vorher bestand – zurückkehrt, sondern, dass man ihn erweitert. Das heißt auf der Grundlage dessen, was schon einmal vereinbart war. Gerichtet auf ein Zurückdrängen des iranischen Einflusses in dieser Region, gerade wenn es um militärische oder terroristische Aktivitäten geht oder Einschränkung der Raketenkapazitäten des Iran usw. Also wird man versuchen, auf den Iran-Deal draufzusatteln. Ich denke, dass Joe Biden schon in den letzten Wochen eine sehr intensive Diplomatie betrieben hat, Gemeinsamkeit mit den europäischen Verbündeten zu erzielen, um Druck auf den Iran auszuüben. Es zeigt sich jetzt, dass dies Aussicht auf Erfolg hat.

Welche Rolle spielt dabei das von Trump intensiv genutzte Instrumentarium der Strafzölle?

Das Instrumentarium wird heruntergefahren werden. Man hat gelernt aus dem Handelskrieg der letzten vier Jahre, dass das nicht viel bringt. Ich will mal das Beispiel nennen: Der Handelskrieg, den man mit den Chinesen geführt hat, hat am Ende zu dem Phase-2-Abkommen geführt, das in weiten Teilen so aussah, wie der Ausgangspunkt, von dem aus man gestartet ist. Es gab ein paar Verbesserungen, das muss man ganz klar sagen, auch was den Überprüfungsmechanismus angeht in Sachen Handel. Aber nichts, was nicht im Rahmen der WTO schon im Gespräch gewesen wäre zu dem Zeitpunkt, als der Handelskrieg ausbrach. Es gibt hier die Einsicht, dass Strafzölle nicht unbedingt zielführend sind. Schon gleich gar nicht, wenn sie dazu führen, dass es auch die amerikanische Wirtschaft dadurch schwerer hat. Trumps Handelskrieg hat letztlich viele Waren in den USA teurer gemacht. Ein Beispiel dafür ist die Landwirtschaft, deren Ausrüstung durch den Handelskrieg mit China teurer geworden ist. Das konnte nur ausgeglichen werden, indem der Staat jedes Jahr Abermillionen Dollar an Subventionen gezahlt hat. Das heißt, die Amerikaner mussten am Ende doppelt bezahlen. Einmal die höheren Preise und dann noch die Subventionen des Staates. Also Strafzölle und Handelskriege sind aus der Sicht der Biden-Administration nicht zielführend, aber, wenn es Sinn macht, mit Strafzöllen eine Veränderung des Verhaltens herbeizuführen, glaube ich, dass es ein Werkzeug in der Werkzeugkiste der Biden-Regierung bleibt.

Die Beziehungen zwischen den USA und der EU sind in den vergangen vier Jahren merklich abgekühlt. Wie wird die Zukunft aussehen?

Also man würde sich von Seiten der USA sicher wünschen, dass die EU mit einer Stimme spricht, als starker Partner. Bei dem Auftreten gegen Russland oder China ist die EU ein stärkerer Verbündeter, als wenn man die Staaten einzeln betrachtet. Ich sage ganz klar: Das Weiße Haus wünscht sich, dass Europa mit einer Stimme spricht. Das zeigt sich schon in den ersten Wochen der Biden-Regierung, dass es mehrere Kontakte mit Frau von der Leyen gegeben hat. Jetzt kommt das Aber: Im Weißen Haus ist man nicht dumm, man sieht, wie zerstritten die Europäer in einigen Fragen sind. Wenn es beispielsweise um die Frage geht, Geschäfte mit Russland oder China zu machen. Sei es der Umgang mit den Nachwirkungen der Flüchtlingskrise oder die Entwicklung von Staaten wie Polen und Ungarn in den Autoritarismus. Vor diesem Hintergrund weiß auch die Biden-Administration, dass sie ein Stückweit Druck machen muss auf Staaten wie Polen und Ungarn, die bisher dachten, sie hätten einen festen Verbündeten in Weißen Haus. Den hatten sie mit Trump, der sie nicht zwang die Grundsätze der Meinungs- und Pressefreiheit in ihren Ländern hochzuhalten. Da muss man sehen, dass Biden zum Game-Changer wird und die USA tatsächlich Druck auf Polen, Ungarn und einige andere in Bezug auf Menschen- und Bürgerrechte machen werden, damit am Ende Europa als Wertegemeinschaft erkennbar ist und entsprechende Wirkung gegenüber Russland und China und einigen anderen entfaltet. Das ändert nichts daran, dass für das Weiße Haus die wichtigsten Ansprechpartner in Europa Macron und Merkel sind.

Millionen Zuschauer haben ihre Berichte an den Bildschirmen verfolgt, als am 6. Januar skurril anmutenden Trump-Fans mit dem Sturm aufs Kapitol den Umsturz versuchten. Jetzt, ein Vierteljahr danach, hat es den Anschein, dass die Politik am Potomac in ruhigeres Fahrwasser gekommen ist…

… dieser Schein trügt leider. Die Sicherheitsbehörden hier in den USA sind sich einig, dass die Gefahr nicht geschrumpft ist, sondern dass sie sich ändert und im Gegenteil noch gefährlicher geworden ist. Am 6. Januar hätte es beinahe den Umsturz gegeben. Er ist zum Glück am Ende gescheitert. Aber die Lehre aus dem 6. Januar im rechtsextremistischen Bereich in den USA ist, dass man nicht bei großen Events mit so vielen Teilnehmern auftritt, sondern besser in kleinen Gruppen. Auch allein als Einzelkämpfer. Der rechtsextremistische Bereich ist in den USA massiv dabei, auch aus dem Untergrund heraus eine Gefahr für dieses Land darzustellen. Und er wächst. Es hat weiter Zulauf gegeben durch die Ereignisse des 6. Januar und auch eine gesteigerte Entschlossenheit. Wenn wir mit Menschen reden, die sich vor den Karren Trumps hatten spannen lassen, merkt man, dass diese momentan noch verbohrter sind. Die sind noch mehr fixiert auf das, was die rechten, rechtskonservativen Medien hier berichten. Nämlich extrem einseitig und extrem polarisierend. Hier können die Sender Newsmax aber auch Fox News genannt werden. Da ist eine Entschlossenheit gewachsen, bei der nächsten Gelegenheit aktiv zu werden. Damit sind zwei Dinge gemeint. Einmal republikanische Kandidaten zu wählen, die auf Trump-Linie liegen – das macht es natürlich noch schwerer, das Land wieder zusammenzubringen – und das zweite ist: Auch zu den Waffen zu greifen. Es besteht eine große Gefahr, dass es Anschläge oder Attentatsversuche geben wird. Sowohl auf den Präsidenten als auch auf Mandatsträger, die als Verräter angesehen werden. Zum Beispiel auch auf Republikaner, die für das Impeachment gestimmt haben. Es ist sogar wahrscheinlich, dass es in den nächsten Monaten zu Gewaltakten kommen wird.

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Über den Autor: Peter Niggl

Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight