Es ist eben nicht alles gut …
Die Pandemie ist noch nicht vorbei - Kritische Anmerkungen zum deutschen Pandemiemanagement
Pandemiemanagement geprägt von „Pleiten, Pech und Pannen". Bildquelle: Image by Tumisu, Pixabay
Oder: Kritische Anmerkungen zum deutschen Pandemiemanagement.
Nach mehr als einem Jahr Corona – Pandemie zieht eine unübersehbare Müdigkeit ein. Wir können und wollen es eigentlich nicht mehr hören. Zur vollen und zur halben Stunde bekommen wir die mehr oder weniger aktuellen Corona-Zahlen serviert. Zwischendurch Erläuterungen zu Verhaltensvorschriften, die überall anders sind, und die fast obligatorischen 15 Minuten Sondersendung nach den abendlichen Hauptnachrichten. Für die, die etwas mehr Input brauchen, sind da noch die täglichen Life-Übertragungen aus der Bundespressekonferenz verfügbar.
Warum bleiben wir am Bildschirm und in den Newsportalen? Weil wir uns nach den guten Nachrichten sehnen und auf ein baldiges Ende der Pandemie hoffen? Die Hoffnungen scheinen aktuell nicht ganz unberechtigt zu sein. Engmaschiges Testen und zügige Immunisierung eines großen Teils der Bevölkerung werden machbar. Und schon heißt es wieder: Es ist doch alles gut. Es läuft ja immer besser. Wir müssen nur noch etwas durchhalten.
Pleiten, Pech und Pannen
Die Wahrheit ist: Das Pandemiemanagement in Bund und Ländern ist vor allem Krisenmanagement in eigener Sache und böte ausreichend Stoff für eine neue Serie von „Pleiten, Pech und Pannen“. Nicht nur einmal war es dem Bundesgesundheitsminister wichtig, festzustellen, dass die Bundesrepublik ganz sicher nicht Weltmeister im Pandemiemanagement sei, aber man doch einen guten Job mache und die eigenen Möglichkeiten gut nutze. Da darf man sich gerne verwundert die Augen reiben und fragen, warum wir das nicht besser können. Ein Blick auf die online verfügbare, weltweite Impfstatistik zeigt, dass wir bei der Erledigung der wichtigsten Aufgabe zur Überwindung der CoV-2-Pandemie nicht gut, sondern gerade einmal Mittelmaß sind. Die Sache wird keineswegs besser durch den Einwand, dass andere EU-Staaten auch nicht besser dastehen. Staaten mit vergleichsweise schwächerer Infrastruktur und deutlich weniger staatlicher Administration machen uns vor, wie es geht und, dass es besser geht.
Mangel an Strategie, Führung, Koordination und Organisation
Die zentralen Aufhänger für die verbreitete Kritik in der Bevölkerung und in der Wirtschaft sind der Mangel an Strategie, der Mangel an Führung und ganzheitlicher Koordinierung und die schlechte Organisation in der Umsetzung der wichtigsten Maßnahmen. An dieser Stelle ist im Zusammenhang mit sicherheitspolitischen Fragestellungen schon häufig über die Schutzfunktion des Staates geschrieben worden. Zu Recht darf hinterfragt werden, ob unser Staatsgebilde diese Aufgabe in Bezug auf pandemische Risiken ausreichend wahrgenommen hat. Die Schutzfunktion ist immerhin der Gegenwert für Folgsamkeit und die Steuerpflicht des Bürgers und der Unternehmen. Wenn „Vater Staat“ dazu nicht ausreichend in der Lage ist oder die politischen Mandatsträger und Behörden diese Aufgabe nicht gut erledigen, begehen sie das, was wir in der privaten Wirtschaft Organisationsverschulden nennen. Organschaften in der freien Wirtschaft haften bekanntermaßen dafür. Die Vorsorge in Bezug auf eine mögliche Pandemie ist in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden. Nicht, weil es dazu keine Erkenntnisse gab, sondern, weil der politische Wille dazu gefehlt hat. Die Ergebnisse von LÜKEX 2007 hätten als Anlass ausreichend sein müssen, um dem föderalen Zuständigkeits-Kuddel-Muddel ein Ende zu machen. Wer nun ernsthaft glaubt, dass die Rückschau auf 14 Monate Pandemiemanagement zu einem neuen Herangehen führen wird, der irrt bereits heute.
Es fehlt der politische Mut
Das vom neuen Präsidenten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe im März vorgelegte Erneuerungsprogramm wurde durch den Bundesinnenminister umgehend weichgespült. Obwohl die Situation für die ungenügende Wirksamkeit dieser Bundesbehörde und die Ursachen für den unzureichenden Bevölkerungsschutz richtig konstatiert wurden, fehlt wieder der politische Mut, dem BBK ein starkes Mandat zu erteilen. (siehe Abb. Xy) In dem gemeinsamen Dokument von BMI und BBK „Stärkung des Bevölkerungsschutzes durch Neuausrichtung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe“ wird staatstragend formuliert: „In komplexen Lagen wird das BBK auf Anforderung mit Beratungs-, Unterstützungs- und Coaching-Angeboten für Bund, Länder und Kommunen zur Verfügung stehen.“ Das klingt nicht nach Krisenmanagement. Hier wird wieder eine Chance verpasst. Und es ist bedauerlich, dass die Regierungsparteien ein klares Statement scheuen um etwas in Ordnung zu bringen, was nicht in Ordnung ist. Darum ist zu befürchten, dass dies durch andere politische Kräfte am linken und rechten Rand in den bevorstehenden Wahlkämpfen ausgenutzt werden wird.
„Zu viele handwerkliche Mängel haben uns gigantische Ressourcen, Zeit und auch Opfer gekostet“.
Spätestens, wenn die Pandemie besiegt ist, werden wir uns dennoch die Zeit nehmen müssen, darüber zu sprechen, wie wir staatliches Krisenmanagement zukünftig besser machen können. Zu viele handwerkliche Mängel haben uns gigantische Ressourcen, Zeit und auch Opfer gekostet. Immer wieder wird im Zusammenhang mit der 7-Tage-Incidenz von 30 davon gesprochen, dass dann die Kontaktverfolgung durch die Behörden wieder lückenlos machbar ist. Unsere Erkenntnisse sprechen jedoch davon, dass die Nachverfolgung der Kontakte noch nie richtig funktioniert hat. Die Arbeit ist einfach schlecht organisiert. Wir haben ein länderübergreifendes Wirrwarr an Datenbankensystemen und unsere hochgelobte Corona-App war zwar teuer, aber auch wenig hilfreich. In der Beurteilung wird stehen: Wir sind zu umständlich, zu bürokratisch und können zu wenig.
Auf das zurückgreifen was die Wirtschaft besser kann
Hingegen haben Bürger und Wirtschaft gezeigt, dass sie der Aufforderung, sich diszipliniert und mit großem Einsatz gegen die Pandemie zu stemmen, schnell und einmütig folgen. Insofern wäre es gut gewesen, wenn die Behörden die Aufgaben, die die Wirtschaft viel besser erledigen kann, auch abgegeben hätte. Seit Jahren gibt es erfolgreiche Agenturen und Dienstleister, über die in wenigen Minuten Hunderttausende und Millionen von Tickets für Konzerte und Events verkauft werden. Transportunternehmen und Airlines verfügen über sichere und leistungsstarke Buchungssysteme, die jeden Vorgang sicher personalisieren. Statt den Bürger in den Hotlines in endlosen Warteschlangen zu frustrieren, hätte man auf das zurückgreifen können, was die Wirtschaft dieses Land einfach besser kann. Organisation, Beschaffung und Logistik. Der Oberbegriff: Machen.
Der gleiche Hinweis ist bezüglich der Impfkampagne anzubringen. Zunächst werden mit enormen Aufwand lokale Impfzentren aus dem Boden gestampft, ausgestattet mit viel Personal. Nach vielen Pannen bei der Versorgung und Terminvergabe und nachdem hunderttausende nicht verimpfte Vaczin-Dosen aufgetaucht sind, kommt jetzt der halbherzige Schwenk zu den Hausärzten. Das ist ebenso unverständlich. Die Hausärzte sind das Rückgrat unseres Gesundheitswesens. Jedes Jahr verabreichen sie, so ganz nebenbei, Millionen von Grippeschutzimpfungen. Warum glauben Minister und Behörden, dass sie das besser können? Unbestritten liegt die Richtlinienkompetenz bei der Politik. Das muss auch so bleiben. Ebenso wie die Kontroll- und Zulassungsaufgaben. Die Zulassung von Impfstoffen gehört dazu. Nachdem klar war, dass wir für die Bekämpfung der Covid-Pandemie auf drei strategische Elemente setzen müssen,
- ein strenges Hygienekonzept (siehe AHA-L-Regeln und Arbeitsschutzbestimmungen),
- die bessere Kontrolle des Infektionsgeschehens (Kontaktverfolgung und Tests) sowie
- die Immunisierung durch Impfen,
war auch klar, dass die Verfügbarkeit und Zulassungsverfahren für Tests und Impfstoffe entscheidend sind für den Erfolg unseres Krisenmanagements.
Mit viel Disziplin und massenhaftem Nähen von „Mund-Nase-Bedeckungen“ (eine tolle behördliche Wortschöpfung) hat die Bevölkerung ihren Beitrag zur Aufgabe 1 erbracht. Eine angemessene Bevorratung von Schutzausrüstung hatte sich die Bundesrepublik ja nicht leisten wollen.
„Da haben politische Grundüberzeugungen schon mal mehr Gewicht als Prioritäten im Pandemie-Krisenmanagement“.
Neben all den notwendigen kritischen Anmerkungen tut es wirklich gut, auch anmerken zu können, dass ein deutsches Biotechnologieunternehmen, die BioNTech, viel dazu beigetragen hat, dass wir heute optimistisch sein können im Kampf gegen CoV-2. Die Geschäftsadresse des Unternehmens spricht für sich: An der Goldgrube 12. Warum es die Krisenmanager im Bund und der Europäischen Union für legitim und wichtig hielten, die frühe Zulassung von russischen und chinesischen Impfstoffen in politische Vorwürfe und Verdächtigungen ummünzen zu müssen, erschließt sich dem Autor durchaus. Da haben politische Grundüberzeugungen schon mal mehr Gewicht als Prioritäten im Pandemie-Krisenmanagement. Krisenbedingte, beschleunigte Verfahren waren in der EU anfänglich ja nicht wirklich sichtbar. Stattdessen verschaffte man sich Luft mit den altbekannten politischen Vorwürfen gegen Länder, in denen es deutlich schneller voran ging, wenn auch unter anderen politischen Rahmenbedingungen. Die CoV-2-Pandemie-Krise ist ein Ereignis, das tiefe Spuren im Land und uns hinterlassen wird. Wir werden daraus lernen müssen, wie wir mit derartigen Bedrohungen in Zukunft besser zurecht kommen. Wenn wir den Zusammenhalt in der Gesellschaft in solchen Krisen nicht riskieren wollen, müssen wir künftig auch besser kommunizieren. Denn ein Teil des Verdrusses, mit dem wir alle heute kämpfen, hat auch mit einem Zuviel an Krisenkommunikation zu tun. Falsch gemachte Krisenkommunikation, unter der Vorgabe frühestmöglicher und unbedingt transparenter Information für alle, macht manchmal auch Chancen zunichte, zum Beispiel den Ruf eines dringend benötigten Impfstoffes.
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Jens Washausen
Jens Washausen, ehemaliger Berufsoffizier diente in fallschirmspringenden Spezialeinheiten und war Bereichsleiter Sicherheitswesen der Tengelmann Warenhandelsgesellschaft und Leiter Technik und Vertrieb bei der NEUMANN Elektronik. Er ist Mitglied des Vorstandes des Bundesverbandes unabhängiger deutscher Sicherheitsberater und -Ingenieure BdSI und im Wirtschaftsrat Deutschland aktiv.