Diebstahl, Betrug, Blackout – der Einzelhandel im Schwitzkasten

Für die Sicherheitsverantwortlichen im Einzelhandel tut sich in Sachen Gefahren ein immer größer werdendes Feld auf. Die Bandbreite der Sicherheitsrisiken ist immens.

Lesezeit: 7 Min.

13.06.2019

Langfinger klauten 2017 dem Staat 475 Millionen Euro – Bildquelle: Pexels

Verluste in Höhe von rund insgesamt 3,5 Milliarden Euro haben Diebe dem deutschen Einzelhandel im Jahr 2017 beschert, berichtet das „Handelsblatt“ unter Berufung auf eine Studie des Kölner EHI-Retail-Instituts. Bemerkenswert in der Rechnung ist, dass auch der Fiskus einen Verlust von 475 Millionen Euro Mehrwertsteuer zu verbuchen hat. Die oftmals angeführten Inventurdifferenzen liegen noch um einiges höher, dort sind aber auch Schäden durch nicht-kriminelle Handlungen (wie verdorbene Waren) eingerechnet. Der Posten des Mehrwertsteuer-Verlustes müsste als ein überzeugendes Argument reichen, um staatliche Stellen zu noch aktiverer Beteiligung an Sicherheitsmaßnahmen für den Einzelhandel zu bewegen. Strengere Gesetze und härtere Strafen allein dürften ein eher weniger probates Mittel sein. Denn bei der Mehrzahl der Gesetzesbrüche wider den Einzelhandel gilt noch immer das uralte Sprichwort: „Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn zuvor!“ Denn, wie Frank Horst vom EHI in einem Interview betont, werden rund 98 Prozent aller Fälle „nicht erkannt.“ Bei den entdeckten Ladendiebstählen beträgt der Schaden im Durchschnitt pro Tat rund einhundert Euro. In den letzten Jahren haben die Delikte, so Horst, die auf das Konto von Diebesbanden oder der Organisierten Kriminalität gehen, erheblich zugenommen. Das EHI rechnet gegenwärtig etwa ein Viertel aller Taten diesen Strukturen zu.

Juristische Sanktionen schrecken die Straftäter kaum

Professionelle Langfinger, von denen jeder dritte aus dem Ausland kommt, kennen und nutzen geschickt die vorhandenen Spielräume: Unter einem Warenwert von 25 Euro werden die Strafverfolger gar nicht tätig, unter 400 Euro wird keine Untersuchungshaft verhängt, selbst wenn eine Flucht- oder Verdunklungsgefahr unübersehbar ist.

Wie schwierig aus rechtlicher Sicht der Umgang mit tatsächlichen oder vermeintlichen Langfingern ist, machen die Verhaltensmaßnahmen der IHK Schleswig-Holstein deutlich. Ein Beispiel: „Die Kontrolle der von den Kunden mitgeführten Taschen durch das Ladenpersonal ist nur dann zulässig, wenn der Kunde in die Durchsuchung einwilligt.“ Im Weigerungsfall muss die Polizei hinzugezogen werden. Das kann dauern und bindet Personal, vielleicht auch von Mittätern beabsichtigt, um in diesem Trubel erst so richtig zur Tat zu schreiten.

Falschgeld – kleine Summen, große Probleme

Für die Sicherheitsverantwortlichen im Einzelhandel tut sich in Sachen Gefahren ein immer größer werdendes Feld auf. Sie müssen die Mitarbeiter für zahlreiche Deliktsformen sensibilisieren und ihnen gleichzeitig ein besonnenes Vorgehen ans Herz legen. Die Bandbreite der Sicherheitsrisiken ist immens. Sie reicht vom Raubüberfall über den Diebstahl in all seinen Formen bis zum Betrug mit Falschgeld. In Umlauf kommt Falschgeld vielfach, indem es – nicht selten von Drogenkonsumenten – zum Bezahlen im Einzelhandel verwendet werde, so ein Sprecher des Landeskriminalamtes Niedersachsen. Die 20- und 50-Euro-Scheine machen zusammen mehr als drei Viertel des Falschgeldes aus. Dabei werden in Deutschland mehr 20er als 50er Noten gefälscht, schreibt die IHK Erfurt in einem Merkblatt für den Einzelhandel. Große Discountketten haben ihre Mitarbeiter für dieses Problem instruiert, in kleineren Einzelhandelsgeschäften ist man leider immer noch sehr blauäugig. Einfachste Prüfmethoden werden oft außer Acht gelassen. Die Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes hat eigens ein „Informationsblatt für Kassenpersonal zum Thema Falschgeld“ herausgegeben (auch über das Internet abrufbar), in dem die Sicherheitskriterien und die Prüfmethoden beschrieben sind. Dabei mache Falschgeld, so Ulrich Binnebößel vom Handelsverband Deutschland – HDE e. V., „nicht mal 0,01 Promille des Handelsumsatzes aus. Damit liegt der Schaden durch Falschgeld gemessen an den 490 Milliarden Euro Jahresumsatz im deutschen Einzelhandel im kaum feststellbaren Promillebereich.“ Nichtsdestotrotz wird das Thema Falschgeld im Einzelhandel ernst genommen. Die Bundesbank gibt sogar Unterrichtsstunden in den Klassen der Auszubildenden für Einzelhandel. Bei den Blüten kennt man keinen Spaß. Wer Falschgeld annimmt und dies nicht zur Anzeige oder gar den falschen Schein wieder in Umlauf bringt, handelt sich schnell ein Strafverfahren ein.

Betrugsmasche Umtausch

Auch Raubüberfälle sind ein leidiges Thema für den Einzelhandel. Da die Geldinstitute für potenzielle Räuber kaum noch Erfolg versprechend sind, konzentrieren sich die Täter auf Einrichtungen, bei denen der Zugriff auf die Kasse einfacher erscheint. Das geht von der Spielothek über die Tankstelle, im Kiosk bis zu großen Einkaufsmärkten. Gefeit gegen solche Übergriffe ist kaum eines der genannten Angriffsziele. Auch wenn ein Einzelhändler einen Detektiv beschäftigt, hatte dieser, wenn ihm eine Waffe vors Gesicht gehalten wird, kaum mehr Möglichkeiten, als die Ganoven gewähren zu lassen und sich möglichst viele Details einzuprägen, um für die Fahndung bestmögliche Hinweise geben zu können.

Reklamationsbetrug wird nach Auffassung des Modeverbandes „GermanFashion“ zum Volkssport. Das Umtauschrecht wird dabei in allen Varianten missbraucht. Eine davon stellt der betrügerische Umtausch dar. Der Kunde – wenn man ihn so nennen will – kauft meist auffällig einen teuren Artikel. Damit man sich an ihn noch gut erinnert, wenn er einen Tag später zur Tat schreitet. Er betritt das Kaufhaus ohne Ware und nimmt sich dann einen identischen, original verpackten Gegenstand wie tags zuvor erworben aus dem Regal. Geht zur Kasse und gibt diesen Gegenstand unter Vorlage des Kassenbons vom Vortag „zurück“, um somit das Geld erstattet zu bekommen. Auffallend ist die Häufung von Rückgaben „nicht passender“ Kleidungsstücke nach besonderen Tagen wie Einschulung oder Abiturfeiern. Der Modeverband rät, sich die zur Rückgabe oder zum Umtausch vorgelegten Kleidungsstücke genau anzusehen, ob sie nicht deutlichere Gebrauchsspuren, als die einer einmaligen Anprobe aufweisen. Entdeckte Betrugsversuche sollten, auch im Sinne der ehrlichen Kunden zur Anzeige gebracht werden, um die Kulanzregel beim Umtausch nicht zu untergraben. Das Möbelhaus Ikea hat sein Rückgaberecht im Sommer vergangenen Jahres deutlich eingeschränkt. „Offenbar war der Missbrauch zu groß“, wie auf tagesschau.de vermutet wird.

Verdrängter Schrecken: Blackout

Ein Szenario, das bisher wohl noch ganz wenige Einzelhändler durchgespielt haben, ist die Situation eines europaweiten Blackouts. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz warnt: Ein Blackout könnte katastrophale Folgen haben. Deutschland müsse sich besser vorbereiten. „Würde dies eintreten, müssten wir mit Stromausfällen über Tage, Wochen oder Monate rechnen.“ Kaum einen Wirtschaftszweig würde ein solcher Blackout so unmittelbar treffen wie den Einzelhandel. Allein in Berlin gehen die Fachleute davon aus, dass die Hälfte aller Haushalte nur für einen Tag ein Lebensmittel vorrätig hat. Was aber passiert, wenn die Menschen kein Bargeld mehr kommen, die elektronischen Kassen der Händler nicht funktionieren, die Kühlregale abzutauen beginnen und kein Vorratsnachschub mehr geordert werden kann? Plünderungen, davon gehen später Listen aus, würden bereits nach wenigen Tagen den Einzelhandel unmittelbar treffen. Der Bayerische Rundfunk hat versucht, die zeitliche Entwicklung nach einem Blackout zu simulieren. Für den vierten Tag heißt es dort: „Ab heute beginnen die Menschen, mehr an ihr eigenes Wohl zu denken. Es gibt vereinzelte Plünderungen und Überfälle.“ Das gilt nicht nur für Lebensmittelhändler. Auch die Apotheken werden ins Visier rücken, wenn lebenswichtige Medikamente auf dem normalen Weg nicht mehr erhältlich sind. Eine Chance zusätzlich für jene, die sich illegal mit Substanzen eindecken wollen. Die Hoffnungen auf staatliche Hilfe dürfte für diesen Fall ins Leere laufen. Bei dem nur 25 Stunden dauernden Blackout in New York am 13. Juli 1977 kam es bereits nach wenigen Stunden zu Plünderungen von Geschäften, insgesamt waren 1600 Läden betroffen.

Alles durchdacht?

Die Sicherung seines Ladenlokales und der Warenlager ist kaum mit den normalen Mitarbeitern möglich. Da die Beschäftigten im Einzelhandel in der Mehrheit Frauen sind, muss davon ausgegangen werden, dass diese sich in der Ausnahmesituation um die Familie, vor allem die Kinder kümmern werden.

Aber selbst wenn ehrliche Kunden in einem solchen Katastrophenfall im Laden stehen, stellen sich Fragen: Wie könnte ein Notbetrieb aufrechterhalten werden? Mit welcher Beleuchtung? Wäre ein Bezahlen ohne die heute üblichen Scannerkassen überhaupt denkbar? Auf wie viel Bargeld könnte der Ladenbetreiber auch beim totalen Stromausfall problemlos zurückgreifen? Wenn der Katastrophenfall eingetreten ist, ist keine Zeit mehr für weitreichende Überlegungen.

Beitrag teilen

Über den Autor: Redaktion Prosecurity

Die ProSecurity Publishing GmbH & Co. KG ist einer der führenden deutschen Sicherheitsfachverlage. Wir punkten mit fachlicher Kompetenz, redaktioneller Qualität und einem weit gespannten Netzwerk von Experten und Branchenkennern.