Bankenkrise: Zombies trifft es als Erste
Die gegenwärtige Regierungspolitik muss der aktuellen Krise entgegensteuernFoto:Pixabay
Mit Dr. Christian Kreiß, Professor für Volkswirtschaft und Finanzierung an der Hochschule Aalen, sprach Peter Niggl
SECURITY Insight: Herr Professor Kreiß, man kann allerorts das Grummeln einer drohenden Krise vernehmen. Wie ernst sind die Signale zu nehmen?
Prof. Kreiß: Was Krisen betrifft, hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten bereits sehr viel Zündstoff angesammelt. Wir sehen seit 40 Jahren, dass in den USA, in der westlichen Welt, in fast allen Industrieländern die Schere aufgeht. Man kann feststellen, dass sich die Einkommensverteilung zugunsten der oberen ein, drei, zehn oder zwanzig Prozent verschiebt. Die Ungleichverteilung nimmt zu. Das hat dazu geführt, dass in den vergangenen 40 Jahren die Masseneinkommen nicht Schritt gehalten haben. In der Konsequenz heißt das, es hat sich ein Keil gebildet zwischen der Massenproduktion und der Massenkaufkraft. Und dieser Keil ist mit immer mehr Schulden überbrückt worden. Das führt direkt ins Herz des Problems. Wir haben seit vier Jahrzehnten in der gesamten westlichen Welt, aber auch in China, ein Wirtschaftswachstum, das ganz stark schuldenfinanziert ist. Der Schuldenberg (ohne Finanzsektor) ist bis Ende 2021 auf etwa 260 Prozent der Weltwirtschaftskraft (BIP) angewachsen.
Was heißt das konkret?
2008 – da hat der Schuldenstrom kurz aufgehört – gab es den größten Crash der Nachkriegszeit. Die zu hohen Schulden von 2008 – damals waren es noch etwas unter 200 Prozent vom Welt-BIP, sind gelöst worden mit noch mehr Schulden in den letzten 14 Jahren, die sind noch einmal um 60 Prozentpunkte gewachsen. Das war möglich, weil die Notenbanken, die Amerikaner, aber auch die Europäer oder die Japaner, frisches Geld gedruckt haben wie noch nie in der Geschichte.
Die USA haben die Notenbankbilanzsumme verelffacht und die Zinsen ab 2009 für viele Jahre auf Null gedrückt. Also haben wir einen riesigen frisch gedruckten Geldberg und einen Schuldenüberhang, der niemals in voller Höhe zurückbezahlt werden kann. Im Euroraum wurde die Zentralbankgeldmenge in den letzten 14 Jahren ungefähr verneunfacht. Das ganze Finanzgebäude, das wir heute haben, beruht auf einem riesigen Schuldenberg. Wenn der gigantische Geldüberhang jemals in Umlauf kommt, erleben wir entweder eine mächtige Inflation oder aber – was wir jetzt sehen, wo die USA die Zinsen anheben –, dass diese ganzen Schulden nicht bedient werden können und dass wir einem Crash entgegensehen.
Muss es jetzt zum Crash kommen oder kann sich das noch über Jahre hinziehen?
Ich habe eigentlich den Crash schon früher erwartet, habe aber nicht damit gerechnet, dass die Notenbanken Geld drucken ohne Ende. Der Crash kommt meiner Meinung nach, aber ich weiß nicht, ob in ein paar Monaten oder ob es noch ein paar Jahre gutgeht. Die Amerikaner haben in den letzten Monaten die Zinsen in atemberaubendem Tempo angehoben. Die Zehnjahreszinsen für amerikanische Staatsanleihen sind von etwa 0,7 Prozent 2020 auf 4,2 Prozent am 22.10.2022 gesprungen. Die US-Staatsanleihezinsen ziehen auch alle übrigen Zinsen, also auch die für Unternehmen oder Häuslebauer mit nach oben, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und den meisten anderen Ländern der Erde. Das werden viele Unternehmen nicht überleben. Und auch sehr viele Länder, der größte Teil der ärmeren Entwicklungsländer, aber selbst in Europa, beispielweise Italien oder Griechenland, werden diese hohen Zinsen auf Dauer nicht bezahlen können.
Wen wird dann die Krise als erstes treffen?
Die sogenannten Zombieunternehmen. Das sind Unternehmen, die sehr hohe Schulden haben und bei normalen Zinsen schon längst nicht mehr existieren würden. Die man aber jetzt 14 Jahre lang durchgeschleppt hat. Es gibt weltweit zigtausend Zombieunternehmen. Das sind ganz normale, produzierende Unternehmen oder Dienstleister. Es können neben diesen Unternehmen auch Länder sein. Zum Beispiel die Türkei ist ein solcher Kandidat. Die Türkei hat ungefähr 100 Prozent des Bruttoinlandproduktes Schulden in Fremdwährungen. Die türkische Lira befindet sich im Sinkflug. Oder Italien. Oder Griechenland.
Wagen Sie einen Ausblick?
Wenn ein großer Schuldner, wie 2008 die US-Investmentbank Lehman Brothers, ins wanken gerät wird das für den gesamten Bankensektor zum existenziellen Problem. Besonders gefährdet sind in Deutschland energieintensive Industrien wie beispielsweise Baustoffe, Chemie, Glas, Papier und Stahl. Wenn in diesen Branchen verschuldete Unternehmen sind und jetzt wegen der Nord Stream-Sprengungen noch die Energieversorgung einbricht und die Energiepreise explodieren, dann sind die Folgen unabsehbar. Da dürfte es ein Massensterben im Mittelstand geben. Die Gaspreise, die die deutsche Industrie derzeit bezahlt, sind etwa sieben Mal so hoch wie die der US-Konkurrenz.
Können Unternehmen, zum Beispiel durch ein Abwandern in Billiglohnregionen, ihren Kopf aus der Schlinge ziehen?
Natürlich können Unternehmen dies machen. Aber der Vorgang, die Betriebe zu verlagern, braucht Zeit. Die Werke müssen ja erst gebaut werden. Nicht zuletzt sind auch in Ländern in Osteuropa, die ebenfalls vom russischen Gas abhängig sind, die Energiepreise hoch.
Wenn es an den Finanzmärkten kracht, wird dann auch der Mittelstand planiert?
Ja, zu allererst und nicht nur bei uns. Das passiert dann in vielen Ländern. Dann fließt kein Geld mehr. Dann sagt der Bäcker „Ich brauche jetzt 20.000 Euro für einen Ofen“, und der Banker zuckt mit den Schultern: „Sorry, mein Schalter ist geschlossen!“ Dann kann der Ofenbauer nicht bezahlt werden und auch der Maschinenbauer bekommt sein Geld nicht; dann haben wir schnell einen Dominoeffekt bei den Insolvenzen.
Ministerin Baerbock hat bei Beginn des Ukrainekrieges gesagt, dass bis zu acht Millionen Flüchtlinge in die EU kommen werden. Ist ein solches Vorhaben angesichts des Damoklesschwertes einer solchen Krise wirtschaftlich noch durchzustehen?
Falls wirklich ab jetzt noch Millionen zusätzlicher Flüchtlinge nach Deutschland kämen wäre das meiner Meinung nach ökonomisch und sozial fast schon ein Selbstmord. Frau Baerbock sagt ja ganz offen sie mache diese Politik „egal, was meine deutschen Wähler denken“. Die Besucher an den Tafeln haben sich in den letzten zwei Jahren auf über zwei Millionen etwa verdoppelt. Die verfügbaren Lebensmittel reichen dort bereits heute nicht aus. Wenn man auf dieses Sozialsystem noch einmal mehrere Millionen draufsattelt, ist unser Land ökonomisch, aber vor allem wegen der sozialen Spannungen schnell am Ende.
Ist die gegenwärtige Regierungspolitik unter ökonomischen Gesichtspunkten vernünftig erklärbar?
Ein ganz klares Nein. Die augenblickliche Regierungspolitik ist radikal antivernünftig, widerspricht jeglicher ökonomischen Vernunft. In die politischen Parteien im Bundestag habe ich kein Vertrauen mehr.
Schlittern wir also sehenden Auges in die Apokalypse?
Meine Einschätzungen sind mit einem großen „wenn“ versehen. Ich habe ein Szenario skizziert, das ich für nicht unwahrscheinlich halte. Ob es tatsächlich so eintritt, kann ich selbstverständlich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Wenn es aber kommt, wenn die Finanzströme stillstehen und die Märkte das Vertrauen verlieren, dann haben wir in Deutschland ganz schnell Zustände mit sechs, acht oder gar zehn Millionen Arbeitslosen.
Zerfällt dann die EU?
Hier würde ich zunächst einmal den Euro thematisieren. Der Euro steht meiner Meinung nach im Zentrum der kommenden Krise. Um den Euro steht es sehr kritisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Euro zerbricht, steigt momentan. Und wenn der Euro zerbrechen sollte, könnte das heißen, dass wir zu zwanzig nationalen Währungen zurückkehren, die ganz wild durcheinander wogen. Das würde eine absolute Planungsunsicherheit zur Folge haben. Nur ein Aspekt: Wenn der Euro zerbricht, dürften sofort alle italienischen Banken und auch die Republik Italien in Schieflage geraten. Ich habe eingangs die Türkei erwähnt, aber Italien ist eigentlich noch kritischer. Das Land hat Schulden von 150 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Zurzeit ist eine starke Kapitalflucht aus Italien zu verzeichnen. Die Italiener selbst haben bereits großes Misstrauen in die eigenen Banken. Mit dem Zerbrechen des Euro und der Wiedereinführung der Lira in Italien, könnten die dortigen Banken nicht mehr die Schulden bedienen, eine Pleite wäre unausweichlich. Im Fall des Zerbrechens des Euros würde es allein in Deutschland meiner Einschätzung nach binnen weniger Monate zusätzlich vier bis sechs Millionen Arbeitslose geben.
Wenn ein Mittelständler ein paar Hunderttausend Euro zur Seite gelegt hat, um eine Investition zu tätigen, wären die beim Zerfall des Euro futsch?
Bestimmt nicht komplett. Aber den deutschen Mittelstand wird ein solches Szenario viel härter treffen als die Großkonzerne. Die Großen sind dagegen gut gepolstert. Mercedes zum Beispiel hatte Ende 2021 23 Milliarden Euro liquide Mittel in verschiedenen Währungen. Da passiert so schnell nichts.
Der Euro war Washington vom ersten Tag an ein Dorn im Auge. Sind es die USA, die am Euro sägen?
Ja. Wenn der Euro zerbricht, dann wäre dies der größtmögliche Glücksfall für die USA und China. Europa wäre nur mit sich selbst beschäftigt. Dann würden wir vermutlich Auswüchse des Nationalismus erleben, die wir uns heute kaum vorstellen können.
Extreme Unsicherheit bei den Menschen wäre zudem die Folge. Das letzte, was jemand in einer solchen Situation ins Auge fasst, ist der Kauf eines Neuwagens, eines Hauses oder eines Fernsehers und dergleichen. Deshalb auch die Gefahr, dass wir in kurzer Zeit ein Hochschnellen der Arbeitslosigkeit in Richtung acht Millionen in Deutschland sehen können. Geld wird zurückgehalten, man nennt das in der Ökonomie Attentismus, dann ist die Nachfrage weg. Der Umsatz bei den Mittelständlern bricht ein.
Das würde wohl heißen, der Mittelstand verschwindet weitgehend…
… und das wäre eine Katastrophe für unser Land. Die Dax-Unternehmen beschäftigen keine vier Prozent der arbeitenden Bevölkerung. Die Mittelständler sind es, die unsere Wirtschaft tragen. Da kann ich nur auf die Prognose von Dr. Wansleben, dem Chef der Deutschen Industrie- und Handelskammer, verweisen, der uns prophezeit, dass wir zwanzig bis dreißig Prozent ärmer werden. Das würde unser Land in Richtung Zustände und Lebensstandards führen, wie man sie heute zum Beispiel in Osteuropa oder auch in Südamerika vorfindet. Die Großen werden überleben. Die Vermögenskonzentration wird steigen. Dann finden wir uns in einer Südamerikanisierung wieder, wo ein paar wenige alles in der Hand haben.
Das sind düstere Aussichten. Hat die Wirtschaft die Kraft und die Chance diese Entwicklung aufzuhalten?
Bei den momentanen grünen Politikern sage ich: Nein. Die beiden grünen Protagonisten in der Politik, Frau Baerbock und Herr Habeck, sind meiner Meinung nach Auftragskiller der deutschen Industrie, vor allem des deutschen Mittelstandes.
In wessen Auftrag?
Da müssen sie Oskar Lafontaine oder Klaus von Dohnanyi fragen. Lafontaine nennt die gegenwärtig Regierenden „Vasallen“…
… der USA?
Ja.
Wo liegt heute ein Ausweg? Immer neue Schulden, wer soll denn die jemals zurückzahlen?
Der Euro steckt momentan in einem Dilemma. Er ist unter einen US-Dollar gesunken. Vor 18 Monaten lag er noch bei 1,20 Dollar. Wenn er weiter absackt, wonach es gegenwärtig aussieht, kann die Europäische Zentralbank die Zinsen dramatisch anheben, um dies zu verhindern. Die Folge wäre, dass vermutlich Italien pleitegeht und viele europäische Zombieunternehmen. Wenn die EZB aber die Zinsen niedrig lässt oder gar weiter Geld druckt, was sie bis vor kurzem gemacht hat, dann dürfte der Euro in Richtung 90, 80 oder 70 US-Cent crashen. Dann haben wir die Situation, dass ausländische Anleger, v.a. aus den USA das Geld vermutlich aus dem Euroraum abziehen. Infolge dessen könnten wir einen europäischen Börsen- und Bond-Crash und einen Zusammenbruch des Euro erleben. Dann jubeln die USA und China. Und Kontinentaleuropa versinkt im Chaos.
Mehr Artikel vom Autor
Peter Niggl
Peter Niggl, Journalist und Chefredakteur der Fachzeitschrift Security Insight