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Dr. Konstantin von Notz: „Ein periodischer Sicherheitsbericht ist notwendig“

09.04.2020

Mit Dr. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von BÜNDNIS 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, sprach Peter Niggl

Im Spitzengespräch Dr. Konstantin von Notz mit Peter Niggl, seine Einschätzung zum Thema Sicherheit
Im Spitzengespräch Dr. Konstantin von Notz mit Peter Niggl, seine Einschätzung zum Thema Sicherheit

Mit Dr. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von BÜNDNIS 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, sprach Peter Niggl

SECURITY insight: Wenn es nach der Bundestagswahl zu Schwarz-Grün kommen würde, wäre dann nicht das Thema Sicherheit eines der kompliziertesten für diese neue Koalition?

 

Dr. von Notz: Ich müsste erst einmal lange überlegen, was eigentlich kein kompliziertes Thema wäre. Sowohl bei der Sozialpolitik, als auch beim Klima und beim Umweltschutz, als auch in einer ganzen Reihe von gesellschaftspolitischen Fragen, wie der Innenpolitik, gibt es erhebliche Herausforderungen. Ich durfte bei den letzten Sondierungsgesprächen partizipieren. Ich muss sagen, das war teilweise schon schwierig, aber das Ergebnis durchaus gut. Ich glaube, dass die Menschen im Land eine große Offenheit dafür haben, wenn in der Politik tatsächlich auch ernsthaft inhaltlich gerungen wird, man versucht, neue Wege zu gehen und Kompromisse zu finden. Da wäre gerade auch in der Innenpolitik, ob nun bei Schwarz-Grün oder in welcher Farbzusammensetzung auch immer, der Innen- und Rechtsbereich ein spannendes Gebiet, auf dem man neue Wege gehen könnte.

 

Eine Koalition mit Politikern, die ein restriktives Sicherheitsverständnis haben?

Law and Order ist heute kein interessantes, progressives Modell. Vielmehr muss man fragen, was macht uns eigentlich zum Rechtsstaat, was sind die Werte, die wir hochhalten gegenüber autoritären Unrechtsregimen? Deshalb glaube ich, dass man gerade in der Innenpolitik, die immer ein Gradmesser für das gesellschaftliche Klima ist, durchaus Impulse setzen kann, die nicht zu weniger Sicherheit führen, im Gegenteil. Sie soll ein modernes, ein freiheitliches Staatsverständnis zum Ausdruck bringen. Darin liegt eine große Chance.

Wo liegen für Sie die Schwerpunkte beim Thema Innere Sicherheit?

 

Wir reden immer lieber von öffentlicher, als von innerer Sicherheit. Die Belange der öffentlichen Sicherheit sind komplex: Natürlich ist es wichtig, sich auch im Jahr 2020 mit den zweifelsohne großen bestehenden Gefahren, die es vonseiten des Extremismus - gegenwärtig besonders des islamistischen Extremismus und des rechtsextremistischen Terrorismus - gibt, auseinandersetzen. Gleichzeitig kommen neue Themen hinzu: Die Klimakrise muss man heute zwingend auch sicherheitspolitisch beleuchten. Wenn das Wetter sich grundlegend verändert, wenn extreme Wetterphänomene massiv zunehmen, wird das auch zu einem echten Innen- und Sicherheitsproblem.

 

 

Wir richten schon lange ein verstärktes Augenmerk auf den Katastrophenschutz. Auch beim Coronavirus ergibt sich die Frage der Resilienz unserer Gesellschaft. Wie sind wir auf eine Pandemie vorbereitet und widerstandsfähig? Wie wollen wir einen umfassenden Sicherheitsansatz für den Menschen sicherstellen, der sich nicht nur aus der - sage ich mal – reißerischen, medial funktionierenden Sichtweise auf die Sicherheit ergibt.

 

Was sind die Themen, die bei einer grünen Regierungsbeteiligung auf die Tagesordnung kämen?

 

Wir haben zahlreiche Vorschläge, wo wir echte Verbesserungen und mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten anstreben. Wir wollen das GTAZ - das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum – verklaren und rechtssicher regeln, wie dort die Informationen zusammenlaufen und geteilt werden, dass dort Protokolle erstellt und es für all das Gute gesetzliche Grundlagen gibt. Eingeschlagene Wege wie beispielsweise RADAR-iIT wollen wir konsequent und rechtsstaatlich fortsetzen, um Bedrohungen besser analysieren zu können. Wir haben sehr konkrete Reformvorstellungen, wie die Struktur der Sicherheitsbehörden in Deutschland und Europa zukünftig aussehen soll. Dazu haben wir in den letzten Jahren auch immer wieder Anträge in den Bundestag eingebracht und sie bei Veranstaltungen wie unserem großen Polizeikongress vor einigen Monaten mit der Fachcommunity diskutiert.

 

Stichwort Hessen. Dort sind die Grünen in der Regierung und doch wurden dort die Akten zum Fall der NSU für 40 Jahre gesperrt. Das wirft für Außenstehende Fragen auf ...

 

... auch für uns, denn unabhängig von den jetzt betroffenen Bundesländern, sagen wir, dass die von der Bundeskanzlerin versprochene rückhaltlose Aufklärung der NSU-Mordserie bis heute nicht geliefert wurde. Wenn wir sehen, wie viele Dinge hier vonseiten der Bundesregierung in den Unterlagen für die Untersuchungsausschüsse geschwärzt, zurückgehalten und verklärt wurden, können wir das nicht stillschweigend hinnehmen. Beim NSU gibt es bis heute ganz elementare Fragen, die noch immer nicht ausgeräumt worden und - das sage ich ganz ehrlich - eine Belastung für die Politik und für das Vertrauen der Menschen sind – auch wenn die vormalige Einstufungsdauer nun auch auf Druck der Grünen um 2/3 reduziert wurde. Wir sagen ja nicht, zum Beispiel im Hinblick auf Hessen, jetzt müssen alle Akten offen ins Internet gestellt werden. Da gibt es natürlich berechtigte Sicherheitsinteressen, aber sie müssen eben der parlamentarischen Kontrolle zugänglich gemacht werden. Wir müssen alle relevanten Informationen zusammenbringen, da es im übergeordneten staatlichen Interesse liegt, diesen Fall rückhaltlos aufzuklären. Dafür kämpfen wir weiter - und werden nicht aufhören, bevor das nicht erreicht ist.

 

Sie haben einmal einen Sicherheitsbericht gefordert, was muss man sich darunter vorstellen?

 

Wir als Partei wollen nicht von der Tagespolitik und einer gefühlten Sicherheitslage abhängig, von Einzelfall zu Einzelfall Diskussionen über Gesetzesänderungen, Gesetzesverschärfungen und Einschränkungen von Bürgerrechten führen. Es gibt berechtigte Sicherheitsinteressen, es gibt technische Möglichkeiten und es gibt auch neue Bedrohungslagen, das alles ist ernst zu nehmen. In einem Rechtsstaat muss man es jedoch in eine ausgewogene Balance bringen. Das tut man am besten, indem man gerade nicht im Einzelfall, sondern nach objektiv wissenschaftlich fundierten Kriterien entscheidet. Deshalb sagen wir, ein periodischer Sicherheitsbericht wäre der richtige Ansatz. Wichtig ist, dass dieser unabhängig von einer Behörde wie dem Bundesinnenministerium erstellt werden muss. In diesem Bericht sollen nach wissenschaftlichen Kriterien die blanken Zahlen, die wir aus der polizeilichen Kriminalitätsstatistik kennen, kontextualisiert werden. Darin sollten die Entwicklungen erklärt und langfristig analysiert werden, damit man endlich zu einer fundierten Herangehensweise der Politik auf diesem wichtigen gesellschaftlichen Feld kommt.

 

 

„Es darf keine flächendeckende biometrische Gesichtserkennung gänzlich unbescholtener Bürgerinnen und Bürger an jedem Bahnhof und Flughafen geben. Es darf nicht jeder systematisch erfasst und gerastert werden.“

 

Wird der Umgang mit realen oder vermeintlichen Gefahren nicht immer politisch instrumentalisiert werden?

 

Klar, ich glaube aber, dass eine Versachlichung der Debatte durchaus möglich ist. Natürlich sind Sicherheitsgesichtspunkte für die Menschen gerade in einer hoch entwickelten Industrienation wie der Bundesrepublik sehr relevant. Die Menschen haben das berechtigte Bedürfnis nach Sicherheit. Und dieses Bedürfnis ändert sich. Unser Sicherheitsverständnis ist ein anderes als vor 50 Jahren und ein vollkommen anderes als vor 50 Jahren und darauf muss Politik auch reagieren. Aber der Staat muss ebenso Räume lassen, in denen es auch - in Anführungszeichen - unkontrollierte Bereiche und Freiheitsräume gibt. Die ewige Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit stimmt nur partiell: Diese Gleichung, die immer wieder aufgestellt wird, führt ja zu dem irreführenden Ergebnis, dass, würde man die Freiheit ganz wegnehmen, vollkommene Sicherheit garantiert wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Wir sehen es an Unrechtsstaaten, aktuell und in der Vergangenheit, dass dort, wo die Freiheit bedroht oder stark eingeschränkt ist, die Menschen auch in ihrer Sicherheit massiv bedroht sind. Deshalb muss man Freiheit und Sicherheit in ein kluges und ausgewogenes Verhältnis bringen. Es ist absolut unabdingbar, dass in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, wie wir ihn heute haben, diese Freiräume gleichzeitig eine gewisse Eigenverantwortung bei den Menschen belassen.

 

Ausspähung und Überwachung, Betrug und Manipulation sind Begleiterscheinungen der digitalisierten Welt, die erheblich bedrohen ...

 

... deshalb spielen sie auch in meiner zehnjährigen parlamentarischen Arbeit eine ganz besondere Rolle. Die Veränderung der Sicherheit durch Digitalisierung trifft uns alle. Es gibt in diesem Bereich sehr große Probleme, und zwar sowohl im Hinblick auf IT-Angriffe, Spionage, Sabotage und ähnliche Dinge, als auch im Hinblick auf die Manipulation demokratischer Willensbildungsprozesse und Wahlen. Wir haben in allen Bereichen sehr große Skandale und Problemfälle gesehen, bis hin zur aktuellen Huawei-Diskussion. Hier stellen sich sehr tiefgehende Fragen, mit denen sich die Bundesregierung bislang nicht ausreichend beschäftigt. Es gilt, eine moderne, digitale Sicherheitspolitik zu formulieren. Klare Standards, nach denen wir die Infrastruktur ausbauen, müssen erstellt und auch durchgesetzt werden. Wir müssen Grundsatzentscheidungen treffen und definieren, welche Rolle der Staat im Digitalen spielen muss. Das sind alles ganz wesentliche Fragen, die einer modernen, zeitgemäßen Beantwortung bedürfen.

 

 

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik kann bei allem eine zentrale Rolle spielen, aber dafür muss es unabhängig werden. Es gehört aus dem Weisungsstrang des Bundesinnenministeriums herausgenommen, um eben auch – wie der Bundesdatenschutzbeauftragte - Dinge unabhängig sagen zu können, die dem BMI nicht passen.

 

Ein aktuelles Thema, das kontrovers diskutiert wird, ist die Gesichtserkennung. Wie positionieren Sie sich?

 

Wir sagen: Es darf keine flächendeckende biometrische Gesichtserkennung gänzlich unbescholtener Bürgerinnen und Bürger an jedem Bahnhof und Flughafen geben. Es darf nicht jeder, der sich irgendwo bewegt, beim Vorbeigehen an einer Kamera systematisch erfasst und gerastert werden. Wir wenden uns gegen dieses Instrument, weil wir es für ein totalitäres halten. Das bedeutet aber nicht, dass wir sagen, dass biometrische Erkennung in keinem Fall technisch zur Anwendung kommen kann. Es geht auch da wieder darum, Freiräume zu lassen und keine totalitären Strukturen zu errichten. Da hatten wir eine sehr interessante Debatte im Deutschen Bundestag. Dabei gibt es klare Vorgaben durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dies alles wird jedoch bei den Plänen der Union vollkommen ignoriert. Es stellt sich die Frage, ob es auch in Zukunft noch einen Unterschied zu Staaten wie China und anderen auch in der Wahl der Instrumente der Überwachung der eigenen Bevölkerung gibt oder eben nicht! Wir werden auf jeden Fall hart dafür streiten, dass keine totale Überwachungsinfrastruktur errichtet wird. Statt diese Instrumente der Massenüberwachung zu installieren, brauchen wir ein zielgerichtetes polizeiliches Vorgehen bei konkreten Gefahren. Alles andere bindet übrigens auch Personal, das wir gar nicht haben.

 

Wo sehen Sie in diesem Bereich die privaten Sicherheitsdienstleister angesiedelt?

 

Die privaten Sicherheitsdienstleister haben eine bestimmte Rolle, die legitim und wichtig ist. Trotzdem muss man immer unterscheiden zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Struktur. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Punkt. Dass es da von Privatunternehmen ergänzende Tätigkeiten geben kann, ist unbestritten, aber sie müssen in einem klar vorgegebenen, rechtlichen Korridor stattfinden. Gerade in Zeiten wie diesen sind Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, zu beweisen, dass sie in der Lage sind, den Rechtsstaat durchzusetzen.

 

 

Das Gesetz für die privaten Sicherheitsdienstleister muss auf diese Fragen eine Antwort geben. Es beschäftigt auch uns, da sind wir dran, führen Diskussionen, auch wegen der schwerwiegenden Vorfälle, die es gab. Das Gesetzesvorhaben trifft auf jeden Fall einen Bereich, den wir für so relevant erachten, dass man ihn möglichst rasch mit einem eigenständigen Gesetz regeln muss. Denn der Status quo ist tatsächlich sehr unbefriedigend.

 

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