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Volker Wagner: "Die Frequenz der Vorfälle hat sich erhöht"

18.12.2019
Im Spitzengespräch, Volker Wagner, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft
Im Spitzengespräch, Volker Wagner, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft

Mit Volker Wagner, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft und Vice President Security BASF Group, sprach Peter Niggl

 

SECURITY insight: Herr Wagner, Sie sind seit sieben Jahren an der Spitze der ASW. Was hat sich in dieser Zeit in der Unternehmenssicherheit verändert und was ist sozusagen ein Dauerthema?

 

 

Volker Wagner: Wenn man die Bedrohungen im Wirtschaftsschutz nimmt, dann ist das ein Dauerthema. Wir haben uns vor sieben Jahren schon mit dem Problem der Spionageabwehr beschäftigen müssen und das ist nach wie vor hochaktuell. Es gibt einen zweiten großen Trend, der sich noch verstärkt hat, das ist der ganze Bereich Digitalisierung. Die Digitalisierung hat eine zunehmende Bedeutung für die Security gewonnen. Zum einen hat es im Bereich Cyber eine extreme Zunahme der Bedrohungen gegeben, aber es gibt mit der Digitalisierung auch eine Vielzahl von Chancen durch innovative Sicherheitslösungen, effektiver und effizienter in der Unternehmenssicherheit zu werden.

 

 

Über Cybersicherheit wird viel diskutiert und publiziert, wie sicher sind wir tatsächlich?

 

 

Bei Cybersicherheit erlebe ich nach wie vor, dass die Schere weiter auseinandergeht. Es ist wahnsinnig viel gemacht worden, darauf kann man auch stolz sein. Die großen Unternehmen haben alle ihre IT-Sicherheitsabteilungen ausgebaut und sachkundiges Personal eingestellt, Prozesse etabliert und in Technik investiert. Da ist wirklich viel Geld investiert worden. Und der Schutz ist auch deutlich besser als noch vor fünf oder zehn Jahren. Aber die Bedrohungslage hat sich im gleichen Zeitraum extrem verschärft. Und wenn man sich eine Grafik mit zwei Kurven vorstellt, dann haben wir die Situation, dass die Bedrohungskurve durch die Geschwindigkeit, durch die Frequenz und durch die Intelligenz der Attacken schneller steigt als die Abwehrkurve. Damit ist in den letzten Jahren die Schere noch weiter auseinander gegangen und wir haben trotz aller Bemühungen das Risiko nicht weiter reduzieren können.

 

 

Überlagern in unserer schnelllebigen Zeit nicht aktuelle, tagespolitische Probleme die langfristigen strategischen Ziele?

 

 

Man muss das eine tun und darf das andere nicht lassen. Natürlich sind wir auch geprägt von den vielen geopolitischen Veränderungen, die auch immer wieder neue Sicherheitslagen hervorbringen. Ich blicke ganz aktuell auf die Situation in Hongkong, wo wir als BASF unser regionales Headquarter für Asien haben. Da trifft es uns natürlich schon, wenn wie vor Kurzem geschehen, dort der Flughafen für zwei Tage ausfällt. Und man muss feststellen, dass global die Frequenz vergleichbarer Sicherheitsereignisse zunimmt. Wir stellen fest, dass derartige Vorfälle schneller kommen – aber vielleicht auch schneller wieder gehen.

 

 

Und bei großen Veränderungen wie dem Brexit…

 

 

… weiß zum Zeitpunkt unseres Interviews tatsächlich kein Mensch, wie er vonstattengehen wird. Auch die Wirtschaftsunternehmen nicht, insbesondere auf der englischen Seite. Der Presse ist zu entnehmen, dass die Regierung in London Notfallpläne für die Lebensmittelversorgung erarbeitet hat. Aber längere Wartezeiten bei der Zollabfertigung an den Grenzen werden wir auch bei bester Vorbereitung nicht verhindern können.

 

 

Wir erleben immer mehr Schocks, die schnell kommen, aber teilweise auch wieder schneller gehen. Ich denke, da muss man oft auch mit mehr Ruhe und Gelassenheit herangehen. Dass das Ganze unruhiger wird und in Teilen schwerer planbar ist, ist leider eine Tatsache. Ein Leitspruch, der das Ganze sehr gut beschreibt: „ Der Kompass ist wichtiger als die Landkarte. Normalerweise braucht man beides zum Navigieren“. Aber wenn die Landkarte sich immer wieder verändert, dann muss man zumindest schauen, dass man einen Schritt in die richtige Richtung macht. So sehe ich das auch beim Thema Security oder ganz allgemein bei den internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Da ist manchmal der konkrete Weg sehr verschlungen, teilweise nebulös, läuft man auch mal in Zickzack-Kurs, aber es ist wichtig, dass man versucht, doch in die richtige Richtung zu gehen und an seinen Zielen festzuhalten.

 

 

Treffen die aktuell sehr emotional geführten Debatten, zum Beispiel in der Frage der Migration, auch die Unternehmenssicherheit?

 

 

BASF ist ein globales Unternehmen, und eine Vielzahl der Mitglieder im ASW-Bundesverband haben Niederlassungen außerhalb Deutschlands. Insofern glaube ich, kann und will es sich kein Unternehmen leisten, einen Ausschluss bestimmter Bevölkerungsschichten zu postulieren. Ein großer Anteil der Mitarbeiter in Deutschland hat schon heute einen Migrationshintergrund. Wir sind divers und vielschichtig, werden weiter integrieren und dabei niemanden ausschließen.

 

 

Aber es gibt doch sicher auch Vorfälle in der Unternehmenssicherheit, die einen tagespolitischen Hintergrund haben?

 

 

Natürlich. Wir haben Ad-hoc-Ereignisse. Wir hatten vor wenigen Wochen den Vorfall, dass aus dem rechtsextremistischen Bereich heraus Herr Kaeser, der Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, persönlich bedroht wurde. Da machen wir uns als Sicherheitsverantwortliche natürlich unsere Gedanken und sprechen mit den Vorständen darüber, ob das auch für sie zu einer Bedrohung führen kann.

 

 

Oder schauen Sie sich den Vorfall bei VW an, dort haben Klimaschützer, die sich ja für ein hehres Ziel engagieren, die Bahnstrecke lahmgelegt. Natürlich müssen wir uns so etwas genau ansehen und überlegen, stellt das Vorgehen auch für uns ein Risiko dar. Dazu kann man auch die Vorgänge im Hambacher Forst zählen. Ich finde, dass man unterschiedlicher Meinung sein kann bei der Klimapolitik und begrüße auch den breiten demokratischen Diskurs in Gesellschaft und Politik. Das ist doch der Vorteil unserer Demokratie, dass wir entscheiden können, welchen Weg wir einschlagen wollen. Deshalb haben wir uns ja auch für den Ausstieg aus der Atomenergie entschieden und ich wünsche mir, dass es uns so schnell wie möglich gelingt, massive Fortschritte im Klimaschutz einzuleiten. Aber eins ist auch wichtig: In dem Moment, in dem es zu Strafrechtsverletzungen kommt, von Demonstranten, von extremistischen Akteuren, dass Sacheigentum beschädigt wird oder dass es zu Personenschäden kommt, dann sind Gesetze verletzt und damit Grenzen überschritten und dann kann das auch nicht toleriert werden.

 

 

Ein Thema sind auch immer wieder die Innentäter. Wie stark ist die Tendenz, dass sich Personen mit falscher Identität oder gefälschten Qualifizierungsunterlagen in ein Unternehmen einschleichen wollen?

 

 

Die Gefahr durch sogenannte Innentäter bereitet mir schon zunehmend Sorge. Hinzu kommt, dass wir uns gesetzlich relativ wenig Überprüfungsmöglichkeiten geschaffen haben, beispielsweise bei der Überprüfung von gefälschten Lebensläufen und Bewerbungsunterlagen. Der verschärfte Datenschutz bindet uns zunehmend in starkem Maße die Hände.

 

 

Sie sagten bereits, viele ASW-Mitgliedsunternehmen sind international aufgestellt und dort ist das Pflaster nicht ruhiger geworden. Vor allem alte Bündnisse scheinen Risse zu bekommen, zum Beispiel mit den USA…

 

 

…da bin ich nicht so skeptisch. Wir haben im Kalten Krieg den großen Nutzen des transatlantischen Bündnisses erfahren. Wenn ich auf die fünf Dekaden schaue, die ich persönlich überblicken kann, dann verbindet uns mit den USA eine große Wertegemeinschaft, unabhängig davon, wer gerade die Führung des Landes innehat. Dass momentan sehr stark partikulare Interessen gespielt werden, ist ein Zeichen der Zeit. Das erleben wir nicht nur von amerikanischer Seite, sondern auch von einzelnen europäischen Mitgliedsländern. Ich nannte bereits den Brexit, man kann aber auch auf Abspaltungstendenzen wie sie sich in Katalonien zeigen oder die Vorgänge in Ungarn und Polen verweisen. Wir erleben das mit der Ausrichtung von China oder in Russland mit der Annexion der Krim. Mit den USA besteht ein intensiver Güteraustausch wie auch die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden weiterhin fort, deshalb mache ich mir da keine generellen Sorgen. Aber – das will ich schon betonen – ich glaube, dass wir in Deutschland noch klarer für unsere Interessen eintreten müssen.

 

 

Und wie sieht es mit einem anderen wichtigen Partner Land aus, das gerade für Negativschlagzeilen sorgt, mit Brasilien?

 

 

Ich sagte bereits, dass wir aus meiner Sicht alle mehr für den Klimaschutz tun müssen. Auch wenn man mit der Klimapolitik von Präsident Bolsonaro, besonders mit dem was am Amazonas geschieht, nicht einverstanden ist, so muss man auch sehen, sein Vorgänger sitzt im Gefängnis wegen Korruption. Wenn ein Land immer mehr in korruptives Handeln abdriftet, ist dies ebenfalls ein Problem, mit dem Unternehmen zu kämpfen haben. Für uns als Unternehmenssicherheit sind in Brasilien die Hauptsorgen nach wie vor die Alltagskriminalität. Das heißt, dass Transporte und Lagerhäuser oder Mitarbeiter auf dem Weg zur Arbeit überfallen werden. Außerdem sind Markenrechtsverletzungen und Produktfälschungen Delikte, mit denen wir zu kämpfen haben. Die Reisesicherheit für Geschäftsreisende nicht zu vergessen.

 

 

Die ASW ist nun nicht nur auf die Sicherheit der großen Konzerne und Global Player ausgerichtet. Immer wieder wird der Mittelstand genannt. Ein Sorgenkind?

 

 

 Ja, leider ist es noch nicht in ausredendem Maße gelungen, den Mittelstand für dieses Thema hinreichend zu motivieren und zu sensibilisieren. Ich bin aber felsenfest davon überzeugt, dass man Großkonzerne nur schützen kann, wenn sich auch das mittelständische Umfeld der Geschäftspartner in Sachen Sicherheit verbessert.

 

 

Daher ist die Initiative Wirtschaftsschutz der Bundesregierung von so großer Bedeutung. Wir haben gerade in Essen ein Pilotprojekt gestartet, weil wir festgestellt haben, dass die Initiative noch nicht ausreichend im Mittelstand angekommen ist. Dabei sind in Essen vom Bürgermeister, über den Polizeipräsidenten bis hin zur IHK alle wichtigen Stellen eingebunden, die durch Sicherheitsexperten aus Bund und Ländern ergänzt werden.

 

 

Was macht Ihre Aufgabe schwierig?

 

 

Da muss man sicher einen Punkt besonders hervorheben: Es herrscht ein immenser Kostendruck. Das kann man sich vielleicht gar nicht so vorstellen, aber das erlebe ich aus allen meinen Gesprächen mit den Sicherheitsverantwortlichen. Der Kostendruck trifft im Übrigen viele Bereiche in den Unternehmen und ist nicht etwa dem Umstand geschuldet, dass es eine zu geringe Akzeptanz für die Sicherheit gäbe. Es ist also nicht so, dass in den Konzernen oder großen mittelständischen Unternehmen alle Bereiche aufblühen, nur die Security nicht.

 

 

Haben Sie ein Leitmotiv für Ihre Tätigkeit?

 

 

Es gibt die wichtigen, langfristigen Trends, die ich immer mit drei großen Zielen beschreibe: Das eine ist, dass Security immer eine Service-Komponente hat, das betrifft die Akzeptanz der öffentlichen wie die der Unternehmenssicherheit. Das Zweite ist, dass wir mit kühlem Kopf das Risiko abwägend agieren müssen und schauen, was wirkungsvoll machbar ist. Das Dritte ist: Wie können wir die Digitalisierung nutzen, um durch Innovationen besser und vor allem schneller zu werden. Das sind für mich die drei großen strategischen Stellhebel der Unternehmenssicherheit.

 

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