Impfen – die Unternehmen brauchen Regeln
Ohne gesetzliche Vorgaben scheint das Chaos noch größer zu werden. Es wird eine Debatte um eine Impfpflicht geben
Ohne gesetzliche Vorgaben scheint das Chaos noch größer zu werden. Bildquelle: Adope Stock, Urheber: Zebor
Ohne gesetzliche Vorgaben scheint das Chaos noch größer zu werden
„Corona-Impfpflicht am Arbeitsplatz: Droht Ungeimpften bald die Kündigung?“ So orakelte das Magazin „Focus“ Ende Februar. Musste aber gleichzeitig eingestehen, dass sich ohne den Gesetzgeber auf diesem Gebiet nichts bewegen werde. Es ist jedoch absehbar, dass die Debatte um eine Impfpflicht in den kommenden Wochen und Monaten an Schärfe gewinnen wird. Für viele Unternehmen keine sehr kommode Situation, weil sie sich am Ende zwischen allen Stühlen wiederfinden könnten. Die Zwickmühle zwischen den Rechten der Beschäftigten und den Ansprüchen von Kunden und Auftraggebern verspricht schlaflose Nächte.
Da die Vertragsbeziehung zwischen einem Unternehmen und seinen Kunden, so erläutert der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke, „privatrechtlicher Natur ist, kann der Kunde aufgrund seiner Privatautonomie zulässigerweise bestimmen, dass nur geimpfte Mitarbeiter zum Einsatz kommen dürfen.“ Solmecke, der diese Ausführungen in einem Interview mit der Fachzeitschrift SECURITY insight (SI) machte, sieht hohe Hürden für Zwangsvorgaben für Beschäftigte. Allerdings scheint in der Regierungspartei einiges in Bewegung und das letzte Wort nicht gesprochen. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer ließ Ende Februar gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ verlauten, dass er eine Impfpflicht zwar zum aktuellen Zeitpunkt ablehne, er die Frage im Sommer aber neu bewerten wolle.
Extrawurst für Geimpfte?
Die Impfung von Mitarbeitern einfach anzuordnen, ist keinesfalls möglich, so Solmecke: „Hierfür müsste es eine gesetzliche Grundlage geben.“ Wirtschaftliche Existenz eines Unternehmens versus Grundrechte; die Antwort auf diese Frage scheint zugunsten der Grundrechte gegeben, wenngleich in ihren Folgen schwerwiegend. Gleichzeitig erweist es sich als schmaler Grat, wenn eine Immunisierung mittels Impfung zur Voraussetzung wird, um in gewissen Bereichen am öffentlichen Leben wieder teilnehmen zu können. Fluggesellschaften haben bereits angekündigt, eine Vakzination bei Passagieren bindend machen zu wollen. Auch Klaus-Peter Schulenberg, Chef des Unternehmens CTS Eventim, plädiert in der „WirtschaftsWoche“ für eine Impfpflicht von Ticketkäufern. Was allerdings ein kompliziertes Prozedere erahnen ließe.
Weitaus komplizierter stellt sich die Lage in Krankenhäusern dar. Die im Allgemeinen für zu gering erachtete Impf-Bereitschaft des Klinikpersonals, veranlasste Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Januar sogar, sich für eine Impfpflicht für medizinisches Personal auszusprechen. Diese Diskussion, echot Bärbel Bas, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag und in dieser Funktion zuständig für den Bereich Gesundheit, sei im Moment „viel zu früh“.
Privatautonomie im Zivilrecht
Sollte es diese Impfpflicht nicht geben, könnte es in den medizinischen Einrichtungen zu der geradezu grotesken Situation kommen, dass das Personal nicht geimpft ist, jedoch externe Beschäftigte hierzu genötigt werden können. Mit Blick auf die Situation an Flughäfen und den Bedingungen für die privaten Sicherheitsdienstleister, schätzt der, mit seinen juristischen Ratschlägen auf YouTube sehr erfolgreiche Rechtsanwalt Solmecke ein: „Grundsätzlich können sich private Unternehmen, wie auch Fluggesellschaften, nach deutschem Recht auf ihr Hausrecht berufen, wenn sie nur geimpfte Passagiere an Bord lassen wollen.“
Aufgrund des Prinzips der Privatautonomie im Zivilrecht, so Solmecke weiter, könnten sie „frei darüber entscheiden, wem sie unter welchen Bedingungen Einlass gewähren und wen sie bedienen. Dementsprechend können sie auch die Vorlage eines Impfausweises verlangen und bestimmen, dass nur Personen, die bereits geimpft sind, Zutritt haben.“
Es gebe, wie der Kölner Advokat erläutert, „im deutschen Zivilrecht zwar auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, welches Diskriminierung im Zivilrechtsverkehr verbietet. Demnach ist eine Benachteiligung aber nur aus bestimmten Gründen verboten, z. B. wegen der Rasse, der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts.“ Es liegt also in der Entscheidung des jeweiligen Kunden, wen er unter welchen Bedingungen „an Bord“ lässt. „Ein Impfverlangen von Arbeitgebern (ohne eine entsprechende allgemeine Impfpflicht) ist lediglich in absoluten Ausnahmefällen denkbar, z. B. wenn es sich um einen Arbeitsplatz handelt, für den eine Impfung zwingend erforderlich ist. Dies könnte z. B. bei bestimmtem Personal in Kliniken, Arztpraxen oder Altersheimen anzunehmen sein“, präzisiert die „Deutsche Handwerkszeitung“, die mit dem Wörtchen „denkbar“ jedoch andeutet, dass auch in diesem Fall das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
Weder Impfung noch Offenlegung des Impfstatus
Das Thema Impfpflicht spaltet innerhalb der EU ganze Nationen. Während die Regierung in Madrid einer solchen ablehnend gegenübersteht, hat das Parlament der Region Galicien das dortige Gesundheitsgesetz reformiert und, wie die Zeitung „El Pais“ Anfang Februar meldete, Sanktionen für Impfverweigerer festgelegt, die bis zu 600.000 Euro betragen können. Hier wird deutlich, dass letztendlich Brüssel in der Verantwortung ist. Denn Dutzende oder gar Hunderte Alleingänge sind kaum mehr zu durchschauen und noch weniger zu handhaben. Die dänische Regierung hat angekündigt, den digitalen Corona-Pass einführen zu wollen. Dabei handelt es sich um eine Smartphone-App, mit der sich eine Impfung nachweisen lassen soll. Die Details sind noch nicht geklärt, aber der Pass, so viel stehe fest. Damit sollen Wiederöffnungen erleichtert und es Geschäftsleuten ermöglichen, wieder zu reisen.
„Solange es in Deutschland jedoch keine gesetzliche Impfpflicht gebe, dürfen Unternehmen ihre Mitarbeiter weder zu einer Impfung noch zur Offenlegung des Impfstatus zwingen“, sagt die Arbeitsrechtlerin Inka Müller-Seubert von der Wirtschaftskanzlei CMS Hasche Sigle dem „Handelsblatt“.
Wenn bei der Durchsetzung solcher Maßnahmen oft vom Prinzip Zuckerbrot-und-Peitsche gesprochen wird, zeichnet sich gegenwärtig eine Situation ab, bei der allein das Zuckerbrot zur Anwendung kommen kann. Zum Wenn und Aber solcher Mitarbeiterführung, meint Rechtsanwalt Solmecke im „Spitzengespräch“ mit SI: „Als eine Möglichkeit, Anreize zu schaffen, wird bezogen auf Arbeitsverhältnisse vielfach diskutiert, ob Arbeitnehmern Impfprämien gewährt werden sollen, wenn sie sich impfen lassen. Das wäre nach dem deutschen Arbeitsrecht grundsätzlich zulässig. Natürlich muss dabei gleichzeitig der Betriebsfrieden aufrechterhalten bleiben. Die Bereitstellung von Impfprämien darf nicht zu einer Spaltung der Mitarbeiterschaft führen, sodass sich Arbeitnehmer, die eine Impfung verweigern, benachteiligt fühlen.“
Hoffen auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
In Österreich wird derzeit die Formel „Es gibt keine Impfpflicht!“ perpetuiert, aber mancherorts bedauert, dass eine Debatte, wie sie in Deutschland gegenwärtig geführt wird, darüber nicht stattfindet. Impfverweigerer sehen notfalls den Weg zum Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Dieser garantiert ihnen nicht unbedingt einen Erfolg. Im Jahr 2012 landete dort ein vergleichbarer Fall aus der Ukraine. Das Urteil erlaubt ausdrücklich eine Impfpflicht gegen Diphtherie.
Dass Impfverweigerer möglicherweise durch ihr Verhalten ein Missbehagen unter Belegschaft hervorrufen und damit den Betriebsfrieden stören, sieht Solmecke skeptisch. „Wann eine Störung des Betriebsfriedens vorliegt, ist rechtlich nicht definiert. Es muss hier stets eine Einzelfallbewertung getroffen werden. Typische Fälle der Störung des Betriebsfriedens sind allerdings Beleidigungen, körperliche Angriffe oder Diskriminierungen durch Arbeitnehmer, die dann unter Umständen abgemahnt werden. Wenn jemand sich aus Gewissensgründen oder gesundheitlicher Vorsicht nicht impfen lassen möchte, halte ich es für abwegig, hier über eine Störung des Betriebsfriedens nachzudenken, selbst wenn dadurch Unmut bei den Kollegen ausgelöst wird.“
Am Ende wird die Devise so oder so lauten: Impfen statt schimpfen!
Bildquelle: Adope Stock, Urheber: Zebor
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Peter Niggl
Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight