Soul for Sale

Der Kampf gegen Korruption wird für Unternehmen zum Selbstschutz. Es gibt in den Vorstandsetagen wie in den Amtstuben noch immer zu viele, die ihre Seele verkaufen.

Lesezeit: 6 Min.

25.09.2020

Korruption, die unbesiegbare Erbsünde

Von Peter Niggl

Juan Carlos – einst Monarch der Spanier – verdrückte sich durch den Hinterausgang des Palacio de la Zarzuela und verschwand. Der Staatsanwalt war dem König auf den Fersen, Verdacht auf Korruption. In Jerusalem bereitet der Generalstaatsanwalt den Prozess gegen Ministerpräsident Netanjahu vor. Dieser steht seit Ende November vergangenen Jahres als erster amtierender Regierungschef wegen Korruption unter Anklage. Viele hohe Amtsträger können der Versuchung nicht widerstehen. Aber auch den Nutznießern droht Ungemach.

Im Oktober muss der frühere französische Präsident Nicolas Sarkozy vor dem Kadi erscheinen. Der Vorwurf: Bestechung und illegale Einflussnahme. In Rumänien wird gegen die Führungsriege der Regierungspartei PSD ermittelt. Die Verfahren umfassen Korruption, Amtsmissbrauch und Steuerhinterziehung. In Bulgarien – wie Rumänien seit 2007 Mitglied der EU – demonstrieren Menschen seit Monaten ebenfalls gegen eine korrupte Regierung. Diese Meldungen aus dem politischen Morast könnten praktisch beliebig fortgesetzt werden. Sie zeichnen ein düsteres Bild von scham‑, grenzen‑ und vor allem gesetzloser Gier.

Die Beispiele beziehen sich nicht auf irgendwelche „Bananenrepubliken“. Sie stammen aus dem illustren Kreis der EU-Staaten oder anderer Länder, die ob ihrer demokratischen Strukturen hochgelobt werden. Man könnte den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und den tschechischen Regierungschef Andrej Babiš hinzufügen, die ihre Länder so im Griff haben, dass sie keine Verfolgung wegen Korruption befürchten müssen. Vorerst zumindest nicht. Woher die Gelder kommen, mit denen sich moralfreie Politiker die Taschen vollstopfen, ist unschwer zu erraten. Es sind vor allem Unternehmen, die sich Marktpositionen oder lukrative Aufträge erkaufen. Zum Nachteil ihrer Wettbewerber, zum Schaden der Allgemeinheit. Demokratische Regeln landen in der Sickergrube.

Der Fall Amthor, ein Exempel

Die Bundesregierung stellt mit erhobenem Zeigefinger klar, „strafbar ist schon das Anbieten des Bestechungsgelds.“ Aber ist bei uns die Politik frei davon, solchen Versuchungen zu erliegen? Die Affäre um den CDU-Bundestagsnovizen Philipp Amthor zeigt, wie schwierig die Trennlinien zwischen legaler und illegaler Vorteilsnahme zu ziehen ist. Amthor wollte sein politisches Gewichtchen für das US-amerikanische IT-Unternehmen Augustus Intelligence in die Waagschale werfen. Als Gegenleistung winkte die Firma mit einem Direktorenposten und vor allem einem Paket mit Aktienoptionen. Amthor kam mit einem hellblauen Auge davon. Ob seine Karriere davon Schaden genommen hat, wird sich zeigen. Sein Saubermann-Image allerdings hat gelitten. Der Fall verdeutlicht aber auch, man muss nur die Tricks kennen, um nicht der Korruption beschuldigt zu werden. Ein Exempel, das Schule machen könnte.

In Sachen Korruption gelte Deutschland als vergleichsweise sauber, färbte vor einiger Zeit die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ die Situation in Deutschland schön. Räumte jedoch ein, „im Ausland aber agierten auch deutsche Unternehmen nicht immer ganz sauber.“ Der Euphemismus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier kriminelle Machenschaften konzediert werden. Aber muss man wirklich den Blick über Landesgrenzen werfen, um auf Verdächtiges zu stoßen?

„Strafbar ist schon das Anbieten des Bestechungsgelds.“

Wenn am 31. Oktober nach 15 Jahren Planung und 14 Jahren Bauzeit mit neun Jahren Verspätung tatsächlich der Hauptstadt-Flughafen BER seinen Betrieb aufnehmen sollte, sind dann alle Skandale vergessen? Alle Fragezeichen vom Papier radiert? Ein Projekt, das einmal mit 1,7 Milliarden Euro projektiert wurde und am Ende nach vorsichtigen Schätzungen mehr als das Vierfache verschlungen haben wird, muss zwangsläufig die Frage aufwerfen, wo die Milliarden versenkt wurden? Das Geld kann nach menschlichem Ermessen nicht durch das Beseitigen der zugegebenermaßen zahlreichen Mängel aufgebraucht worden sein. Der Flughafen hätte ja nach der ursprünglichen Budgetierung in vierfacher Ausfertigung erstellt werden können. Schon vor fünf Jahren gab die „WirtschaftsWoche“ der Überlegung Raum: „Warum der Berliner Flughafen Korruption begünstigt.“ Mit dem redaktionellen Finger wurde damals auf das insolvente niederländische Konsortium Imtech gezeigt. Dieses, so das Magazin, „soll in hohem Maße dafür bekannt gewesen sein, Rechnungen nachträglich eingereicht zu haben, die dann – auch gegen Schmiergeldzahlungen an korrupte Manager – freigegeben wurden. Ermittlungen gegen ehemalige Manager von Imtech und dem BER laufen.“ Auch an anderer Stelle keimte Verdacht auf. „Bild am Sonntag“ wusste zu berichten, dass Justiziare des Flughafens die hohen Auszahlungsquoten für die nachträglichen Rechnungen als verdächtig einstuften. Erhärtet werden konnten die Verdachtsmomente allerdings nicht. Ehrlichkeit oder Cleverness? Fazit der WiWo: „Aber zumindest zeigen sie abermals die Anfälligkeit der Baubranche für Korruption.“

„ BER zeigt die Anfälligkeit der Baubranche für Korruption.“

Das Minenfeld von Korruption, Bestechung, Vorteilsnahme und welche Begriffe es auch immer für die illegalen Geschäftspraktiken geben mag, ist weltweit nicht kleiner geworden. Exportorientierte Unternehmen müssen sich dessen gewahr sein. Anfang August dieses Jahres berichtete der Südafrika-Korrespondent der Agentur Reuters: „Südafrikanische Ermittler versuchen, mehr als 400 Millionen Rand (23 Millionen US-Dollar) von dem deutschen Softwareunternehmen SAP für zwei Regierungsverträge zurückzugewinnen, die angeblich rechtswidrig abgeschlossen wurden, wie Gerichtsdokumente belegen. Obwohl der geforderte Geldbetrag für ein Unternehmen mit einem Marktwert von rund 162 Milliarden Euro gering ist, ist der Schritt der Behörden ein weiteres Problem für SAP, das 2018 zugab, bei Geschäften mit südafrikanischen Staatsunternehmen während der Amtszeit des früheren Präsidenten Jacob Zuma Fehlverhalten begangen zu haben.“

Schmiergeld, das sich nicht auszahlt. Auch wenn die geforderte Summe für den Software-Riesen möglicherweise nur Peanuts bedeutet, ist der Schaden in mehrfacher Hinsicht nicht zu ignorieren. Die Reputation des Unternehmens leidet, was möglicherweise bei zukünftigen Auftragsvergaben eine Rolle spielen kann. Es führt dazu, dass künftige Geschäftsabschlüsse noch kritischer und aufmerksamer beäugt werden. Das kann dazu führen, dass dem Unternehmen gewisse Märkte verschlossen bleiben. Ein weiteres Resultat solchen Fehlverhaltens kann sein, dass mögliche Geschäftspartner die Vertragspapiere mit sehr spitzen Fingern anfassen. Die Vorstandsetagen können sich gewahr sein, Ermittlungen und möglicherweise Strafzahlungen werden als Giftpfeile im Köcher der Konkurrenz stecken. 

„ Das transparenteste korrupte Land „

Manchmal sind solche Affären wie böse Schwiegermütter, man verliebt sich in einen Engel und bekommt den Teufel mitgeliefert. So hat es auch den Schweizer Eisenbahnzulieferer Stadler erwischt. 2013 hat Südafrika bei Stadlers Tochter Rail Valencia, die damals allerdings noch als Vossloh España (Tochter der deutschen Firma Vossloh) firmierte, 70 Lokomotiven bestellt. Doch „wegen schmutziger Praktiken bei der Beschaffung“, so das Schweizer „Tagblatt“ im vergangenen Jahr, sieht sich Stadler nun erheblichem Druck ausgesetzt.

Solche, wenig erquicklichen Erfahrungen sollten jedem Sicherheitsverantwortlichen Warnung genug sein, Geschäfte in und mit Ländern, in denen ein erhöhtes Korruptionsrisiko besteht nach allen Imponderabilien zu durchleuchten. Der mögliche Mehraufwand kann sich durch ein Vielfaches angesparter Kosten mehr als amortisieren.

Aber man muss nicht unbedingt andere Kontinente bereisen, um auf unerfreuliche Entwicklungen zustoßen. Es liest sich nicht wie eine Einladung zu einer Reise nach Kiew: „Die Ukraine ist das transparenteste korrupte Land in Europa. Korruption, Oligarchie und teilweise mafiöse Strukturen sind weiterhin Teil des Alltags der Menschen in der Ukraine, ob im Gesundheits- oder Bildungsbereich, in der Wirtschaft, im Zollwesen sowie in der Medienlandschaft.“ So ätzt spöttisch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung über den Gesellschaftszustand am Dnjepr.

Der Kampf gegen Korruption wird für Unternehmen zum Selbstschutz. Es gibt in den Vorstandsetagen wie in den Amtstuben noch immer zu viele, die ihre Seele verkaufen.

Bildquelle: Jonathan J. Castellon / Unsplash

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Über den Autor: Peter Niggl

Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight