Sprengung von Geldautomaten – der neue Banküberfall

Die neue Form des Banküberfalls ist die Sprengung von Geldautomaten. 369 gewaltsame Angriffe auf Geldautomaten registrierte die Polizei 2019.

Lesezeit: 7 Min.

01.09.2020

Taten haben sich in einem Jahrzehnt verzehnfacht

Wie sich die Zeiten ändern. Die Ära der Panzerknacker, dann der Bankräuber und schließlich der Geldtransporträuber geht zu Ende. Die neue Form des Banküberfalls ist die Sprengung von Geldautomaten. 369 gewaltsame Angriffe auf Geldautomaten registrierte die Polizei im vergangenen Jahr. Diese Zahl veröffentlichte das Bundeskriminalamt Mitte Juli in ihrem jährlich erscheinenden Bundeslagebild „Angriffe auf Geldautomaten“. Fast immer versuchten die Täter ans Geld zu gelangen, indem sie die Metallkästen in die Luft jagten. 349 solcher Angriffe sind bekannt, allerdings in 131 Fällen blieb es beim Versuch. Von 2008 bis 2018 hat sich die Zahl der Automatensprengungen in Deutschland mehr als verzehnfacht. Von 2015 bis 2019 hat sich die Zahl der vollendeten Sprengungen von Geldautomaten von 71 auf 142 exakt verdoppelt. Bei den Versuchen war der Anstieg noch höher.

Im Vergleich zum Vorjahr konnte man allerdings im vergangenen Jahr bei den versuchten und vollendeten Attacken auf Geldautomaten ein Rückgang um 20 Fälle verbuchen. Auch bei der Beute mussten sich die kriminellen Sprengmeister mit 15,2 Millionen Euro „zufrieden“ geben. Im Jahr zuvor hatten Sie nur rund 18 Millionen Euro eingesackt. Im Durchschnitt wurden pro Angriff auf einen Geldautomaten 107.000 Euro erbeutet. Die Sprengung der Geldautomaten hat als Tatbegehungsweise seit längerem das weitaus aufwändigere Herauszureißen der Geräte abgelöst. Auch die Brechstange und der Winkelschleifer haben mehr und mehr ausgedient. Sprengstoffe übernehmen nun die Arbeit. Das BKA registrierte im vergangenen Jahr 18 Sprengungen von Geldautomaten, die nicht wie allgemein üblich mit Gas oder Gasgemischen ausgeführt wurden, sondern mit „Explosivstoffen“. Darunter werden pyrotechnische Sätze, selbst gemischte und gewerbliche Sprengstoffe verstanden.

Reisende Täter überwiegend aus den Niederlanden

Der Rückgang der Angriffe auf Geldautomaten dürfte kaum einem Umdenken der Täter geschuldet sein. Eher sind es die Ermittlungserfolge der Polizei, die dazu führen, dass einige dieser Ganoven zumindest für gewisse Zeit an der Ausübung ihrer Passion gehindert werden. Bezogen auf das letzte Jahr stellt das BKA fest, dass von 132 ermittelten Tatverdächtigen, 68 Prozent reisende Täter gewesen seien. Und als Entwicklungstendenzen hinzugefügt: „Reisende Täter stammen überwiegend aus den Niederlanden; erstmals keine Tatverdächtigen aus Polen.“ Dieser geographische Wandel der Täterherkunft schlägt sich auch in den Tatorten nieder. Auffällig ist, dass die Deliktbelastung der einzelnen Bundesländer extrem unterschiedlich ist. Während die nördlichen Bundesländer wie Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern auf 0,06 Taten pro 100.000 Einwohner kamen, waren es in Hessen mit 0,85 statistisch gerechnet 14-mal so viel. Tatsächlich aber ist Nordrhein-Westfalen seit geraumer Zeit der Hotspot der Automatensprengung. Die 395 km lange gemeinsame Grenze des Bundeslandes mit den Niederlanden ist unzweifelhaft ein gewisses Einfallstor. Das belegen die polizeilichen Ermittlungen eindeutig. In der Nacht zum 15. Juni hatten unbekannte Täter in der Stadt Wassenberg, keine 6 km von dieser Grenze entfernt, zugeschlagen. Es war bereits die Nummer 96 auf der Liste der gesprengten Geldautomaten in Nordrhein-Westfalen. Bei der Attacke zwei Wochen später in Mülheim an der Ruhr zählte man schon den 106. Angriff. Aber der Aktionsradius dieser Täter ist nicht zwingend auf diese Grenznähe beschränkt. Ende Mai konnten im thüringischen Nordhausen die Tatverdächtigen einer solchen Sprengungsaktion dingfest gemacht werden. Der MDR: „Die zwei Verdächtigen stammen aus den Niederlanden und sollen zudem für weitere Einbrüche dort und in Deutschland verantwortlich sein.“ Auch Bayern registriert zunehmend Besucher dieser unangenehmen Zunft.

Bundesländer unterschiedlich betroffen

Aber immer noch ist der westdeutsche Raum – seit Jahren wichtigstes Betätigungsfeld der modernen Panzerknacker – besonders im Fokus der Automatenknacker. 2018 entfielen auf Nordrhein-Westfalen als Spitzenreiter mit 108 Sprengungen genau doppelt so viele Angriffe, wie auf das „zweitplatzierte“ Bundesland Niedersachsen, gefolgt von Hessen mit 31 Fällen. Die Geldautomatenbetreiber sehen sich gezwungen, die Sicherungsmaßnahmen erheblich auszubauen. Ein kostspieliges Unterfangen. Auch über andere Sicherungsmaßnahmen wird nachgedacht. Im September vergangenen Jahres wurde gemeldet, dass die Sparkasse Hannover plane, viele ihrer Geldautomaten nur noch von 5 bis 23 Uhr zugänglich zu machen. Die Banken zeigen sich jedoch meist zugeknöpft, wenn es um die Frage geht, welche Strategie im Kampf gegen die Automatensprenger verfolgt werden. Als erste haben in Europa Schweden, Belgien und Frankreich den Einsatz der Tinten-Technologie, bei der die Geldscheine im Falle einer Detonation eingefärbt und unbrauchbar werden, mittels eines Gesetzes verpflichtend gemacht. Die Niederlande haben nachgezogen. Experten sehen in diesen technischen Vorkehrungen sowie in den repressiven Maßnahmen der niederländischen Strafverfolgungsbehörden eine entscheidende Ursache dafür, dass die dort ansässigen Banden nun den lukrativeren Weg zu den deutschen Geldautomaten suchen. Die Dimension dieser Tatbegehung, vor allem der Tätergruppen, wurde deutlich, als im Juli 2019 in Aachen nach einer Sprengung eines Geldautomaten die Täter in einem Pkw mit niederländischem Kennzeichen flohen. Nur wenige Stunden nach der Tat konnte die niederländische Polizei fünf Tatverdächtige festnehmen. „Diese gehören möglicherweise zu einem Netzwerk von mehreren hundert Personen, die regelmäßig aus den Niederlanden einreisen, um Geldautomatensprengungen in Deutschland zu begehen“, so das Bundeskriminalamt.

Die „Audi-Bande“

Ein wenig Licht in das Dunkel der Automatensprenger bringen zurzeit Prozesse in Düsseldorf und München. In der bayerischen Hauptstadt stehen seit Juli fünf Männer und eine Frau vor Gericht. Die Angeklagten dürften, wie die „Süddeutsche Zeitung“ mutmaßt, „zwei großen Familien-Clans angehören“. Alle seien „niederländisch-marokkanischer Abstammung.“ Die rund 400 Angehörigen dieser Clans stehen im Verdacht, in den zurückliegenden sechs oder sieben Jahren rund 300 Geldautomaten geplündert zu haben. Nachdem diese Bande den nord‑ und westdeutschen Raum zur Genüge heimgesucht hatten, waren von den dortigen Banken entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden. Mit dem Effekt, dass die Täter ihr „Einzugsgebiet“ Richtung Süden ausdehnten. Nach Angaben des Klägers gehören alle Verdächtigen der sogenannten „Audi-Bande“ an, die seit 2015 Geldautomaten in Westdeutschland in die Luft sprengt. Den Spitznamen erhielt sie, weil die Täter sehr von der PS-Stärke dieser Fahrzeuge überzeugt sind. Als im Februar dieses Jahres zwei mutmaßliche Automatenknacker mit 250 km/h an der deutsch-niederländischen Grenze tödlich verunglückten, saßen sie in einem Audi. Die Ermittler der Sonderkommission „Heat“, die vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen eingerichtet wurde, gehen davon aus, dass viele der Sprengungen auf das Konto dieser Tätergruppierung gehen, die vor allen Dingen in den Vororten von Utrecht und Amsterdam zuhause ist.

17.000 Euro Beute – 200.000 Euro Schaden

Um lohnende Objekte ausfindig zu machen, haben sich Bandenmitglieder in Wohnungen, die sie unter falschem Namen über Airbnb anmieteten, Quartier bezogen, um sich vor Ort auf die Suche begeben. Doch ihr Ausspionieren war aufgefallen und als sie am 17. Oktober 2018 in Germering bei München zuschlagen wollten, wartete schon ein Spezialeinsatzkommando der Polizei. Doch auch dieses SEK hatte mit dem Ganoven seine Schwierigkeiten. Einer der Täter, der damals 27-jährige Marwan K. wollte mit einem gestohlenen Audi RS5 (400 PS) mit brachialer Gewalt entkommen und konnte erst mit 30 Schüssen, von denen ihn zwei in der Schulter trafen, gestoppt werden. Zuvor hatte er fünf Polizeifahrzeuge gerammt. „Die bauen sogar die Airbags aus, damit sie weiterflüchten können, wenn sie jemanden gerammt haben, oder kollidiert sind“, erklärt laut Pressemeldungen der damalige Chef des nordrhein-westfälischen LKA, Frank Hoever, die Vorgehensweise dieser Banden. Da also die Täter in Deutschland noch mit Automaten rechnen können, aus denen ungefärbte Geldscheine herauszuholen sind, ist der Tatanreiz immer noch vorhanden. Aber auch wenn es gelingt, die Täter immer öfter ohne Beute dastehen zu lassen, ist ein derartiges Delikt keine Lappalie. Im vergangenen Jahr standen in Hannover Automatensprenger vor Gericht. Die Bilanz ihrer Tat: 17.000 Euro Beute, 200.000 Euro Schaden. Man kann von großem Glück sprechen, dass noch kein Unbeteiligter bei einer Sprengung ums Leben gekommen ist.

Bei der Frage nach einer adäquaten Sicherung der Geldautomaten und des Geldes, werden verschiedene Ansätze diskutiert. Zum einen die bauliche respektive örtliche Änderung bei der Automatenaufstellung, nachts die Geldautomaten nicht mit Geld befüllt zulassen oder aber auch das Intelligente Banknoten-Neutralisierungssysteme (IBNS) – die Einfärbung der Banknoten – verpflichtend einzuführen. Das IBNS gewährleistet den Schutz von Banknoten vor unerlaubtem Zugriff, beispielsweise in Geldautomaten, während des Transports oder in Bargeldtresoren. Im November 2018 stellte die Bundesregierung fest: „In Frankreich wurden die Geldinstitute zudem durch eine Verordnung vom 24. Juni 2015 dazu verpflichtet, besonders gefährdete Geldautomaten mit IBNS auszustatten. In der vergleichenden Betrachtung fällt auf, dass es in diesen Ländern seit 2013 zu deutlich weniger Geldautomatensprengungen kam als in Deutschland.“

Bildquelle: Polizei Mettmann

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Über den Autor: Peter Niggl

Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight