Im Müll wächst das Verbrechen

Sicherheit im öffentlichen Raum herzustellen und dauerhaft zu gewährleisten ist eine komplexe Aufgabe. Sie zu erreichen, gilt es, den Einsatz verschiedenster Kräfte zu orchestrieren.

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10.01.2019

Der Wert der privaten Sicherheit für den öffentlichen Raum wird noch zu wenig wahrgenommen

Die Sicherheit im öffentlichen Raum gilt gemeinhin als Gradmesser für die Sicherheitslage in einer Gesellschaft. Doch diese Formel ist eingebettet in eine Vielzahl von Fragezeichen. Schon bei der Bewertung der Sicherheitslage gehen die Meinungen – entsprechend dem politischen Blickwinkel – oft diametral auseinander. Während vor kurzem Bundesinnenminister Seehofer (CSU) unter Berufung auf die polizeiliche Kriminalstatistik bilanzierte: „Deutschland ist sicherer geworden!“ hielt ein Leipziger Amtsrichter namens Michael Wolting dagegen und meinte, dass „die Sicherheit im öffentlichen Raum schlechter ist als je zuvor. Das Thema ist also umstritten.

Erkennbare Ablehnung

Sicherheit im öffentlichen Raum herzustellen und dauerhaft zu gewährleisten ist eine komplexe Aufgabe. Sie zu erreichen, gilt es, den Einsatz verschiedenster Kräfte zu orchestrieren. Die Polizei, das Ordnungsamt, Kommunalen Ordnungsdienst und immer häufiger auch private Sicherheitsdienstleister. Letztere aber müssen immer noch um ihre Akzeptanz ringen. 2014 hatte sich die Wochenzeitung „Zeit“ naserümpfend unter dem Titel „Aufgepasst!“ dem Thema gewidmet: „Städte und Gemeinden lagern immer mehr Dienste an private Sicherheitsfirmen aus…. Die Kommunen setzen sie dort ein, wo die Polizei ihrer Ansicht nach zu wenig präsent ist. Doch nach den Vorfällen in nordrhein-westfälischen Flüchtlingsunterkünften fragen sich nun viele, ob das wirklich eine gute Idee ist und welche Art von Helfern die Städte eigentlich anheuern.“

Die Berufsskeptiker sind heute noch nicht verstummt. Im Programmentwurf der SPD Bayern zur Landtagswahl 2018 wird der Widerwille fortgeschrieben: „Private Sicherheitsdienste und kommunale Sicherheitswachten können und dürfen die Polizei nicht ersetzen. Wir sehen die Zunahme der Zahl privater Sicherheitsdienste und die Ausweitung von Sicherheitswachten deshalb kritisch.“ Dabei wird unterstellt, was zumindest von offiziellen Branchenvertretern zu keinem Zeitpunkt gefordert wurde: Die Polizei zu ersetzen.

Hobby-Security bevorzugt

Eine Gegenfrage sei gestattet: Sollen Sicherheitslücken, die von der Polizei nicht geschlossen werden (können), offenbleiben? Die Situation in den Städten und Kommunen erfordert geradezu zwingend pragmatische Lösungswege. Und diese führen nicht mehr an den privaten Sicherheitsdienstleistern vorbei.

Zielführender als manche theoretische Diskussion ist vielleicht ein Blick in die bereits geübte Praxis der Kommunen. Denn diese kann sehr widersprüchlich sein, wie ein Beispiel zeigt. In Schorndorf bei Stuttgart laufen seit 2015 je zwei Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma in der Zeit zwischen April und Oktober durch die nächtlichen Straßen der Stadt. Sie haben Ruhestörer und „Wildpinkler“, aber auch Sachbeschädigungen und Falschparker im Visier. Trotz der guten Erfahrungen, die die Stadt mit dem privaten Sicherheitsdienst hat, will sie künftig diese Tätigkeiten mit einem eigenen Kommunalen Ordnungsdienst erledigen, heißt es in einer Pressemeldung. Als Vorbild dienten Esslingen und Ludwigsburg.

Der Kurswechsel hin zu den Kommunalen Ordnungsdiensten ist pekuniären Überlegungen geschuldet. Wie die Stadt Esslingen bei der Suche nach freiwilligen des Ordnungsdienstes schreibt, sollen diese „das Team der hauptamtlichen Mitarbeiter des Kommunalen Ordnungsdienst (KOD)“ verstärken. Konkret heißt das, „dass Sie in einem Team, bestehend aus zwei Freiwilligen und zwei hauptamtlichen Mitarbeitern, unterwegs sind.“ Unentgeltlich versteht sich. Sicherheit soll billig sein. Im vorgesehenen Gesetz für die privaten Sicherheitsdienstleister sollte auf jeden Fall auch die Tätigkeit der Hobby-Wachleute unter die Lupe genommen werden.

Taten aus der Gruppe heraus

Ausschlaggebend für den Einsatz privater Sicherheitsdienste sind Probleme die mit der Broken-Windows-Theorie beschrieben werden. In der von US-amerikanischen Sozialforschern entwickelten Theorie besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Vandalismus und Vernachlässigung von Stadtgebieten und Kriminalität. Sie untermalen ihre Aussage mit der Erkenntnis, dass eine zerbrochene Fensterscheibe schnell repariert werden muss, damit weitere Zerstörungen im Stadtgebiet und damit vermehrte Delinquenz verhindert werden.

Von Seiten der länderübergreifenden Kriminalprävention wird zu diesem Problemfeld eingeschätzt: „Vandalismus ist eher in kleinen oder mittleren Gemeinden (bis 20.000 Einwohner) und in Städten mit 20.000 bis 100.000 Einwohner ‚zu Hause‘. Stichwort Brandstiftung und Sachbeschädigung: Hier geraten unverhältnismäßig viele Kinder und Jugendliche unter Tatverdacht, wobei Sachbeschädigungen nicht selten aus der Gruppe heraus erfolgen.“

Schnelle Erfolge möglich

Dabei zeigen Präventionsmaßnahmen oft schon nach kurzer Zeit Wirkung. Seit zwei Wochen, so berichtete ein Lokalsender aus Hamm Mitte August, „patrouilliert ein privater Sicherheitsdienst im Auftrag der Stadt rund um den ehemaligen Kaiserssupermarkt am Marktplatz.“ Seitdem habe es keine Zwischenfälle oder Beschwerden mehr gegeben, sagte ein Stadtsprecher auf Anfrage des Senders. Auch nicht von benachbarten Händlern.

Verwahrlosung, Missachtung der einfachsten Regeln des Zusammenlebens in einer Gemeinschaft und bewusste Zerstörungen führen zu einem Gefühl der Unsicherheit. Diese Verunsicherung – gleichgültig ob begründet oder nicht – schränkt Menschen ein. Sie wähnen sich in ihrer Bewegungsfreiheit beschnitten. Das hat Auswirkungen auf die mentale Befindlichkeit bis hin zur Entscheidung an der Wahlurne.

Öffentlicher Raum, so die Definition, ist für jedermann frei zugänglich. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, sicherzustellen, dass dieser öffentliche Raum uneingeschränkt und ohne jede Angst von jedermann genutzt werden kann. Der Staat steht in der Verantwortung und Verpflichtung, dies zu gewährleisten.

Raum der verschiedenen Konflikte

Die Bürger wollen die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen ohne Angst haben zu müssen, angepöbelt oder gar angegriffen zu werden, sie wollen einkaufen gehen ohne ständig auf der Hut sein zu müssen, von dreisten Langfingern ihrer Barschaft beraubt zu werden, sie wollen die Straße benutzen, ohne Angst zu haben von einem, alle Verkehrsregeln missachtenden Raser über den Haufen gefahren zu werden. Frauen wollen sich ungezwungen in der Öffentlichkeit bewegen, ohne sich sexuellen Belästigungen ausgesetzt zu sehen.

Dazu kommt, dass im öffentlichen Raum gesellschaftliche, private und wirtschaftliche Konflikte ausgetragen werden. In der Berliner Kantstraße berichtete eine Geschäftsinhaberin, wie ihr die Kundschaft vergrault wurde. Eine Gruppe von Männern, offensichtlich bezahlt von jemandem, der es auf das Ladenlokal abgesehen hatte, platzierte sich regelmäßig und ausdauernd vor dem Geschäft. Laut palavernd und wild gestikulierend vermittelten sie den Eindruck von Streithähnen, denen die Passanten lieber aus dem Wege gingen und die Straßenseite wechselten. Nach einigen Wochen warf die Geschäftsinhaberin wegen der ausbleibenden Kundschaft das Handtuch. Ein Beispiel dafür, wie im öffentlichen Raum auch wirtschaftliche Verdrängung stattfindet. Dabei müssen, wie das Beispiel zeigt, noch nicht einmal strafbewehrte Handlungen im Spiel sein.

Gemeinsame Kontrollgänge

Es wäre zu kurz gegriffen, die Blicke nur auf die großen Ballungsräume zu fokussieren, deren Probleme regelmäßig medial weidlich ausgeschlachtet werden.

Leimen, die 27.000 Einwohner zählende Kreisstadt bei Heidelberg, setzt seit Jahren auf private Sicherheitsdienstleister. „Von April bis Oktober werden die Sicherheitsleute an fünf Abenden pro Woche unterwegs sein, in der kalten Jahreszeit nur an drei Abenden. Den Stadtsäckel belastet dieses Engagement mit rund 56.000 Euro pro Jahr. Der bisherige Einsatz hat sich nach Worten von Oberbürgermeister Hans D. Reinwald bewährt“, berichtete die „Rhein-Neckar-Zeitung“ Ende vergangenen Jahres. „Das werden noch weitere Kommunen machen“, zitiert das Blatt Walter Stamm, den Ordnungsamtsleiter der Stadt. Er meinte damit „abendliche und nächtliche Kontrollgänge des Gemeindevollzugsdienstes in Begleitung eines Sicherheitsdienstes“, wie das Blatt ergänzt.

In der Summe dürften die „kleinen“ Vorfälle das alltägliche Sicherheits- oder Unsicherheitsgefühl der Menschen mehr beeinflussen, als beispielsweise eine eher diffuse Angst, Opfer eines Terroranschlages zu werden. Allein das ständige auf der Hut sein zu müssen, ist eine Einschränkung der Lebensqualität.

Auch „große“ Aufgaben im Auge

Nichtsdestotrotz können private Sicherheitsfirmen auch in den „großen“ Aufgabenbereichen wertvolle Dienste leisten. Ein privater Sicherheitsdienst hat jüngst mit einem Wagen und zwei Mitarbeitern vor dem Kölner Dom die Überwachung übernommen. Da die Lieferung von zwei Spezialpollern zum Schutz vor Anschlägen sich noch bis Mitte September verzögern werde, habe man den Sicherheitsdienst engagiert, sagte ein Stadt-Sprecher.

Es sind oft Einzelereignisse, bei denen die behördlichen Vertreter die Flexibilität der privaten Sicherheitsfirmen schätzen lernen. Nach einem verheerenden Großbrand im August in Siegburg, mussten umfangreiche Absperrmaßnahmen ergriffen werden. Ein privater Sicherheitsdienstleister hatte darüber zu achten, dass nur Anwohner, Einsatzkräfte, städtische Mitarbeiter und Versicherungsvertreter den Straßenzug betreten können. Er erledige „seine Arbeit gewissenhaft“, bescheinigte ihm der „Rhein-Sieg-Anzeiger“.

Grauzonen des halb-öffentlichen Raumes

„Gefährliche Orte“ finden sich nicht im öffentlichen Raum, es kommen immer mehr Grauzonen eines halb-öffentlichen Raumes hinzu. Hierzu zählen beispielsweise Bahnhofshallen oder Shopping Malls, die prinzipiell öffentlich zugänglich sind, für deren Nutzung aber ein eigenes Regelwerk etwa in Form von Hausordnungen definiert ist. Als Beispiel wird oft der Potsdamer Platz in Berlin genannt, wo sich das öffentliche Leben zu einem ganz großen Teil auf privatem Grund und Boden abspielt. Örtlichkeiten, die faktisch rund um die Uhr frei zugänglich, aber rechtlich völlig anders zu bewerten sind. Seit Anfang Juli ist ein Remscheider Sicherheitsunternehmen im Parkhaus am Hauptbahnhof im Einsatz. Tagsüber und vor allem in der Nacht sollen die Mitarbeiter dafür sorgen, dass ungebetener Besuch die Anlage verlässt. „Allein vom 2. bis 11. Juli wurden 200 Platzverweise ausgesprochen. Insgesamt waren es im vergangenen Monat 400. Wir haben dem Unternehmen Hausrecht erteilt“, berichtet Stadtdirektor Sven Wiertz.

„… die Räume werden enger“

Gegenden, die man nicht alleine oder nicht zu gewissen Tageszeiten betreten sollte, wie in Südafrika oder Brasilien, aber auch in den USA oder den französischen Banlieues, gibt es in Deutschland (noch?) nicht. Aber, wie der Berliner „Tagesspiegel“ vor einiger Zeit für die deutsche Hauptstadt konstatierte, „der öffentliche Raum wird zum Kampfplatz.“ Für Frauen bedeute das, „ihre Räume werden enger. Vielmehr: wieder enger.“ Das Blatt hatte für seine Betrachtung ein Beispiel genommen, bei denen Frauen Opfer von so genannten Antänzern wurden. Antanzen ist eine Form des bandenmäßigen Trickdiebstahls, bei dem das Opfer in scheinbar heitere Stimmung zum gemeinsamen Tanz animiert werden soll und dabei bestohlen wird. Vagabundierende Tätergruppen machen vor allem belebte Plätze in den Städten unsicher. Dabei sind, wenn man die Polizeimeldungen ansieht, nicht nur Frauen im Visier der Langfinger.

Die Frage, wem wo was im öffentlichen Raum passieren kann, führt nicht zu der Antwort, wer sich am meisten ängstigt. Jan Wehrmann, Professor an der Universität Duisburg-Essen, zeigte in einem Vortrag, dass die Zahl der Fälle von Mord und Totschlag im öffentlichen Raum in den rund zwei Jahrzehnten zwischen 1994 und 2015 von 1048 auf 589 gesunken ist. Eine statistische Größe, die auch von Amtsrichter Wolting kaum ignoriert werden kann. Dass eine solche positive Entwicklung sich nicht im subjektiven Sicherheitsgefühl vieler Menschen widerspiegelt, steht auf einem anderen Blatt.

Soziale Kontrolle versus Sicherheitspersonal?

In einer vom Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung in Auftrag gegebenen und 2017 von der RWTH Aachen University veröffentlichten Studie wird eingeschätzt: „Sicherheit als wesentliche Voraussetzung für die Aufenthaltsqualität öffentlicher Räume entsteht in erster Linie durch die alltägliche soziale Kontrolle des öffentlichen Raumes“; und im Nachsatz kommen die Autoren der Studie zu der Erkenntnis, „technische Überwachungsmethoden oder die Präsenz von Sicherheitspersonal werden in aller Regel als im Vergleich weniger geeignete Methoden zur Gewährleistung von Sicherheit bewertet.“ Insbesondere der zweite Teil der Analyse wäre einer genaueren Betrachtung wert.

Öffentlicher Raum wird nicht per se als Angstraum angesehen. Es ist zu unterscheiden zwischen Bereichen, die stark vom Publikum frequentiert sind und solchen, die sehr abgelegen und eher menschenleer sind. Große Unterschiede ergeben sich auch durch die Tageszeiten, mancher Platz, der tagsüber keinerlei Gefahr ausstrahlt, wird von vielen Menschen nach Einbruch der Dunkelheit als „unheimlich“ empfunden. Bei vielen solcher Örtlichkeiten können schon einfache Maßnahmen die Situation verändern. Unterführungen müssen nicht schlecht beleuchtet sein, eine ordentliche Ausleuchtung verändert sofort das Erscheinungsbild. Wenn man von der angenommenen – und sicher auch realen – Gefährdungslage ausgeht, dass Täter vorzugsweise „im Schutze der Dunkelheit“ agieren, so wird Licht und Beleuchtung zum Bestandteil einer umfassenden Sicherheitsstrategie.

Erfolge werden kleingeschrieben

Wenn es um Fragen der Sicherheit geht, konzentriert sich die mediale Wahrnehmung des öffentlichen Raumes vornehmlich auf die kriminalitätsbelasteten Schwerpunkte. Ob in Berlin der Alexanderplatz oder der U-Bahnhof Kottbusser Tor, in München der Hauptbahnhof oder Duisburg-Marxloh, die Örtlichkeiten an denen es „zur Sache geht“ sind bekannt. Sie werden als allgemeine Indikatoren für eine gesellschaftliche Verwahrlosung ins Feld geführt.

Erfolge bei der Befriedung solcher Plätze finden weit weniger Wiederhall in der allgemeinen Wahrnehmung. „Drei von Berlins gefährlichsten Orten sind etwas sicherer geworden. … Demnach hat es am Kottbusser Tor, dem Görlitzer Park und der Warschauer Brücke, die wegen der vielen Verbrechen, die hier passieren auch ‚Achse des Bösen‘ genannt werden, im vergangenen Jahr weniger Straftaten gegeben als im Jahr zuvor“, meldete die „Berliner Morgenpost“ Anfang des Jahres. Ein Erfolg, der mit viel personellem und technischem Aufwand erzielt wurde. Aber, es ist ernst zu nehmen, wenn der Sprecher der Polizeigewerkschaft GdP Benjamin Jendro die Befürchtung äußert: „Wenn wir die Maßnahmen dort zurückfahren, wird die Kriminalität wieder steigen.“

 

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Über den Autor: Peter Niggl

Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight