Die Gefahr von Anschlägen durch Lkw wird weiter steigen

Ein Lkw ist die optimalste Terrorwaffe im zivilen Bereich, er generiert die größte fatality per attack – also größte Zahl an Opfern bis Interventionsmaßnahmen greifen

Lesezeit: 11 Min.

09.08.2023

Mit Christian Schneider, Sachverständiger für Zufahrtsschutz, sprach Peter Niggl

Herr Schneider, Sie sind ausgebildeter Sachverständiger und Gutachter für Zufahrtsschutz und haben sich also die Aufgabe gestellt, sich den Terroristen entgegenzustellen?

Ja, sinnbildlich zumindest, denn die Erfahrung zeigt, dass schwere Fahrzeuge die effektivste Angriffswaffe sind! Doch bevorzuge ich, die Gegenseite eher als Extremisten oder Unfallfahrer zu betrachten. Und das impliziert eben nicht nur den Schutz vor Terrorismus. Nehmen wir den jüngsten Vorfall aus Washington, bei dem im Mai der Fahrer eines 18t-Lasters ins Weiße Haus eindringen wollte. Das war ganz offensichtlich kein Dschihadist. Meine Arbeit ist ein ordentlicher Zufahrtsschutz, unabhängig aus welcher Motivation heraus eine Gefährdung entstehen kann. Fahrzeuge – vornehmlich Lastkraftwagen – werden immer mehr als Waffen eingesetzt. – Wenn man sich die Vorfälle der letzten Tage vor Augen führt, stehen terroristische Hintergründe nicht immer an oberster Stelle. Lassen Sie mich ein, für unser Thema sehr anschauliches Beispiel nennen. Im Januar dieses Jahres raste ein Mann mit seinem Mercedes in Berlin ins Brandenburger Tor. Meiner Berechnungen nach könnte er realistisch mit einer Geschwindigkeit von über 150km/h unterwegs gewesen sein. Glücklicherweise geschah dies gegen Mitternacht und es waren zu diesem Zeitpunkt nur wenig Menschen auf diesem sonst so belebten Pariser Platz vor dem symbolträchtigen Bauwerk anwesend. Tagsüber, wenn sich Touristen und Besucher am Brandenburger Tor drängeln, hätte diese Fahrt mit Sicherheit verheerende Folgen gehabt.

Wenn man jedoch über „Todesfahrten“ spricht, dürften die meisten Menschen zuerst die Bilder vom Breitscheidplatz vor Augen haben, einige vielleicht auch die Terrorattacke vom 14. Juli 2016 im französischen Nizza mit 86 Todesopfern. Wie viele solche gezielte Unfallfahrten gab es denn schon vor Nizza?

Ich habe jetzt die genauen Zahlen nicht parat, doch gemäß einer Studie aus dem Jahre 2022 stieg die Anzahl der weltweiten Rammfahrten von durchschnittlich 5-10 in den Jahren vor 2010 auf über 200 im Jahre 2020. Die Hintergründe für solche Anschläge mit Fahrzeugen waren ganz verschieden. Mal war es eine Familienfehde, mal Meinungsverschiedenheiten, aber auch, um ein politisches Statement abzugeben. In Brasilien – um ein weiter zurückliegendes Beispiel zu nehmen – war es 1953 so, dass jemand mit einer Sambaschule nicht einverstanden war und deshalb mit einem Lkw in deren Veranstaltung gerast ist. Es gibt also eine Vielzahl an Motiven, die dazu führen können, Fahrzeuge zu nutzen oder besser gesagt zu missbrauchen. Der Fachbegriff hierfür ist VAW – Vehicle As Weapon.

Und die Neigung dazu, mit einem Fahrzeug einen Anschlag zu verüben hat leider in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Das islamistische Terrornetzwerk Al-Qaida hat 2011 in ihrem Online-Magazin „Inspire“ das Fahrzeug als tödliche Waffe besonders propagiert, später wurden vom IS sogar mehrfach detaillierte Anschlagsanweisungen herausgegeben. Tatsächlich ist es so, dass ein Lkw relativ einfach verfügbar und bedienbar ist.- Unter Umständen steht er dem Täter bereits als Arbeitsmittel zur Verfügung. Die Tat bedarf keiner besonderen Planung, und die Vorbereitungen zu einem Anschlag mit Fahrzeugen können erfolgen ohne besonderes Aufsehen zu erregen oder dass Mitmenschen Verdacht schöpfen.

Dabei unterscheidet man Attacken in zwei Hauptgruppen. sogenannte Rammfahrt, oder das Einbringen einer Autobombe (VBIED).

Deshalb werden wohl zurzeit vielerorts Betonklötze aufgestellt, obwohl man diese ja nicht überall hinstellen kann, wo möglicherweise eine Gefahr entsteht…

…und damit wird auch schon der erste Fehler gemacht. Denn mit Betonklötzen multipliziert man die Gefahr und tut dem Angreifer sogar noch einen Gefallen! Wer glaubt, mit Betonklötzen einen LKW aufhalten zu können, der glaubt auch, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet.

Wie sieht dann die Alternative aus?

Mein Fachgebiet ist der wirksame Schutz. Bevor ich gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden agieren kann, brauchen wir aber eine Legitimation, denn sämtliche Maßnahmen müssen erforderlich, angemessen und wirksam sein. Ob eine Maßnahme erforderlich ist obliegt nicht meiner Beurteilung. Diese Entscheidung liegt in den Händen des Betreibers der Örtlichkeiten oder der Sicherheitsbehörden. Meine Aufgabe heißt im Fachterminus Hostile Vehicle Mitigation – kurz: HVM – zu Deutsch „Folgenminderung feindlicher Fahrzeuge“ und sorgt für die fundierte Konzeption, Angemessenheit und Wirksamkeit physischer Schutzmaßnahmen. Das heißt für mich, dass ich im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung ein Konzept erstelle, das alltagstauglich funktioniert, nicht über das Ziel hinausschießt, aber gegen die tatsächlichen physischen Bedrohungen – die von Fahrzeugen ausgehen können – adäquate Schutzmaßnahmen entwickelt.

Da möchte ich auf meine Eingangsbemerkung zurückkommen. Warum sind die allerorts zu sehenden Betonklötze kein entsprechender Zufahrtsschutz?

Betonklötze sind leider bei weitem nicht unser einziger Risikotreiber. Auch zertifizierte Barrieren können zur tödlichen Falle werden, wenn sie unsachgemäß eingesetzt werden! Was die Betonklötze angeht, so traue ich mich zu sagen: Wenn irgendwo Betonklötze aufgestellt sind, suchen sie besser das Weite! Die Physik sagt uns, dass ein 30-Tonnen-Bau-Lkw mit 80 Kilometern pro Stunde ähnliche Energie ins Ziel bringt wie eine explodierende Panzergranate. Dabei können die berüchtigten Betonklötze die Wirkung sogar noch verstärken. Und wer sagt denn überhaupt, dass ein Angriffsfahrzeug Barrieren nicht auch langsam verschieben kann?

Damit ist vielleicht auch leichter erklärbar, dass Zufahrtsschutz nichts mit kommunalem Verkehrsmanagement zu tun hat. Maßnahmen, die dazu dienen sollen, gewisse Innenstadtbereiche fahrzeugfrei zu halten – wie Verkehrs-Poller, Pflanzkübel oder ähnliches – schrecken vielleicht jemanden ab, der sich um das Heil seines Fahrzeuges sorgt, nicht aber einen Angreifer.

Ich möchte eine tatsächliche Gefährdungssituation am Beispiel des Breitscheidplatzes verdeutlichen. Zum Breitscheidplatz führen mehrere Angriffsrouten von über 800m Länge, die kerzengerade ohne nennenswerte Hindernisse auf den ebenso belebten wie beliebten Platz führen. Ein Angreifer muss sich unter Umständen nicht einmal selbst in Gefahr begeben. Simpelste Maßnahmen reichen aus, um einen LKW in eine Art Angriffsdrohne zu verwandeln.

Sind es denn in erster Linie diese „medienträchtigen“ Örtlichkeiten oder ist es die Zahl der Opfer, die als Ziel einer entsprechenden Anschlagsfahrt kalkuliert werden?

Ich möchte mir nicht anmaßen, dieses Phänomen seriös zu beantworten. Dafür gibt es aber Wissenschaftszweige, die sich damit beschäftigen, und fundierte Aussagen dazu treffen können. Diese unterstützen uns auch mit ihren Einschätzungen, ob eine Örtlichkeit von lokaler, nationaler oder gar internationaler Bedeutung ist. Denn mit der Bedeutung einer Örtlichkeit steigt auch ihre Zielattraktivität.

Meiner Arbeit liegt in der Regel eine Gefahrenanalyse der Sicherheitsbehörden und eine gemeinsam erstellte Zielattraktivitätsanalyse zu Grunde, welche dann zur Festlegung des erforderlichen Schutzniveaus führt. Lassen sie mich dazu Beispiele über den Ablauf der lokalen Grundlagenermittlung geben. Wenn eine Kommune, ein Betreiber einer Örtlichkeit oder einer Kritischen Infrastruktur wissen will, inwieweit das von ihm zu verantwortende Gelände gefährdet ist, wendet er sich in der Regel an die Sicherheitsbehörden. Wenn von diesen die potenzielle Gefährdung bejaht wird, kommen die Kommunen, der Betreiber oder auch die Sicherheitsbehörden gerne auf mich zu. Meine Aufgabe ist es dann, gemeinsam mit den tangierten Personen, Ansprüche und Ziele zusammenzubringen und daraus alltagsfördernde Lösungen zu erarbeiten, die sicher, ansehnlich und wirtschaftlich sind.

Aber es gibt doch auch Örtlichkeiten, die nur für kurze Zeit Bedeutung erlangen wie zum Beispiel der Eingangsbereich von Fußballstadien. Gelten dafür andere Maßstäbe?

Im Prinzip nicht. Auch bei temporären Maßnahmen, wie zum Beispiel der Absicherung des Eingangsbereichs eines Fußballstadions bei einem Risikospiel, bedingt Berechnungen und Visualisierungen der Gefahrenzonen, die durch eine Überfahrt erreichbar sind und welche Folgen zu befürchten wären. Gleichwohl ist der wirksame Einsatz von temporären Barrieren in seiner Komplexität nicht zu unterschätzen!

Was die wirtschaftliche Verfügbarkeit der portablen Barrieren angeht, so gibt es bereits ermutigende Erkenntnisse aus dem Mutterland des Zufahrtsschutzes, Großbritannien. Das britische National Barrier Asset – kurz NBA – ist ein gut sortiertes Abruflager temporärer Sicherheitsbarrieren, das 2004 eingerichtet wurde, um den Sicherheitsverantwortlichen die Möglichkeit zu geben, vorübergehend bedeutende Orte oder Veranstaltungen, wie z. B. Parteikonferenzen, vor Überfahrtaten zu schützen. Seitdem hat es dort eine vielfache Verwendung gefunden, vom Nato-Gipfel bis zu den Olympischen Spielen in London.

Für Deutschland ist durchaus in Sachen der Barrieren vom Breitscheidplatz etwas vergleichbares denkbar. Dort ist ja gelungen, mit portablen Zufahrtsschutzbarrieren, innerhalb kürzester Zeit ein Schutzniveau zu erreichen, das seinerzeit weltweit neue Maßstäbe setzte. Diese Elemente können innerhalb kürzester Zeit an den Einsatzort gebracht und dort so aufgestellt werden, dass sie die geforderte Wirkung auch gegen Schwerlastfahrzeuge entfalten. So einen gemeinsamen Pool von Sicherheitselementen planen Stadtverwaltungen auch in Deutschland.

Wichtig ist – das will ich hier ausdrücklich betonen –, dass in die Planung solcher Projekte, Fachleute miteinbezogen werden, die über die nötige Erfahrung und Kompetenz im Zufahrtsschutz verfügen. Denn wirksame Maßnahmen sind nicht so trivial, wie sich vielleicht mancher vorstellt, der glaubt, das könne man noch nebenher erledigen. Man verfällt schnell in das gefährliche Halbwissen-Paradoxon – den sogenannten Dunning-Kruger-Effekt. Das bedeutet, dass ich mit unbewusster Inkompetenz mehr Gefahren generiere, als Sicherheit schaffe. Peinliche Beispiele dafür lieferten letztes Jahr sowohl die Maßnahmen rund um die „Documenta“ in Kassel, wo man nicht nur Betonklötze auf Anti-Rutschmatten stellte, sondern diese dann auch noch auf rutschigen Schotter platzierte, als auch der „Tag der offenen Tür, des Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Potsdamer Platz in Berlin. Die Zufahrtsschutzmaßnahmen dort wären leider derart wirkungslos gewesen, dass das mit der „offenen Tür“ mögliche Attentäter durchaus auch als Einladung verstehen hätten können. Obendrein waren diese beiden angewendeten Konzept nicht nur unwirksam, sondern obendrein hochgefährlich. Zum Glück führten beide Beispiele zu keinem Personenschaden, doch leider zu einem beträchtlichen Reputationsschaden für Deutschland in der Welt.

Ich denke Zufahrtsschutz ist doch ein relativ neuer Sicherheitszweig, der sich wahrscheinlich rasant entwickelt…

…oh nein, Zufahrtsschutz ist nichts neues, den gibt es – professionell betrieben – schon seit den 1980er Jahren. Dabei kann die Anforderung sehr weitgefächert sein. Wenn es darum geht, ein weiches oder ein hartes Ziel, einen öffentlichen Platz, ein historisches Gebäude oder eine Militärbasis zu schützen, gehen die Anforderungen an die technische und optische Umsetzung der Schutzmaßnahmen naturgemäß weit auseinander. Ein Punkt muss immer gegeben sein: Die Maßnahme muss sich als angemessen und wirksam erweisen. Ich betone das, weil meine internationalen Kollegen und ich immer öfter sehen, dass beides in Deutschland bei weitem nicht immer eingehalten wird. Hierzulande wird ganz oft mit Placebo-Maßnahmen trügerische Sicherheit suggeriert. Nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz im Dezember 2016 kamen vielerorts findige Leute auf die Idee, irgendwelche Betonklötze oder improvisierte Dinge als Fahrzeugsicherheitsbarrieren. Doch hätte man bereits vor dem Anschlag solche Betonklötze oder Provisorien am Breitscheidplatz aufgestellt, dann wäre die Opferzahl um ein Vielfaches höher gewesen. Z.B. wäre ein 3,6t schwerer Betonklotz nur eine Zehntelsekunde nach dem Aufprall zusätzlich zum Lkw unterwegs gewesen. Er wäre dann mit einer Geschwindigkeit jenseits von 60 Stundenkilometern über den Platz gepoltert und hätte weitere Menschen verletzt oder gar in den Tod gerissen.

Wie sieht ihrerseits die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsdienstleistern aus?

Seriöse Sicherheitsdienstleister sind immer ein Gewinn! Im Zufahrtsschutz ist die personelle Intervention gegen Fahrzeuge in Fahrt faktisch kaum möglich und den Sicherheitsbehörden vorbehalten.

Was die Planung angeht, so möchte ich hier kurz die normative Vorgehensweise erläutern. Am Anfang jeder Maßnahmen-Analyse steht zunächst die Frage: Was können wir organisatorisch lösen. Wenn es beispielsweise um den Schutz einer Veranstaltung geht, kann die Überlegung eine Rolle spielen, ob diese auf einem exponierten Platz stattfinden muss oder sich nicht vielleicht auf den Marktplatz einer mittelalterlichen Stadt verlegen ließe, der schon per se einen größeren Schutz bietet. Wenn organisatorisch alle Optionen geprüft sind, werden die technischen Möglichkeiten unter die Lupe genommen. Am Ende wird dann die Bedienung durch entsprechend geeignetes Sicherheitspersonal vorbereitet. Planung und Umsetzung laufen immer in dieser Reihenfolge ab.

Deshalb will ich nochmal unterstreichen: Die Qualität einer Maßnahme steht und fällt mit der Qualität der Planung.

Aber, woran erkennt man nun, ob ein Planer wirklich Ahnung hat?

Im Vergleich steht Deutschland erst am Anfang der Entwicklung von flächendeckender Expertise. Daher sind Auftraggeber sicher gut beraten, sich an einen Zufahrtsschutzexperten zu wenden, der eine internationale Ausbildung im Zufahrtsschutz mitbringt, herstellerneutral ist und sich ständig international weiterbildet. Ferner sollte er eine technische Grundausbildung haben, langjährige Erfahrung im Baugewerbe und im Umgang mit dynamischen Lastenszenarien mitbringen sowie eine Haftpflichtversicherung explizit für Zufahrtsschutz besitzen! Und zu guter Letzt sind fachkundige Referenzen ebenso ein gutes Qualitätskriterium.

Denn, ein Lkw ist nun einmal die optimalste Terrorwaffe im zivilen Bereich, er generiert die größte fatality per attack – also größte Zahl an Opfern bis Interventionsmaßnahmen greifen –. Darum  dürfen wir nicht „basteln“, wenn es um Menschenleben geht, sondern sollten kompetent und verantwortungsbewusst agieren. Dann klappt das auch!

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Über den Autor: Peter Niggl

Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight